Film & Kino aktuell
- Geschrieben von Anna Grillet -

Grant Sputores post-apokalyptischer Science-Fiction Thriller „I Am Mother” beginnt als intimes Kammerspiel in einem, hermetisch von der Welt abgeschlossenen unteririschem Bunker. Doch die Sicherheit ist trügerisch, Gewalt lauert überall.
Wem können wir mehr trauen, einem Roboter oder dem Menschen? Mit der Antwort macht es sich der australische Regisseur nicht einfach, er kreiert eine der vielleicht berührendsten Mutter-Tochter-Beziehungen der Kino-Geschichte. Die gesellschaftskritische Parabel entwickelt sich zur feministisch religiösen Erlöser-Chronik. Ein ästhetisches Wunderwerk, unaufdringlich in seiner futuristischen High-Tech-Schönheit.
- Geschrieben von Anna Grillet -

So nah ließ uns Pedro Almodóvar noch nie an sich heran, er gewährt uns einen Blick tief hinein in seine Träume, Ängste, Phantasien, Sehnsüchte, in Vergangenheit und Gegenwart. Basiert „Leid und Herrlichkeit” demnach auf seinem Leben? „Nein, und ja, auf jeden Fall”, lautet die Antwort des 69jährigen spanischen Regisseurs.
Der heute eher sanfte, gefeierte Rebell versetzt die Zuschauer in einen betörenden Schwebezustand zwischen Erinnerung, Fiktion und Realität, erzählt voller Wehmut und leichter Ironie von der Magie des Kinos, von Drogen, Freundschaft, Obsessionen, Liebe, von Tod, den Schmerzen des Alters und einer Mutter, die behauptet, von ihrem Sohn enttäuscht zu sein. Es ist ein höchst subtiler, berückend schöner Film und Antonio Banderas als Alter Ego des Meisters grandios.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Hubschrauber bombardieren ein Dorf zu den dröhnenden Klängen von Wagners „Walkürenritt”. „Mein Film ist nicht über Vietnam, er ist Vietnam”, sagte US-Regisseur Francis Ford Coppola nach den Dreharbeiten über „Apocalypse Now”. Er inszenierte Schlachten, als würden sie sich tatsächlich ereignen. 40 Jahre sind vergangen, das visionäre Meisterwerk ist als Antikriegs-Message Teil unseres kollektiven Bewusstseins geworden, Inbegriff des menschlichen Zynismus, von Wahnsinn, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, dem Verlangen nach Selbstzerstörung.
Die „Final-Cut”-Version von 184 Minuten ist in ihrer kühnen brachialen Schönheit auf der großen Leinwand ein überwältigendes Erlebnis. Der achtzigjährige Coppola hat den 1979 gedrehten Film aufwendig restauriert: Von den Originalnegativen wurden 4K Scans erstellt, 300.000 Einzelbilder bereinigt, die Audiospur komplett überarbeitet.
- Geschrieben von Anna Grillet -

In seinem bildgewaltigen Polit-Thriller schildert Thomas Vinterberg jene Katastrophe, die zur Jahrhundertwende die Welt neun Tage lang in Atem hielt. Das U-Boot K-141 Kursk, Stolz der russischen Marine, sinkt nach der Explosion eines Torpedos schwer beschädigt. Aus Angst vor Imageverlust und Spionage verweigert die Regierung lange jede internationale Hilfe. Und so überlebt am Ende keiner der 118-Mann-Besatzung. 71 Kinder verlieren ihren Vater.
„Kursk” lässt uns nicht mehr los, der Zorn, die Trauer, das Gefühl von Ohnmacht bleibt. Der Film des dänischen Regisseurs ist mehr als ein spannungsgeladenes Survival-Epos, es ist ein subtiles universelles Drama über Solidarität, Mut, Freundschaft und Liebe über den Tod hinaus. Vielleicht begreifen wir hier zum ersten Mal die eigentliche Message des Heavy-Metal-Songs „Enter Sandman”.
- Geschrieben von Anna Grillet -

„Wo ist Kyra?” schildert den Sturz ins Bodenlose. Für jede Frau ist dieser Film eigentlich eine Qual, alle wohl verdrängten Ängste werden wahr: Mitte Fünfzig, geschieden, den Job verloren, aus dem Wohlstand herauskatapultiert in ausweglose Armut. Verzweiflung, Scham, das Gefühl der Hilflosigkeit, ein New York ohne Freunde, ohne Familie. Und die Männer? Wie werden sie reagieren? Wie die im Film? Wegschauen, peinlich berührt, oder tun, als wäre die Protagonistin unsichtbar?
Die Armut, das Elend nimmt der aus Nigeria stammende Regisseur Andrew Dosunmu als ästhetische Herausforderung. Die stilisierten düsteren Stadtlandschaften reflektieren die Gefühle einer Femme Fatale wider Willen im Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit, grandios verkörpert von Michelle Pfeiffer.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Frankreich, Juli 1916. Durch Nebelschwaden von Giftgas taumelt ein junger englischer Offizier auf der verzweifelten Suche nach seinem vermissten Freund. Im Fieberwahn glaubt sich J.J.R. Tolkien (Nicholas Hoult) einem feuerspeienden Drachen gegenüber – es sind die Flammenwerfer der Deutschen.
Die Bäume erstarrt zu schwarz verbrannten Skeletten, die Schützengräben ein tödliches Labyrinth: Ästhetisch virtuos und doch behutsam inszeniert der finnische Regisseur Dome Karukoski das Biopic über den Autor jener Fantasy-Saga mit Kult-Status: „Herr der Ringe”. Die dunkle Kraterlandschaft verrenkter Leichen und blutroter Lachen erinnert an die fiktive Welt von Mittelerde, Mordor, das Reich des Schurken Sauron. „Tolkien” ist mehr als literarische Spurensuche, Porträt einer Gesellschaft im Umbruch und berührender Antikriegsfilm.
- Geschrieben von Anna Grillet -

„Sunset” ist eine atemberaubende verstörende Vision, hinter deren unfassbar exquisiter Schönheit sich der Horror selbstzerstörerischer Zivilisationen verbirgt. Budapest, 1913 am Vorabend des Ersten Weltkriegs, László Nemes kreiert ein Labyrinth ständig wechselnder Eindrücke und Empfindungen. Korruption, Gewalt, wohl getarnter Menschenhandel, Sadismus, die Schreie der Aufständischen hallen durch die Straßen, lodernde Flammen inmitten morbider Pracht.
Der ungarische Regisseur und Oscar-Preisträger („Son of Saul”) will den Zuschauer mit der eigenen Zerbrechlichkeit und Ungewissheit konfrontieren, ihm geht es vorrangig um subjektive Erfahrung nicht die chronologische Aufarbeitung von Historie. Seine Protagonistin, eine junge Hutmacherin, entwickelt sich auf der Suche nach Wahrheit zur spröden Johanna von Orléans, das Geheimnisvolle aber bleibt unergründlich.
- Geschrieben von Anna Grillet -

„Zwischen den Zeilen” ist Dialektik für Genießer, ein ironisch scharfsinniges Sittengemälde mit philosophischem Touch: Elegant, überbordend, voller Pointen, Anspielungen, Anekdoten, mit hinreißenden Dialogen, amüsant und manchmal spannend wie ein Spionagethriller.
Während der französische Regisseur Olivier Assayas seine Protagonisten über den kulturellen und digitalen Wandel im Literaturbetrieb diskutieren lässt, geht es eigentlich um Liebe, Ehe, heimliche Beziehungen, die Angst vor Veränderung, sie alle führen ein Doppelleben, so lautet auch der französische Originaltitel: „Doubles Vies”.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Ihre Odyssee durchs Weltall möchte Regisseurin Claire Denis nicht als Science Fiction Film verstanden wissen. Die Grande Dame des französischen Arthouse Kinos inszeniert „High Life” als apokalyptische Vision selbstzerstörerischen Verlangens und unerträglicher Einsamkeit: Radikal, suggestiv, poetisch, kompromisslos, von manchmal betörend grausamer Schönheit.
Das implodierende Schuld- und Sühnedrama fordert den Zuschauer heraus wie kaum ein anderes Leinwand-Epos der letzten Jahre. Hier dominiert die Bewegung, der Körper. Seine Narben, Verletzungen, Zerfall, Sekrete, Blut, Sperma ersetzen Landschaften und Gefühle, entwickeln eine ureigene Sprache zwischen alttestamentarischer Parabel und den Traumata der Gegenwart.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Mit einem untrügerischen Gespür für die menschlichen Untiefen erzählt Regisseur Edward Berger in „All My Loving” von den Verirrungen und Verletzungen, die uns daran hindern glücklich zu sein. Familie, das steht nur zu oft für Reglementierungen und Kränkungen, aber auch für ihr großes Versprechen von Zusammenhalt, Geborgenheit und unbedingter Liebe.
Es ist die Geschichte dreier grundverschiedener Geschwister, die scheinbar außer ihren kleinen Querelen wenig verbindet. Chaos, Leere, Unsicherheit, alle drei sind an einem Punkt angelangt, wo sie der Realität nicht länger ausweichen können, sich notgedrungen neu erfinden müssen. Der feine lakonische Humor nimmt dem Drama jede endgültige Bitterkeit. Ein wundervoll konstruierter Episodenfilm.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Sie waren das erfolgreichste Comedy-Duo der Filmgeschichte: Stan Laurel und Oliver Hardy. Millionen lachten über ihre hinreißenden Sketche, den skurrilen Wortwitz. Als „zwei, die der Himmel geschickt hat“, bezeichnete sie der Schriftsteller J.D. Salinger und Samuel Beckett sah in ihnen die Idealbesetzung für „Warten auf Godot“. „The Boys” nannten ihre Fans sie liebevoll.
„Stan & Ollie” ist kein konventionelles Bio-Pic, John S. Bairds charmant melancholisches Leinwand-Epos konzentriert sich auf wenige Wochen im Leben der beiden Künstler, die Zerreißprobe ihrer Freundschaft. Es wechselt zwischen Tragik und Komik, erzählt von der Angst vor dem Alter, der eigenen Bedeutungslosigkeit, von Konkurrenz, Verrat, Abschied und einer Loyalität, die uns zu Tränen rührt.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Mit „Ray & Liz” re-kreiert der britische Regisseur und Fotograf Richard Billingham den Mikrokosmos seiner Kindheit im sozialen Abseits Birminghams: Erinnerungen zwischen Zorn und Zärtlichkeit, Abscheu, widerwilligem Mitleid und widerspenstigem Stolz. Er inszeniert dieses fragmentarische Familien-Porträt mit verstörender Akribie als Tryptichon äußerer und innerer Zerstörung.
Der Film ist Bestandsaufnahme, ästhetische Spurensuche ohne jede Schuldzuweisung. Wie verändert Armut den Menschen? Lassen die Bilder der eigenen Vergangenheit ihn jemals wieder los, unabhängig davon, ob irgendwann die Flucht gelingt? Der Künstler eröffnet uns einen völlig neuen visuellen Zugang in jene schäbig groteske Welt unerträglicher Gefühlskälte, Einsamkeit und Stumpfsinns.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Das Alter ist ein besonders tückischer gefräßiger Moloch, die Zeit drängt, doch Schauspieler wie der 86jährige Michael Caine in „Ein letzter Job” trotzen ihr, machen den Gegner zum Komplizen: Wir sind hingerissen von Caines kühler Ironie, seinem Wortwitz und jener Verletzbarkeit, die wir selbst fürchten, ignorieren, bekämpfen. Hier wird sie voll ausgespielt.
Der britische Regisseur James Marsh inszeniert den legendären Hatton-Gardens-Einbruch anfangs als amüsant melancholische Kriminalkomödie, ein geschicktes Täuschungsmanöver, denn es geht in Wirklichkeit um Macht und Gier, den Kampf mit sich selbst, Loyalität, Verrat, den ewigen Traum vom großen Coup, die Angst vor Armut, Leere, Einsamkeit, der eigenen Bedeutungslosigkeit.
- Geschrieben von Anna Grillet -

Ali Abbasis Film „Border” ähnelt einem eigenwilligen scheinbar unberechenbaren Wesen, das die Genres abstreift wie lästige Kokons. Es wächst, gewinnt an poetischer Kraft und absurder Komik, entzieht sich immer mehr der Realität, und lässt sie doch nie außer Acht. So wird aus dem Nordic Noir bald eine beklemmende Love Story, die zum Horror-Mystery-Drama mutiert mit der finsteren Entschlossenheit skandinavischer Sagen.
Das Phantastische verbirgt sich hinter dem fälschlich Vertrauten. Protagonistin ist Tina (grandios Eva Melander), die schwedische Grenzbeamtin besitzt eine außerordentliche Gabe, sie kann Gefühle wie Scham, Schuld, Wut und Angst riechen, entlarvt Täter ob Drogenschmuggler oder Pädophile.