Film
Jackie

Charakterstudie einer Ikone: provokant, mitreißend, schwindelerregend.
Eine Frau nachts unter der Dusche, aus ihren Haaren fließt Blut den Rücken entlang. Es ist Jacqueline Kennedy (Natalie Portman). Sie war eine First Lady wie aus dem Märchen, elegant, kultiviert, populär, voller Ambitionen. Das Weiße Haus verwandelte sich unter ihrer Regie zu einem glamourösen Ort, wo sich High Society und Künstler trafen. Doch dann fallen am 22. November 1963 in Dallas die tödlichen Schüsse auf Präsident John F. Kennedy, Jackie sitzt direkt neben ihm. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín schildert die Tage nach dem Attentat aus ihrer Perspektive.

„Eine Kugel traf den Präsidenten im Genick, die tödliche zweite Kugel zerschmetterte die rechte Seite seines Schädels...“ (Bericht der Warren Commission). „Wie muss das für sie gewesen sein,” schreibt Larraín („No!”, „El Club”) in seinen Produktionsnotizen. „Jackie war eine Königin ohne Krone, die ihren Thron und ihren Mann verloren hatte. ...eine der am meisten fotografierten Frauen des 20. Jahrhunderts. Trotzdem wissen wir nur wenig über sie. Diese introvertierte, undurchdringliche Frau ist wahrscheinlich die bekannteste Unbekannte der Moderne. Mir gefällt der Gedanke, dass wir uns nie sicher sein werden, wie sie wirklich war. Ihre Aura, das Glitzern in ihren Augen werden wir nie kennenlernen. Wir können uns nur auf die Suche begeben. Das Ergebnis kann nur ein Film sein, der aus Fragmenten besteht. Aus Erinnerungsschnipseln. Assoziationen. Orten. Bildern. Menschen.”

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Die Protagonistin ist mehr als eine trauernde Witwe, sie wird zur Wächterin des Erbes ihres Mannes, seines politischen Vermächtnisses. Jackie weiß, wie schnell ein Präsident, auch ein ermordeter, vergessen werden kann. Mit verzweifelter Entschlossenheit kämpft sie um ein Begräbnis wie das von Abraham Lincoln, kein Autokorso, nein die Trauergäste sollen dem Sarg zu Fuß folgen. Die Gefahr eines erneuten Attentats, es interessiert sie nicht. Sie stapft in strömendem Regen auf High Heels durch den tiefen Matsch des Nationalfriedhofs Airlington auf der Suche nach einem würdigen Platz für ihren Jack. Atemberaubend Natalie Portman in dieser Rolle. Das Gesicht ist Maske und Bühne zugleich, voll widersprüchlicher Emotionen: benommen vor Schmerz, verstört, trotzig, ängstlich, einsam, zornig. Jackie wirkt erschreckend fragil und beweist doch jeden Moment unglaubliche Durchsetzungskraft. Kameramann Stéphane Fontaine kommt ihr fast zu nahe, -ihr, die so bedacht ist auf Abstand und Privatsphäre,

Den Rahmen der Handlung bildet ein Interview für das Life-Magazin kurz nach den Trauerfeierlichkeiten. Die Witwe hat sich auf den Landsitz der Kennedys in Hyannis Port, Massachusetts zurückgezogen. Der Journalist (Billy Crudup) hofft, hinter jener beherrschten Fassade der ehemaligen First Lady ihre wahren Gefühle aufspüren zu können. Doch Jackie kontrolliert sarkastisch überlegen das Gespräch und macht den Fremden zum unfreiwilligen Komplizen. Ihre Beobachtungen sind scharfsinnig, provokant, manchmal erschütternd. Sie erzählt, wie es war den zerschmetterten Schädel ihres Mannes in den Armen zu halten, deutetet die Schwierigkeiten in der Ehe an („Wir verbrachten kaum eine Nacht zusammen.”). Aber was immer sie dem Reporter anvertraut, er darf es nicht veröffentlichen. Es ist fast wie ein Spiel, Demonstration ihrer Unantastbarkeit. Die so viel Bewunderte greift zur Zigarette, zündet sie an, nimmt einen tiefen Zug und sagt: „Ich rauche nicht”. Hofberichterstattung im 20.Jahrhundert. Der Journalist muss die Waffen strecken: „Ich gebe mich zufrieden mit einer glaubhaften Geschichte.”

Regisseur Pablo Larraín und Drehbuchautor Noah Oppenheim („The Mazerunner”) brechen virtuos mit den Konventionen des Genres, „Jackie” ist mehr Gesamtkunstwerk als ein Biopic. Es wirbelt zwischen den Ereignissen hin und her, zwischen Dokumentarischem und Fiktivem, ohne Rücksicht auf Chronologie. Die Ästhetik spiegelt die Verworrenheit, das hysterisch Albtraumhafte jener Tage wider, während sich der Soundtrack von Experimentalmusikerin Mica Levis („Under the Skin”) zur quälend schmerzvollen Totenklage steigert. Dieser Film wird nie schwelgerisch oder sentimental trotz gelegentlich rührender Momentaufnahmen (Kindergeburtstag vor der Beerdigung), erschüttern soll er uns auf rationaler Ebene nicht auf emotionaler. Wie in „No!” erklärt das Genre sich selbst zum Thema. Es geht immer wieder um Sprache, die Magie der Worte wird abgelöst von der Faszination der Fernsehbilder, die Authentizität vorgaukeln. Der Widerspruch zwischen Realität und Performance ist der Schlüssel zu Porträt und Protagonistin. Ein Widerspruch, dem sich die ehemalige First Lady durchaus bewusst war. Irgendwo in dieser gesellschaftlichen Dunkelzone hatte sie nicht nur sich selbst sondern auch Jack verloren.

Jackie kreierte schon früh ihr eigenes Image. Für viele war sie anfangs nur eine kleine alberne Debütantin gewesen, verglichen mit dem Kennedy-Clan ein Niemand. Debütantin, das Wort blieb an ihr hängen wie ein Spitzname, doch ihr europäischer Stil und ihr Kunstverständnis verwandelte das Weiße Haus. Sie hatte zuletzt an der Sorbonne in Paris studiert, während die Gattinnen anderer Präsidenten nur die Sitzgarnituren, Vorhänge und Teppiche austauschten, wollte Jackie mehr: ihren Vorgängern Respekt zollen. Sie kaufte Gemälde und die alten Möbel von Abraham Lincoln auf, die seine Witwe einst aus Geldnot hatte veräußern müssen und gab dem Weißen Haus seine eigene Geschichte zurück. Larraín mischt historisches Archivmaterial mit fiktionalen Spielszenen. So rekonstruiert er das TV-Special von 1962 „A Tour of the White House with Mrs. John F. Kennedy”. Es ist ihr erster öffentlicher Fernsehauftritt, und sie fühlt sich scheinbar höchst unwohl in dieser Rolle, doch ihr Mann hatte sie dazu ermuntert. Jackie war fälschlicherweise beschuldigt worden, Steuergelder für die Renovierung verschwendet zu haben. Noch ist die First Lady unsicher vor der Kamera, ihre persönliche Assistentin (Greta Gerwig) gibt hinter den Kulissen dezent Stichworte und Regieanweisungen, ermahnt das Kinn hochzuhalten.

80 Millionen Zuschauer aus 50 Ländern verfolgten den Beitrag auf dem Bildschirm. Jackie betont in der Sendung, das Weiße Haus sei mehr als nur Heim und Arbeitsplatz des Präsidenten. Sie nennt es ein Haus des Volkes, ein Schaukasten, in dem amerikanische Geschichte, Kunst und Nationalstolz dokumentiert würden. Als sie in Lincolns Schlafzimmer steht, berichtet sie, sichtbar bewegt, vom Schicksal seiner Witwe. Es wirkt wie eine Vorahnung. 1600 Pennsylvania Avenue, noch strahlt die Residenz in ihrem neuen Glanz, Jack und Jackie drehen sich im Ballsaal zu Walzerklängen. Illustre Gäste treten auf wie der katalanische Cellist Pablo Casals. Jack und Jackie klatschen Beifall. Als die Schüsse fallen, bricht eine Welt zusammen für die Protagonistin. Aber nicht einmal der Schmerz gehört ihr allein, sie teilt ihn mit der gesamten Nation. Einer der wenigen Vertrauten ist ihr Seelsorger (John Hurt), der wartet in der schwarzen Limousine nicht mit religiösen Plattitüden auf, im Gegenteil. Anspruch auf Mitleid? Es ist eine der besten Szenen im Film. Wären da nicht die Kinder, sie hätte Selbstmord begangen, gesteht die ehemalige First Lady. Stattdessen dieses Begräbnis als eine Form der Selbstverwirklichung.

„Wenn etwas geschrieben steht, wird es dadurch wahr?” Mal reagiert die Protagonistin gereizt, dann wieder neckt sie den Journalisten. Jacqueline Kennedy spielt immer eine Rolle, sie bleibt introvertiert, undurchschaubar, ein Geheimnis. Nur wenn sie allein ist, lässt sie die Maske fallen wie in jener Nacht, als sie sich das Blut ihres Mannes aus den Haaren wäscht. Den ganzen Tag hatte sie sich geweigert, das pinkfarbene blutverschmierte Kostüm zu wechseln. Es ist ihre Form öffentlicher Anklage. Nun endlich unbeobachtet, kann sie ihrem Schmerz nachgeben. Wie im Trance wandert sie durch die Räume, trinkt, schluckt Tabletten, probiert Kleider an, lauscht der Schallplatte mit dem Lieblingssong ihres Mannes aus Alan Lerners Musical „Camelot”. Die Erinnerungen überwältigen sie. „Nichts ist meins”, sagt sie irgendwann. Das Weiße Haus, es war ihr Camelot, ein magischer Ort wie der Hof des Königs Artus. Diesen Mythos um JFK kreiert sie in diesen Tagen und wird dabei selbst zur Legende.

Oscar-Preisträgerin Natalie Portman („Black Swan”) ähnelt nicht der Gattin von John F. Kennedy, aber sie hat jene besondere Art von Schönheit, eine außergewöhnliche physische Präsenz wie die wirkliche Jackie. Ihre Stimme ist belegt, hat manchmal etwas Atemloses, die Worte sind oft mehr gehaucht als gesprochen, „Amairca”. Die Schauspielerin berichtet, dass Jackie nach dem Tode ihres Mannes nur zwei Interviews gab, eins dem Reporter vom Life Magazin, Theodore H. White. Das Andere dem Historiker Arthur M. Schlesinger Jr., es dauerte acht Stunden. Danach sprach sie nie wieder öffentlich über diese Phase ihres Lebens.

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Originaltitel: Jackie 
Regie: Pablo Larraín 
Darsteller: Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Richard E. Grant  
Produktionsland: USA, 2016 
Länge: 100 Minuten 
Verleih: Tobis
Kinostart: 26. Januar 2017

Fotos & Trailer: Copyright Tobis

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