Film
Islands: Tom (Sam Riley) am Rand des Tennisplatzes. © Leonine Distribition

Regisseur Jan-Ole Gerster („O Boy“, 2012, „Lara“, 2019) faszinierten schon immer Charaktere, die ein gewissen Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit in sich tragen. Sie hadern mit verpassten Chancen, sehnen sich nach Nähe und sind doch unfähig dazu

 

„Islands“ ist Gersters erster in Englisch gedrehter Film, ein subtiler Psychothriller mit frappierenden Twists in der Tradition von Patricia Highsmith und Alfred Hitchcock, aber grade diese scheinbare Ähnlichkeit verführt zu voreiligen Rückschlüssen. Immer wieder schleichen sich Referenzen ein aus Michelangelo Antonionis Drama „L’avventura“ (1959). Bestechend die Bildkompositionen aus Bewegung und Licht, sie erzeugen eine tagtraumartige Qualität von seltsam vertrauter Bedrohlichkeit. 

 

Tom (großartig: Sam Riley) arbeitet als Tennistrainer in einem Hotelressort auf Fuerteventura. Was auf den ersten Blick wie der Traum vom niemals endenden Sommer wirken mag, ist für ihn triste Alltagsroutine. Ein zielloses Dasein, scheinbar ohne Sorgen, ohne Verantwortung mit langen Nächten, Alkohol, Drogen und flüchtigen Affären. Morgens wacht er am Pool oder draußen zwischen den Dünen auf, ohne Erinnerung an die vergangenen Stunden, totaler Filmriss. Seit fast zehn Jahren schlägt er Tag für Tag Bälle übers Netz, lächelt trotz seines Alters mit bubenhafter Verschmitztheit und jener hinreißenden Spur von Unsicherheit, der keiner widerstehen kann. Er bezirzt die Angestellten am Empfang, für ihn ist jederzeit ein Zimmer frei, bei ihm drückt der Polizist immer ein Auge zu, Tom wird sich revanchieren bei Gelegenheit, obwohl, der Zuverlässigste ist er nicht. In unbeobachteten Momenten spüren wir seine Müdigkeit, welche Kraft ihn das lässige Lächeln kostet. In dem zum Büro deklarierten Kabuff, wo er Schläger, Bälle und seine Klamotten aufbewahrt, steht immer etwas Hochprozentiges griffbereit. Auf der Insel nennen sie ihn Ace, hat Tom doch einmal beim Trainings-Match auf dem Court des Ferien-Ressorts gegen Tennisstar Rafael Nadal gewonnen. 

 

Aus der Ferne gleicht die Hotelanlage einem in der Wüste gestrandeten Schiffswrack. Die Sonne hat die Farben ausgeblichen, der Wind und die salzige Luft lässt alles schneller verwittern, für Pauschal-Tourismus all inclusive reicht es. Das Auftauchen der geheimnisvollen Anne Maguire (Stacy Martin) reißt unseren Anti-Helden aus seiner Lethargie. Vom ersten Moment an entwickelt sich eine besondere Spannung zwischen den beiden, nicht unbedingt amourös, sie lässt sich nur schwer dechiffrieren, verhalten sich doch beide weiterhin distanziert, höflich. Tom soll dem siebenjährigen Sohn Anton (Dylan Torrell) Tennisstunden geben, er kann extrem gut mit Kindern umgehen, aber dieses Mal ist es etwas Anderes: Er entwickelt väterliche Gefühle trotz der Anwesenheit von Annes Gatten, Dave (Jack Farthing) ein aufdringlicher, extrem von sich überzeugter und zugleich ständig unzufriedener Typ. Die Maguires entsprechen nicht dem Bild der üblichen Pauschaltouristen, das britische Ehepaar ist kultivierter, Luxus gewöhnt, Tom besorgt ihnen ein Upgrade, lässt seine Termine sausen, zeigt der Familie auf einem Ausflug zu seinem Lieblingsstrand die raue Schönheit der Vulkangebirge und Höhlen. Es folgen gemeinsame Dinner, zum Abschluss ein nächtlicher Drink auf dem Balkon mit Blick aufs Meer. Anne zieht sich zurück, Dave beharrt auf einen Abstecher in den nahegelegenen Waikiki-Club. Am nächsten Tag ist er verschwunden. Anne reagiert seltsam kühl, fast unbeteiligt auf das mysteriöse Verschwinden, provoziert das Misstrauen der ermittelnden Beamten. Selbstmord oder doch ein Gewaltverbrechen? Eine verwirrende Spurensuche beginnt. Tom bleibt an Annes Seite, ist mittlerweile überzeugt, sie von früher zu kennen, der Vater von Anton zu sein.

 

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In dem sonnendurchfluteten Neo-Noir zwischen bedrohlicher Leere und unerfüllten Sehnsüchten fehlen die entscheidende Puzzle-Teile um sich der Lösung zu näheren. Anne ist ein Enigma, sicherlich die komplexeste Figur in diesem gefährlichen Spiel mit Wahrheit und Projektion, Begehren und Furcht. Die Männer um sie herum, nicht nur der Kommissar vom Festland, sehen sie als klassische Femme fatale mit genügend krimineller Energie für eine solche Tat. Regisseur Jan-Ole Gerster dagegen will sie als Gefangene einer problematischen Ehe verstanden wissen, eine die aus dem Verantwortungsgefühl einer Mutter und dem Schmerz über ihre gescheiterte Schauspielkarriere die eigenen Bedürfnisse unterdrückt. Eher schwer nachvollziehbar. Im Gegensatz zu den Männern, die sich ihrer Larmoyanz hingeben und sinnlos betrinken, bewahrt Anne ihre Fassade, derweil mehren sich die Hinweise dafür, dass die Begegnung mit Tom alles andere als zufällig war. 

 

Ähnlich einer Inselgruppe existieren alle Figuren zwar nebeneinander, sind aber nicht wirklich miteinander verbunden – sie gehören zusammen und doch bleibt jeder für sich allein Der Regisseur und sein Kameramann Juan Samiento G verwandeln Fuerteventura in einen schwermütig surrealen Kosmos zwischen Einsamkeit und Sprachlosigkeit Die Vulkane grollen, aber brechen nie aus, strapazierfähige Metapher für unterdrückte Obsessionen. Von der Flucht träumt hier jeder, wagen tut es nur ein Kamel. Das Drehbuch schrieb Jan-Ole Gerster zusammen mit Blaž Kutin und Lawrie Doran. „Islands“ erinnert an Michelangelo Antonioni (1912–2007). Am Fluchtpunkt seiner Filme stand immer wieder eine bedrohliche Leere. Zentrales Thema seines Werks das Verschwinden: „L’ avventura“ (1959), das Verschwinden einer Frau, „L’ eclisse" (1962), das Verschwinden des Sonnenlichts, „Il deserto rosso (1963), das Verschwinden der Idee des Fortschritts oder „Blow-up“ (1966) vom verschwindenden Sinn der Bilder. 

 

Der Regisseur über Fuerteventura und den Film

"Ich kann nicht behaupten, dass es Liebe auf den ersten Blick war, aber ich war sofort fasziniert von der Einzigartigkeit der rauen Vulkanlandschaften im Kontrast zu der in die Jahre gekommenen Urlaubsarchitektur - eine aus filmischer Sicht sehr reizvolle Mischung, die sofort den Wunsch nach einem Dreh auf dieser Insel in mir aktiviert hat. Ich wohnte damals in einer Ferienanlage, ähnlich der im Film. Von meinem Balkon aus hatte ich Sicht auf einen verwitterten Tennisplatz. Der grüne Belag war von der Sonne ausgeblichen, das Netz hing durch, der Zaun war verrostet und wirkte wie ein Käfig. Tag ein, Tag aus stand dort ein braungebrannter Tenniscoach in der prallen Sonne und trainierte die Urlauber, die bei ihm Trainerstunden gebucht hatten.

 

Unzählige Bälle spielte er von früh bis spät übers Netz und gab dabei die immer selben Anweisungen – „sehr gut... Ball angucken... ausholen... Sidestep“ usw. Das Ganze hatte was von einer Soundinstallation, die von der Monotonie seines Lebens erzählte. Möglicherweise ist aber auch zu dem Zeitpunkt schon meine Fantasie mit mir durchgegangen und ich habe meine Beobachtungen stark zu Gunsten einer guten Story interpretiert. Fest stand jedoch, dass ich einen Film auf Fuerteventura drehen und dass ein in die Jahre gekommener Tenniscoach, meine Hauptfigur sein würde. Jemand, dem der endlose Sommer zum Verhängnis geworden war und für den sich eine letzte Chance auftut, seinem Leben endlich Bedeutung und Sinn zu verleihen. 

Es war das perfekte Projekt, um zumindest gedanklich der Lockdown-Tristesse zu entfliehen. Das passte gut, denn Eskapismus und Realitätsflucht sind ja ohnehin die Leitmotive des Films. Zum einen, weil er von einer Aussteigerfigur erzählt – jemanden der dort lebt, wo andere Urlaub machen, der sich einem eher konventionellen Lebensweg verweigert hat und dem nun klar wird, dass mit dem Leben im Paradies auch eine Kehrseite einhergeht. Zum andern, weil ich das Prinzip Urlaub auch als etwas wie einen geplanten Eskapismus auffasse - eine kurzzeitige Flucht aus dem Alltag hinein in ein vermeintlich besseres Leben. Sonne, Strand, Müßiggang – all Inclusive. Die erste Fassung des Drehbuchs hatte noch den Arbeitstitel „The Tourist“. Hätte es nicht bereits schon einige Filme und Serien mit diesem Titel gegeben, hätte ich den Film wahrscheinlich so genannt. Nicht nur, weil er zu Tom, der Hauptfigur passt, sondern auch zu allen anderen Figuren. 

 

Es scheint, als würde im Laufe der Handlung jede Figur für einen kurzen Zeitraum ihr gewohntes Leben verlassen, um unterdrückten Bedürfnissen und Sehnsüchten nachzugeben. Die ständig rumorenden, aber nie ausbrechenden Vulkane der Insel boten dafür eine dankbare Metapher. „Do they ever errupt“, fragt Dave. „You never know“ antwortet Tom und blickt über den Rückspiegel zu Anne. Tom, der ein Leben ohne feste Beziehungen führt, erfährt, was es bedeutet, für eine Familie Verantwortung zu übernehmen und väterliche Gefühle zu entwickeln. Wo hingegen Dave, der Vater der Familie, sich wünscht, noch einmal so frei und selbstbestimmt wie Tom sein zu können. Beide Männer repräsentieren an der Oberfläche männliche Rollenbilder – Tom, der freiheitliche Sunnyboy und Dave, der sorgende Familienvater. Beide Männer scheinen jedoch zunehmend Schwierigkeiten mit dem Erfüllen dieser Rollenbilder zu haben. Sie wirken matt, ungeschickt und überfordert. Selbst der Kommissar vom Festland, wirkt zuweilen grotesk in seiner Überzeugung, endlich einen großen Fall abbekommen zu haben. Am Ende ist alles beim Alten – der Urlaub ist vorüber und jeder geht zurück in sein gewohntes Leben. Doch sie alle eint der verzweifelte Versuch Anne zu enträtseln.

 

Mich haben schon immer Charaktere fasziniert, die ein gewisses Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit in sich tragen. Oft sind es passive, fast destruktive Figuren, die unterbewusst eine große Sehnsucht nach Nähe, Veränderung und Zugehörigkeit verspüren, aber der Welt, die sie umgibt, immer ein bisschen fremd bleiben. Ich denke, alle Hauptfiguren meiner drei Filme sind sich in diesem Punkt ähnlich. Darüber hinaus beschäftigt mich die Frage nach dem „richtigen“ Leben und dem Umgang mit den Entscheidungen, die wir für uns getroffen haben oder eben nicht getroffen haben. Jede Entscheidung für einen gewissen Lebensweg ist natürlich in gewisser Weise auch eine Entscheidung gegen einen anderen. 

 

Ich verbringe leider viel zu viel Zeit damit, mir vorzustellen, wie mein Leben noch hätte verlaufen können. Ich glaube, dass alles schlussendlich mit der Angst vor dem Sterben zu tun hat, denn vermutlich ist das Einzige, was wir dem Tod entgegensetzen können, ein (sinn-) erfülltes, glückliches Leben mit allen Höhen und Tiefen. Die Geschichten meiner Figuren handeln von Stagnationen, Irrwegen und Sackgassen. Niko aus „Oh Boy“ hat Schwierigkeiten sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, Lara erkennt an ihrem sechzigsten Geburtstag, dass sie in jungen Jahren eine fatale Fehlentscheidung getroffen hat und Tom aus „Islands“ ist gefangen in einem sich immer wiederholendem Alltag aus Tennis, Alkohol und flüchtigen Affären. Es scheint, als würde er sich durch diesen Lebensstil immer weiter von sich und seinen eigentlichen Bedürfnissen entfernen. Anstatt meine Figuren zu läutern, reicht es mir jedoch, sie auf dem Prozess der Selbsterkenntnis zu begleiten und offen zu lassen, was sie mit dieser Erkenntnis tun.

 

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Islands

Regie: Jan-Ole Gerster

Drehbuch: Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin, Lawrie Doran

Darsteller: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, Dylan Torrell 

Produktionsland: Deutschland

Länge: 123 Minuten

Verleih: LEONINE Studios

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © Leonine Distribition 

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