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Der Hamburger Jedermann: Nur meine Seele und kein Geld!

Nur meine Seele und kein Geld!

Wenn man davon ausgeht, dass Michael Batz’ Jedermann weniger dem anonymen englischen Moralitätenspiel und auch nur teilweise Hugo von Hofmannsthal verpflichtet ist, so könnte sich der Hamburger Künstler und Theatermacher an dem Spyeghel der salicheyt van Elckerlijc inspiriert haben.


Das Thema dieses frühen allegorischen Stücks, das Petrus Dorlandus zugeschrieben wird und bereits 1485 in Antwerpen zur Uraufführung gelangte, kreist um die begüterten Handelsstädte in Flandern und um den reichen Kaufmann Jedermann, der nur der materiellen Welt zugewandt ist. Der Hamburger Jedermann verlegt das Sujet in unsere heutige globalisierte Welt und in die norddeutsche Hansestadt, die als Platzhalter für den westlichen Neoliberalismus fungiert. In dieser gottlosen Zeit wirkt der das Stück eröffnende Teufel wie ein Anachronismus: „Ich tanze Seil, und am anderen Ende hat jemand losgelassen“. Die Zeitwidrigkeit spiegelt sich in der Grundfrage des Dramas wider, nämlich in der Frage nach der Beschaffenheit der menschlichen Seele, die das Bühnenwerk mit Begriffen der Menschlichkeit, Kunst und Kultur in Verbindung bringt. Die faustische Forderung des Teufels: „Der ganze Plunder in der Speicherstadt kostet eine Seele“, retourniert Jedermann mit der Gretchenfrage: „Nur meine Seele und kein Geld?“.

Das vermeintlich gute Geschäft entlarvt die Mentalität des Kaufmanns, der als Stellvertreter für die Hamburger Pfeffersäcke steht, die nur stehlen, gut verdienen und gut verkaufen wollen. In solchen Zeiten, in denen das alchimistisch anmutende Hauptanliegen der porträtierten Gesellschaft darin besteht, „aus Scheiße Geld zu machen“, verwundert der widersinnige Rat der freilich nur kurz in Erscheinung tretenden Intendantenfigur nicht: „Dann lass die Kunst doch in die Grütze fahren“. Jedermann kehrt die Resignation des Kulturvermittlers schließlich in die geldwirtschaftlich positiv formulierte Wendung: „Ökonomie ist das Wichtigste im Leben. An ihr bleiben Gut und Böse kleben!“. Die Zeitkritik des Hamburger Jedermann richtet sich gegen die Wertlosigkeit, kulturelle Einöde und moralische Unmenschlichkeit, die den Hamburger Kaufmann zu dem gemacht haben, als was er sich im Angesicht von Tod und Teufel fühlt. Zweckorientierung, Kultur als Spektakel und das Ausradieren kultureller und medialer Vielfalt haben nicht nur den Jedermann sozialisiert, sondern drohen auch seine Umwelt und das Stadtbild entscheidend bzw. ausschließlich zu prägen. In dieser Welt sitzen die Controller immer mit am Tisch, entscheiden nur noch betriebswirtschaftliche Kriterien darüber, ob und in welcher Weise kulturelle und mediale Ausdrucksformen aussterben oder überleben.

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