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Der Antonius-Altar im St. Annen-Museum in Luebeck

Madonnen- und Heiligenfiguren, Tafelbilder, sakrale Objekte, Retabel und Flügelaltäre: Unschätzbare Kostbarkeiten aus dem Mittelalter verbergen sich hinter den dicken Mauern des St. Annen-Museums.
Kostbarkeiten, die den Ikonoklasmus, Bildersturm, der Reformationszeit überlebt und in den Räumen des ehemaligen St. Annen-Klosters eine neue Bleibe gefunden haben. Dazu gehört der um 1522 datierte Antonius-Altar. Gestiftet von der Bruderschaft S. Antonii, stand er einst in der Burgkirche der Dominikaner im Maria-Magdalenen-Kloster. Der Flügelaltar erzählt, selbst für heutige Betrachter, spannende Geschichten aus dem Leben des Heiligen.


Der Antonius-Altar ist in der Tradition eines Flügelaltars konzipiert, einem neuen Altar-Typ, der Anfang des 14. Jahrhunderts bis zur Reformation nördlich der Alpen verbreitet ist. Zunächst nur in Domkirchen stehend, findet er später Eingang in Pfarr-, Kloster- und Wallfahrtskirchen. Der Flügelaltar (Flügelretabel) unterliegt einem strengen architektonischen Aufbau: Ein Unterbau (Predella) dient als tragende Basis auf der Altarplatte (Mensa) und als Aufbewahrungsort für Reliquien. Darüber erhebt sich ein kastenförmiger Aufsatz (Retabel) mit einem Mittelschrein und seitlich aufklappbaren Flügeln. Predella, Schrein und Innenflügel sind häufig mit geschnitzten, vergoldeten Figuren besetzt, die gerahmt werden mit gotischen Stilelementen: Arkaden, Bögen, Baldachinen, Maßwerk oder Ornamentik. Die Außenseiten der Altarflügel sind dagegen in der Regel bemalt. Häufig ist der Schrein bekrönt mit einem türmchenartigen Aufbau (Gesprenge). Viele Flügelretabel bestehen aber auch ganz aus bemalten Holztafeln.

Der mittlere Schrein ist immer besetzt mit einer Hauptszene aus dem Leben des Protagonisten - Christus, Maria, Heilige/r. Die Darstellungen auf den Seiten- und Außenflügeln dienen der Ergänzung der zentralen Hauptszene. Nach der Tradition des katholischen Kirchenjahres ist der Mittelschrein im Alltagsleben und der Fastenzeit mit dem Flügelpaar verschlossen (Alltagsseite), an christlichen Festtagen oder am Patronatsfest eines Heiligen sind dagegen die Flügel(n) geöffnet (Festtagsseite), der Altar steht jetzt mit seinem Bilderschmuck im Zentrum der eucharistischen Liturgie.
 

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Gründe für die Entwicklung der Flügelaltäre dürften im Reliquienkult, der Heiligenverehrung und in der Liturgie liegen. Das Bildprogramm ist eine Visualisierung von Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament oder aus der Vita von Heiligen, die in der Legenda Aurea des Dominikanermönchs Jacobus de Voragine, einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem 13. Jahrhundert, überliefert sind. Themen, die den mittelalterlichen Menschen aus den Predigten vertraut sind. Die Bilder sind zudem plastische Illustrationen der katholischen Heilslehre mit ihren Visionen von Himmel, Hölle und Fegefeuer. Sie ermahnen an ein gottesfürchtiges Leben und erinnern an die Strafen Gottes - wichtige Voraussetzungen für die Glaubens- und Heilsvorstellungen des Mittelalters. Hinzu kommt die von der Kirche propagierte Lehre von der Erbsünde, die jedem droht, der kein gottgefälliges Leben führt. Doch durch Ablasszahlungen, mildtätige Spenden und Stiftungen an Arme, Kirchen oder Klöster, kann der Mensch die Vergebung seiner Sünden erlangen und in das himmlische Paradies einziehen.

Der Altar im St. Annen-Museum ist eine Stiftung der Bruderschaft S. Antonii, einer Kooperation reicher Lübscher Kaufleute, die sich der Armen- und Krankenpflege gewidmet und mildtätige Spenden an Bedürftige verteilt hat. Warum die Kaufleute ausgerechnet Antonius als Schutzpatron wählen, lässt sich mit einem Blick auf dessen Leben erklären: Der Legende nach wird Antonius 251 im ägyptischen Kome als Sohn reicher Eltern geboren. Nach deren Tod verkauft er sein Erbe, spendet sein Hab und Gut an Arme und Mittellose. Er geht als Eremit in die Wüste, beschließt ein gottgeweihtes Leben in Askese, Enthaltsamkeit und Einsamkeit zu führen. Während seines Aufenthaltes quälen ihn jedoch schreckliche Visionen: Dämonen locken mit Gold und Reichtum. Der Teufel in Gestalt lüsterner Frauen versucht ihn zur Unzucht zu verführen. Doch Antonius widersteht allen fleischlichen und materiellen Versuchungen. Seine aufopfernde Fürsorge gilt allein den Armen und Kranken, aber auch Wunder werden ihm nachgesagt. Er stirbt 105-jährig im Jahr 356 auf dem Berg Kolzim bei Tabenisi am Roten Meer. Mit der "Vita Antonii", um 360 verfasst von Athanasius, Bischof von Alexandria, verbreitet sich ab dem 5. Jahrhundert sein frommes, gottgefälliges Leben im christlichen Abendland.

Antonius - erkennbar an seinen Attributen Pilgergewand, T-Stab, Schwein, Bettlerglocke und Rosenkranz - zählt im Mittelalter zu den beliebtesten Heiligen. Er ist nicht nur Schutzpatron der Armen, sondern auch der Kranken gewesen, die an der Pest oder dem Antoniusfeuer leiden, einer durch einen Pilz hervorgerufene Mutterkornvergiftung von Roggen - Krankheiten, die als Strafe Gottes für die Sünde angesehen werden. Er hilft bei Feuerkatastrophen, ist Patron der Bauern, Schweinehirten, Weber, Metzger, Bäcker. Zu Beginn des 11. Jahrhunderts gründet sich der nach ihm benannte Antoniter-Orden, ein im Dienste der Armen- und Krankenpflege stehender Orden, der bis zur Reformation weit verbreitet ist. Zu den Privilegien der Ordensbrüder gehört es, dass sie ihre Schweine - mit den umgehängten Glöckchen - in den Dorfgemeinschaften frei weiden lassen durften. Am Gedenktag des Heiligen (17. Januar) ist ein geschlachtetes und gesegnetes Schwein an die Armen verteilt worden..

Der Antonius-Altar, der heute in der Sakristei des ehemaligen St. Annen-Klosters steht, gehört seit 1848 zum Inventar des St. Annen-Museums. Der originale Aufstellungsort des rund 240 Zentimeter hohen, mit geöffneten Flügeln etwa 200 Zentimeter breiten Altars ist die Burgkirche der Dominikaner im Maria-Magdalenen-Kloster gewesen. Eine Predella ist heute nicht mehr vorhanden. Die Schnitzereien sind von dem Lübecker Bildschnitzer Benedikt Dreyer, die Tafelmalereien im Stil altniederländischer Meister von Hans von Köln ausgeführt.

Das Bildprogramm des Altares erzählt von den Versuchungen des Heiligen in seinem irdischen Leben. Im Zentrum des Mittelschreins steht Antonius als überlebensgroße Figur, im traditionellen Habitus eines Mönches gekleidet, mit Glocke und T-Stab - am unteren Ende hockt der Teufel. Vor goldenem Hintergrund und unter einem goldfarbenen Baldachin platziert, zeigen seine in Gold gehaltenen Gewänder einen reichen Faltenwurf. Sein Blick ist in ein geöffnetes Buch versenkt. Auf den ornamentierten Balustersäulen stehen rechts und links zwei weitere Pestheilige, Rochus mit einem Engel, der auf die Pestbeulen des Heiligen zeigt, sowie Sebastian mit Pfeil und Bogen.

Bei dem Lübecker Altar befinden sich je zwei Gemälde auf den inneren Seitenflügeln. In phantasievollen Szenen zeigen sie die Versuchungen, aber auch die Standhaftigkeit, Tugend und Keuschheit des Heiligen. Groteske Fabelwesen und Dämonen, die an die Bilderwelt eines Hieronymus Bosch erinnern, sind eingebettet in liebliche Landschaften mit mäandrierenden Flüssen, Bäumen, Burgen und Häusern. Die vier Darstellungen führen dem Gläubigen das Böse dieser Welt vor Augen: die Habgier nach Gold und Reichtum sowie die menschliche Wollust.

In der oberen linken Tafel greifen Dämonen den am Boden liegenden Eremiten an, attackieren ihn, reißen an seiner Kleidung und den Haaren. Das Bild darunter zeigt den sitzenden Antonius. Vor ihm steht in Gestalt einer schönen, kostbar gekleideten jungen Frau der Teufel -unter ihrem Gewand schaut ein Pferdefuß hervor- und lockt mit einem Goldpokal, um in Antonius die Begierde nach Gold zu wecken. Vergeblich. Der Heilige erkennt das Böse hinter der Fassade der makellosen Schönheit und widersteht der Versuchung. Die Frau wird begleitet von zwei alten, hässlichen Weibern, deren Gesichter als Folge ihrer sexuellen Zügellosigkeit von der Syphilis gezeichnet sind. Im Hintergrund stehen drei nackte Jungfrauen in einem Weiher und beobachten die Verführungskünste. In der rechten oberen Szene kniet der Heilige, seine Hände zum Gebet erhoben. Er hält Zwiesprache mit Christus, der ihm in einer Glorie am Himmel erschient. Das Kloster im Bildhintergrund gilt als Symbol für ein gottgefälliges Leben. Vor den Klostermauern kriechen teuflische Dämonen aus dem Erdreich hervor, locken die Mönche mit Gold und Silber. Die untere rechte Bildszene bezieht sich auf einen Diskurs zwischen Antonius und vorbeiziehenden Landsknechten, welche verärgert auf die Völlerei tafelnder Mönche unter einem Baum verweisen. Ein Soldat spannt eine Armbrust, ein anderer hält seine Muskete schussbereit.

Die beiden gemalten Außenflügel sind besetzt mit überlebensgroßen Darstellungen von Christus als Weltenherrscher und Antonius im Pilgergewand sowie T-Stab, Schwein, Bettlerglocke und Rosenkranz. Als würden beide miteinander kommunizieren, wendet sich Christus dem Heiligen zu. Christus rechter Fuß steht auf einer gläsernen Weltenkugel. Seine rechte Hand ist zum Segensgestus erhoben, die Linke hält Antonius das Buch des Lebens, Liber vitae, entgegen. Der Blick seiner Augen ist fest auf den Heiligen gerichtet. Dieser liest, den Blick gesenkt, in einem aufgeschlagenen Buch. Zu seinen Füßen lugt hinter seiner Mönchskutte ein kleines Schwein hervor - ein hinweisendes Attribut auf den Antonius-Orden. Verbindende Elemente der Malereien sind ein behangener Mauervorsprung, ein gefliester Fußboden und eine sich weit öffnende, idealisierte Landschaft.

Die gemalten Szenen des Lübecker Altars erinnern an das Triptychon "Die Versuchungen des heiligen Antonius", von Hieronymus Bosch, um 1505/10, dass heute im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon hängt. Ähnlichkeiten sind auch bei dem Antonius-Altar von Matthias Grünewald aus dem ehemaligen Antoniterkloster in Isenheim im Elsass, entstanden zwischen 1506 und 1515, zu finden. Der Altar gehört zum Inventar des Musée d' Unterlinden in Colmar. Die Rückseite des zweiten Flügelpaares thematisiert die Versuchungen des Heiligen. Gut möglich, dass Hans von Köln, dessen Leben außerhalb Lübecks nicht dokumentiert ist, Kenntnis von beiden Altäre hatte und sie als Inspiration für seine Kompositionen entlehnt hat.
Die Versuchung des heiligen Antonius ist nicht nur im Mittelalter ein beliebtes Sujet, sondern zieht sich durch die Malerei der letzten 500 Jahre. Von Bosch und Grünewald über Joos van Craesbeeck, Salvator Rosa, Domenico Morelli bis zu Künstlern des 20. Jahrhunderts, darunter Lovis Corinth, Otto Dix, Max Ernst, Salvator Dali, hat das Thema vom Laster, den Verlockungen des Reichtums, den Alpträumen dämonischer Monsterfiguren nichts an Aktualität verloren. Allerdings rezipieren moderne Künstler den Antonius-Stoff neu, stellen ihn in einen zeitgenössischen Kontext. Die Gefährdungen des Heiligen sind nicht mehr religiös motiviert, sondern häufig ironisch und humorvoll charakterisiert. So wie bei Félicien Rops, dessen rundlicher Antonius mit einem dicken Schweinchen im Arm selig schlummernd im Stroh liegt.

Welche moralisierende Botschaft hat der Antonius-Altar aber für den heutigen Betrachter? Himmel, Hölle, Fegefeuer? Themen, die für die Menschen des 21. Jahrhunderts häufig keine Relevanz mehr haben, außerdem wirkt der religiöse Moralkodex des Heiligen eher befremdlich. Ein weiterer Aspekt ist, dass die sakralen Bildinhalte schwer zu entschlüsseln sind, da die christliche Ikonographie, die Bildsprache, mit ihren Attributen, Symbolen, Allegorien dem Besucher nicht mehr vertraut ist. Für die Museumsbesucher sind der Antonius-Altar und die anderen Flügelretabel in erster Linie ästhetische Kunstschätze, die Einblick geben in die Tradition der mittelalterlichen Heils- und Glaubenswelt.

Das St. Annen-Museum in Lübeck besitzt mit rund 30 Flügelaltären die größte und bedeutendste Sammlung in Deutschland. Hinzu kommt ein reicher Schatz an Madonnen- und Heiligenfiguren sowie andere mittelalterliche Pretiosen. Sie gehören zum Lübecker Kulturgut und stammen aus Kirchen oder ehemaligen Klöstern. Heute werden sie in den mit Kreuzrippen gewölbten Räumen des ehemaligen St. Annen-Klosters den Besuchern präsentiert. Zu verdanken ist diese Sammlung einem Senatsdekret von 1818 zum Schutz der Denkmäler des Altertums und der Kunst sowie der Sammelleidenschaft von Carl Julius Milde (1803-1875), Lübecks erstem Konservator und Denkmalpfleger mittelalterlicher Kunst.

 
Das St. Annen-Museum befindet sich in der südöstlichen Lübecker Altstadt, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck.
Die Öffnungszeiten sind vom 01.01.-31.03. | Di-So | 11-17 Uhr, vom 01.04.-31.12. | Di-So von 10-17 Uhr.
www.st-annen-museum.de
 
Abbildungsnachweis:
Header: Museumquartier St. Annen. Foto: Hansjörg Wittern
Galerie:
01. Antonius Altar (Gesamtansicht) © St. Annen-Museum. Fotoarchiv der Hansestadt Lübeck
02. Antonius Altar (geschlossen) © St. Annen-Museum. Foto: Annette Henning
03. Kreuzgang im St. Annen-Museum. © die Lübecker Museen
04. Retabel der Fronleichnamsbruderschaft aus der Burgkirche, Sonntagsansicht, Lübeck, 1496 © die Lübecker Museen
05. Remter des St. Annen-Museums. © die Lübecker Museen
06. Retabel der Lukasbruderschaft aus der Katharinenkirche, Sonntagsseite, Lübeck, 1484. © die Lübecker Museen.

 

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