Musik
Anna Depenbusch: Ich möchte Emotionen transportieren

Jahrelang galt sie als Geheimtipp, nun ist sie im Olymp des Chansons angekommen - und hat ihr Erfolgsalbum gleich zweimal aufgenommen.
Mit der „Mathematik der Anna Depenbusch in Schwarz-Weiss“ tourt die 34-jährige Sängerin derzeit durch Deutschland. Isabelle Hofmann traf die Hamburgerin zu einem Gespräch über Sehnsucht, das richtige Bauchgefühl und die Leidenschaft der Tango-Spieler.

Isabelle Hofmann (IH): Mit der „Mathematik der Anna Depenbusch“ werden Sie als Newcomerin gefeiert, dabei stehen Sie bereits 18 Jahre auf der Bühne. Aus welchem Grund nimmt man Sie erst jetzt so richtig wahr?

Anna Depenbusch (AD): Ich glaube, weil ich nicht mehr so ängstlich bin. Ich hatte früher immer wahnsinnige Angst - vor allem. Ich habe mich ständig gefragt, ob ich es auf der Bühne aushalte, ob das wirklich mein Beruf ist. Vor gar nicht so langer Zeit habe ich das Klavier entdeckt, meine Songs haben sich verändert. Ich bin mehr bei mir angekommen. Das spürt das Publikum.

IH: Früher sangen Sie englische Pop- und Rock-Songs. Heute schreiben und komponieren Sie selbst und singen auf Deutsch. Wann wussten Sie, dass Sie die Musik komplett selbst in die Hand nehmen müssen, um ein eigenes Format zu entwickeln?

AD: Der Zeitpunkt kam spät. Ich gehöre nicht zu den Musikern, die ihren ersten eigenen Song bereits mit acht Jahren geschrieben haben. Der richtige Schnitt kam 2002. Ich bin aus allem ausgestiegen und nach Island gegangen. Ich wollte ganz von vorn anfangen.

IH: Warum ausgerechnet im hohen Norden?

AD: Es ist eine eigenartige Stimmung dort oben. Man ist viel mehr mit der Natur verbunden. Das Wetter bestimmt, was am Tag passiert. Es gibt Tage, da können die Kinder nicht in die Schule, weil so ein komischer Wind weht. Oder man ist wochenlang eingeschneit. Die Leute ticken ganz anders. Das hat mich sehr inspiriert.

IH: Das passt zu der eigentümlichen Grundmelancholie Ihrer Lieder.

AD: Ich bin wahnsinnig sehnsüchtig. Nach allem möglichen. Oft auch nach fremden Ländern. Mein Herz, es strebt, es strebt. Das genieße ich sehr.

IH: Auf der Intro zur „Mathematik in Schwarz-Weiss“ sieht man gezeichnete Heißluftballons aufsteigen und eine Frau am Meer in Stummfilm-Optik. Sehnen Sie sich auch nach der Vergangenheit?

AD: In meinen Träumen schon. Aber nicht in Wirklichkeit. Ich möchte keine Edith Piaf sein, ich fühle mich hier, im 21. Jahrhundert genau richtig. Ich finde es aber auch schön, durch die Musik Bilder zu schaffen, die an andere Zeiten erinnern.

IH: Sie waren schon 2001 einmal in Island, um bei einer TV-Show mitzumachen...

AD: Ich gehörte damals zu 12 Auserwählten, die in Island auf eine Art Schnitzeljagd gehen durften. Zelten, Kanu fahren, einen Schatz finden. Das habe ich als Zeichen gesehen. Ich wusste, da muss ich wieder hin.

IH: Das zweite Mal kamen Sie im Winter und mutterseelenallein - um sich selbst kennenzulernen, haben Sie gesagt. Wen haben Sie gefunden?

AD: Eine mutige Frau, die ich vorher nicht kannte. Ich habe echt den Hut vor mir gezogen. Auf einmal war alles möglich. Auf einmal konnte ich die Schritte, die ich richtig fand, auch tatsächlich gehen. Manchmal bin ich heute noch über mich erstaunt, aus welcher Kraft heraus ich nach Island gegangen bin. Es war fast eine Schnapsidee. Ich hatte in Hamburg tolle Projekte und Beziehungen, die sich die Klinke in die Hand gaben.

IH: Aber?

AD: Ich hatte Angst, dass ich mein Leben nicht so lebe, wie ich es wirklich will.

IH: Sie haben sich dort als erstes das Instrument besorgt, dass Sie seit ihrer Kindheit nicht leiden konnten – ein Klavier.

AD: Stimmt. Ich habe das Klavier immer gehasst. Ich fand es schrecklich, die Hände blockiert zu haben. Ich dachte immer, als Sängerin brauche ich meine Arme für die große Geste auf der Bühne.

IH: Sie wollten schon als Kind Sängerin werden?

AD: Es war immer viel Musik um mich herum. In der Schule ging es permanent um Jazz. Mein älterer Bruder ist auch Musiker. Als es bei ihm losging, war ich in alle Musiker aus seiner Band verknallt. Im Berufsinformationszentrum, das wir mit der Klasse besuchten, habe ich gleich die Mappe „Popsängerin“ verlangt. Alle haben sich kaputt gelacht. Ich habe meine Eltern dann gefragt, ob ich Gesangsunterricht haben darf, weil ich mich nicht traue zu singen. Ich war immer sehr schüchtern.

IH: Dennoch sind Sie mit 16 Jahren von zu Hause ausgezogen, haben in einer Wohngemeinschaft gewohnt und sind abends in Angies Nightclub auf der Reeperbahn aufgetreten – eine Horrorvorstellung für die meisten Eltern.

AD: Ich wollte Musik machen. Es hat sich einfach richtig angefühlt, So, als ob es mein Lebensinhalt werden soll. Für meine Eltern, beide Lehrer, war es natürlich ziemlich schwierig. Sie haben mich unterstützt, aber verlangt, dass ich mein Abitur mache. Das war der Deal.

IH: Waren Sie als Teenager sehr rebellisch?

AD: Ich glaube ich war einfach nur pubertär. Ein Wirbelwind auf der Bühne. Aber innerlich noch ganz klein und unsicher.

IH: Wie sind Sie überhaupt zu Angies Nightclub gekommen?

AD: Ich habe als Kartenabreißerin im Schmidt-Theater gearbeitet. Wenn Tim Fischer nach der Show im Foyer saß, habe ich mich in seiner Aura gesonnt und gehofft, dass ein bisschen auf mich abfärbt. Irgendwann habe ich gesagt, dass ich gerne bei der nächtlichen Tresen-Show auftreten möchte. Aber du bist doch die Kartenabreißerin, hieß es erst. Später haben Roger Cicero und ich uns dann in Angies Nightclub abgewechselt.

IH: Hatten Sie nie Angst unter die Räder zu kommen?

AD: Nein, da hatte ich immer ein gutes Gespür. Einen guten Schutzengel. Es ist nie was passiert. Es gab keine dubiosen Begegnungen. Rückblickend empfinde ich diese Zeit überhaupt nicht als riskant. Ich erinnere mich vielmehr an ganz viele tolle Begegnungen mit ganz tollen Musikern, die alle auf mich aufgepasst haben.

IH: Nach dem Abitur haben Sie das Gesangsstudium nach nur einem Semester wieder geschmissen. Das Klavierspielen haben Sie sich dann erst in Island und später in den Wintermonaten auf Schloss Salzau beigebracht. Im Grunde sind Sie Autodidaktin.

AD: Meine Technik ist in der Tat fragwürdig. Eine perfekte Pianistin wird nicht mehr aus mir. Das macht aber auch nichts. Ich möchte Emotionen transportieren - Augenblicke, Stimmungen, Gefühle.

IH: Das gelingt Ihnen auch mit Zeilen wie: Die Menschen, die ich liebe, erkenne ich am Geruch. - Es fallen aber auch Worte, bei denen man glaubt, sich verhört zu haben. „Gelegenheitsfick“ ist ein solches Wort. Kostet es Überwindung?

AD: Nein, es bringt Spaß, das mit so einer Selbstverständlichkeit zu singen, dass es nur dem Publikum im Halse stecken bleibt. Ich liebe es, die Reaktionen zu beobachten.

IH: Melancholisches Mädchen-Image, gepaart mit Gossen-Vokabular – ist das die Formel für den Erfolg?

AD: Das kann ich mir gut vorstellen! Ich habe mal einen ganz alten Film mit Liselotte Pulver gesehen. Irgendwie konnte ich mich darin wiederfinden. Die war auch ganz brav angezogen und hat dann Dinge gesagt, die man gar nicht erwartet hat. Das ist eine gute Kombination, finde ich. Das Überraschungsmoment ist wichtig.

IH: Sie singen auf Deutsch, aber Ihre Lieder klingen französisch. Sind Sie sehr frankophil?

AD: Frankreich spielt bei uns in der Familie eine große Rolle. Als Kind war ich jede Sommerferien in Frankreich. Meine ganze Familie spricht fließend französisch. Nur ich nicht. Ich mochte den ganzen Frankreich-Wahnsinn nicht. Das hat mich erst viel später erreicht.

IH: Wohlmeinende Produzenten haben Ihnen anfangs abgeraten von diesen merkwürdigen Chansons, die mit einem gehörigen Schuss Jazz, Blues oder Tango durchmischt sind. Warum haben Sie sich nicht abbringen lassen?

AD: Es hat sich einfach richtig angefühlt. Die Songs haben eine Form angenommen, die mir gefallen hat.

IH: Ihrer Plattenfirma offenbar auch. „Die Mathematik der Anna Depenbusch“ wurde zuerst mit dem polnischen Rundfunkorchester eingespielt, einem international renommierten Orchester.

AD: Ich habe während der Aufnahmen auch echt geheult. Wenn bei „Kommando Untergang“ 60 Streicher loslegen – das ist schon toll. In dem Moment geht ein Traum in Erfüllung.

IH: Warum dann noch einmal in „Schwarz-Weiss“?

AD: Die Songs waren ursprünglich alle am Klavier entstanden. Alles auf das Wesentliche konzentriert, auf den intimen, kleinen Moment. Ich fand, ich war es den Liedern einfach schuldig. Meinem Plattenboss habe ich deshalb die „Etüde für Heinz“ gewidmet. Dass der mich solche Sachen machen lässt, eine CD zweimal aufzunehmen, das ist schon sehr ungewöhnlich. Das sind mutige Leute in meiner Plattenfirma, und sehr leidenschaftliche.

IH: Esther Villars Novelle „Die Mathematik der Nina Gluckstein“ stand als Titel Pate. Weshalb?

AD: Der Tango, der Tangospieler, die Buenos-Aires-Aura haben mir so gefallen! Die graue Maus, die den feurigsten Kerl, den es gibt, für sich gewinnt, indem sie ihn immer hungrig auf Distanz hält. Das ist doch genial!

IH: Man kann einen Mann nur an sich binden, wenn man ihm die Liebe nicht zeigt?

AD: Es funktioniert! Auf jeden Fall! Ist aber kein erstrebenswertes Ziel. Das ist wie ein Spiel. Man kann es mal spielen, aber nicht auf Dauer. Es endet ja auch tragisch, mit gebrochenem Herzen. Aber es steckt viel Leidenschaft in diesem Buch.
Als die Frage auftauchte, ob ich einen Künstlernamen brauche, bin ich wieder über Nina Gluckstein gestolpert und dachte, die hat ja auch so einen blöden Namen. Dann kann ich ja auch meinen Namen behalten.


Anna Depenbusch in concert:
13.11.2011 Berlin: Heimathafen, Anna "Solo am Klavier"
23.11.2011 Cottbus: Weltspiegel Cottbus, Anna "Solo am Klavier"
24.11.2011 Frankfurt/Oder: Festival transVOCALE / Kleist Forum, Anna "Solo am Klavier"
25.11.2011 Elmshorn: Stadttheater, "Die Tour der Anna Depenbusch"
29.11.2011 Leipzig: Moritzbastei, Anna "Solo am Klavier"
13.12.2011 Düsseldorf: Savoy Theater, Anna "Solo am Klavier"
14.12.2011 Oberhausen: Ebertbad - Ausverkauft, "Damenbad-Reihe mit Gerburg Jahnke"
15.12.2011 Osnabrück: Lagerhalle, Anna "Solo am Klavier"
16.12.2011 Wittlich: Synagoge, Anna "Solo am Klavier"

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Fotonachweis:
Headerfoto: Isabelle Hofmann

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