Meinung

Kennengelernt habe ich Rolf Kühn beim ECHO Jazz 2011 in Dresden. Sein Bruder Joachim und er wurden für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

 

Ich hatte gerade mein zweites ELBJAZZ Festival hinter mir und jobbte beim ECHO im Backstage, schmierte Schnittchen und kümmerte mich um das Wohlbefinden der Künstler*innen. Solche und solche gab es da. Die mit den Extrawünschen und Allüren und dann eben die anderen. So wie Rolf zum Beispiel. Der fragt, wie es Dir geht, wo Du herkommst, was Du machst. Der trotz aller Größe voll Bescheidenheit und Neugierde geblieben ist.

 

Ein Jahr später, 2012 spielte er bei uns im Hafen auf der großen Open Air-Bühne und faszinierte gemeinsam mit seinem Bruder Joachim und Band ein Publikum, das wahrlich nicht nur aus Jazz- sondern aus ebenso vielen Hafen- und Partyfans bestand. Was ist das, fragte ich mich schon damals, dass manche komplexe und schwer zugängliche Musik dennoch so die Menschen berühren und faszinieren kann, wenn man sie live erlebt? Und bis heute bin ich überzeugt, dass es von den Menschen abhängt, die da auf der Bühne stehen. Es ist nicht allein das Können, es ist eine bestimmte Energie, und es ist der Wunsch, das Publikum teilhaben zu lassen an dem, was auf der Bühne passiert. Rolf Kühn wollte unbedingt teilen, das war immer spürbar und hat die Menschen für ihn eingenommen.

 

Jahre später sitze ich mit dem Jazzredakteur und Moderator Götz Bühler im Saal des Salzburger Mozartkinos. Hinter uns liegen vier Tage voller Musik des „Jazz&TheCity“-Festivals und vor uns der Abschluss – eine Matinee mit dem Dokumentarfilm „Zwei Brüder spielen sich frei“ (2019) von Stephan Lamby über die beiden Kühns. Im Publikum Rolf, der am Abend zuvor mit seinem Quartett spielte sowie Stephan Lamby. Der Film beginnt und mit den Tönen der Klarinette von Rolf und während die Bildern von ihm laufen, rollen mir die Tränen runter. Ich brauche Götz nicht anzuschauen, um zu spüren, dass es ihm genauso geht.

 

Was uns da rührt? Es ist wohl die Liebe zu dieser Musik und zu diesem Menschen, der viel von dem verkörpert, was Jazz für uns ist. Dieser Moment im Kino scheint wie das Kondensat vieler erlebter Situationen und Emotionen, erfüllt von diesem Geist der Freiheit, der Sinnlichkeit, den Erfahrungen von Härte und Widerständen, erfüllt von seinem Humor und seiner Lebensfreude und von Hoffnung und Utopie.

 

Voller Hoffnung und Utopie, dass sei Rolf immer gewesen, sagt der Brandenburger Schlagzeuger, Komponist und Produzent Christian Lillinger. 55 Jahre trennen die beiden Musiker im Alter, die weit mehr verbindet als die gemeinsame Herkunft aus der ehemaligen DDR.

Der Schlagzeuger spielte nicht nur mit den beiden Kühn Brüdern sondern auch in einem der neueren Projekte von Rolf Kühn: UNIT. Diese Band sagt viel über Rolf und seine fortwährende Suche nach neuer Musik und neuen Herausforderungen. Dabei ist er kein Rastloser, Rasender – sondern ein Besonnener, Fragender und ein Unterstützer. „Er hat einen wirklich supportet“, sagt Lillinger und: „so einen wie ihn gibt es nicht mehr, mit dieser fast kindlichen Neugierde, der Offenheit und seinem ständigen Drang verstehen zu wollen, zu lernen und zu teilen, was Teil seiner Überlebensstrategie war“.

 

Rolf Kühn und ich haben zuletzt vor wenigen Wochen telefoniert. Er und seine wunderbare Frau Melanie sind seit unserem Kennenlernen Wegbegleiter aus der Ferne. Zu beschäftigt sind wir, als dass wir uns so oft sehen könnten, wie wir wollten. Aber jede Begegnung, jedes Telefonat ist innig und warm, wie die beiden, die man so gern als Paar erlebte. Es war einer dieser kleinen Anrufe von ihm zwischendurch – wie es so gehe, was die Liebe und das Leben so macht und am Ende dann: Rolfs Pläne: was denkst Du? Wollen wir mal wieder was machen in Salzburg? Ich bin da gerade mit folgendem Projekt beschäftigt…

Dazu ist es nicht mehr gekommen.

 

Ein Sturz und seine Folgen hat am Ende Rolf das Leben gekostet. Er ist am 18. August 2022 von uns gegangen und hat uns so viel hinterlassen.

Stolpern kann nur der, der noch läuft.

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