Film & Kino aktuell
- Geschrieben von Anna Grillet -
Das Schlachtfeld heißt Cyberspace, und für US-Regisseur Oliver Stone ist sein Protagonist ein Widerstandskämpfer mit Vorbildfunktion. Ziviler Ungehorsam im Zeitalter des Internets. Zum Erstaunen aller hat der dreifache Oscar-Preisträger dieses Mal auf ein Maximum nüchterner Authentizität gesetzt. Die Polemik überlässt er den politischen Gegnern, zu viel steht auf dem Spiel: unsere Zukunft, die Freiheit schlechthin.
In seinem fesselnden Dokudrama über die NSA-Affäre schildert der 70jährige engagierte Filmemacher, wie aus dem konservativen eher schüchternen CIA-Agenten Edward Joseph Snowden jener spektakuläre Whistleblower wurde. Grandios: Schauspieler Joseph Gordon-Levitt, er gibt der Figur des Rebellen wider Willen eine seltsam spröde und doch magnetische Ausstrahlung.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Lucie Borleteau inszeniert die Odyssee ihrer Protagonistin ästhetisch virtuos als Chronik einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung: sinnlich, melancholisch, durchdrungen von einer unglaublichen Sehnsucht nach Freiheit und manchmal erbarmungslos sachlich wie ein Dokumentarfilm.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Zum ersten Mal nach mehr als 20 Jahren drehte Lee Tamahori wieder in Neuseeland. „Die letzte Kriegerin” hatte ihn 1994 berühmt gemacht. Seit dem arbeitete der Regisseur nur noch im Ausland, avancierte mit Filmen wie „James Bond 007. Die Another Day” zum Thriller-Experten.
„Mahana” aber ist eine Hommage an die Heimat: Das vielschichtige packende Melodram erzählt von dem 14jährigen Simeon, der gegen den allmächtigen Großvater rebelliert. Tamahori überrascht durch einen ungewöhnlichen, verführerischen leicht nostalgischen Mix von Stilen und Einflüssen. Es fühlt sich an wie ein klassischer Western, hat etwas wundervoll Altmodisches und erinnert an die legendären Leinwand-Epen der fünfziger Jahre wie Elia Kazans „Jenseits von Eden”. Doch wenn die Kulturen aufeinanderprallen, entsteht eine ganz eigene unverwechselbare, hochemotionale Bildsprache.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Systemkritik als hinreißendes Roadmovie: Klug, komisch, anrührend, provokant und manchmal sehr traurig.
Viggo Mortensen ist “Captain Fantastic”. Der Vater von sechs Kindern hat tief in den Wäldern des Pazifischen Nordwestens für seine Familie ein kleines autarkes Aussteiger-Paradies geschaffen. Hingebungsvoll widmet Ben Cash sich der Erziehung seiner Sprösslinge. Auf dem Lehrplan stehen nicht nur Dostojewski, Survival Training, Fremdsprachen, Theoretische Physik, Karl Marx und Martial Arts, sondern auch das Erlegen eines Hirsches mit dem Messer. Der Feind ist das Großkapital, die Zivilisation fern und spät Abends am Lagerfeuer wird zusammen Musik gemacht, ausgelassen getanzt. Die Kids bewundern und lieben ihren Dad und manchmal rebellieren sie, das hat ihnen der bärtige Weltverbesserer so beigebracht. Einzige Bedingung, der Standpunkt muss überzeugend dargelegt werden. Bei den Cashs sind christliche Religionen verpönt, sie feiern nicht Weihnachten, aber am 7. Dezember den Geburtstag von Noam Chomsky.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Worte, Formulierungen, Metaphern, darum wird in „Genius” gerungen und gekämpft. Es ist ein Actionfilm besonderer Art. Etwas für Literaturfreaks.
Vor 20 Jahren stieß Drehbuchautor John Logan auf die Biographie über den legendären New Yorker Verlagslektor Max Perkins. Er war es, der Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald berühmt machte, und dann entdeckte er 1929 einen völlig unbekannten Schriftsteller, alle in der Stadt hatten dessen voluminöses, metaphorisch bombastisches Manuskript abgelehnt. Hunderte von Seiten müssen gekürzt und viele andere völlig umgeschrieben werden. „Schau heimwärts, Engel” wird zum Beststeller, Thomas Wolfe ein Star. In ästhetisch furiosen Bildern erzählt Regisseur Michael Grandage nicht nur von Freundschaft oder Erfolg sondern auch von Eifersucht, Verrat, enttäuschter Liebe, Verzweiflung, Wirtschaftskrise und der Magie des Jazz.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Was, wenn die Tochter plötzlich spurlos verschwindet ohne ein Wort der Erklärung, sich weigert, ihre Mutter je wiederzusehen? „Julieta” ist Pedro Almodóvars zwanzigster Film und ein überraschend ernster. Verwirrend, oft berückend schön, suggestiv, raffiniert, von bestürzender Intensität.
Der spanische Regisseur hat aus drei Kurzgeschichten der kanadischen Autorin Alice Munro, einen unkonventionellen geheimnisvollen Thriller konstruiert ganz ohne Täter oder Verbrechen. Die Protagonistin selbst ist das Rätsel und nur sie kann es lösen.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ein Dackel blickt in die Abgründe der menschlichen Seele: Kult-Regisseur Todd Solondz inszeniert seinen Episodenfilm „Wiener Dog” als aberwitzige morbide Komödie: zynisch, charmant, tragisch, bitterböse, höchst originell und manchmal zutiefst berührend. Vier skurrile, ästhetisch virtuose Miniatur-Porträts formieren sich zum Psychogramm amerikanischer Vorstädte. Obwohl, dergleichen Erfahrungen mit Hundebesitzern könnte ein Vierbeiner auch in unserem Land machen.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Mit seinem trotzigen Porträt barocken Feminismus unterläuft der finnische Filmemacher Mika Kaurismäki souverän die gängigen Erwartungen an ein historisches Melodram. "The Girl King" wechselt zwischen opulenter nordischer Bilderpracht, politischen Visionen und derber Posse, Wahnwitz, Liebeslust und Tragik.
Königin Kristina von Schweden war eine der schillerndsten Figuren des 17. Jahrhunderts. Malin Buska spielt sie sinnlich burschikos als eine, die keinen Widersacher fürchtet, ihre Macht genießt und später gern missbraucht. Im tiefsten Innern aber ist der exzentrische Teenager sehr verletzlich. Unerschrocken kämpft die jugendliche Monarchin für Frieden und gegen Konventionen jeder Art. Sie verweigert Heirat wie auch Mutterrolle, macht ihre Kammerzofe offiziell zur „königlichen Bettgefährtin”.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Tatort: Straßenstrich in Los Angeles am Heiligabend. Guerilla-Filmemacher Sean Baker präsentiert seine Innenansichten der Transgender-Szene als schwindelerregende Screwball-Comedy und berührende Chronik einer Freundschaft. Ästhetisch radikal, authentisch, wahnwitzig komisch und manchmal unendlich traurig.
Grade aus dem Knast entlassen, muss Sin-Dee Rella (Kitana Kiki Rodriguez) von Kollegin Alessandra (Mya Taylor) erfahren, dass ihre große Liebe, Zuhälter Chester, sie betrogen hat. Was die stolze afroamerikanische Trans-Prostituierte am meisten verletzt, das Objekt der Begierde war eine sogenannte „echte” Frau, und obendrein noch eine Weiße. Wutentbrannt stürmt Sin-Dee davon, um die Missetäter aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Science-Fiction im Retro-Stil der Siebziger Jahre: grotesk, bildgewaltig, erschreckend aber unwiderstehlich.
J.G. Ballards brillanter dystopischer Roman „High-Rise” erschien 1975 und galt jahrzehntelang als unverfilmbar. Nun hat ihn der britische Regisseur Ben Wheatley mit waghalsiger Bravour als elegant ironische Parabel auf Kapitalismus und Klassenkampf inszeniert. Das Hochhaus ist hier nicht nur Metapher für unsere Gesellschaft, sondern auch ganz im Sinne des Autors Spiegelbild der menschlichen Seele und ihrer Abgründe.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ekel ästhetisch edelster Art wird zur schwelgerischen Hommage an die frühen Werke von Luis Buñuel und Dario Argento. Eine wundervoll verstörende Groteske, deren suggestive makabere Bilder sich eigentlich selbst genug sind.
Der surrrealistischer Horror-Thriller „The Neon Demon” des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn polarisierte in Cannes Publikum wie auch Kritiker. Die einen buhten, die anderen waren hingerissen.
„Das Talent des Genesis Potini”. Von Dämonen, Gewalt, Einsamkeit und dem unverhofften Sieg der Türme
- Geschrieben von Anna Grillet -
Er, der Ausgestoßene, ein psychisch kranker Obdachloser, will Kids aus verarmten Māori-Familien neues Selbstvertrauen geben, ein Ziel. Regisseur James Napier Robertson inszeniert die Odyssee des einstigen neuseeländischen Schach-Stars mit kraftvoll rauer ästhetischer Virtuosität: Realistisch, düster krass, gnadenlos unsentimental und doch ungeheuer ergreifend.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Packender wortgewaltiger Politthriller über einen Medienskandal bei CBS.
Genau dort stößt das Regiedebüt des Drehbuchautors James Vanderbilt („Zodiac”), wie zu erwarten, auch auf heftige Kritik. Zu Recht?
New York, 2004. Fernsehredakteurin Mary Mapes (Cate Blanchett) ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie arbeitet Seite an Seite mit Moderator Dan Rather (Robert Redford) für das CBS Reportagemagazin ‚60 Minutes II’. Im April hat sie jene legendäre Sendung produziert, mit der die Folter im US-Militärgefängnis Abu Ghuraib weltweit öffentlich gemacht wurde. Der Wahlkampf John Kerry gegen George W. Bush läuft auf Hochtouren. Die Journalistin bekommt einen Tipp über die Geschäftsverbindungen zwischen dem Bush-Clan und der Bin Laden-Familie. Ein Thema, das Michael Moore polemisch publikumswirksam umsetzen wird in seinem Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11”. Mary jedoch lässt die Geschichte mangels konkreter Beweise fallen, aber ihr Interesse erwacht, als sie von den Gerüchten über die Militärakte des amtierenden Präsidenten hört.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ein Künstlerporträt von verstörender Eindringlichkeit. Brillant, klug, subtil und erschreckend aktuell. Dieser Film trifft mitten ins Herz.
Rio de Janeiro, August 1936. Noch sind die Türen zum Festsaal des exklusiven Jockey Clubs verschlossen. Drinnen rücken Serviermädchen die Weingläser zurecht, zupfen ein letztes Mal an der Tischdekoration. Das atemberaubende tropische Blumenmeer in den verschiedensten Rottönen lässt kaum noch Platz für Tafelsilber und Porzellan. Mit militärischer Präzision marschieren die Kellner auf. So beginnt Maria Schraders Episoden-Epos über das Exil von Stefan Zweig (Josef Hader), und vom ersten Moment an birgt jede Form opulenter Pracht etwas schmerzhaft Tragisches in sich. Zwei Jahre zuvor hatte der jüdische Schriftsteller seine Heimat Österreich verlassen müssen.