Film
Die dunkelste Stunde

Joe Wrights eleganter Politthriller „Die dunkelste Stunde” ist das Gegenstück zu Christoper Nolans überwältigendem Suspense-Epos „Dunkirk”. Zwei Filme, die verschiedener nicht sein könnten, und doch gehören sie zusammen, ergänzen sich. Ob Kammerspiel oder Genresprengstoff, es geht um die gleiche folgenschwere Entscheidung des Kriegsjahres 1940 in England: das Überleben unzähliger Menschen, den Fortbestand einer Demokratie, die Entscheidung, lieber kämpfen und sterben, als sich der Diktatur des Nationalsozialismus beugen.
Spontane Standing Ovations in den Kinos Großbritanniens, wenn Gary Oldman in der Rolle des Premierministers Winston Churchill jene legendäre „We shall fight on the beaches”-Rede hält.

Mai 1940. 300.000 alliierte Soldaten sind eingekesselt in der nordfranzösischen Hafenstadt Dünkirchen. Engländer und Franzosen hatten weder die Besetzung Polens und Dänemark noch den Angriff auf Norwegen verhindern können. Großbritannien steht allein und ohne ausreichend gerüstete Armee Hitlers Kriegsmaschinerie gegenüber, die schon halb Europa überrollt hat. Frankreichs Niederlage scheint unausweichlich. Nie war Nazi-Deutschland einem Sieg so nahe. Die Regierung in London gerät immer mehr unter Druck. Premier Chamberlain (Ronald Pickup) verliert den Rückhalt von Parlament und Bevölkerung. Als Verfechter der Appeasement-Politik sieht er sich zum Rücktritt gezwungen. Eigentlich soll Lord Halifax (Stephen Dillane) an seine Stelle treten, doch der scheut sich, in dieser aussichtslosen Situation Verantwortung zu übernehmen. Das Scheitern will der konservative und strenggläubige Aristokrat dem kauzigen unbeliebten Widersacher überlassen, um später dann als vermeintlicher Retter die Führung zu übernehmen.

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Winston Churchill weiß nur zu gut um die Intrigen und Machtspiele seiner Gegner. Er steht auf einsamen Posten, aber so unbeherrscht der aufbrausende Exzentriker auf Außenstehende wirken mag, es täuscht, er ist ein brillanter kühler Stratege mit unglaublicher militärischer Erfahrung und Weitsicht. Nur seinen Ratschlägen oder Warnungen hatte kaum jemand noch Gehör geschenkt nach dem Gallipoli-Desaster 1915. Vom ersten Moment an wird der Zuschauer zum Komplizen des Premiers, der auch von King George VI (Ben Mendelsohn) zunächst keinerlei Unterstützung erhält. Genau wie Halifax hofft der Monarch auf eine friedliche Lösung mit dem Hitler-Regime, will einfach nicht begreifen, welche verheerenden Folgen eine Kapitulation für sein Volk hätte. Auch wenn der 65jährige korpulente Churchill tagsüber gern noch in Bademantel und Unterhose auftaucht, schnell cholerisch reagiert, weder auf Scotch oder Zigarre beim Frühstück verzichtet, das Bett zum Arbeitszimmer umfunktioniert, auf sein Ritual des Nachmittagsschlafs Punkt vier Uhr beharrt, ob in Downing Street 10 oder im Bunker der Kommandozentrale unter Westminster Palace. Er verliert nie seine Souveränität, unseren Respekt.

Worte sind die eigentliche Waffe Churchills, seine drei Reden, die er zwischen Mai und Juni 1940 hielt, das Herzstück des Drehbuchs von Anthony McCarten („Die Entdeckung der Unendlichkeit”). Großbritannien stand am Rande des Abgrunds. „Die Frage war, entweder allein weiterzukämpfen, vielleicht bis zur Vernichtung der Streitkräfte oder sogar der Nation, oder auf Nummer sicher gehen”, erklärt McCarten. Doch es gibt keine Sicherheit mit Diktatoren, das lehren uns Vergangenheit wie Gegenwart. Dem Premier war bewusst, dass er im Ersten Weltkrieg eine falsche Entscheidung getroffen hatte, und es lastet schwer auf ihm. Sockel sind gemacht für Statuen, nicht für Menschen. Grade der Umgang des legendären Politikers mit dem eigenen Scheitern, der völligen Isolation, macht die Ikone der Geschichte für jeden Betrachter zugänglich und faszinierte den Regisseur nach seinem herben Fantasy-Flop „Pan”. So klaustrophobisch, eng, bedrückend die Szenerie oft ist, der Film selbst vibriert vor Energie wie sein Protagonist. Manche Kritiker bezeichnen “Die dunkelste Stunde” als Durchhaltedrama oder Erbauungskino, das heißt wirklich die Message der virtuos inszenierten Charakterstudie verkennen. Ein Staatsoberhaupt, das wagt, so unverhohlen in aller Öffentlichkeit die Bürger mit der Wahrheit zu konfrontieren, ist heute weniger denn je vorstellbar. Die Ränkespiele, das Paktieren und Taktieren der Karrieristen hinter den Kulissen dagegen muten recht vertraut an.

Nun steht Winston Churchill an der Spitze der Allparteien-Regierung, amtiert zugleich als Verteidigungsminister und Partei-Chef der Torys, Was nach Machtkonzentration klingt, ist ein höchst fragiles Gebilde. Der polternde politische Außenseiter versucht in seiner ersten Ansprache am 13. Mai die Nation auf einen bedingungslosen Krieg einzuschwören: „blood, sweat and tears”. Währenddessen überlegen seine Gegner, allen voran Chamberlain und Halifax, mit welchen Tricks sie sich seiner entledigen können. Im Kriegskabinett machen sie Stimmung für einen Friedensabkommen mit Hitler, Italien soll vermitteln. In keinem Moment stilisiert Joe Wright seinen eigenwilligen Protagonisten zum makellosen Leinwand-Helden. Ähnlich wie in Jonathan Teplitzkys „Churchill”-Porträt sind das eigentliche Thema die Schwächen, das Versagen, die Selbstzweifel, die es gilt zu überwinden, der Kampf mit den inneren Dämonen. Durchhalte-Drama, das klingt verächtlich und verdächtig nach den Propagandafilme der NS-Zeit. Begriffe wie Frieden oder Kapitulation sind in ihrer Bedeutung völlig abhängig vom politischen System, der Protagonist hier ist alles Andere als ein Kriegstreiber, doch was in Deutschland heute oft vergessen wird, die Freiheit musste im Einzelfall hart erkämpft werden, Opfer und Blutvergießen waren damals unvermeidlich. Ein Nicht-Handeln kam schon einer Komplizenschaft mit Hitler gleich.

Pathos ist Teil des politischen Klimas jener Kriegsjahre, Churchill macht ihn sich zu eigen, erfindet ihn neu. Seine Art der Betonung, Gary Oldman („The Dark Night Rises”) brilliert darin, wechselt mit subtilem Gespür zwischen großen Gesten und trockenem Humor, wenn er im Kreise der Familie das Champagnerglas erhebt: „Darauf, dass wir es nicht versauen.” Ehefrau Clementine (Kristin Scott Thomas, „The Party”) ist sein Gewissen, liberaler als er, Vertraute und Kritikerin zugleich. Zärtlichen kleinen Gesten für ‚Clemmie‘ folgen zornige Ausbrüche gegenüber den Kabinettsmitgliedern, Abscheu, Verachtung, er weigert sich zu akzeptieren, der Krieg oder Europa sei verloren. Durch Trump, Brexit, die Erfolge der Rechtsradikalen erhalten die Dialoge eine aktuelle, unheilvolle Bedeutung. Joe Wright („Abbitte”, „Anna Karenina“) versteht sich auf die Architektur einer Inszenierung, kreiert zusammen mit KameramannBruno Delbonnel immer neue düster schillernde Bühnen auf beengtem Raum, verändert ständig Perspektive und Atmosphäre selbst bei gleichem Set. Der schier endlose, spärlich erleuchtete Tunnel zur bunkerartigen Kommandozentrale signalisiert Hoffnungslosigkeit, aber Churchill schreitet unerbittlich voran. Solch zielstrebige Entschlossenheit verblüfft, überzeugt, Georg VI wird zu seinem Verbündeten, obwohl dieser korpulente kompromisslose Exzentriker mit seinen grauenvollen Manieren, der nur dem Instinkt gehorcht, nie seine Prinzipien verrät, eigentlich nicht in das Weltbild des Monarchen passt. Doch das Weltbild ist im Umbruch.

„Die dunkelste Stunde” besitzt die Spannung eines Spionage-Thrillers, wenn der Film sonst eng mit der historischen Realität verknüpft ist, bricht der Regisseur nun manchmal unerwartet aus, schickt seinen Protagonisten auf eine für ihn abenteuerliche aber fiktive Fahrt mit der Tube. Freundlich helfen ihm die vorbeihastenden Passanten bei der Suche nach der richtigen Linie. Wie ein liebevoller Landesvater steht er da nun umgeben von seinen Untertanen im Zugabteil der Londoner Underground, er fragt nach Namen und Beruf, Hände werden geschüttelt, Artigkeiten ausgetauscht ohne Berührungsängste, voller Freude entdeckt der Premier, dass er im Volk jene Unterstützung und volle Solidarität findet, die ihm das Kabinett verweigert. Es ist der Idealfall einer Demokratie, wo der Repräsentant den Willen der Bürger verkörpert. Nein, sie alle wollen sich Hitler nicht beugen, keiner von ihnen. „Niemals. Nie. Nie.” Damit wirbt der Trailer, eine Phantasie, die uns als Deutsche verwehrt bleibt. Ob „Dunkirk” oder „Darkest Hour”, wir waren nie Teil davon, werden es nie sein. Patriotismus als Tabu?

Während der Beratungen in der Kommandozentrale wurden damals die unterschiedlichen Positionen in Protokollen dokumentiert. Viele davon werden hier wortwörtlich wiedergegeben. Joe Wright: „Ich versuchte diese Szenen filmisch nachzustellen, was bei 17 Darstellern nicht ganz leicht war. Häufig denken Leute bei dem Begriff „filmisch” an dramatische Landschaftsaufnahmen, doch ich denke dabei vor allem an die Intention, weniger an das, was später auf der Leinwand zu sehen ist. Die Auflösung der Szenen wurde mir teilweise abgenommen- quasi von Winston selbst. Er sorgte nämlich dafür, dass seine Widersacher in der Kommandozentrale stets ihn anschauen mussten. So konnten sie nicht hinter seinem Rücken reden.” McCarten erläutert: „Auf der einen Seiten gab es jene, die die Nazis beschwichtigen wollten, während die anderen darauf drängten, das die Nation sich erheben und Hitler bekämpfen müsse. In dem Konflikt zwischen Winston und Halifax kristallisierten sich die jeweiligen Argumente beispielhaft heraus.” „Wir wollten”, so Wright, “dass der Zuschauer tatsächlich die damaligen Argumente zu hören bekommt und sie gegeneinander abwägt. Was Churchill auszeichnete, ist die Tatsache, dass er genau dies tat. Er war ein Führer, der zuhörte, und die Absichten der anderen in Betracht zog, um dann eine Entscheidung zu treffen.”

Churchills Silhouette ist einzigartig, überall auf der Welt kennt man sie. Schon um drei Uhr morgens musste Gary Oldman im Studio erscheinen, bis zu dreieinhalb Stunden dauerten Make-Up und das Aufragen der Maske aus Silikon, sie hat eine hautähnlicher Textur, beeinträchtigt nicht die Mimik, dann noch mal eine halbe Stunde für das Kostüm. Furios mit welcher Sensibilität der Schauspieler diesen außergewöhnlichen Mann interpretiert, der seine Karriere als Journalist begann, ausgezeichnet in vier Kriegen, er schrieb fünfzig Bücher, schuf fünfhundert Gemälde, hatte sechzehn Ausstellungen in der Royal Academy, pendelte zwischen den Parteien, sein einziger Fixpunkt in diesem Universum ist Clemmie. Oldmans Winston besitzt eine unbändige Energie, einzigartige Ausstrahlung, die Mensch mitreißt, doch hinter der Stärke und dem Elan verbirgt sich seine Verwundbarkeit, das Wissen um viele Tote und die Sorge um sein Land und die Operation Dynamo. Er ist brillant, verwöhnt, theatralisch, spöttisch, ernst, oft schlechter Laune, schnell ungehalten und dann wieder von bewundernswerter Geduld, beugt sich nur ungern irgendwelchen Regeln. Wenn er will, kann Churchill komisch sein, manchmal dauert es, bis er fröhlich zu lachen beginnt, wie als ihn seine Schreibkraft, darauf aufmerksam macht, welche Bedeutung sein Victory-Zeichen mit dem Handrücken zum Gegenüber hat. Wer zeigt nicht gerne ungestraft Pressefotografen den Mittelfinger.

„Dunkirk” beginnt dort, wo „Darkest Hour” aufhört. Es ist eins der bewegendsten Erlebnisse der Kinogeschichte. Christopher Nolan hat die Dialoge auf ein Minimum reduziert, Befehlshaber und Politiker tauchen nicht auf. Die Entscheidungen sind gefallen, nun geht es allein ums Überleben.



Originaltitel Film: Darkest Hour

Regie: Joe Wright
Darsteller: Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Ben Mendelsohn
Produktionsland: Großbritannien, 2017
Länge: 126 Minuten
Kinostart: 18. Januar 2018
Verleih: Universal Pictures Germany

Fotos, Pressematerial & Video: Copyright
Universal Pictures

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Originaltitel: „Dunkirk”
Regie/Drehbuch: Christopher Nolan
Darsteller: Fionn Whitehead, Harry Styles, Tom Hardy, Mark Rylance, Barry Keoghan, Jack Lowden,  Aneurin Barnard, James d'Arcy, Kenneth Branagh
Produktionsländer: Großbritannien Niederlande, Frankreich, USA, 2017
Länge: 106 Minuten
Kinostart: 27. Juli 2017, erhältlich als DVD und Blue-ray
Verleih: Warner Bros. Germany

Video: Copyright Warner Bros.

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