Film
It Follows Film Trailer

Regisseur David Robert Mitchell wurde als Kind von einem ständig wiederkehrenden Albtraum gequält, jetzt hat er ihn verfilmt.
„It Follows” ist ein exquisiter Horrorthriller mit unwiderstehlichem Soundtrack und elegischen, meisterhaft komponierten Bildern.

John Carpenter, David Lynch, Roman Polanski, David Cronenberg, Dario Argentos, Abel Ferrara, ihren Einfluss leugnet der Autorfilmer nicht, im Gegenteil. Aber er entwickelt seinen eigenen unverwechselbaren Stil. Frappierend, mit welch minimalistischen Mitteln es ihm gelingt, uns in Furcht und Schrecken zu versetzen: Abenddämmerung in einem idyllischen ruhigen Vorort, ein junges halbnacktes Mädchen stürzt aus einem der Häuser, rennt quer über den Rasen, irrt ziellos die Straße auf und ab, panisch blickt sie sich immer wieder um. Ihren Verfolger, wir sehen ihn nicht. Völlig verstört flüchtet das Mädchen zurück ins Haus, wenig später kommt sie wieder heraus, springt in den Wagen und fährt in rasendem Tempo zum Strand. Ein letzter Gruß per Handy. Schnitt. Den nächsten Tag im Sand ihr toter Körper, abstrus verbogen wie ein geöffnetes Klappmesser.

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„The Myth of the American Sleepover” (2010), ein behutsames Drama über Teenager, ihre Sehnsüchte, Hoffnungen, Enttäuschungen wurde zu Mitchells überzeugendem Debüt als Filmemacher. Das Atmosphärische ist die Stärke des amerikanischen Regisseurs. Er nimmt seine Protagonisten ernst, nichts erinnert hier an die schrillen lauten (und oft einfältigen) US-Komödien über Heranwachsende, sondern eher an einen französischen Roman der Jahrhundertwende. Mit „It Follows” kehrt der Regisseur zurück ins suburbane Detroit, wieder geht es um eine Clique von Teenagern, eine Coming-of-Age Story besonderer Art: Das Date inklusive Sex auf dem Autorücksitz endet für Jay (Maike Monroe) höchst unromantisch. Schon zwischendurch beschleicht die 19jährige das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Doch sie ist glücklich, genießt diese seltsame Mischung aus Stolz und Verliebtheit. Sie hat das erste Mal mit dem Jungen geschlafen, für den sie so schwärmt: Hugh (Jake Weary). In diesem Moment wird Jay mit Chloroform betäubt. Als sie wieder zu sich kommt, sitzt sie gefesselt in einem verfallenen leeren Parkhaus. Dort eröffnet ihr Hugh (ein falscher Name, wie sich später herausstellt), dass er nur mit ihr Sex hatte, um jenes schreckliche Etwas loszuwerden. Er hat „es” sich eingefangen, genau wie sie jetzt, beim Geschlechtsverkehr. Es nähert “sich bereits dem Gebäude, wird sie von nun an erbarmungslos verfolgen. Wenn Jay nicht auf grausame Art krepieren will, hat sie nur eine Möglichkeit: jemand Anderen damit zu infizieren. Sie soll sich also gut überlegen, rät ihr Hugh, wen sie zu ihrem Kandidaten erwählt. Attraktiv muss er sein, denn wenn er versagt, fällt der Fluch wieder auf sie zurück.

„Es” ist der Verfolger schlechthin, als solcher kann er jede Gestalt annehmen, die eines Fremden wie auch die eines vertrauten Menschen. Während Jays College Professor seinen Studenten T.S. Eliots „J. Alfred Prufrocks Liebesgesang” vorträgt, nähert sich unaufhaltsam eine Greisin im Nachthemd. Die furchteinflößenden Kreaturen tauchen unerwartete überall auf, nirgendwo ist man vor ihnen sicher. Besonders grauenvoll für die Betroffenen: nur sie, die Verfolgten, können diese Wesen sehen, für Andere bleiben sie unsichtbar. Einzige Ausnahme: der Zuschauer, der voller Entsetzen das schaurige Kesseltreiben genauso erlebt wie die Protagonistin. Lediglich in der Eingangsszene haben wir noch die Rolle des scheinbar unbeteiligten Beobachters und fragen uns, warum rastet die junge Frau derart aus? Drogen? Vergewaltigung, doch wo steckt der Täter? Das Verhalten bleibt in jenem Augenblick unverständlich. Eine Psychose, eine Panikattacke? „It Follows” ist eine Visualisierung des Wahnsinns. Wir spüren plötzlich die gespenstische Einsamkeit, etwas zu wahrzunehmen, das für niemanden sonst auf der Welt existiert. Mitchell die schlimmsten Urängste in uns. Grade weil er kaum auf irgendwelche Effekte zurückgreift, wirkt das Unheimliche grausig realistisch. Schon bald suchen auch wir panisch den Horizont ab nach jenen dämonischen Monstern, die mit gnadenloser Zielstrebigkeit auf Jay zumarschieren. Man kann davor wegrennen, aber nicht sich verstecken. Noch bevor das erste Bild erscheint, erklingt der bedrohlich wummernde Sound der Synthesizer, raubt der Idylle schon im Vorwege ihre Unschuld. Disasterpeace entwickelt in seinen Kompositionen Landschaften des Grauens und Schreckens, die plötzlich sich wieder in Nichts auflösen.

Mitchell und sein Kameramann Michael Gioulakis nehmen nie wie in anderen Horrorfilmen, zum Beispiel John Carpenters „Halloween” (1978), die Perspektive des Killers ein, sondern immer die des Verfolgten. Panorama Schwenks verstärken die Paranoia des Zuschauers, der sich bei jedem Passanten fragt, ob er ein Mensch ist oder das gefürchtete “es”. Vorbild für die virtuose Ästhetik albtraumhafter Symbolik war der amerikanischen Fotograf Gregory Crewdson. Der Sohn eines Psychoanalytikers kommt ursprünglich aus der New Yorker Punk-Rock-Szene. Er inszeniert seine Fotografien mit einem Aufwand, der sonst nur Hollywoodproduktionen vorbehalten bleibt. Sein Sujet: der Verfall des amerikanischen Traums. Mitchell greift zurück auf Klassiker wie Don Siegels „Invasion of the Body Snatchers” (1956), er zollt dem Genre seinen Respekt und seine Bewunderung, aber er führt es auch gekonnt ad absurdum. „It Follows” ist wahrlich keine Aids-Parabel, wie einige Kritiker vermuteten. Der Regisseur warnt vor zu viel Interpretation, das kann in die Irre führen. Dies ist nicht die Verteuflung moralischer Dekadenz, wie sie sonst manchmal in Horrorfilmen propagiert wird, sondern deren Inversion. Sich durch Sex von einem Fluch zu befreien ist mehr als die Umkehrung eines traditionellen Motivs. Das Opfer muss zum Täter werden, um zu überleben. Dahinter steht jene bösartig strategische Denkweise von Diktaturen: das System der Denunziation war nur eine Spielart davon, die zeitweise auch in Demokratien gern praktiziert wurde. Die McCarthy-Ära der frühen Fünfziger Jahre ein naheliegendes Beispiel. Wer seine Kollegen nicht als Kommunisten verleumden wollte, dem drohte Gefängnis oder die Schwarze Liste, was in Hollywood einem Berufsverbot gleich kam.

Jay scheint es unvorstellbar, sich auf diese Weise des Verfolgers zu entledigen. Als sie vor dem Abend mit Hugh darüber sinniert, warum sie früher als Kind von Dates geträumt hat, es war die Freiheit, die sie faszinierte. Nun ist das absolute Gegenteil daraus geworden. Jay aber auch ihre Freunde haben wenig gemein mit ultra-originellen Helden wie in Noah Baumbachs tragisch-komischen Selbstfindungstrip „Frances Ha” oder gar Lena Durhums Comedy-Serie „Girls”. Nicht weil sie noch jünger sind, sie wirken für ihr Alter recht vernünftig, genau das ist es, was sie von jenen Protagonisten unterscheiden. Sie sind geerdet, vielleicht ein wenig unsicher, verletzbar, aber erinnern eher an Töchter und Söhne in unserem Umfeld. Drogen kein Interesse, Shopping: kein Thema. Solider Mittelstand, nicht verwöhnt, intelligent, eloquent, fünf clevere Kids, die plötzlich vor einem moralischen Dilemma stehen. Erwachsene treten bei Mitchell kaum in Erscheinung und wenn, dann nur als unerhebliche Randfiguren. Der etwas melancholische, scheue Paul (Keir Gilchrist) war schon immer verliebt in Jay, er bietet ihr an, das “es” zu übernehmen. Hier verlässt der Regisseur das vertraute Horror-Genre und schafft Raum für ein subtiles Beziehungsgeflecht nach Arthaus-Manier. Jeder der fünf Teenager versucht auf seine Art, sich der Herausforderung zu stellen. Ihre unspektakuläre Loyalität schweißt sie zusammen. Gemeinsam treten sie ganz unheroisch den Kampf gegen die namenlosen Dämonen an. „It Follows” spielt in einer Zeit, die Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen ähnelt, alte amerikanische Automobile und Telefone wie vor Jahrzehnten. Jays Freundin Yara (Olivia Luccardi) liest Dostojewskis „Der Idiot” auf einem reizenden Gadget, das in Größe und Form einer Dose für Kompaktpuder ähnelt. Der Vorort ist privilegiertes abgesichertes Territorium, eine Welt für sich. Das zerstörte verarmte Detroit schon längst No-go-Area, wer dort lebt, ist zum Untergang verdammt.

Es geht um Sterblichkeit und Verantwortung, die eigenen Grenzen und Möglichkeiten, darum, nicht wie Prufrock das Leben mit Selbstzweifeln zu vergeuden. „It Follows” wurde in den USA zu einem Überraschungserfolg, die Low Budget Produktion von tatsächlich nur zwei Millionen Dollar begeisterte Publikum und Kritiker gleichermaßen. Das Kunstwerk in Cinemascope ist eine Hommage an die Klassiker des Horrors. Der Film erinnert zugleich daran, dass für unzählige Menschen Horror keine Fiktion ist und ihre Verfolger überall lauern.

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Originaltitel: It Follows
Regie/Drehbuch: David Robert Mitchell
Darsteller: Maika Monroe, Keir Gilchrist, Daniel Zovatto, Jake Weary, Olivia Luccardi, Lili Sepe
Produktionsland: USA, 2014
Länge: 100 Minuten
Verleih: Weltkino Filmverleih GmbH
Kinostart: 9. Juli 2015

Fotos & Trailer: Copyright Weltkino Filmverleih GmbH

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