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Komödie im Winterhuder Fährhaus: Außer Kontrolle

Die Komödie im Winterhuder Fährhaus zeigt Sommertheater. Am 30. Juli war Premiere, das Stück wird bis 12. September gespielt.
Im großen Theatersaal ist es warm. Nicht heiß, nicht stickig, aber durchaus kuschelig. Einige Zuschauerinnen legen gern ihre Jacken ab. Wie sich das auf der Bühne anfühlt, unter den heizenden Scheinwerfern, zeigt sich, indem Romanus Fuhrmann sich im Lauf des Stückes immer häufiger mit einem großen weißen Taschentuch Kopf und Gesicht betupft – was vollkommen in seiner Rolle passt – und Jacques Breuer, der mehr herumtobt als alle anderen, sich nach zwei Stunden Jackett und Anzughose durchgeschwitzt hat. Das ist Hingabe. Hoffentlich trinkt er genug…

Natürlich hat ein Engländer (Ray Cooney) das Stück geschrieben, was bereits die Qualität garantiert, wir wissen, dass die Briten den Humor erfunden haben.
Cooney hat es wohlweislich eine Farce genannt.
Das ist eine alte Kunstform; in Japan etwa gibt es sie seit Jahrhunderten und der gute alte Molière hat so meisterhafte Farcen geschrieben, inszeniert und gespielt, dass er immer mehr davon liefern musste, obwohl er viel lieber Tiefschürfendes angefertigt hätte.

Im Gegensatz zur Komödie besitzt die Farce keine eigentliche Handlung, keine Entwicklung der Charaktere. Es gibt natürlicherweise mindestens drei Türen und möglichst einen begehbaren Schrank, denn es wird schrecklich viel herumgewirbelt und mit diesen Türen geknallt, die Darsteller treten in flottestem Tempo auf und ab und auf, haarscharf aneinander vorbei, so dass eventuelle Katastrophen (meist die Aufdeckung von Lügen) nur um Sekundenbruchteile vermieden werden.

Der Humor in einer Farce ist, darüber hinaus, deftiger, vordergründiger, basiert gern auf Schock und Schadenfreude und grenzt, wenn er nicht aufpasst, an die Späße der Klamotte.
So. Wenn man das alles weiß, tut es nicht so weh.

‚Außer Kontrolle’ handelt vom Minister Willy (souverän und angenehm gemäßigt: Romanus Fuhrmann), der sich, statt an der Parlamentssitzung teilzunehmen, im Hotel ‚Adlon’ mit Susi vergnügen möchte. Susi (mädchenhaft, sympathisch und sogar noch niedlich mit Wattepfropfen in beiden Nasenlöchern: Viola Wedekind) ist ausgerechnet eine Sekretärin der Opposition und selbstverständlich sind beide anderweitig verheiratet.

Die Oppositionssekretärin hat sich eben gerade ‚etwas Bequemeres angezogen’, was bedeutet, sie wechselte vom Kleidchen zum Unterröckchen, als die beiden eine im Fenster klemmende männliche Leiche entdecken (höchst überzeugend tot: Bruno Reinecker).


Jetzt geht es darum, den Verblichenen ohne Aufsehen irgendwo in der Natur zu entsorgen, denn die beiden verhinderten Sünder wollen ja nichts an die große Glocke hängen. Dazu beordert Willy den Staatssekretär Kurt Ritgen ins Hotel.
Ritgen (Jacques Breuer - von seinem bedingungslosen Einsatz war bereits die Rede) sieht auf den ersten Blick nicht unbedingt aus wie ein Mann, der lässig mit jedem Problem fertig wird. Er ist ein zaghaftes, zimperliches, bebrilltes, glatt gescheiteltes Männchen – zumindest so lange glatt gescheitelt, bis ihm in den erotischen Szenen nach der Pause im Schopf gewühlt wird. Von da ab stehen ihm die Haare zu Berge, als hätte er in die Hochspannung gegriffen.
Sekretär Ritgen ist ohne Frage die eigentliche Hauptrolle des Stückes, das Kasperle, die Micky-Maus. Keine der weiblichen Darstellerinnen erschrickt so wie er über das ewig und unberechenbar zuknallende Fenster (eine Art gemäßigte Guillotine) und entsetzt sich derart über die Leiche.
Trotzdem tut er sein Bestes, um seinem Boss, Susi, dem Toten und sich selbst einigermaßen aus der sich ständig verschlimmernden Patsche zu helfen.

Schlimmer wird es mit jeder Person, die noch auftaucht: der raffgierige, wenn auch hilfreiche Zimmerkellner Stresemann (Wolfgang Grindemann, der im Gegensatz zum Hauptdarsteller den Humor aus seiner Ausdruckslosigkeit bezieht). Susis eifersüchtiger Gatte Ronnie (Donald Gollmann), der vor sämtlichen männlichen Darstellern weinend zusammenbricht und besänftigend den Kopf gestreichelt bekommt, worauf der nervöse Hotelmanager (Jean Maesér) allmählich einen ganz falschen Eindruck gewinnt. Pamela, die Frau von Minister Willy (Angela Schmid-Burgk, äußerst sexy, man fragt sich, wieso ihr Mann eigentlich fremd geht) die ihn im Hotel in bester Absicht überraschen möchte. Und schließlich Schwester Heidemarie (Konstanze Proebster), die Pflegerin von Ritgens Mutter, mit der er normalerweise in ständigem Telefonkontakt steht.
Um den wechselnden Problemen zu begegnen spielt Ritgen immer neue Rollen: den Halb- oder Ganzbruder des Ministers und/oder der Leiche, den Psychiater (sogar mit österreichischem Akzent, und dazu passen die gesträubten Haare irgendwie sehr gut) sowie, mit zunehmender Verzweiflung, den feurigen Liebhaber in jede Richtung. Er lässt den Toten, der Arm in Arm neben ihm auf dem Sofa sitzt, ein Gespräch mit dem Hotelmanager führen, indem er unauffällig seine Hände und seinen Kopf bewegt, er hopst und tanzt und zuckt, wirft sich durch die Gegend und heult mindestens zweimal auf: „Ich will zu meiner Mama!“
Das ist dann auch jedes Mal, tatsächlich, ein riesiger Lacherfolg.

Als zum Schluss wie in überdrehter Stummfilmgeschwindigkeit die Hektik noch einmal hochgeschraubt wird, um kurz den Handlungsablauf zu zeigen, während dazu Musik spielt, verfällt das Publikum, das schon zu applaudieren begonnen hatte, sehr schnell in einen gemeinsamen Klatschrhythmus. Man ist um Haaresbreite vom Schunkeln entfernt.

Stevia ist ein Süßungsmittel, ein hervorragender Zuckerersatz. Wer allerdings zum ersten Mal damit hantiert, der muss sich klarmachen: ein Hauch Stevia genügt. Schon ein Viertel Teelöffel voll ergibt einen schockierenden Effekt. Süß möchte man es ja gern haben, aber doch nicht derart süß!
Daran werde ich beim Genuss des Stückes erinnert. Lustig möchte ich es ja gern haben, aber derart lustig - ?
Wer hat da dem Affen so tonnenweise Zucker gegeben?
Der Autor selbst?
Die Regie (Martin Woelffer)?
Die Darsteller ihrerseits?
Oh, ich hab mich schon amüsiert, ich war noch beim nach Hause kommen ein bisschen heiser vom Lachen.
Aber: mit ein wenig Mäßigung – mit etwas weniger Grimassieren, Hüpfen und Kreischen – hätten die ulkigen Situationen und der Wortwitz genügt, eine entzückende Farce daraus zu machen.
So war es nur ein brüllkomischer Schwank.

Fotos: (c) Joachim Hiltmann

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