Musik
Thomas Fey

Thomas Fey ist Dirigent der Heidelberger Sinfoniker. Er studierte Klavier und Dirigieren an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, seine weitere dirigentische Ausbildung erhielt er u.a. bei Nikolaus Harnoncourt und Leonard Bernstein.

Bereits als Student, im Jahr 1985, gründete Fey den Heidelberger Motettenchor und zwei Jahre später das Schlierbacher Kammerorchester, aus dem 1993 die Heidelberger Sinfoniker hervorgingen. Er hat sich mit seinem Orchester auf die Werke der „Wiener Klassik“ (Haydn, Mozart, Beethoven) und der frühen deutschen Romantik spezialisiert. Diese interpretieren sie nach den Erkenntnissen der sogenannten „historischen Aufführungspraxis“. Den Schwerpunkt ihrer Arbeit bilden CD-Einspielungen, die von der internationalen Fachpresse in seltener Einmütigkeit gelobt werden. Erst kürzlich erhielt er mit dem ebenfalls von ihm gegründeten Mannheimer Mozartorchester eine Grammy-Nominierung in der Kategorie „Klassische Musik, beste Orchesterdarbietung“.

Anfang Oktober sind die Heidelberger Sinfoniker in Norddeutschland zu hören, Anlass für Claus Friede sich mit Thomas Fey zu unterhalten:

Claus Friede (CF): Die Heidelberger Sinfoniker rekrutieren sich aus einem Pool von ungefähr 200 Musikern. Woher kommen diese? Sind sie alle Berufsmusiker oder auch noch im Studium?

Thomas Fey (TF): Die wenigsten sind noch im Studium. Wie viele weiß ich allerdings nicht genau, weil ich mich darum nicht kümmere.

CF: Wer kümmert sich denn darum?

TF: Zuständig ist meine Stimmführerin der zweiten Geigen, die das Besetzungsbüro innehat. Sie wird flankiert vom ersten Klarinettisten. Das heißt also je nach Projekt – wir spielen in den unterschiedlichsten Besetzungen, von 18 bis zu 70 Musikern – wird in der Regel bei den Musikern telefonisch oder per E-Mail angefragt. Dann, wenn sich das jeweilige Projekt bereits in der Planungsphase befindet, die Probenpläne ausgearbeitet und die Aufführungsdaten terminiert sind und so weiter.
Neue Musiker kommen nur durch interne Empfehlungen ins Ensemble. Die Aufnahmekriterien sind relativ einfach und klar: Es müssen hervorragende Musiker sein, sie müssen Interesse haben – noch besser – Kenntnis der historischen Aufführungspraxis. Interesse reicht aber meistens schon aus, denn die Kenntnis erhalten sie beim gemeinsamen Arbeiten. Darüber hinaus müssen sie unbedingt in die „Ensemble-Chemie“ passen und auch folgende Kriterien erfüllen: „lustvoll, euphorisch, belastbar“ sein und Grenzen suchen wollen.
Wenn jemand nicht zu uns passt, entscheide ich, dass er nicht mehr mitmachen kann, was aber relativ selten geschieht.

CF: Grenzen bei sich oder auch in der Musik?

TF: Es gibt musikalisch Situationen, bei denen jemand glaubt, es ginge nicht weiter, meistens bei den Tempi. Wenn Haydn ein Prestissimo möchte, was selten vorkommt, dann muss das Tempo extrem fliegen. Oder wenn ein Komponist sich vorgenommen hat, ein Metronom einzuschalten und eine Zahl hinzuschreiben, dann ist es dessen Wille.
Man muss Proben. Es ist ein unglaubliches Vergnügen, für mich aber auch fürs Ensemble, durch harte Arbeit festzustellen: es geht. Das, was vor zwei Tagen nicht zu gehen schien, geht plötzlich. Und dann fliegt es, macht Spaß und fasziniert das Auditorium.

CF: Sie haben dezidierte Führungsaufgaben. Die Sinfoniker sind ausgesprochen stark um Sie herum strukturiert. An welchen Stellen geben Sie Führungsaufgaben ab?

TF: Wie erwähnt, ich gebe Führungsaufgaben ab in Sachen Besetzung, weil ich seit 15 Jahren ein Urvertrauen in die Personen habe, die das machen. Wir sind ein Freiberufler-Ensemble, so habe ich bei weitem mehr Aufgaben, als die musikalischen. Gerne hätte ich die Sponsorensuche abgegeben, aber festgestellt, dass das gar nicht geht. Kurz gesagt, Sponsoren und Mäzene wollen mit mir essen gehen...
Vor elf Jahren und nach vielen mittelmäßigen Erfahrungen mit Agenturen habe ich eine eigene gegründet, die classic arts gmbh in Heidelberg, die neben mir als Geschäftsführer, mittlerweile aus drei Mitarbeiterinnen besteht. Die Agentur kümmert sich um den CD-Vertrieb, um den Freundeskreis, Mäzene, Sponsoren und natürlich um Gastspiele. Es ist meine exklusive Agentur.

CF: Gibt es denn auch Aufgaben, die Sie machen müssen und die nicht Ihrer Leidenschaft entsprechen?

TF: Ich habe seit mindestens zehn Jahren keinen Computer mehr eingeschaltet. Ich möchte keine E-Mails lesen müssen. Davon habe ich mich frei gemacht.
Ich benötige die Zeit für das Partiturstudium. Ich lese sehr viel, weil ich denke, wenn ich z.B. eine Sinfonie von Robert Schumann aufführen will, die ich noch nie aufgeführt habe, dann ist es notwendig, etwas darüber zu wissen. Wenn man Robert Schumann aufführt, muss man dringend Heinrich Heine lesen, denn die beiden Herrschaften haben sich sehr befruchtet. Und ein Dirigent, der keinen Heinrich Heine liest und Schumann aufführt, den akzeptiere ich nicht.

CF: Sie haben beim Schleswig-Holstein-Musikfestival mit Leonard Bernstein gearbeitet. Bernstein sagte man eine eruptive Leidenschaft nach. Welches Adjektiv würden Sie Ihrer Leidenschaft zufügen wollen?

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TF: Also, ich habe in erster Linie, was große Namen betrifft, mit Nikolaus Harnoncourt gearbeitet. Das ging über Jahre. Zu der Arbeit mit Bernstein war ich zwei Sommer lang beim Festival eingeladen als einer von 40 jungen Dirigenten. Das war eine Riesenauszeichnung.
Ich hab mir quasi die beiden Lehrer ausgesucht, weil ich beide sehr verehrt habe und sie so unterschiedlich sind. Ich war damals ein absoluter Bernstein-Fan. Heute bin ich ihm gegenüber viel kritischer. Damals, Mitte der 1980er-Jahre bin auf die historische Aufführungspraxis gestoßen, die ich vorher abgelehnt hatte. Sehr bewusst führte mein Weg zu Harnoncourt. Mit Bernstein habe ich als Kontrastprogramm gearbeitet.
Sie sprechen von eruptiver Leidenschaft – das trifft den Nagel auf den Kopf. Wenn ich für mich einen passenden Begriff finden sollte, dann würde ich sagen: Ich bin absolut musikbesessen und arbeite extrem gerne mit Menschen! Hinzu kommt noch mein Perfektionswahn. Meine Maxime lautet – und das predige ich regelrecht – lass uns Musik machen mit 51 Prozent Intuition und 49 Prozent Wissen.
Eine weitere Charakteristik, die ich von Harnoncourt übernahm, lautet: jede Aufführung ist eine Uraufführung. Wenn man innerhalb von 25 Jahren zum 17. Mal die Jupiter-Sinfonie von Mozart aufführt, dann muss sie immer wieder neu wirken. Und darauf lege ich ganz besonders viel Wert. Jede Partitur, die ich quasi auswendig kann und in mir trage, erarbeite ich jedes mal wieder neu. Also nicht einfach die Noten aus dem Schrank holen und alles lediglich wiederholen, sondern vergleichen und sich nicht ständig selbst kopieren. Die Veränderungen, die es im Laufe eines Lebens gibt: durch Schicksal, Liebe und vieles mehr, verändert sich die Sicht auf die Musik. Dem trage ich Rechnung.
Wir arbeiten an einer Gesamteinspielung aller Haydn Sinfonien, das sind 107! Ein Lebenswerk. Ich denke, wir werden 36 bis 38 Volumes benötigen. Im Moment sind wir bei Volume 17. Begonnen haben wir mit den beiden meistaufgeführten Sinfonien, den Nummern 94 und 104. Der Verlag hat mich für verrückt erklärt wegen der immensen Konkurrenz, denn alle großen Orchester und großen Dirigenten haben diese beiden Sinfonien gespielt. Auch wenn sie sonst nichts von Hadyn aufgenommen haben, die beiden Sinfonien haben sie aufgeführt. Meine Reaktion auf den Verlag war, dass ich genau aus diesem Grund die Aufnahme machen wolle, um mich der internationalen Konkurrenz zu stellen und sagte: „Wenn die CD durchfällt, hör ich auf. Wenn sie ein Triumph wird, machen wir weiter.“ Und wenn wir dann als allerletztes, nach 20 oder 30 Jahren die beiden Sinfonien noch einmal aufnehmen und schauen was zwischenzeitlich passiert ist, dann haben wir das Haydn-Universum durchschritten.

CF: Ihre ganze musikalische Arbeit scheint von den beschriebenen dynamischen Elementen durchdrungen zu sein. Sie werden tituliert mit „brennend, funkensprühend, frisch“ und ich las, Sie würden durch die Partituren fegen. Das klingt alles nach Geschwindigkeit. Ich habe mich an einem Punkt gefragt, wann Sie eigentlich musikalisch entschleunigen?

TF: Ich entschleunige auf jeden Fall immer dann, wenn ich glaube, dass die Musik das möchte. Ich liebe langsame Sätze von Haydn und entschleunige sie gerne. Aber ich kann nicht gegen meine interpretatorische Auffassung arbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass die Musiker ihrer damaligen Gegenwart, die aufgrund vieler Ablenkungsfaktoren, die wir heute haben und die sie damals nicht hatten, einfach Musikmaniacs waren. Sie haben immer nur Musik ihrer Gegenwart gespielt und sonst gar nichts. Und zwar als Komponisten und in der Regel auch als Instrumentalisten.
Mozart z.B. hat genauso gut Geige gespielt wie Klavier oder Orgel. Viele Komponisten hatten ihre eigenen Orchester. Das ist bei Haydn signifikant. Haydn hat jahrelang für den Grafen Morzin gearbeitet, dann für die Esterhazys, dann in London oder in Paris, und kannte natürlich diese Leute. Es waren also Spezialisten-Ensembles die mitunter jahrzehntelang miteinander und mit dem gleichen Komponisten seine eigene Musik erarbeitet haben. Es muss eine Qualität gehabt haben, die wir uns gar nicht vorstellen können! Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern: Wenn ich Sie heute einsperre ins Gefängnis und gebe Ihnen jeden Tag zwei Apfelsinen, sonst nur ein bisschen Wasser und Brot, dann werden Sie die Apfelsinen in den ersten paar Wochen essen bis sie Ihnen zum Hals raushängen. Dann werden Sie nur noch eine essen und die zweite aufheben, aber was machen Sie mit der? Nach einer Woche haben sich sieben Apfelsinen angesammelt. Sie werden anfangen mit ihnen jonglieren. Und nach ein paar Jahren werden Sie mit 38 Apfelsinen jonglieren können und keiner kann sich vorstellen, dass man so was kann. Also, Sie werden zu einem Apfelsinenjongleur-Spezialist. Und so waren die Musiker damals auch. Die Hornisten bei Haydn müssen so schwindelerregend gut gewesen sein, das kriegt ja heut kaum noch einer hin. Und Haydn kann kein Interesse daran gehabt haben, wenn er für Maria Theresia eine Sinfonie schreibt – für die Kaiserin – dass die Hörner kieksen. Das heißt also, die Musik wurde dem Ensemble und auch den Solisten auf den Leib komponiert. Bestes Beispiel sind Bach-Kantaten. Da gibt es Jahrgänge mit schwindelerregenden Geigensoli. Wenn der keinen Violinisten gehabt hätte, der großartig Geige spielen kann, wäre er nie auf die Idee gekommen, so etwas zu schreiben. Auch Mozart hätte niemals die Arie der Königin der Nacht geschrieben, wenn er keine Sopranistin gehabt hätte, die ein hohes F erreicht.

CF: Und die die Koloraturen hinkriegt...

TF: Eben.

CF: Und wo finden Sie Ihre Ruheräume, um sich zu besinnen, um Dinge neu aufzuarbeiten, um zu lesen, um die Blickwinkel zu schärfen und zu verändern?

TF: Ich habe eine Wohnung im Norden Deutschlands, ganz weit oben, in die ich mich wann immer ich das möchte zurückziehen kann und dort zur Ruhe komme bei endlosen Strandspaziergängen, bei Wind und Wetter.
Ich nehme mir pro Jahr etwa 100 bis 120 Tage Zeit. Diese Wohnung, von der ich gesprochen habe, ist auf Sylt, in Keitum. Und ich bin unglaublich gern in der Provence, im Tessin, in Italien, in der Schweiz. Ich verreise sehr gerne. Ich fahre auch sehr gerne Auto. Ich reise natürlich immer mit Partituren und mit Literatur. Was für mich allerdings keine Arbeit ist. Mich hat mal jemand gefragt, „Wie alt bist Du denn?“ Ich war damals 48. Und dann fragte er, „und, arbeitest Du noch?“ Und dann hab ich ihm geantwortet: „Ich habe noch nie gearbeitet!“. Also für mich ist Musik Lebensinhalt und gehört genauso dazu wie Sauerstoff und ein Glas Wein.

CF: Ja, das Problem daran ist, dass es dann sofort auf die Frage runtergebrochen werden muss, wie definiere ich Arbeit? Leider ist es häufig so, dass Arbeit, die Spaß macht oder sich aus Leidenschaft entwickelt, schnell als Freizeitspaß oder Hobby oder Passion hingestellt wird. Das eine schließt das andere nicht aus...

TF: Ich arbeite eigentlich nur im Tonstudio. CD-Aufnahmen sind harte Arbeit, sowohl für den Körper als auch für den Geist. Nach einer Woche CD-Aufnahmen bin ich dann auch wirklich reif für die Insel. Aber dann gibt es die Zeit des Regenerierens und die Freude daran, wenn das Ergebnis erscheint. Jede CD ist eine Art Baby.

CF: Sie haben sehr unterschiedliche Orte für das Regenerieren genannt. Was muss ein Ort haben, um sich wohlzufühlen, der inspiriert? Ruhe?

TF: Sie können mich in eine Diskothek an einen Tisch setzen, mit einer Partitur, und es geht los. Weil ich nichts anderes mehr höre. Das, was ich lese an Musik, ist immer lauter als der Rest. Aber natürlich ist es ein Unterschied, ob ich mit Ruhe in Granada mit Alhambra-Blick und einer Flasche Riocha und Manchego Käse eine Haydn-Sinfonie lese oder ob ich das im Keller mache. Es macht selbstredend mehr Spaß in einer inspirierenden Umgebung, sich selbst zu inspirieren.

CF: Zurück zur Musik: Ihr Fokus liegt auf der Wiener Klassik und der Romantik. Gibt es Ihrerseits Interesse an Neuer Musik, an zeitgenössischer Musik?

TF: Ich muss bei dieser Antwort einen großen Trennstrich ziehen: Mein Tätigkeitsfeld als Berufsmusiker konzentriert sich auf die Musik der zweiten Hälfte des 18. und erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das ist das Kerngebiet meiner Arbeit. Früher habe ich auch sehr viel Barockmusik aufgeführt. Mein privates Interesse aber folgt verschiedenen Richtungen.
Dem Orchester sage ich, dass wir uns spezialisieren müssen, um international konkurrenzfähig zu sein. Insbesondere als ein Freelance-Orchester, das nicht permanent zusammen arbeitet, also etwa 100 bis 120 Tage im Jahr. Wir würden einen nicht hinnehmbaren Qualitätsverlust verursachen, würden wir heute Monteverdi spielen und morgen Bruckner oder Prokofjew. Wir entwickeln uns vielmehr ganz langsam an der Musikgeschichte entlang, was sehr viele Vorteile hat, weil die Grenzen dadurch fließend sind. Jetzt sind wir bei Komponisten angelangt, die heißen Mendelsohn, Schubert und Schumann.
Mein privates Interesse geht weit darüber hinaus. Zunächst einmal höre ich zuhause ganz wenig klassische Musik. Sie werden mich auch selten in Konzerten sehen, weil ich mich nicht entspannen kann, entweder weil ich eine Interpretation höre, die mir nicht gefällt oder weil ich bei Beethovens Siebter schon 20 Takte vorher Angst habe, das der erste Hornist die entscheidende Stelle verpatzt.

CF: Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter...

TF: Ja. Genau. Mein Interesse geht, was klassische Musik betrifft weit ins 20. Jahrhundert hinein. Gustav Mahler, Charles Ives, Schostakowitsch, das sind unter anderem Komponisten, die mich sehr interessieren. Ich werde hoffentlich in den nächsten 10 bis 20 Jahren bei Bruckner ankommen. Aber es gibt auch Kompositionen, die ich nicht dirigieren werde, weil sie mir nicht gefallen, wie das Klavierkonzert von Edvard Grieg oder die Neunte Sinfonie von Dvorak. Musik, hinter der ich nicht voll und ganz stehe, würde ich nicht aufführen.

CF: Es gibt Musiker und Kritiker, die sagen, man müsse nach rechts und links schauen, weil der Blick von heute auf Haydn ein anderer ist als jener in dessen Zeit.

TF: Natürlich. Auch ich lebe nicht ohne Einflüsse. Ich bin ein ganz großer leidenschaftlicher Jazzhörer zum Beispiel. Ich entdecke durch diese Passion auch in klassischer Musik andere rhythmische Strukturen. Man darf aber nicht vergessen: in den Partituren von Haydn, Mozart oder noch früher, Händel, steht ganz wenig, denn
sie haben mit ihren Gegenwartsmusikern gearbeitet, die alle nur Gegenwartsmusik gemacht haben. Haydn wäre nie auf die Idee gekommen, auf dem Landsitz der Esterhazys eine Orchester-Suite von Bach aufzuführen. Haydn hat nur Haydn aufgeführt. Erst später hat Ludwig van Beethoven – er fing damit an – z.B. Mozarts D moll Klavierkonzert öffentlich aufgeführt und eigens dafür Kadenzen komponiert. An der alten Musik wurde ansonsten lediglich studiert. Das hat, grob datiert, um 1830 durch Mendelssohn aufgehört. Mendelssohn hat angefangen – und Berlioz später auch – als Dirigent zu wirken. Er hat tatsächlich Musik ans Tageslicht gebracht, die alt war, jedoch diese kombiniert mit eigenen Werken.

CF: Wenn Sie Haydn, Mozart, Mendelssohn spielen, gibt es in Ihrer programmatischen Auffassung irgendwelche Zeitbezüge zum Heute?

TF: Für mich nicht, nein. Ich versuch mich, so gut ich es kann, in die damalige Musikwelt zu versetzen und das so zu realisieren – natürlich mit eigenen Auffassungen und eigener Intuition – dass die Konzertbesucher, davon fasziniert werden können. Mit einer notwendigen, immensen Bühnenpräsenz und mit einer Detailversessenheit in der Arbeit.
Andererseits entdecke ich gerne Neues. Vor Jahren kam ein junger Komponist und Salieri-Forscher zu mir und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, Salieri aufzuführen. Ich wusste ein wenig über Salieri, kannte aber seine Musik nicht. Dann fragte er mich: „Können Sie sich vorstellen, dass der bedeutendste Opernkomponist seiner Zeit nur schlechte Musik geschrieben hat?“ Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Lehrer von Beethoven, Schubert und vielen anderen, gefeiert in ganz Europa, nur schlechte Musik geschrieben haben kann. Und dann hat er, sein Name ist Timo Jouko Herrmann, mir erzählt, er habe kartonweise Salieri-Material, das seit Lebzeiten des Komponisten nicht mehr aufgeführt wurde. Also eine Edition aus Handschriften. Er hatte auch schon einiges neu überarbeitet und eindeutige Editionsfehler entdeckt. Bei mir ist dann sehr schnell zwar eine Salieri-Affinität entstanden und ich habe phänomenale Sachen entdeckt. Deswegen haben wir dann angefangen, Ouvertüren, Ballettmusik, Schauspielmusik und Bühnenmusik von Salieri einzuspielen und sind in diesem Jahr für einen Grammy nominiert worden. Das war eine Sensation!
Andererseits ist Salieri bei vielen unbekannt. Ich hatte in Heidelberg, wo wir ein Stammpublikum haben, die Idee, jene Ballettmusik, mit der die Mailänder Scala eingeweiht worden ist und die seitdem nicht mehr gespielt wurde, aufzuführen. Eine Repertoiresensation, doch der Saal war lediglich halbvoll und das obwohl wir noch Mozart gespielt haben. Sehr enttäuschend. Nach dem Konzert sagte eine Konzertbesucherin zu mir: „Herr Fey, Sie brauchen sich gar nicht zu wundern, dass wenige kamen, wenn Sie die Musik von Mozarts „Mörder“ spielen“ – Originalton.
Ich habe daraufhin das Programm geändert. Es heißt nun: „Salieri und seine Schüler“. So spielen wir einige der genialen Stücke von Salieri und danach, verbraucherfreundlich, ein Beethoven-Klavierkonzert und eine Schubert-Sinfonie.


Die Heidelberger Sinfoniker unter Thomas Fey gastieren im Herbst 2011 in Norddeutschland:

07.10.2011 Salzgitter (Musiktage Salzgitter), mit Absolventen der Musik-Hochschule Hannover

Programm:
Felix Mendelssohn Bartholdy: Streichersinfonie Nr. 12 g-moll
Johann Sebastian Bach: Klavierkonzert d-moll BWV 1052
Felix Mendelssohn Bartholdy: Doppelkonzert für Violine und Klavier

09.10.2011 Kiel, Schloss und 10.10.2011 Wilhelmshaven, Städtisches Theater, jeweils mit Martin Stadtfeld

Programm:
Mendelssohn: Streichersinfonie Nr. 12 g-moll
Bach: Klavierkonzert d-moll
Mozart: Sinfonie D-dur KV 504 'Prager Sinfonie'
Kraus: Olympia-Ouvertüre

Fotonachweis: Rosa Frankalt

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