Musik
Resonanzen im unknown space

Musik, die berührt. Weil die Musiker spürbar machen, was sie selbst daran bewegt. Musik, die Konventionen bricht, Reisen ins Unbekannte verspricht und jede Menge Hörabenteuer. Dafür steht das Ensemble Resonanz in seiner kommenden Saison.

Ein Mensch tanzt. Japanischen Butoh, hochexpressiv, unendlich konzentriert. Der in Göttingen lebende Tadashi Endo zeigt einen Menschen, der zu den elektronischen Klängen von Nika Son zerrissen wird, verletzt, niedergeworfen – und aufgeweckt durch die Musik, durch die suchenden Klänge des Japaners Toshio Hosokawa und durch einzelne Sätze von Johann Sebastian Bach, vor allem aus dessen „Kunst der Fuge“, bei der Bach sein Thema und am Schluss auch seine Namensnoten B-A-C-H durch kunstvollste und äußerste Verwicklungen treibt.
In einer Musik, die im festen Glauben entstand, dass am Ende alles gut wird. Und die dann doch unvollendet abbricht – „Ueber dieser Fuge, wo der Nahme BACH im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben“. Die Musik endet ins Nichts, und der tanzende Mensch kauert zwischen den vier Streichern, die im Viereck mit den Rücken zueinander spielen, er verschwindet, löst sich auf im Klang, hat seinen Frieden gefunden. Erlöst durch die Musik.

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„bach butoh“ hieß dieses „Urban String“-Konzert des Ensembles Resonanz im eigenen Domizil, der 2014 eröffneten Konzertsaal-Bunker-Bar „Resonanzraum“ an der Feldstraße. Die vier Streicher, Nika Son und Tadashi Endo wurden begeistert bejubelt an jedem der beiden ausverkauften Abende.

Das Programm ist eine gutes Beispiel dafür, wie das Ensemble Resonanz neue Impulse im Hamburger Musikleben setzt, die weit über Hamburg hinaus Beachtung finden. Gerade erst Ende Mai wurde die „Urban String“-Idee, die 2011 noch im Haus III&70 am Schulterblatt gestartet wurde, in Rotterdam von den 1000 Delegierten des Netzwerks Classical:NEXT 2016 mit dem internationalen Innovation Award ausgezeichnet, gegen starke Konkurrenz und für das innovativste Projekt der klassischen Musikwelt.

Neue Horizonte als Residenz-Ensemble im Kleinen Saal der Elbphilharmonie
Geschäftsführer Tobias Rempe strahlt. In unser Gespräch tönen durch die Türen Bach-Klänge aus der Probe für „bach butoh“. Es wird wieder eine besondere Saison, denn das Ensemble Resonanz wird am 12. Januar 2017 den Kleinen Saal der Elbphilharmonie eröffnen und dort künftig als Ensemble in residence auftreten. Und sich zu weiteren Höhenflügen inspirieren lassen. Anschauen durften sie sich ihre neue Wirkungsstätte schon, aber noch nicht darin spielen. „Natürlich klatscht man oder singt ein paar Töne, was wir da gehört haben, hat unsere Vorfreude enorm gesteigert. Erste Proben wird es dort im September geben.

„Wir sind nicht in die Elbphilharmonie gebeten worden, um dort risikolosen Mainstream zu spielen“, sagt Rempe. So stellen denn die Ankündigungen für die 15. Saison der „Resonanzen“-Reihe nicht so sehr die Werke aus, die erklingen werden. Sondern das Hörabenteuer, auf das sich das Publikum vertrauensvoll einlassen soll. Gleich dreimal erklingt das Eröffnungskonzert unter dem Motto „Unknown space“ im Kleinen Saal (12., 15. und 20. Januar), Gespielt wird eine Uraufführung von Georg Friedrich Haas, neben dem Ensemble Resonanz sind dabei das Schlagquartett Köln, die Sopranistin Sandrine Piau und als Dirigent Emilio Pomàrico. Um „identity – zu den Quellen“ geht es am 14. und 15. April 2017, unter anderem mit einem neuen Violinkonzert von Oscar Strasnoy, das Isabelle Faust aus der Taufe hebt.

„infinity – leben im absoluten“ geht es am 17. Mai in der Laeiszhalle, und „gravity – nach dem Himmel gezogen“ heißt es am 14. und 15. Juni 2017 , wenn das Ensemble Resonanz mit und unter der Leitung des Klarinettisten Jörg Widmann spielt.

Noch vor der Eröffnung der Elbphilharmonie geht es um „galaxy – die Himmel erzählen“, am 23. September 2016 mit Andreas Staier am Klavier in der Laeiszhalle, dort dann auch am 30. November „epiphany – folge dem stern“, zusammen mit dem ChorWerk Ruhr und Florian Helgath am Pult.
Zu jedem Resonanzen-Konzert gibt es gleich fünf „Ankerangebote“: Bunkersalon, Werkstatt, Offbeat, Hörstunde und Hausparty, die alle helfen sollen, die Liebe zum Fremden, zum Nicht-Gekannten und Unvertrauten zu stärken, die man schon wenigstens als Neugier spüren sollte, wenn man sich mit dem Ensemble Resonanz auf die musikalische Reise begibt.

Die Musiker jedenfalls tun alles, um ihre Zuhörer einzufangen. Sie spielen mit unüberhörbarer Leidenschaft, brennen für das, was sie tun – das lässt niemanden gleichgültig. natürlich auch in der neuen Saison von „Urban String“.

Es geht nicht um irgendein Event, es geht um die Musik selbst
Tobias Rempe und die Musiker haben ein großes Ziel: „Wir wollen gegen die Vorurteile zu kämpfen, die sie in weiten Feldern haben: klassische Musik ist von gestern, es ist immer dasselbe, ist staubig, eher repräsentativ und affirmativ und elitär. Vielleicht kommt man auf solche Gedanken, wenn man auf die traditionellen Präsentationsformen schaut. Aber nicht, wenn man auf die Musik selbst schaut. Das wohnt der Musik nicht inne – sie ist eine ganz großartige, starke, lebendige Kunst. Wenn man dem gerecht werden will, landet man einfach bei neuen Formaten. Nicht um etwas einfach nur anders zu machen, aufzufallen oder verrückte Dinge zu tun, sondern wir wollen Musik, die kräftig, neu und aufregend auf das Publikum wirkt. Wenn das traditionelle Format bedeutet, sich oft zu wiederholen und einen riesigen Teil des Repertoires einfach auszuschließen, weil er angeblich nicht funktioniert an der Kasse – das kann das ja nicht dem lebendigen Kunstgenuss dienen. Wir wollen zuerst, dass ein Programm aufregend ist und ein Erlebnis wird.

Experiment geglückt – das kann man für „Urban String“ uneingeschränkt sagen. „Da meinen manche: Klassik ist cool, wir sind jetzt auf die Hipster zugegangen. Für die Musiker fühlt sich das aber ganz anders an: Es ist familiär, intim, bei ‚urban string’ spielt die Musik die allererste Rolle, und alles anderes wird weggelassen. Es geht um Nähe – dass ist es was, ‚urban string’ von anderen Versuchen unterscheidet, Klubkultur und Klassik zusammenzubringen. Wir sind Gastgeber, es ist unser Wohnzimmer, unsere eigene Bar hier im Resonanzraum, deswegen entsteht auch ein sehr intime und nahbare Atmosphäre. Es geht um die Musik, nicht ums Event. Diese Musik ist großartig – und das wollen wir nicht nur denen zeigen, die das eh schon wissen, sondern denen, die das noch nicht erkannt haben.“

Was suchen die Zuhörer? „Bei Klassik das Live-Erlebnis, das ist etwas sehr Persönliches, Echtes. Das ist eine Resonanzerfahrung, die auch mit den Risiken zu tun, die wir eingehen. Sie wäre kleiner, wenn wir nur in der Laeiszhalle Bach-Brahms-Beethoven spielten und einen großen Solistennamen dazubuchten. Dann weiß jeder, was er kriegt, es ist vieles klar, was an dem Abend passieren wird. Wenn man das nicht weiß und sich auf das Unbekannte einlässt, ist sie viel größer.“

Und was trifft den Nerv bei den Zuhörern? „Vor allem die Formate, die sich trauen, persönlich zu sein, wo Solisten, Moderator, Veranstalter ein Angebot machen, mit einem eigenen kreativen Wollen und einer persönlichen Haltung dahinter.“ So wie bei „bach butoh“, das von der ersten Idee an zwanzig Jahren reifte, bevor es jetzt auf die Bühne kam.

Als Botschafter für den Hamburger Resonanz-Spirit unterwegs bis nach Japan
Den besonderen Resonanz-Spirit wird man in der kommenden Saison auch wieder vielfach an Spielorten außerhalb Hamburgs spüren. Ingolstadt, Speyer, Kiel, Lübeck und Köthen stehen auf dem Konzertplan, Gastspiele beim Musikfest Berlin, bei Wien modern und bei Huddersfield Contemporary Music, dazu kommen Auftritte auf Kampnagel mit Musik der New Yorker Avantgarde und in Harburg mit Haydn, Mozart und C.P.E. Bach. Eine Konzertreise nach Tokio und Nagoya (im März folgt Montreal) und ein Weihnachtsoratorium im Konzerthaus Berlin. Und ein Abend mit dem transnationalen Kunstprojekt Hajusom zum Thema Mensch und Natur.

Ein weiteres Highlight: Erstmal wird das Ensemble im Oktober im Orchestergraben der Staatsoper Platz nehmen: Sie spielen am 9., 11., 13. und 15. Oktober Aufführungen von Glucks „Iphigénie en Tauride“, unter der Leitung von Riccardo Minaso und eingeladen von Opernintendant Georges Delnon.
Wobei am Ende doch das neue Hamburger Konzerthaus ein speziellen Antrieb bringen könnte: „Die Elbphilharmonie ist eine Riesenchance mit dieser Aufbruchstimmung, der Neugier und dem Fokus aufs klassische Musikleben – eine Riesenchance, Dinge auszuprobieren, mutig zu sein. Das Risiko, den Saal nicht voll zu kriegen, ist genau jetzt sehr klein. Deshalb ist es Zeit mutig zu sein, Dinge auszuprobieren, Weichen zu stellen – das übliche Funktionieren dieser Kultur zu erweitern. Es könnte spannend und aufregen werden, wenn das viele gleichzeitig tun.“

Weitere Informationen: www.ensembleresonanz.de


Abbildungsnachweis:
Header: Alle Fotos Ensemble Resonanz Foto: © Gerhard Kühne
Galerie:
01.-04. Bach - Butoh
05. Innovation Award NEXT:Classical - die Gewinner

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