Meinung

Vielleicht noch wichtiger als Präpositionen sind Konjunktionen, zu Deutsch die Bindewörter, die der Verknüpfung von Satzteilen oder einzelner Wörter dienen. Wer eine auch nur ein wenig anspruchsvollere Argumentation vortragen und Zusammenhänge darstellen möchte, kann unmöglich auf sie verzichten.

 

Ohne sie ist der Bau einer „Periode“ (ein laut Duden „kunstvoll gegliedertes Satzgefüge“, andere Bücher sprechen von einem „wohlgeformten“ Satzgefüge) überhaupt nicht möglich. Nicht nur, dass man ohne Konjunktionen keine Hauptsätze mit Nebensätzen verbinden kann: Ohne sie gibt überhaupt keine Haupt- und Nebensätze! In einem Text ohne Konjunktionen stehen bestenfalls einfache Hauptsätze unverbunden nebeneinander, und die Verbindung schlichter Aussagen zu einem sinnvollen Ganzen wird dem Leser überlassen. Die Darstellung kausaler Zusammenhänge ist damit ebenso unmöglich wie die Abbildung zeitlicher Verhältnisse.

 

Konjunktionen

Bereits Schopenhauer ärgerte sich schwarz über das Fehlen von Konjunktionen und führte ihren Mangel auf den Versuch von Journalisten zurück, Wörter einzusparen: „Ein weiterer Wortkneipereikniff ist die Weglassung der Konjunktion und, wo das Verständniß des Sinnes diese heischt: er kommt, in Folge seiner vorzüglichen Dummheit, täglich mehr in Aufnahme. Diese Konjunktionen ‚oder‘ als auch ‚und‘ werden weggelassen und dadurch der Sinn einer ganzen Periode verdunkelt.“ Ich hege seit langem den Verdacht, dass die von Schopenhauer bemängelte „Wortkneiperei“ eigentlich gar nicht der Einsparung von Wörtern dienen soll, sondern vielmehr den etwas infantilen Versuch darstellt, einen möglichst konzisen Stil zu simulieren. Man tut so, als sei man auf das Wesentliche konzentriert. Kürze wird mit Genauigkeit verwechselt, man glaubt vielleicht tatsächlich, allein das Wesentliche mitzuteilen, und da wird eben ohne jedes Bedenken eine Konjunktion geopfert, weil der Sinn dieser Bindewörter nie begriffen wurde.

 

In einem vernünftigen Grammatikunterricht hätten diese Leute gelernt, dass eine Argumentation niemals aus einer einzelnen, vielleicht gar isolierten Aussage besteht, sondern stets ein Geflecht aus Gründen und Einsichten, Indizien, begründeten Vermutungen, luziden Beschreibungen und natürlich auch Ausdeutungen der verschiedensten Art darstellt. Eine Argumentation ist im besten Fall so dicht, so teppichartig ge- und verwoben, dass einzelne Argumentationsstränge ausfallen können, ohne dass sich deshalb gleich das ganze Gewebe (der „Text“) auflöst.

 

Heute liest man oft, dass jemand „argumentiert“, und dann folgt ein einzelner isolierter Hinweis. Vor Gericht, so habe ich heute in den Nachrichten gehört, habe ein Autofahrer mit der leeren Straße argumentiert. Tatsächlich ist dieser Sprachgebrauch wahrscheinlich nichts als ein Anglizismus. Wir täten aber meist besser daran, „to argue“ mit „hinweisen“, „feststellen“ oder „behaupten“ zu übersetzen, wie etwa in diesem Beispiel: „Can we still stop global warming? Only if we radically change our capitalist system, argues author Naomi Klein.“ Ähnliches gilt für folgendes Beispiel, in dem ebenfalls die Übersetzung „behaupten“ angebracht wäre: „Trotzdem argumentieren einige Analysten nun, dass das Land in den Spuren Großbritanniens wandele – dem letzten globalen Hegemon, der einen Niedergang erlebte.“ Und noch ein Beispiel! „Die Konstanzer Professorin argumentiert: ‚Der Wille des AfD-Vorstands steht gerade nicht für den Willen der Basis.‘“

 

Für die deutsche Sprache gilt grundsätzlich, dass man nicht mittels eines isolierten Hinweises argumentiert. Vielmehr ist eine vollgültige Argumentation so vielsträhnig wie die Realität selbst. Vielsträhnig bedeutet, dass eine Fülle von Hinweisen und Feststellungen miteinander verknüpft werden muss, dass schlichte Aussagesätze mit der Hilfe der verschiedenen Konjunktionen verknüpft werden und dass erst das Resultat dieses Vorgangs Argumentation genannt werden darf.

 

Aus der Feder Wilhelm von Humboldts gibt es ein Lob der Konjunktionen, das wir keinesfalls unter den Tisch fallen lassen möchten. Humboldts folgende Bemerkung, dem sogenannten „Kawi-Werk“ entnommen („Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“, 1836), hört sich so an, als sei sie auf heutige Zeitungen gemünzt. Sein Loblied auf die „Conjunktionen“ schließt mit einem Tadel, den man auf das Deutsch von Journalisten beziehen könnte: „Die weniger gebildeten Sprachen haben gewöhnlich Mangel an Conjunctionen oder bedienen sich dazu nur mittelbar zu diesem Gebrauch passender, ihm nicht ausschliesslich gewidmeter Wörter und lassen sehr oft die Sätze unverbunden auf einander folgen.“

 

Wilhelm von Humboldt

Wilhelm von Humbold. Lithographie von Friedrich Oldermann nach einem Gemälde von Franz Krüger (gemeinfrei)

 

Das ist eine Beschreibung, die leider sehr gut auf die Sprache heutiger „Medien“ passt, also ebenfalls für die gesprochenen Texte in Fernsehen oder Radio gilt. Nehmen wir einleitend ein einfaches Beispiel aus einer Gerichtsreportage. „Im Prozess geriert sich der mutmaßliche Doppelmörder als Unschuldslamm, belehrt sogar den Richter.“ In einem zwei Hauptsätze (dem zweiten allerdings fehlt das Subjekt…) aneinanderreihenden Satz werden zwei Bewertungen, Beobachtungen oder Behauptungen einfach zusammengekleistert, obwohl sie durch nicht mehr miteinander verbunden sind als durch das Subjekt – jenes aus der ersten Hälfte sollen wir Leser hübsch auch für die zweite Hälfte in Anspruch nehmen. Warum übrigens jemand, der sich selbst unschuldig findet, nicht dem Richter widersprechen dürfen sollte, kann ich nicht verstehen. Sollte nicht gerade er das tun dürfen? Hat man sich, steht man erst einmal vor Gericht, ganz unbedingt schuldig zu bekennen? Warum es in den Augen des Berichterstatters einen Skandal darstellt, dass ein Beschuldigter seine eigene Sicht der Dinge vorträgt, wird nicht so recht deutlich – die Armut der Sprache (die wohl der Armut des Denkens entspricht) verhindert das.

 

Sehr schön wieder mein Lieblingsattribut „mutmaßlich“, weil der Autor ja auf der sicheren Seite bleiben will. Gerüchte streuen? Ja bitte! Aber sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen…

Nehmen wir ein anderes Beispiel, in dem ebenfalls ein „und“ fehlt. Zunächst klingt die Sprache abgehackt und wenig schmiegsam, weil dem Satz die innere Ordnung fehlt. Denn seine beiden Teile sollten einander nicht gleichgeordnet sein, nicht einander gleichberechtigt, weil der zweite Teil doch nur den ersten illustriert: „Immer wieder kritisierte Gorbatschow die totalitäre Entwicklung Russlands unter Präsident Wladimir Putin, verurteilte scharf dessen Krieg gegen die Ukraine.“ Es könnte heißen: „… und verurteilte auch…“ oder „verurteilte sogar“ oder „schließlich verurteilte er scharf…“ Und warum fehlt im zweiten Satz Teilsatz (ein Nebensatz ist es ja nicht…) das Subjekt? Nur, um Raum zu sparen? Oder um dem Text den Anschein der präzisen Kürze zu geben?

 

Gehen wir weg von der Politik. Im Regionalprogramm des NDR1 wurde in einer interessanten Reportage der schon zu Lebzeiten nicht wirklich berühmte, heute fast vergessene, aber trotzdem sehr achtbare Bildhauer Ludwig Kunstmann (1877-1961) vorgestellt, der in mehreren seiner Arbeiten verschiedene Künste miteinander zu verbinden versucht hat. Unter anderem war er an der „Villa Werdermann“ in Eppendorf beteiligt, einem schönen Bau von 1925, in dem im Stil der Zeit alle einzelnen Teile – bis hin zu den Möbeln – in Gestaltung, Farbe und Material aufeinander abgestimmt sind. Hätten sich die Macher des Videos nicht daran orientieren können? Hätten sie sich nicht in ähnlicher Weise um die Verknüpfung der verschiedenartigsten Informationen zu einem sinnvollen Kommentar bemühen sollen?

 

In dieser eigentlich verdienstvollen Reportage finden sich einzig und allein unverbundene Hauptsätze – etwa in dieser Art: „Ludwig Kunstmann kommt zur Welt, macht eine Holz- und Steinbildhauerlehre, studiert in Stuttgart Kunst […]. 1910 geht er nach Hamburg, erhofft sich Aufträge“. Natürlich tat er das – welcher freischaffende Künstler täte das wohl nicht? Sie alle wollen Aufträge! Warum ein solcher erstens nachhinkender, zweitens sinnfreier Satz? Und: Warum Hamburg, nicht etwa Stuttgart?

 

In der ganzen Reportage finden sich miteinander verbundene Sätze einzig und allein in den Kommentaren einer Kunsthistorikerin, die Kunstmanns Werk vorstellt und in seinen Grundzügen erläutert. Der Kommentar des Videos dagegen weiß nur zu berichten, dass Kunstmann am Bau des Sprinkenhofs beteiligt war. Der Sprinkenhof ist eines der bedeutendsten architektonischen Denkmäler Hamburgs aus dem 20. Jahrhundert, errichtet zwischen 1927 und 1943. Zunächst ist es nicht mehr als ein ästhetisches Moment, dass Kunstmann mit seinen regelmäßig auf den dunklen Ziegeln (dem „Hamburger Stein“) verteilten Keramikornamenten den riesigen Bau rhythmisiert. Dank dieser Ornamente bietet sich dem Auge mehr als nur eine dunkle, einheitliche Fläche. Aber es tritt noch ein inhaltliches Moment hinzu, nämlich der Ehrgeiz, in der Gestaltung des Hauses die Verbindung zu symbolisieren, die Handwerk, Handel und Architektur eingegangen sind. Könnte oder sollte man nicht dieses ziemlich ehrgeizige Vorhaben, das sich sowohl in dem direkt benachbarten Chilehaus als auch im Sprinkenhof und noch auch in anderen großen Gebäuden derselben Epoche ausdrückt, auf Texte übertragen? „Text“ bedeutet schließlich „Gewebe“. Und eben deshalb sind Konjunktionen wesentlich für die Darstellung der Realität – nur mit ihnen können Worte ein Gewebe bilden.

 

Sprinkenhof Luftbild F Wolfgang Meinhart

Luftbildaufnahme Sprinkenhof (Detail), Hamburg. Foto: Wolfgang Meinhart, (CC BY-SA 3.0)

 

Wie heißt es nun in der Reportage? Kunstmann „setzt auf Symbole, verziert damit die Backsteine des Innenhofs.“ Wieso „setzt“ er auf Symbole? Und geht es wirklich bloß um Zierrate, um nicht mehr als Schmuck? So geht es immer weiter. Zwar wird das wichtigste Symbol – es ist ein riesiger Messinghammer – im Bild gezeigt, aber der Sinnzusammenhang, in den dieses Werkzeug gehört, wird mit keinem Wort erläutert. Er wird hier erwähnt, weil die mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts aufstrebende Arts-and-Crafts Bewegung – angeregt unter anderem durch den Briten William Morris – die Verbindung von Kunst und Handwerk zum Ziel erklärt hatte, also die Isolation der Künste aufheben wollte. Das ist natürlich eine andere Ebene als die Syntax, aber es geht in beiden Fällen um den Zusammenhang.

 

Sprinkenhof Ludwig Kunstmann goldener Hammer F Wolfgang Meinhart Hamburg

Ludwig Kunstmann: Goldener Hammer an der Fassade des Sprinkenhofs. Foto: Wolfgang Meinhart, (CC BY-SA 3.0)

 

Ebenso findet sich nichts über die Tradition, in welche die stark gelängten Skulpturen Kunstmanns gehören (sie befinden sich unter anderem auf dem Ohlsdorfer Friedhof) – kannte und schätzte Ludwig Kunstmann Alberto Giacometti oder Wilhelm Lehmbruck, zum Beispiel? Diese beiden Bildhauer, die zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts gehören, haben immer wieder mit sehr dünnen Gestalten gearbeitet – eben ihre Schlankheit trägt wesentlich zu der ungeheuren Expressivität ihrer Gesten bei. Das Schweigen auch zu diesem wichtigen Thema gehört in unseren Zusammenhang, denn alle tieferen seelischen Erlebnisse eines Menschen sind grundsätzlich einer rein propositionalen Redeweise (dem Reden in schlichten unverbundenen Aussagesätzen) unzugänglich, weil sich ihr Verflochten-Sein in den Lebenszusammenhang und ihre Vieldimensionalität nicht in dieser gedankenlosen Weise abbilden lässt.

 

Natürlich ist es kein Zufall – es kann kein Zufall sein –, sondern nur folgerichtig, dass seit dem Beginn der Philosophiegeschichte von Verknüpfungen, Geflecht oder Gewebe gesprochen wird, wenn man das Wesen der Realität erfassen möchte. In meinem Buch „Die Vielfalt des Seins“ habe ich einige dieser Verknüpfungen aufzuzeigen versucht und darauf bestanden, dass sie es sind, die das Wesen der Realität ausmachen. Isolierte Eigenschaften ergeben niemals Realität. Den Sprinkenhof kann man zusammen mit dem Chilehaus als ein Musterbeispiel dafür ansehen, in einem Bauwerk einigen Aspekten der Realität gerecht zu werden. Konzipiert sind sie als Gebäude, in denen man sowohl leben als auch arbeiten kann. Und so seltsam (und eigentlich anstößig) es auch klingt: Auch Friedhöfe sind Orte, in denen die Realität Gestalt annimmt – nicht allein in den Plastiken eines Bildhauers.

 

Für uns – es geht schließlich immer noch um Konjunktionen – ist es wesentlich, dass die einzelnen Fäden der Erfahrung, für sich genommen und isoliert, noch keinesfalls eine Realität ergeben. Vielmehr tun sie es erst in ihrer Verbundenheit. Die Verknüpfung in unserem Bewusstsein bedeutet kein ungeordnetes Knäuel, sondern ein strukturiertes, organisiertes Bild der Welt. In diesem Sinne (nicht, weil es aus Worten bestünde) ist das Bild der Welt für uns ein Text. Oder vielleicht ein Teppich – ein Bildteppich.

 

Noch ein letztes! Zuerst, als ich die einfachen Hauptsätze kritisierte, hieß es statt „gedankenlos“ „schlicht“ – ich habe dieses Wort ausgewechselt, weil es sehr wohl möglich ist, etwas mit sehr schlichten Mitteln zu sagen oder zu zeigen. Stefan George als einer der großen Dichter der zwanziger Jahre hat in seinen Gedichten so gearbeitet: Einige seiner berühmtesten Verse reihen schlichte Hauptsätze aneinander und konnten und können seine Leser trotzdem seit langer Zeit berühren. (Wieso eigentlich trotzdem? Vielleicht eben deshalb?) Ähnliches finden wir in der Kunst, denn auch Giacometti und Lehmbruck, Barlach oder Kollwitz waren Meister darin, fundamentale Emotionen in sehr schlichten Gesten zu erfassen, in Gesten, die kaum einen Betrachter unberührt lassen. Etwas von ihrem Geist mag man auch in Kunstmanns Skulpturen auf dem Ohlsdorfer Friedhof oder in seiner Madonna wiederfinden. Es muss also nicht kompliziert oder überladen sein; es muss keine barocke Sprache sein und keine sich verheddernde Syntax wie bei Kleist oder Thomas Mann. Aber: Wer es einfach sagen will, der muss doch sehr achtgeben, denn jedes Wort hat Gewicht.


1 Zur NDR-Reportage (Homepage NDR)

 

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