Fotografie
Liu Xia. Eine Fotografin aus China

Im Martin Gropius-Bau in Berlin werden Arbeiten der chinesischen Fotokünstlerin Liu Xia präsentiert. Die Protagonisten ihrer Schwarz-Weiß-Fotografien sind Puppen. Puppen mit schreienden Mündern, aufgespießt auf Holzpfähle, gekreuzigt zwischen Türbeschlägen, in Einmachgläser gequetscht, gefesselt, deformiert und erhängt. Sie sind Metaphern für die politischen Repressionen in China, aber auch für ihr persönliches Leid, ihre Ohnmacht gegenüber dem chinesischen Staatssystem. Denn die 54jährige, Ehefrau des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, steht seit fünf Jahren unter Hausarrest und Polizeibewachung.

Nach der spektakulären Ai-Weiwei-Ausstellung im Sommer 2014, setzt sich das Haus erneut mit der Situation chinesischer Künstler auseinander. Die aktuelle Schau „Liu Xia. Eine Fotografin aus China" zeigt rund fünfzig Fotografien aus den späten 90er-Jahren – also vor ihrem Hausarrest. Ergänzt werden die Fotoarbeiten mit ihren Gedichten sowie Filmen, die einen Einblick in ihren Alltag geben und ein Fernsehinterview aus dem Jahr 2012.

Liu Xia heiratet im November 1996 ihren langjährigen Freund, den Literaten Liu Xiaobo. Wegen seiner Beteiligung an den Pekinger Studentenprotesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens, ist er seit 1995 in dem nordchinesischen Arbeits- und Umerziehungslager Dalian in Haft. Dalian ist eine Art chinesischer Gulag, in das jeder ohne richterliche Anordnung, allein aufgrund polizeilicher Befehle eingewiesen werden kann. Nach seiner Entlassung wird Liu Xiaobo 2003 zum Präsidenten des Independent Chinese PEN Center (ICPC) gewählt. Als Autor verfasst er zum Internationalen Tag der Menschenrechte ein liberales Manifest für mehr politische und bürgerliche Rechte in China, die „Charta 08“. Über 300 Künstler und Intellektuelle unterzeichnen, darunter auch Ai Weiwei. Im Internet veröffentlicht, folgen über 5.000 Unterzeichner der Petition, bevor die chinesische Regierung sie im Netz kappt. Liu Xiaobo selbst wird verhaftet und wegen „Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt. Seit er 2010 in Stockholm den Friedensnobelpreis für seinen langen und gewaltfreien Kampf für die grundlegenden Menschenrechte in China erhalten hat, steht seine Ehefrau Liu Xia ohne jegliche rechtliche Grundlage unter Hausarrest und Dauerbewachung – bis heute.

Galerie - Bitte Bild klicken
Liu Xias düstere, überaus beklemmende Puppenbilder entstehen bereits zu einer Zeit, als ihr Mann in Dalian inhaftiert ist. „Die Fotografien sind furchtbar, wenn man direkt vor ihnen steht und sie sind schön, weil sie einen Einblick in das Innenleben derjenigen gewähren, die sie geschaffen hat. Sie sind entstanden, weil sie keine andere Möglichkeit hatte mit ihrem Mann - im Gefängnis - zu kommunizieren. Und was kann ein Gefängnisaufseher schon mit einer Fotografie anfangen, die ein Baby vor einer chinesischen Kalligraphie zeigt", erläutert ihr Freund und Sammler Jim Glanzer die Fotografien.

Es sind keine hübschen Püppchen, keine Barbie-Schönheiten, sondern hässliche, groteske Puppen mit mürrischem oder schreiendem Gesichtsausdruck. Aus dem Ausland haben Freunde von ihren Reisen diese kleinen Monster mitgebracht, welche die Künstlerin fast liebevoll als „ugly babies" bezeichnet. Vor einem surreal anmutenden Bildhintergrund arrangiert, sitzen sie vor den Horrorklassikers von Edgar Allan Poe, vor den Büchern des amerikanischen Schriftstellers und Philosophen David Thoreau, der Ende des 19. Jahrhunderts wegen seines Essays „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat" inhaftiert wird. Vier Puppen sind mit transparenter Folie umwickelt. Zu zweit sind sie auf einem kleinen Felsen am Meeresstrand ausgesetzt. Eine andere Puppe hat sich an einem Holzbalken erhängt; eine weitere sitzt schreiend zwischen offiziellen Dokumenten. Eine Fotografie zeigt ihren Mann, der ein schreiendes „ugly baby" auf seiner Schulter trägt. Ist es Liu Xiaobos Alter Ego? Ist die Puppe eine Metapher, ein Symbol für alle chinesischen Regimekritiker und Bürgerrechtler?

Obwohl Liu Xia sich selbst als unpolitisch bezeichnet, spiegeln die Puppen mit ihren stummen Schreien und Gesten, ihrer Wut und Verzweiflung die politische Situation der Kunstschaffenden und Intellektuellen im China der späten Neunziger wieder. "Die Bilder drücken eine Sehnsucht aus, sie spiegeln etwas, was man in China nicht sagen darf", betont Museumschef Gereon.

Obwohl sie an den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens nicht teilgenommen und die "Charta 08" nicht unterzeichnet hat, sind ihre lyrischen Werke und ihre Fotokunst in China verboten. Liu Xia lebt heute isoliert in ihrer Wohnung, als Ehefrau von Liu Xiaobos steht sie sozusagen unter Sippenhaft. Dennoch gelingt es einigen westlichen Filmteams, darunter Arte, Amnesty International, Columbia University in the City of New York, sie zu interviewen. Die Interviews, welche in der Ausstellung zu sehen sind, zeigen eine zierliche, fast kahlgeschorene und kettenrauchende Frau. Sie habe es nie für möglich gehalten, dass sie wegen des Friedensnobelpreises ihres Mannes nicht mehr die Wohnung verlassen dürfe - bis auf einen monatlichen Gefängnisbesuch, erzählt sie. Selbst Kafka hätte nichts Absurderes schreiben können.
An den Repressalien der chinesischen Staatspolitik hat sich allerdings bis heute nichts geändert. Wie die Negative der Künstlerin in den Westen geschmuggelt worden sind, bleibt das Geheimnis der Museumsleitung und der Kuratoren.

Eines ihrer Puppen-Gedichte reflektiert die traurige Realität: „Wir leben mit den Puppen zusammen und sind von der Kraft der Stille umgeben. Mit der offenen Welt um uns herum kommunizieren wir mit Gesten."

Eine überaus sehenswerte, aber auch rätselhafte und beklemmende Ausstellung.
„Liu Xia. Eine Fotografin aus China" ist zu sehen bis zum 19. April 2015 im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, in 10963 Berlin.
Die Öffnungszeiten sind Mittwoch bis Montag von 10 –19 Uhr, Dienstag geschlossen.
www.berlinerfestspiele.de/gropiusbau

Video: On Exhibit: The Silent Strength of Artist Liu Xia (Columbia University New York) in engl. Sprache


Abbildungsnachweis:
Header: Liu Xia (Detail). © Jim Glanzer
Galerie:
01. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
02.-07. Fotografien ohne Titel von Liu Xia aus der „Ugly Babies“-Serie, 1996-1999. © Guy Sorman
08. Lia Yiwu

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.