Film
Foxcatcher

Regisseur Bennett Miller inszeniert sein fesselndes Ringer-Melodram als düsteres verstörendes Psychogramm der amerikanischen Gesellschaft. Grandios: Steve Carell in der Rolle des exzentrischen machthungrigen Mäzens John du Pont.

Der Film beruht auf wahren Begebenheiten: 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles gewann Freistil-Ringer Mark Schultz („Channing Tatum, „Magic Mike”) genau wie sein älterer Bruder Dave (Mark Ruffalo, „The Avengers”) eine Goldmedaille für die USA.

Ruhm oder Geld brachte ihm der Sieg nicht ein. Einsam haust er drei Jahre später in einer dunklen kleinen Wohnung. Noch immer dreht sich alles nur um den Sport. Die einzige Bezugsperson: sein Bruder, der ihm schon in der Kindheit nach der Scheidung der Eltern den Vater ersetzen musste. Er ist es, der den muskelbepackten Mark auf die Wettkämpfe vorbereitet, ihn Tag für Tag trainiert. Trotzdem fühlt sich der Jüngere vernachlässigt, für den verheirateten Dave haben Ehefrau und Kinder Priorität, nicht die Weltmeisterschaften. Mark verehrt den älteren Bruder, weiß wie viel er ihm zu verdanken hat, zugleich verspürt er eine heimliche, unerträgliche Wut: Stets steht er im Schatten des charismatischen intelligenteren Dave, der ihm auch sportlich überlegen ist. Seine zwiespältigen Gefühle kommen beim Training zum Ausbruch. Wenn die Brüder sich gegenüberstehen, haben ihre Bewegungen anfangs etwas Zärtlich-Vertrautes, der Clinch scheint fast spielerisch, doch plötzlich wird der Ringkampf zum unerbittlichen Duell, fließt Blut.

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Marks Karriere nimmt eine unerwartete Wendung, als John du Pont (Steve Carell, „Crazy, Stupid, Love”), Millionenerbe des legendären Industriellen-Clans, ihn engagiert. Er soll in Pennsylvania auf dem luxuriösen Familienanwesen, der Foxcatcher Farm, ein US-Ringer Team für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul aufbauen. Der wortkarge, etwas unbeholfene Sportler lässt sich vom ersten Moment an blenden von dem unfassbaren Reichtum du Ponts. Die Komplimente und Versprechungen sind Balsam für seine gequälte Seele. Er hat ein Leben lang nach einem Vater gesucht, nun glaubt er ihn gefunden zu haben. Das verkündet er auch stolz in aller Öffentlichkeit. Dieser Mann gibt ihm die lang ersehnte Anerkennung, nach den Motiven fragt er nicht. Dave dagegen schlägt das verlockende Angebot aus. Im Film wie in der Literatur basieren einige der spannendsten Thriller auf wahren Begebenheiten: Fritz Langs „M- Eine Stadt sucht einen Mörder” (1931), Alfred Hitchcocks „Psycho” (1960), Richard Brooks „Kaltblütig” (1967) oder Patty Jenkins’ „Monster” (2003). Für manche Künstler ist die Realität nur eine Inspiration, andere wie der Amerikaner Bennett Miller („Capote”, „Moneyball”) recherchieren lange und akribisch die Hintergründe des Kriminalfalles. Das Drehbuch zu der finsteren High-Society-Saga schrieben E. Max Frye (“Gefährliche Freundin”) und Dan Futterman („Capote”). „Foxcatcher” ist für fünf Oscars nominiert und wurde in Cannes für die beste Regie ausgezeichnet.

John Du Pont ist Spross einer der mächtigsten Dynastien des Landes, die ihr Vermögen während des Sezessionskrieges mit Schießpulver gemacht hatte, heute führender Chemiekonzern. Der schmächtige unscheinbare Mann mit jener extrem ausgeprägten Nase spricht leise, betont langsam, näselnd, ohne jede Mimik. In seinen Worten schwingt häufig eine unterschwellige Drohung mit. Selbst seine wissenschaftliche Passion für Ornithologie und Philatelie wird geprägt von der Gier nach Selbstbestätigung. Der prahlerische Patriot im Trainingsanzug mit einem offensichtlichen Hang zum Größenwahn ist in Waffen vernarrt. Zu seinem heimischen Fuhrpark gehört auch ein Panzer. Du Pont versteht sich auf die Kunst, Menschen zu manipulieren, die ihm unterlegen sind. Er selbst hatte nie wirkliche Freunde, lebt im Schatten seiner erfolgreichen herrschsüchtigen Mutter (Vanessa Redgrave, “Anonymous”). Sie lässt ihren Pferden mehr Zuneigung zukommen als dem Sohn, den sie für einen absoluten Versager hält. Für dessen neuste, angeblich politische Mission, den amerikanischen Ringsport zu retten, empfindet sie nur Verachtung und zeigt dieses unmissverständlich. Umgekehrt tut du Pont ganz bewusst alles nur Erdenkliche, um seine Mutter zu provozieren. Schon der Gedanke daran sie zu erniedrigen, bereitet ihm ungeheures Vergnügen. Er will mehr als ein Sponsor sein, lässt sich von Mark im Ringen unterrichten. Die Kämpfe der Beiden haben etwas Intim-Erotisches. Millers elegantes, atmosphärisch starkes Melodram schildert von verschiedenen Standpunkten aus die Unfähigkeit, über Gefühle zu sprechen oder sie ausdrücken zu können. So scheinen die tödlichen Schüsse am Ende des Films eine fast logische Konsequenz. Einsamkeit wird hier zum unentrinnbaren Schicksal. Eifersucht mutiert zu blindem Hass. Es geht im Film selten nur um den Sport selbst, sondern um die verschiedenen Formen der Abhängigkeit, die sich in seinem Umfeld entwickeln. Die Tragik dieses teuflischen Spiels ist nicht ohne satirische Komik.

Widerwillig muss der junge Olympiasieger akzeptieren, dass John du Pont den Titel des Cheftrainers für sich beansprucht, obwohl Mark es ist, der die Ringer coacht. Der neue Job scheint ihm trotzdem ein Paradies auf Erden, von dem er früher kaum zu träumen gewagt hätte: Als Logis ein luxuriöses Landhaus, optimale Arbeitsbedingungen, jeder Wunsch wird ihm von den Augen abgelesen. Auch die erhofften Siege stellen sich ein. Bei den Weltmeisterschaften in Frankreich holt Mark eine Goldmedaille. Immer neue Ringer kommen ins Team. Die Beziehung zwischen Mark und seinem Gönner beginnt enger, intensiver zu werden. Du Pont ermuntert den Schützling, sich von seinem Bruder zu lösen, er drängt ihm Kokain auf. Die Drogen haben verheerende Auswirkungen: Der sonst so disziplinierte Sportler lässt sich gehen, bleibt morgens lieber im Bett statt sich auf die Olympischen Spiele in Seoul vorzubereiten. Bald schon verliert er die einfachsten Vorbereitungskämpfe. Das Verhältnis zu du Pont verschlechtert sich rapide. Der Mäzen zeigt sein wahres Gesicht: „Du undankbarer Affe.” Er benutzt Marks besorgniserregende Verfassung, um den älteren Bruder zu überreden, sich doch noch dem Team anzuschließen und mit seiner Familie auf das Anwesen nach Pennsylvania zu ziehen. Nach langem Zögern willigt Dave ein. Es entwickelt sich eine höchst gefährliche Dreieckskonstellation. Bennett Millers „Foxcatcher” ist das Gegenstück zu Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier” (1980). Das in Schwarz weiß gedrehte Drama schildert den Aufstieg und Niedergang des berühmten Boxers Jake LaMotta (Robert De Niro).

Bennett Miller reiste für seine Recherchen quer durch die Staaten, Iowa, Kalifornien, Colorado, Missouri und Pennsylvania. Er durchforstete Archive, befragte Dutzende von Leuten, darunter Mark Schultz, Daves Witwe Nancy, ihre Freunde und Ringerkollegen, wie auch ehemalige Mitarbeiter von du Pont . Der Regisseur sichtete sämtliches, zur Verfügung stehendes Videomaterial. Doch die nackten Tatsachen waren nur die Grundlage für die Geschichte. „Die Fakten werden in Fiktion verwandelt, um auf diese Weise der Wahrheit auf die Spur zu kommen,” erklärt der Regisseur in den Produktionsnotizen. Nichtsdestotrotz verblüfft “Foxcatcher” grade durch Authentizität. Mit seinen Protagonisten geht Miller behutsam um, er gibt sie nie der Lächerlichkeit preis, macht sie nicht zu Karikaturen ihrer selbst. In seinem subtilen Slow-Motion-Drama vermeidet er bewusst alles Spekulative oder Sensationelle wie die Belagerung des Anwesens, wo sich John du Pont zwei Tage verschanzt, bevor er festgenommen werden kann. Er wird wegen Mordes verurteilt und stirbt am 9. Dezember 2010 in der Haft. Die Rolle des machthungrigen Millionenerben war für Steve Carell eine außerordentliche Herausforderung, sein Image auf der Leinwand bisher ein völlig Anderes, ob in „Anchorman 2- Die Legende kehrt zurück” (2013) oder an der Seite von Keira Knightly „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt” (2012). Carell ist kaum wiederzuerkennen. Nicht nur wegen der Nasenprothese, eine bedrohliche Faszination geht von ihm aus: er beherrscht Körperhaltung, Gestik, Ticks und die bizarre Sprechweise des Exzentrikers zur Perfektion. Faszinierend wie der Schauspieler den heimtückischen skurrilen Mäzen verkörpert, der auf perfide Art mit seinem gutgläubigen Schützling spielt, ihn gegen den Bruder aufhetzt, um ihn dann fallen zu lassen. Rache wird seine zweite Natur: Was er glaubt, dass ihm angetan wurde, fügt er jetzt denen zu, die er beneidet. Er lechzt nach Anerkennung. Nie hat er von Menschen die simple Art von Bewunderung bekommen wie ein Mark Schultz. Als du Pont begreift, dass nicht alles käuflich ist, seine Macht nur eine Illusion, wird er zur tickenden Zeitbombe. Von Verschwörungstheorien besessen wirkt er weniger wie ein furchteinflößendes finsteres Monster sondern eher wie eine verirrte Seele.

Channing Tatum und Mark Ruffalo mussten für ihre Rollen eine der anstrengendsten Sportarten erlernen. Zudem mussten sie so ringen wie die Schultz-Brüder mit all deren unverkennbaren Bewegungen und Stilen. Beide Schauspieler begannen zunächst das Training unabhängig voneinander im Juni 2012 bei dem Ringsport-Choreographen Jesse Jantzen. Ruffalo hatte zwar in der Highschool schon als Ringer trainiert, aber das erwies sich hier eher als Problem, da Dave Schultz Linkshänder war. Mit seinen 45 Jahren musste er nun als 33jährige Sportler überzeugen, und zwar als einer, den viele für den größten Ringer aller Zeiten halten. Er ist wie in anderen Filmen auch der kumpelhafte Sympathieträger. Den vielschichtigeren Part hat Channing Tatum, ihm gelingt es immer wieder Mark Schultz jene hilflose Naivität zu geben, die den tapsigen, muskulösen Riesen so verwundbar scheinen lässt. Der hatte in seiner Jugend nur die Fürsorge, Fairness seines Bruders kennengelernt, gegen die heimtückischen Schachzüge des skrupellosen Mentors weiß er sich nicht zu wehren. Demütigung und Enttäuschung zerstören ihn fast.

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Originaltitel: Foxcatcher
Regie: Bennet Miller
Darsteller: Steve Carell, Channing Tatum, Mark Ruffalo, Sienna Miller, Vanessa Redgrave
Produktionsland: USA, 2014
Länge: 134 Minuten
Verleih: Koch Media
Kinostart: 5. Februar 2015

Fotos & Trailer: Copyright Koch Media

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