Kultur, Geschichte & Management
Raubkunst - Provenienzforschung MKG

Die angestaubte, große Vitrine im Foyer des Museums für Kunst und Gewerbe entspricht so gar nicht der gewohnten Präsentations-Ästhetik.
Vollgestopft mit Silber, Haushaltsgerät aller Art, wirkt sie wie ein abgestelltes Stück aus dem Depot. Und das ist sie tatsächlich. Der Silberschrank bildet den Auftakt zur Ausstellung „Raubkunst?“, mit der das Museum (MKG) zum ersten Mal über den Stand seiner Provenienzforschung informiert.

„Wir wollen nichts haben, was uns nicht gehört!“. Eine recht späte Erkenntnis, wie MKG-Direktorin Sabine Schulze gleich einräumt. Erst 2010, zwölf Jahre nach der „Washingtoner Erklärung“ begann das Haus am Steintorwall systematisch die Herkunft aller Sammlungsobjekte zu überprüfen – und war damit wohlgemerkt das erste Museum für angewandte Kunst in Deutschland, das sich dieser Aufgabe annahm.

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Über 600 Kunstwerke kamen zwischen 1933 und 1945 ins MKG, teils durch den Kunsthandel, teils durch Schenkungen. Rund 100 Objekte hat Kunsthistorikerin Silke Reuther, die mit Hilfe von Fördergeldern von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin ans MKG geholt werden konnte, seitdem unter die Lupe genommen.

Wie unerhört mühsam diese Forschung ist und was sie bislang ergab, zeigt nun diese Schau, die sich als „Momentaufnahme“ versteht. Der sehr zu empfehlende Begleitkatalog tut dies ebenfalls. Sieben Sammlungen werden hier genauer vorgestellt, unter ihnen die Asiatika-Sammlung von Philipp F. Reemtsma (1893-1959), die dem Haus 1996 geschenkt wurde. Der Hamburger Tabak-Magnat baute sie in nur sechs Jahren auf – zwischen 1934 und 1940. Wie man heute weiß, stammen seine 340 chinesischen Preziosen ursprünglich aus acht verschiedenen Sammlungen – auch aus der Kollektion Margarete Oppenheim (1857-1935), einer Jüdin. Also automatisch Raubkunst? Nein. Oppenheim verfügte testamentarisch ihre Kunstsammlung zu verkaufen und die Auktion 1936 brachte marktübliche Preise. „Unbedenklich“ lautet das Ergebnis.

Und wie sieht es mit den Objekten der anderen Vor-Sammlungen aus? Da geht die Recherche wieder von neuem los: Ab ins Archiv, Sichtung der Akten, der Briefwechsel, der Kataloge und Auktionsberichte. „Man sucht nach Namen und historischen Zusammenhängen“, so Reuther, „nach Familiengeschichten und persönlichen Schicksalen“. Mit Glück setzen sich die einzelnen Schnipsel schließlich zu einem Puzzle zusammen.

Ute Haug, ihre Kollegin in der benachbarten Hamburger Kunsthalle, kann das nur bestätigen. Haug ist eine der renommiertesten Provenienzforscherinnen Deutschlands – und eine der ersten: Knapp zwei Jahre nach der Washingtoner Erklärung 1998 hatte Uwe M. Schneede die aus Memmingen stammende Kunsthistorikerin bereits an die Hamburger Kunsthalle geholt. Als NS-Zeit-Expertin galt Haug schon damals: Vor ihrem Volontariat an der Stiftung Museum Schloss Moyland hatte sie über den Kölnischen Kunstverein im Nationalsozialismus promoviert. Die anfängliche Projektstelle in Hamburg wurde mittlerweile zur Lebensaufgabe: 2005 erhielt Ute Haug eine Festanstellung, seitdem steht sie an vorderster Front, wenn es darum geht, Licht ins Dunkel „NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunstwerke“ zu bringen. Die internationale Tagung „Museen im Zwielicht/ Die eigene Geschichte“ 2001/2002 in Köln und Hamburg geht auf ihre Initiative zurück. Und sie gehört zu den vier Gründerinnen des Arbeitskreises Provenienzforschung, der (u.a.) das aufsehenerregende Alfred Flechtheim Projekt www.alfredfleichtheim.com ins Netz stellte. Die Digitalisierung ist für Ute Haug das wichtigste Mittel, um Öffentlichkeit und Transparenz herzustellen. Wer heute auf die Homepage der Hamburger Kunsthalle geht, findet sowohl einen Link auf die Seite www.lostart.de mit rund 75 ungeklärten Hamburger Werken, als auch ein „Findmittel“, das den Stand der bislang erfassten Bestände des Historischen Archivs spiegelt. Wie hilfreich und wichtig die digitale Aufarbeitung ist, zeigte sich jüngst im Falle des Goya-Gemäldes aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: Eine jüdische Familie hatte Anspruch erhoben, drei Jahre recherchierte die Karlsruher Kollegin ohne Ergebnis – bis sie in Haugs Findbuch den Hinweis entdeckte, dass Hamburg Unterlagen zu der Sammlung Paul Rickmers besaß. Der Reeder hatte den Goya von einem jüdischen Vorbesitzer gekauft, soviel war klar. Nur wann? In der Kunsthallen-Akte schlummerte der Missing Link – ein Kaufbeleg von 1919. Damit waren die Restitutionsansprüche vom Tisch und Karlsruhe durfte seinen Goya behalten.

Auch die Ansprüche auf die Kunstsammlung Emma Budge (1852-1937) im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe sind mittlerweile geklärt. Die Kollektion wurde 1937 weit unter Wert verkauft, das Palais ging gegen ausdrücklichen Willen an die Stadt Hamburg. Erst vor drei Jahren verständigten sich Erben und Museum über eine Ausgleichzahlung den berühmten Spiegelsaal betreffend, der einst im Budge-Palais an der Alster stand. Am Saaleingang klebt nun ein leuchtend rotes Dreieck, das überall dort im Haus zu finden ist, wo Raubkunst feststeht oder vermutet wird. Auch an der Riemenschneider-Madonna und Gregor Erharts „Christuskind“, zwei weiteren Prunkstücken des Hauses. Während die Provenienz der Madonna feststeht, ist sie beim Knaben mit der Weltkugel noch ungeklärt – ebenso, wie die Herkunft des „herrenlosen Silbers“. Eine Tonne Silbergerät lagerte noch nach Kriegsende im Keller des Hamburger Finanzamtes und wurde Anfang der 1960er-Jahre auf die Museen verteilt. Wem die unzähligen Messer, Gabeln, Löffel, Leuchter, Pillendöschen, Serviettenringe, Suppenkellen, Teekannen, Taufbecher und Zuckerzangen einst gehörten, wird man wohl nie erfahren. Wenn die Dinge erzählen könnten, von wieviel Leid und Verzweiflung würden sie berichten.


„Raubkunst?“ Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe. Zu sehen im MKG am Steintorplatz, in 20099 Hamburg. Bis 1. November 2014.
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr.
Informationen zur Ausstellung


Auch die Galerie Alte & Neue Meister Schwerin beschäftigt sich in einer Ausstellung dem Thema:
Kunstraub | Raubkunst
24. Oktober 2014 bis 1. Februar 2015
Es erscheint ein Katalog.
Informationen zur Ausstellung

Weitere Web-Seiten zur Provenienzforschung:
Wikipedia
Provenienzforschung MKG
Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Kulturstiftung der Länder
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen


Abbildungsnachweis:
Header: Ausstellungsansicht Silber-Gegenstände. Foto: Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Sechsseitige Schale; China, 1573-1619, Porzellan. Provenienz: Sammlung Margarete Oppenheim, Berlin; Julius Böhler, Sammlung Margarete Oppenheim, München 18. - 20. Mai 1936, Nr. 1069, Tafel 70; 1936 Gustav Pilster, Berlin; Rolf Pilster, Berlin; 1946 MKG (Inv. 1946.11). Foto: Martin Luther/Dirk Fellenberg
02. Silbervitrine; Silbergeräte, ehemals jüdischer Besitz. Provenienz: Ab 1939 in Hamburg beschlagnahmt als „Metallspende an das Reich“ zum Einschmelzen bestimmt; Juni-Oktober 1960 von der Hamburger Finanzbehörde dem MKG Hamburg zugewiesen. Foto: Martin Luther/Dirk Fellenberg
03. Vase mit Kirschblüten; China, 1662–1722, Porzellan. Provenienz: 1917 Alexander von Frey; 193o Sicherheitsübereignung an die Danat- und Dresdnerbank; Sammlung Reemtsma, Hamburg; 1996 MKG (Inv. 1996.58o). Foto: Martin Luther/Dirk Fellenberg
04. Ausstellungsansicht. Foto: Christiane Göllner
05. Buckelpokal mit Deckel und Allianzwappen der Nürnberger; Patrizierfamilien Löffelholz und Imhoff, Hans Keller, Nürnberg, 1594-1602, Silber, teilvergoldet. Provenienz: A.S. Drey, München; Paul Graupe, Berlin, aus dem Besitz der Firma A.S. Drey München (Räumungsverkauf), Versteigerung 151, 17. - 18. Juni 1936, Nr. 178, Tafel 43, 1936 MKG (Inv. 1936.36). Foto: Martin Luther/Dirk Fellenberg
06. Schreiben von Oskar Zettler an Eugen von Mercklin, MKG; Brief vom 18.2.1936. MKG, Archiv, Anfr. 51
07. Pochette; Hamburg, 1679, Zypresse, Ebenholz, Elfenbein, Schildpatt, Similisteine. Provenienz: 1679 Joachim Tielke, Hamburg; Helen Bruckner, San Francisco; Ellen Rose Lord, San Francisco; 2011 Richard L. Swank, Seattle; 2013 MKG (Inv. 2013.86). Foto: Martin Luther/Dirk Fellenberg
08. Henry Budge (1840-1928) und Emma Budge (1852-1937)
Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt a.M., Sammlung Stiftungsabteilung. Foto: unbekannt
09. Ganzseitige Anzeige der Auktion Budge in der „Weltkunst“ 1937; Weltkunst, 18.7.1937 XI Jahrgang, Nr. 28/29, S.11. Gerd Bucerius Bibliothek im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
10. Schreiben des Oberfinanzpräsidenten in Kassel; Brief vom 5.6.1939. Staatsarchiv Hamburg, Bestand 314-15, Oberfinanzpräsident, R 1938/1989 Emma Budge Testament Band 2. Foto: Staatsarchiv Hamburg
11. Silke Reuther, Museum für Kunst und Gewerbe. Foto: Isabelle Hofmann
12. Ute Haug, Hamburger Kunsthalle. Foto: Isabelle Hofmann.

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