Film & Kino aktuell
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Lynne Ramsay inszeniert ihre virtuosen Thriller-Impressionen als Exkursion in die Abgründe der Seele.
Ein Auftragskiller ist Joe (Joaquin Phoenix) nicht, er tötet, nur wenn es sein muss: schnell, effizient, ohne zu zögern mit einem Rundhammer. Der Kriegsveteran und ehemalige FBI-Agent hat sich spezialisiert auf die Rettung entführter Minderjähriger, Mädchen, die in Nobel-Bordellen zur Prostitution gezwungen werden wie die dreizehnjährige Nina (Ekaterina Samsonov), Tochter des ambitionierten New Yorker Senators Votto. Joes Klientel zahlt gut, begrüßt Gewalt als Lösung und dementsprechend fließt viel Blut, aber außerhalb unseres Blickfeldes.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Ein felsiger Strand in der Bretagne. Das Rauschen der Wellen wird übertönt vom Geschrei der Möwen. Eine Familie lässt einen Drachen steigen. Etwas weiter weg sitzt Romy Schneider auf der Hotelterrasse, unverwechselbar ihr Stil, Trenchcoat, Pferdeschwanz, Zigarette, sehnsüchtige Ausstrahlung. So beginnt Emily Atefs Film „3 Tage in Quiberon" über die damals berühmteste europäische Schauspielerin und jenes legendäre letzte Interview 1981 mit dem Magazin ‚Stern’.
Es ist das Porträt eines verzweifelten Befreiungsversuchs: intensiv, leidenschaftlich, schmerzvoll, ungeschminkt in der Tradition von John Cassavetes’ „A Woman Under the Influence” (1974). Momentaufnahmen hinreißend melancholischer Schönheit und doch erschreckend realistisch, die Traumrolle par excellence für Marie Bäumer.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Geheimnisvoll suggestives Flüchtlings-Melodram um Liebe, Verrat und Lüge. Atemberaubende Bilder, überraschend, herzzerreißend, sie lassen uns nicht mehr los, vielleicht wird sich das wundervoll komponierte, filigrane Neo-Noir-Konstrukt in unserem Gedächtnis einnisten wie einst das Hollywood-Epos „Casablanca”.
„Transit” entstand nach dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers. Der Film spielt 1940, aber Regisseur Christian Petzold macht das heutige Marseille zu seiner Kulisse, hebt so die Kluft auf zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ein genialer Kunstgriff, Historie wird zu unmittelbarer Realität.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

„Jeder hat seine eigene Wahrheit,“ erklärt trotzig die Protagonistin, genau deshalb schildert Regisseur Craig Gillespie Aufstieg und Scheitern der amerikanischen Eiskunstläuferin Tonya Harding (Margot Robbie) aus den verschiedenen Perspektiven der Beteiligten.
Entstanden ist eine irrwitzige Mockumentary: Biopic-Mix aus bizarren Interviews, Trash-Drama, skrupelloser Comedy und brutaler Familien-Agonie. Hochintelligent, absurd, amüsant, aber eigentlich unendlich verstörend, zeigt es doch wie tief verwurzelt, oft unüberwindlich Klassenschranken sein können in unserer Gesellschaft. Rotzig, flapsig, extrem aggressiv und schauspielerisch brillant Allison Janney als Inbegriff mütterlicher Kälte.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Nur das Dröhnen der Helikopter erinnert an den nah gelegenen Vergnügungspark „Magic Kingdom” und dessen florierende Touristikindustrie. Jene Welt bleibt unerreichbar für die Kids des Prekariats und doch winken sie fröhlich den Piloten zu. Noch ignorieren sie die Armut um sich herum, quietschen, lachen, sind immer in Bewegung, übermütig, frech, ausgelassen.
Das herrlich eigenwillige Sozialdrama mit seinen bonbonfarbenen Sonnenuntergängen und architektonischen Absurditäten ist eine Hommage an Hal Roachs Filmserie „Die Kleinen Strolche” (ab 1922). US-Regisseur Sean Baker erzählt in „The Florida Project” die Geschichte jenes Sommers aus der Perspektive seiner altklugen sechsjährigen Protagonistin, hautnah, herzzerreißend und gnadenlos unsentimental, authentisch ähnlich „Tangerine L.A.”, aber nicht wie damals mit dem iPhone gedreht sondern in wundervollen Breitwand-Landschaften. Pop verité nennt Baker, ein Meister der Improvisation, seinen hyperstilisierten Realismus.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Eine hinreißende subtile Liebesgeschichte, ihr melancholischer Zauber ist überwältigend, unwiderstehlich: Jene unerträgliche Sehnsucht, das schmerzhafte Verlangen zwischen Scham, Stolz, Angst, Sprachlosigkeit und dem ach so fragilen Glück fühlt sich an, als wären es die eigenen, fast vergessenen Erinnerungen.
Wir spüren die wundervoll träge Mattigkeit am Ende heißer Sommertage und eine nie überwundene Wehmut. Strahlte Luca Guadagninos Film „A Bigger Splash” (2016) eher die elegant erotische Kühle eines Hitchcock-Thrillers aus, „Call Me by Your Name”, diese sinnliche behutsame Coming-of-Age-Romanze eines altklugen Siebzehnjährigen ist genau das Gegenteil und wurde für vier Oscars nominiert.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Grandioses Polit-Kino als beschwörendes Fanal.
Das Doku-Drama „Die Verlegerin” ist Steven Spielbergs unmittelbare Reaktion auf das Jahr Eins der Ära Trump, jenes US-Präsidenten, der in geifernder Polemik Journalisten als „scum” bezeichnet oder „unehrlich”, der Meinungs- und Pressefreiheit zur Farce reduziert, während er selbst täglich für neue Schlagzeilen sorgt. Regisseur Spielberg steckte 2017 mitten in den Dreharbeiten seines Science-Fiction-Thrillers „Ready Player One”, aber kurz entschlossen schob er den Film über die umstrittene Veröffentlichung der geheimen „Pentagon-Papiere” dazwischen. Es ging um die Lage im Vietnamkrieg, der jahrzehntelange Vertuschungsskandal des Weißen Hauses erschütterte 1971 die Vereinigten Staaten ähnlich wie wenig später die Watergate-Affäre. Die Parallelen zur Gegenwart sind nur zu offensichtlich, die Zeit drängt, es gilt Widerstand zu leisten. Jetzt genau wie damals.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Betörender Genre-Mix aus Märchen, Musical, Spionagethriller, Liebesgeschichte, Neo Noir. Guillermo del Toro verändert nachhaltig den magischen Kosmos von ‚La Belle et la Bête’ und auch ein wenig unsere Welt. Die ästhetisch frappierende Fantasy-Burleske mit unverkennbar politischer Message wurde nominiert für 13 Oscars.
Das melancholische bildgewaltige Außenseiter-Epos als Hommage an die Unsterblichkeit des Kinos ist wohl der persönlichste Film des mexikanischen Regisseurs und Autors. „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers” erzählt von der stummen Putzfrau Elisa Esposito (Sally Hawkins), die in einem streng geheimen unterirdischen Forschungslabor der US-Regierung Toiletten und Böden schrubbt.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Elegantes Kidnapping-Drama als Psychogramm menschlicher Gier.
Rom, Juli 1973. „Bambino” nennen ihn die Prostituierten vom Piazza Farnese ironisch-mitleidig, locken zu nächtlicher Stunde mit einer Portion Pasta am heimischen Herde. Der magere 16jährige mit dem selbstbewussten Lächeln ist John Paul Getty III (Charlie Plummer), Enkel des berühmten Ölmagnaten und reichsten Mannes des Planeten. Gerade noch hat das arrogante Kerlchen für eventuelle Dienste Rabatt gefordert, da bremst ein Wagen, Maskierte springen heraus, zerren ihn ins Innere des Fahrzeugs und rasen davon. Die Entführer verlangen 17 Millionen Dollar Lösegeld. Gail Harris, Pauls Mutter (Michelle Williams), hält den Anruf zunächst für einen Scherz, sie hat grade noch genug für die Miete. Ihr kauziger Ex-Schwiegervater (Cristopher Plummer) weigert sich standhaft, auch nur einen Cent herauszurücken, er fürchtet Nachahmer, hat er doch 14 Enkelkinder.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Vor vierzehn Jahren erlangte Tommy Wiseaus Leinwand-Epos „The Room” in Hollywood zweifelhafte Berühmtheit als „schlechtester Film aller Zeiten”. Lächerlichkeit, was könnte ein Künstler mehr fürchten in einer erbarmungslos auf Erfolg fixierten Welt. Nur zweihundert Zuschauer erschienen damals, aber irgendwann fanden die Cineasten Gefallen an dem absurd-dilettantischen Machwerk, es avancierte zum viel frequentierten Happening-Spektakel wie einst „The Rocky Horror Picture Show”.
„The Disaster Artist” ist weder Karikatur noch Parodie, fast liebevoll nimmt sich Regisseur und Schauspieler James Franco des glücklosen untalentierten Träumers an. Er verkörpert ihn mit akribischer Intensität, wurde dafür mit dem Golden Globe ausgezeichnet. Auch wenn Tommy Wiseau immer ein Fremder bleibt, sein unbegreiflicher Gedanken-Kosmos ein Minenfeld, steckt doch ein Hauch jener bizarren verzweifelten Selbstüberschätzung in vielen von uns, – notgedrungen.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Joe Wrights eleganter Politthriller „Die dunkelste Stunde” ist das Gegenstück zu Christoper Nolans überwältigendem Suspense-Epos „Dunkirk”. Zwei Filme, die verschiedener nicht sein könnten, und doch gehören sie zusammen, ergänzen sich. Ob Kammerspiel oder Genresprengstoff, es geht um die gleiche folgenschwere Entscheidung des Kriegsjahres 1940 in England: das Überleben unzähliger Menschen, den Fortbestand einer Demokratie, die Entscheidung, lieber kämpfen und sterben, als sich der Diktatur des Nationalsozialismus beugen.
Spontane Standing Ovations in den Kinos Großbritanniens, wenn Gary Oldman in der Rolle des Premierministers Winston Churchill jene legendäre „We shall fight on the beaches”-Rede hält.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Genialer Genre-Mix aus Neo-Western und Kleinstadt-Satire.
Manchmal ist es leichter einen Molotow-Cocktail zu werfen als zu weinen. Mildred Hayes (Frances McDormand) will Gerechtigkeit um jeden Preis: Vor sieben Monaten wurde ihre Tochter vergewaltigt und ermordet, vom Täter keine Spur. Unbändige Wut verdrängt alle Gefühle selbst Trauer. Die furchtlose zynische 50jährige mietet für 5000 Dollar den Monat drei riesige Werbetafeln am Ortsausgang und beschuldigt weithin sichtbar Sheriff Bill Willoughby (Woody Harrelson) der Untätigkeit. Mildreds Überzeugung nach foltern Cops lieber Schwarze statt echte Verbrechen aufzuklären. Vom ersten Moment an gehört unsere Sympathie der taffen Protagonistin, die mit lakonischen, köstlich vulgären Sprüchen ihre potenziellen Gegner außer Gefecht setzt.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Jäger werden zu Gejagten, wenn Agnieszka Holland in dem wundervoll skurrilen Öko-Epos “Die Spur” ästhetisch virtuos die Genres sprengt: Feministisch-anarchistischer Mystery-Thriller oder klassische Crime-Story? Proben die Tiere des Waldes den Aufstand?
Die 69jährie polnische Regisseurin und Drehbuchautorin versteht sich darauf, uns auf falsche Fährten zu locken. Ihre subversive Killer-Chronik mit schwarzem Humor entwickelt sich bald schon zur bildgewaltigen Allegorie der heutigen Gesellschaft und deren Verachtung für die ältere Generation.
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- Geschrieben von: Anna Grillet -

Völlig aufgehen in der Welt des Malers Vincent van Gogh. Es klingt wie eine Utopie, aber die Regisseure Dorota Kobiela und Hugh Welchman lassen sie Wirklichkeit werden. Die beiden entschieden sich für die vielleicht einzig mögliche Annäherung an den Meister: durch sein eigenes Werk.
„Loving Vincent” erzählt von den letzten Monaten im Leben des niederländischen Malers und dem Geheimnis um seinen Tod. Ein visuell spektakuläres Wagnis: 125 Künstler kreierten mehr als 65.000 Einzelbilder für den ersten aus Ölgemälden erschaffenen Animationsfilm. Publikum und Kritiker waren meist hingerissen, doch einige Rezensenten sehen hier van Gogh reduziert zum Popkultur-Klischee, einer kitschigen Parodie seiner selbst.