Fotografie
Franco Fontana: Retrospektive. Foto: Claus Friede

Im deutschsprachigen Raum ist der italienische Fotograf Franco Fontana noch so gut wie unbekannt. In Fachkreisen aber gilt er als Pionier der Farbfotografie, der in den frühen sechziger Jahren eine neue fotografische Bildsprache geschaffen hat.

 

Der 1933 im norditalienischen Modena geborene und heute noch dort lebende Franco Fontana beschäftigte sich bereits in den 1950er Jahren mit dem Medium Fotografie, seine erste Ausstellungsteilnahme findet 1961 in Wien statt, seine erste Einzelausstellung folgt 1965 in Turin bei der Società Fotografica Subalpina. Zwar stellte Fontana in der sechziger Jahren in Wien, München, Köln und Berlin aus und veröffentlichte 1978 das Buch „Franco Fontana Skyline“, mit Texten des deutschen Fotohistorikers Helmut Gernsheim, doch danach gab es keine nennenswerte Ausstellung mehr von ihm bei uns.

 

Sein Werk wird noch bis Ende August 2025 im Museo dell’Ara Pacis in Rom in einer umfangreichen Retrospektive gezeigt.

 

Er ist ein Vorreiter der Farbfotografie. Seine radikale künstlerische Farbwahl, seine Reduktionen und die Klarheit seiner Formen verstoßen gegen den Trend der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie jener Zeit.

 

Unter Ausnutzung aller optischen und technischen Möglichkeiten der Fotografie (Bildausschnitt, reduzierte Tiefenschärfe, Überkopfaufnahmen usw.) schuf er abstrakte und minimalistische Bilder durch die Gegenüberstellung von leuchtenden Farben und Flächen mit starken Kontrasten.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die Farbfotografie Einzug in die Bereiche Werbung, Mode und Fotojournalismus, die bis Ende der fünfziger Jahre von der Schwarz-Weiß-Fotografie dominiert wurden. Trotz zahlreicher technischer Fortschritte, die darauf abzielten, so genannte „natürliche“ Farben zu erzielen, galt Farbe immer noch als eine unvollkommene, ja sogar vulgäre Art der Darstellung der Realität. Für Henri Cartier-Bresson war die Verwendung von Farbe lediglich eine berufliche Notwendigkeit, „ein Mittel zur Dokumentation“, nicht „ein künstlerischer Ausdruck“. Die französische Kunstkritikerin und Professorin Nathalie Boulouch postulierte sogar: „Die Farbfotografie drückt die Realität aus, die Schwarz-Weiß-Fotografie kommentiert sie.“

 

1962 kam es zu einem Durchbruch in der Museumswelt: Der Direktor des New Yorker MoMa, John Szarkowski (1925–2007), organisierte die erste Farbfotografie-Ausstellung, die dem Magnum-Fotografen Ernst Haas (1921–1986) gewidmet war. 1973 präsentierte der amerikanische Fotograf Stephen Shore in der Light Gallery in New York „American Surface“. 1976 wurde, ebenfalls im MoMa, eine Ausstellung von William Eggleston eröffnet, die von einem Buch mit dem Titel „William Eggleston's Guide“ begleitet wurde. Zwei Jahre später veröffentlichte Joel Meyerowitz „Cape Light“. In Frankreich gewann 1977 John Batho den Kodak Photography Critics Prize für seine Farbaufnahmen. Im Jahr 1978 veröffentlichte Franco Fontana in Italien und Frankreich „Skyline“ (Contrejour) und Kollege Luigi Ghirri (1943–1992) „Kodachrome", zwei bahnbrechende Bücher in der Geschichte der Farbfotografie. Im Ganzen markierten diese Fakten den Beginn der Anerkennung der Farbfotografie als echte künstlerische Ausdrucksform.

 

Im Jahr 1942 erfand der Amerikaner Edwin H. Land die Polaroidkamera, die 1947 auf den Markt kam. Aber erst mit dem Erscheinen des Modells SX70 im Jahr 1972 fand sie weite Verbreitung und wurde auch von Künstlern genutzt. Befreit von den Zwängen einer professionellen Dunkelkammer, produziert sie ein Sofortbild und stellt in der Geschichte der Fotografie eine narzisstische und intime Kunstform dar. Die Erotik spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber alle Manipulationen, die dieses neue Verfahren mit sich bringt und die direkt in das aufgezeichnete Überbleibsel eingreifen, lösen einen kreativen Impuls aus. Durch Kratzen, Kleben und Übertragen frönt Franco Fontana dieser „ungeduldigen Kunst“, die seinem Temperament entspricht. Er experimentiert mit Farben, deren Sättigung, Kontrast und Körnung er nutzt. Im Vergleich zum Kodak-Ektachrome sind die Bilder oft weicher und weniger scharf.

 

Die Ausstellung beginnt mit den frühen farbreduzierten urbanen Architektur- und Landschaftsaufnahmen der 1960er Jahre und einer beeindruckenden Weitwinkelaufnahme von Prag aus dem Jahr 1967. Das Motiv wurde im gleichen Jahr in der Frankfurter Allgemeinen veröffentlicht.

 

Franco Fontana 01 F Claus Friede

Ausstellungsansicht. Foto: Claus Friede

 

Die Retrospektive veranschaulicht die Metamorphosen eines reichhaltigen und einzigartigen Werks, das die Geschichte der Farbfotografie maßgeblich beeinflusst hat und Franco Fontana zu einem der einfallsreichsten und kreativsten Künstler seiner Generation macht.

Von 1979 bis 2008 unternahm Franco Fontana zahlreiche Reisen in die Vereinigten Staaten: „Während meiner Aufenthalte in Amerika“, schreibt er, „erkannte ich meine Vorstellung von Stadtlandschaft, fand, was bereits in mir steckte, und erntete, was ich vor langer Zeit gesät hatte". Obwohl Franco Fontana in diesen Bildern seine Suche nach einer kohärenten und gut konstruierten Komposition fortsetzt, hat er auch seltsame Straßenszenen in seine Stadtlandschaften eingebaut.

 

Passanten, oft Frauen, die von hinten fotografiert werden, scheinen sich in einer Kulisse zu bewegen, die wie eine Theaterkulisse wirken könnte. Licht und Schatten konkurrieren um den Raum, und die Farbe, die nicht mehr das wesentliche Element ist, verdunkelt sich. Die Individuen sind voneinander losgelöst.

 

Einfache grafische, farbige Flächen haben die gleiche Dichte wie ihre Schatten. Die metaphysische Atmosphäre finden wir auch in den Fotos des EUR Palazzo della Civiltà in Rom wieder. Gebäude und Strukturen spielen eine zentrale Rolle, und die geometrische Verteilung der Flächen, an die Fontana uns gewöhnt hat, verstärkt den Eindruck von Leere und Isolation. Aber es gibt keine Melancholie wie in den Gemälden von Edward Hopper, kein erzählerisches oder psychologisches Anliegen. Franco Fontanas hyperrealistische Stimmung schafft einen zutiefst persönlichen Stil, der mit den üblichen Mustern der Straßenfotografie bricht.

 

Franco Fontana 02 F Claus Friede

Ausstellungsansicht. Foto: Claus Friede

 

Die Ausstellung wird mit einer Reihe von Aufnahmen von Naturlandschaften fortgesetzt, die in den verschiedenen Schattierungen der vier Jahreszeiten eingefangen wurden: Meer, Schnee und grüne Ebenen, die in dem berühmten Bild „Apulien" 1978 gipfeln, das genau in zwei Blöcke mit lebhaften Farben unterteilt ist: das intensive Blau des Himmels und das leuchtende Gelb des Weizens. Über Landschaften sagt Fontana: „Wenn ich eine Landschaft fotografiere, ist es die Landschaft, die in mich eindringt, sie wird zu einem Selbstporträt, so dass auch ich zu einer ‚Landschaft‘ werde, um mich von meiner besten Seite zu zeigen.“

 

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Der Rundgang führt einer weiteren Anordnung von Fotografien, die die meisterhafte Studie des Meisters über den Schatten darstellen. Der Abschnitt beginnt mit einem Vintage aus Ralph Gibsons Serie „Contact": 1979 lud Ralph Gibson die einflussreichsten Fotografen seiner Zeit ein, eine ganze Rolle Schwarz-Weiß-Film für das Buch „Contact Theory" beizusteuern. Fontana nahm die Herausforderung an, wählte den Palazzo della Civiltà Italiana in EUR als Sujet und schuf unvergessliche Werke, die von einer metaphysischen Atmosphäre geprägt sind. Diese Werke leiten eine Reihe von seltenen Aufnahmen ein, die in Frankreich und Asien entstanden sind und Menschen in städtischen Kontexten wie Paris 1994 und Tokio 1983 zeigen.

 

Von 1982 bis 1987 taucht in Fontanas Fotografien ein Thema auf, das bei Malern und Fotografen dieser Zeit immer wieder zu finden ist: der Swimmingpool. Der britische Maler David Hockney machte ihn in den 1960er Jahren zu einem der Hauptthemen seiner Werke, und seine bekanntesten Gemälde wie „A Bigger Splash“ und „Pool with Two Figures“ feiern das Licht und die Farben Kaliforniens. Auch der amerikanische Maler Edward Hopper (1882–1967) setzte sich mit dem Thema auseinander, allerdings in einer eher melancholischen Stimmung.

Doch vor allem bei den Pionieren der Farbfotografie in den Vereinigten Staaten, insbesondere bei Joel Meyerowitz, finden diese Wasserräume eine besondere Resonanz. Joel Meyerowitz und Franco Fontana haben beide in derselben Zeit Ufer, Pools und Horizonte fotografiert, doch ihre Welten sind grundverschieden!

 

Die düsteren Rosa- und Mauvetöne von Joel Meyerowitz' Fotografien mit der Fachkamera finden ihr Echo in den leuchtenden und fröhlichen Farben von Franco Fontana, und den weiten Räumen Amerikas stehen die gekonnt vermenschlichten Landschaften des Mittelmeers gegenüber. Die oft imposante Architektur der Schwimmbäder in Cape Cod kontrastiert mit Fontanas bescheidenen Pools, aus denen sich Körperfragmente vor dem tiefblauen Hintergrund wie in einem surrealistischen Gemälde.

 

Franco Fontana 03 Piscina 1983 Franco Fontana

Franco Fontana, Piscina, 1983, Ektachrom. © Franco Fontana

 

Für Fontana ist das Schwimmbad vor allem eine Gelegenheit, die Schönheit der weiblichen Form in einer lebhaften Verherrlichung von Kurven und Rundungen zu verherrlichen. Diese diskrete Sinnlichkeit, die bereits in einigen seiner Landschaften zum Ausdruck kommt, findet ihren größten Ausdruck in der Verwendung der Polaroidkamera.

 

Autos, Autobahnen und der Asphalt von Gehwegen und Straßen nehmen in Franco Fontanas Werk einen breiten Raum ein. Ab 1971 fotografierte er auf seinen Reisen während der Fahrt, ohne in das Objektiv zu schauen. Mit einer langen Belichtungszeit hielt er die Ränder von Autobahnen fest und verdichtete eine Strecke von etwa fünfzig Metern zu einem einzigen Bild. Die Rolle, die er dem Zufall zuweist, erinnert an die Surrealisten. Das Ergebnis sind farbige Linien, die einen neuen Horizont zwischen dem Asphalt und der Landschaft bilden.

Wenig später war es der Asphalt selbst, der seine Aufmerksamkeit erregte. Von 1971 bis 2008 erforschte Franco Fontana in den Städten, die er durchquerte, mit einem Ansatz, der an die mit Graffiti bedeckten Wände von Brassaï erinnert, an die Zeichen und Grafiken, die manchmal unerwartet diese glänzende schwarze städtische Oberfläche bedecken. Durch sorgfältig gewählte Ausschnitte, die seinen Blick auf das lenken, was wir normalerweise nicht sehen, hat er Kompositionen mit verführerischen, leuchtenden und kontrastreichen Farben geschaffen.

 

Diese Themen kehren in seinem Werk immer wieder, ebenso wie das Auto, das oft halb unter einer Plane versteckt ist und an eine Christo-Skulptur erinnert.

 

Franco Fontana 04 F Claus Friede

Ausstellungsansicht. Foto: Claus Friede

 

Die Nähe zu den Ferrari-Werken, nicht weit von Modena entfernt, könnte diese Leidenschaft für Autos erklären. Aber für Fontana ist das nicht der Fall. Das Auto interessiert ihn nur durch seine Form und sein Design.

 

Im Jahr 2001 begibt sich Franco Fontana im Auftrag von Danilo Montecchi, dem Geschäftsführer der Transmec-Gruppe, auf die Route 66. Die während dieser zehntägigen Reise aufgenommenen Fotos sind in einem Buch mit einem Vorwort von Franco Vaccari und Michele Smargiassi und einem zusätzlichen Reisebericht des Schriftstellers Valerio Massimo Manfredi veröffentlicht worden.

 

Diese legendäre Straße, die über 3.600 km lang ist, Chicago mit Los Angeles verbindet und als erste asphaltierte Straße Amerikas durch acht Bundesstaaten führt, bot auch Edward Ruscha, Stephen Shore und Joel Meyerowitz die Möglichkeit, ihre Vision der amerikanischen Realität zwischen dem Fahrzeug und dem Volkstümlichen zu festigen!

Wie die amerikanischen Fotografen vor ihm entkommt auch Franco Fontana auf diesem Roadtrip nicht den Geistern der Vergangenheit und fängt die noch sichtbaren Spuren des amerikanischen Traums mit Humor ein. Seine weitreichende Vision offenbart auch hier seine Vorliebe für Primärfarben und seinen Fokus auf die Ungereimtheiten der Landschaft.

 

Die Idee der Pilgerschaft, des Reisens von Station zu Station nimmt Fontana ein Jahr später erneut auf und begeht den Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Nordspanien. 2002 münden die auf dem Weg gemachten Fotos in die Publikation „El Camino“.

Schließlich ist es die Via Appia im Jahr 2003, die seine Aufmerksamkeit erregt und diese Trilogie abschliesst. Diese fast 500 km lange Römerstraße, die Rom mit Capua, nördlich von Neapel, verband, ist die ursprüngliche Straße, die allen Straßen seit der Antike vorausgeht, einschließlich der Route 66. Sie verläuft entlang der tyrrhenischen Küste, durch Kampanien und die Basilikata und endet in Apulien. Dies war für Franco Fontana die Gelegenheit, die ihm vertrauten italienischen Landschaften, die sich durch sein gesamtes Werk ziehen, erneut zu entdecken und durch das Bild eine Beziehung zu einer reichen Vergangenheit an der Quelle der europäischen Zivilisation herzustellen.

 

2017 reiste Franco Fontana mit seiner Tochter Cristina und dem Filmregisseur Marco Benisi nach Kuba. Gemeinsam drehten sie ein Video, in dem die Farbe die Hauptrolle spielt. Auch dieses ist in der Ausstellung zu sehen sowie einige fotografische Aufnahmen von der frohen Farbigkeit der kubanischen Kleidung, Fassaden und bunten Autos.

 

Franco Fontana Interview Bücherwand F Claus Friede

Gabriele Accornero (links) im Gespräch mit Franco Fontana vor der Bücherwandtapete. Die Bücherwand steht im Arbeitszimmer von Fontana in Modena. Foto: Claus Friede

 

Fontana, der in seiner fotografischen Haltung sehr klassisch geblieben ist, verfolgte dennoch mit neugierigem und großem Interesse die technischen Fortschritte in der Fotografie. Er war und ist kein grundsätzlicher Ablehner von digitaler Technologie, sobald sie auf dem Markt erschien. Im Gegenteil, er fing in seiner eigenen Arbeit selbst an damit zu experimentieren. Einfügungen von Personen, Farbdifferenzierungen, Verstärkung von Kontrasten und Schatten lassen sich in den älteren Bildern aus anderen landschaftlichen und urbanen Zusammenhängen und seiner amerikanischen Metropolen in der Retrospektive wiederfinden.


Die Ausstellung zeigt umfangreich die Lebensleistung des über 90-jährigen italienischen Fotografen.


Franco Fontana: Retrospective

Zu sehen bis zum 31. August 2025 im Museo dell'Ara Pacis (Untergeschoss), Lungotevere in Augusta (Ecke Via Tomacelli) in 00100 Rom/Italien

Geöffnet, täglich 09:30–19:30 Uhr

 

Kuratiert von Jean-Luc Monterosso, dem Mitgründer und ehemaligen Direktor des Maison Européenne de la Photographie im Paris (1996–2018).

Die Ausstellung ist barrierefrei und mit einem Sonderprogramm für Seh- und Gehörbehindete ausgestattet.

 

Es ist eine Katalog in italienischer Sprache erschienen: Franco Fontana. Una Retrospettiva; 156 Seiten, ital. ISBN 9788869659812

Weitere Informationen (Museum, it.)

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