Film
Verleugnung

Ein packender Film von historischer Dimension und erschreckend aktuell:
Atlanta, Georgia 1994, Emory University. Deborah E. Lipstadt (Rachel Weisz), Professorin für Jüdische Zeitgeschichte, spricht über das Leugnen der Shoah. Zwischen den Studenten im Hörsaal ein älterer Mann, er steht plötzlich auf, wedelt mit Geldscheinen. Es ist David Irving (Timothy Spall), der britische Historiker und Holocaust-Leugner. Er verspricht demjenigen 1000 Dollar, der ihm einen Beweis für den Holocaust liefert. Lipstadt macht unmissverständlich klar, sie diskutiere nicht mit ihm, nicht hier, nicht jetzt, noch sonst irgendwann.

Im September 1996 verklagt Irving sie und den Penguin-Verlag vor dem Londoner High-Court wegen Verleumdung, die Wissenschaftlerin hatte ihn als Lügner und Geschichtsverfälscher bezeichnet. Einer der schwierigsten Prozesse nach dem zweiten Weltkrieg beginnt, er dauert sieben Jahre. „Es gab nie irgendwelche Gaskammern in Auschwitz”, „Hitler hat nie den Befehl, zur Tötung von Juden gegeben”, Irvings Thesen sind so abstoßend wie unglaublich, aber in Großbritannien  - anders als in den USA  - trägt nicht der Kläger, sondern der Beklagte die Beweislast. Was das bedeutet, schildert Mick Jacksons Gerichtsdrama eindrucksvoll. 

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Drehbuchautor David Hare („Der Vorleser”) erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Deborah E. Lipstadt. Er zwingt ihr keine glamouröse Heldenrolle auf, im Gegenteil, die engagierte amerikanische Universitätsprofessorin ist irgendwo überfordert von den Konsequenzen dieses Prozesses. Wenn sie verliert, würde es akzeptabel zu behaupten, dass es den Holocaust nie gegeben hat. Schon in den ersten Szenen begreift der Zuschauer die Stärken und Schwächen der Protagonistin. Sie ist eine brillante Wissenschaftlerin, kann vollendet formulieren, hat einen guten Draht zu den Studenten. Ihre 1993 erschienene Monographie „Denying the Holocaust” ist eine sachlich fundierte Recherche und Analyse des Phänomens auf internationaler Ebene. Lipstadt scheint schlagfertig, ironisch, aber jemand wie David Irving kann sie verunsichern, provozieren, zutiefst verletzen. Er ist der geborene Manipulator, vermischt Fakten, zynische Polemik und eine bestimmte Art intellektueller Obszönität auf theatralische Art, will erniedrigen, beleidigen, zerstören, giert nach Applaus, Bestätigung und Macht. Seine Strategie funktioniert, die Studenten umringen ihn wie einen Star.

Der wohlhabende britische Historiker mit Wohnung im noblen Maifair erkennt, dass ein solcher weltweit Aufsehen erregender Prozess die perfekte Möglichkeit ist, seine Anhängerschaft zu vergrößern. Als eher unkonventioneller Experte des Zweiten Weltkriegs, genoss er anfangs einen exzellenten Ruf, seine Sachbücher über den Generalfeldmarschall Rommel und den Untergang Dresdens hatten Erfolg, doch dann driftete er unerwartet ins rechtsextreme Lager ab. Nun müssen die Anwälte Lipstadts notgedrungen sich mit seinem immensen Oeuvre auseinandersetzen, selbst die über Jahrzehnte akribisch geführten Tagebücher werden Zeile für Zeile durchgearbeitet, um dem Geschichtsrevisionisten nachzuweisen, dass er wider besseren Wissen seine Thesen vertritt, also mit Vorsatz Fakten manipuliert. Dies wird zur vielleicht schwierigsten Aufgabe der Verteidigung. Manchmal stockt einem der Atem, die Angst lässt das Blut in den Adern frieren, denn der Ausgang des Prozesses hängt nur an einem seidenen Faden. Kaum ein Gerichts-Thriller schildert die Tücken des juristischen Systems so wirklichkeitsnah wie „Verleugnung”.

Deborah ist nicht vertraut mit der in Großbritannien üblichen strikten Trennung von beratenden und prozessführenden Anwälten. Die Juristen entscheiden, dass die Beklagte nicht vor Gericht als Zeugin auftreten soll. Es ist offensichtlich, wie leicht die Wissenschaftlerin sich verunsichern lässt. Irving hat sie in solchen Momenten heimlich gefilmt, lanciert Clips, die sie als unsympathischen Wüterich bloßstellen. Er würde sich nur zu gerne auf die Amerikanerin einschießen, sie quälen, diffamieren, wie er es schon im Hörsaal versucht hat. Jedes Ablenkungsmanöver ist ihm Recht. Der Historikerin fällt es ungeheuer schwer, den Anwälten zu vertrauen, sie ist eine Einzelkämpferin, kann sich nicht vorstellen, die Existenz des Holocausts zu beweisen, ohne Zeitzeugen aufzurufen. Vor allem die Überlebenden selbst dringen darauf, im Prozess gehört zu werden, aber Richard Rampton (Tom Wikinson) und Anthony Julius (Andrew Scott) wissen aus Erfahrung, ehemalige KZ-Häftlinge verheddern sich leicht in Widersprüche, lassen sich von ihren Gefühlen überwältigen, schon andere Prozesse dieser Art sind daran gescheitert. Irving würde die Opfer des Holocaust erniedrigen, erbarmungslos lächerlich machen und sie als unglaubwürdig darstellen. Hier geht es nicht um Mitleid oder Verständnis, sondern allein um knallharte Fakten und Strategien. David Irving verteidigt sich selbst, und das tut er nicht ohne Bravour.

Die Fotografien vom Vernichtungslager Auschwitz sind nicht nur Teil nationalsozialistischer Vergangenheit, sondern im tiefsten Innern auch unser ganz privater Albtraum. Was während dieses Prozesses geschieht, betrifft uns alle. Auschwitz ist aber auch Symbol für die Holocaust-Leugner. Nun muss der Beweis angetreten werden, dass es die Gaskammern wirklich gegeben hat. Alle Dialoge in den Gerichtsszenen wurden im Wortlaut aus den offiziellen Akten ins Drehbuch übernommen. Der Titel des Films, erklärt Regisseur Mick Jackson („The Bodyguard”) sei doppeldeutig. Es geht um die Verleugnung des Holocausts, doch um den Kampf gegen Irving zu gewinnen, muss sich Deborah selbst verleugnen. Nichts ist schwieriger für sie als zu schweigen. Während der Prozessanwalt ganz bewusst den britischen Historiker keines Blickes würdigt, lässt die Protagonistin ihn nicht aus den Augen. Nach außen hin wirkt Richard Rampton ruhig, ist aber innerlich ein brodelnder Vulkan. Der Schotte war der führende Spezialist seiner Zeit für Verleumdungsklagen, seine intensive Vorbereitung legendär. Irving beschäftige sich seit seiner Kindheit mit Hitler und dem Dritten Reich, Rampton dagegen hatte nur ein Jahr, um so viel über das Thema in Erfahrung zu bringen, dass er Irvings Behauptungen erfolgreich anfechten konnte. Er lernte sogar Deutsch, um historische Quellen in der Originalsprache lesen zu können.  

Timothy Spall („Turner”) ist eine verblüffende Wahl für die Besetzung der Rolle des Holocaust-Leugners. Doch der Schauspieler überzeugt, wenn er sich als in seiner Ehre zutiefst verletzter Gentleman zelebriert, mit leicht larmoyanten Ton klagt, wie heimtückisch der Begriff Leugnen sei, immer bemüht um Seriosität. Er sieht sich als Opfer Lipstadts, die ihn als Sympathisant von Adolf Hitler zu diskreditieren versucht und seine wirtschaftliche Existenzgrundlage vernichtet. Regisseur Mick Jackson dämonisiert ihn nie, fast entwickelt dieser Irving, der immer abseits allein sitzt, einen Hauch tragischer Menschlichkeit, doch der verfliegt, wenn er mit leicht pathetisch zynischem Tonfall, versucht seine Lügen zu vertuschen und abstreitet, Rassist zu sein. Der britische Historiker ist sich seines Sieges sicher. Und es gibt Momente, da fürchtet auch der Zuschauer, dass er Recht behalten wird entgegen jeder Moral und Logik. Die Boulevardblätter verkünden in riesigen Lettern: „ No Holes, no Holocaust”. Irving glaubt beweisen zu können, dass die Gaskammern nur zur Desinfektion und Entlausung dienten. Aber Rampton versteht sein Metier, Schritt für Schritt widerlegt er die irrsinnigen Behauptungen. Mehr als in den gängigen Gerichtsdramen ist der Zuschauer wirklich hingerissen von der Intelligenz dieses Anwalts. Und der schier unerschöpflichen Geduld, er hat stoisch die Anfeindungen seiner Mandantin ertragen. Erst am Ende begreift sie, dass nur diese Taktik zum Ziel führen konnte. Ihre Stärke ist Impulsivität, seine Besonnenheit.

„Verleugnung” ist ein Film, der uns lehrt die eigenen Befindlichkeiten hintan zu stellen. „Dieser Fall dreht sich um sie, aber es geht nicht um sie,” erklärt der Anwalt Deborah. Zivilcourage allein genügt nicht im Zeitalter der fake news und sogenannten alternativen Fakten (siehe Kellyanne Conway, Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump). Meinungsfreiheit gibt niemandem das Recht, die Tatsachen zu verdrehen, Menschenleben zu zerstören. Irving hat dieses Recht missbraucht. Ohne die tatkräftige und finanzielle Unterstützung anderer wäre Lipstadt verloren gewesen. Anthony Julius wollte auf das Honorar verzichten. „Er war bereit so zu kämpfen, als wäre der finanziell einträglichste Fall seiner Karriere auf seinem Schreibtisch gelandet”, meint die Wissenschaftlerin Debora E. Lipstadt.  „Er hatte zuvor Prinzessin Diana bei ihrer Scheidung vertreten, das Königshaus Windsor konfrontiert und eine Einigung erzielt.” Für Lipstadt war der Prozess ein „entscheidender Moment” in ihrem Leben. „Er hat weder mich verändert, noch das, was ich zu sagen hatte. Aber ... er verschaffte mir Gehör, das ich so zuvor nicht hatte. Plötzlich hatte alles, was ich sagte, mehr Einfluss und Bedeutung, weil ich David Irving erfolgreich entgegengetreten war.” Dabei hatten ihr viele geraten, gerade das nicht zu tun. Einige führende Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Großbritannien versuchten die Amerikanerin zu überzeugen, aufzugeben. Die Urteilsbegründung von Richter Charles Gray umfasste 333 Seiten, in der er detailliert darstellte, dass Irving systematisch die historischen Fakten über den 2.Weltkrieg verzerrte, er sei ein „Antisemit und Rassist”.

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Originaltitel: Denial    
Regie: Mick Jackson   
Darsteller: Rachel Weisz, Tom Wilkinson, Timothy Spall  
Produktionsland: USA, Großbritannien
Länge: 110 Minuten  
Kinostart: 13. April 2017
Verleih: SquareOne Entertainment, Universum Film

Fotos & Trailer: Copyright Universum Film

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