Bildende Kunst

Hell und aufgeklärt durch den Winter, trotz November-Blues und Corona-Pandemie: Das ist das Licht am Ende des Tunnels, das Katrin Bethges Leuchtkunstwerke dieser Tage in Kühlungsborn, direkt an der Ostseeküste gelegen, vom hohen Norden aus leuchtturmartig auf den Rest des Landes ausstrahlen.

So viel Energie und buntes „Lumen" könnte derzeit freilich der ganze Kontinent gut vertragen, aber lassen wir Europa und COVID-19 einmal beiseite und die Welt „Welt" sein. Denn unter dem Werktitel „enlighten" hat Katrin Bethge für die kalte Jahreszeit ein Gesamtpaket an Kunstprojekten geschnürt, zu dem die Stadt Kühlungsborn bis Monatsende einlädt und das uns einen höchst erfreulichen Blick auf unsere Umgebung und die Welt des künstlichen sowie künstlerisch „bewegten Lichts" eröffnet.

 

Tauchen wir in die Lichterzählungen der in Hamburg lebenden Künstlerin, dort an der Staatsoper Hamburg ausgebildeten Theatermalerin und studierten Illustratorin (HAW Hamburg) Katrin Bethge ein, die seit Ende der 1990-iger Jahre Innen- und Außenräume mit Licht inszeniert. Für das Ostseebad Kühlungsborn hat Katrin Bethge erstmalig und speziell für den Herbst 2020 mehrere Lichtinstallationen an vier Standorten vorgesehen: im Innenraum der Kunsthalle Kühlungsborn, wenige Schritte vom westlichen Ende der Strandpromenade entfernt, dann dieser weiter nach Osten folgend die Fassade und aus dem Innenraum der dortigen Villa Baltic leuchtend und den Konzertgarten Ost sowie den Ostsee-Grenzturm e.V. samt Museum, kurz vor dem Bootshafen Kühlungsborn, bespielend. Hatte der Direktor der Kunsthalle Franz N. Kröger noch vor wenigen Tagen auf der Vernissage von „enlighten" die Laufzeit von Bethges Innenraum-Installation bis zum 29. November angekündigt, so ist seit voriger Woche schon wieder alles anders.

 

Da seit Montag, den 2. November die Museen hierzulande zwar schließen – also im wörtlichen Sinn: das „Light" löschen müssen –, aber Licht, Wasser und das Internet ja bekanntlich durch alle Ritzen dringen, zeigt Kultur-Port.De bereits jetzt visuelle Impressionen aus Bethges breit angelegten „enlighten"-Projekt: angefangen bei der soeben erst vor Ort eingeweihten und bis auf Weiteres nur viral begehbaren Kunsthallen-Installation aus Projektionen, Spiegelungen und Reflexionen. Integraler Teil dieses visuellen Lichterwerks von Katrin Bethge (Kunstinstallation) ist eine akustische Komposition des Bassisten und Klangkünstlers John Eckhardt (Klanginstallation), die auf einem ausgeklügelten Setup aus E-Bass und Live-Elektronik basiert.

 

Um diese belebende Tonspur herzustellen, tastet Eckhardt zunächst die zu beschallenden Räume auf ihre akustischen Eigenschaften ab und kreiert auf der Grundlage dieser Erkundung – wie er sagt – „ortsspezifische, atmosphärische Ambient-Kompositionen", die er durch eigens in der Bucht vor Kühlungsborn aufgenommene Unterwasser-Tonaufnahmen ergänzt habe. Sie erzählen eine ganz eigene Geschichte, die mal das analoge Material der Lichteffekte, mit denen Katrin Bethge arbeitet, in ihrer Wirkung unterstützt, und mal die Lichtinstallation mit dem eigenen elektronischen Tonmaterial gegendiskursiv konfrontiert. Diese zwei kontrastiven Raumerfahrungen und -auslotungen wirken in der Kühlungsborner Kunsthalle direkt auf den Zuschauer ein. Die gleichzeitig harmonisch miteinander im Einklang stehenden Synergien und durch Divergenzen erzeugten Irritationen zwischen Bilder- und Klangwelten machen das licht- und tonbeflutete Gemeinschaftswerk der beiden Künstler dabei zu einer intellektuell stimulierenden, sich gegenseitig befruchtenden, durchaus auch spielerischen Herausforderung und reziproken Bereicherung. Auf der rezeptiven Metaebene des Betrachters entfaltet sich ein hybrider, raffiniert oszillierender, zwischen Bild- und Tonsphäre angesiedelter intermedialer Dialog: hier harmonisierend meditativ und friedfertig, dort ringend, rangelnd oder miteinander kollidierend. Kurzum: Die „enlighten"-Installation zu vier Händen entfacht eine konstruktive Auseinandersetzung fast wie im richtigen Leben.

 

Während Bethges visuellem Indoor-Reigen aus tanzenden Hell-Dunkel-Kontrasten, die sich weich an die vier Kunsthallen-Wände, die Decke und den Boden schmiegen, aus bewegter Farbintensität, sich im Raum drehenden transparenten Scheiben, blitzartig aufleuchtenden und sanft reflektierenden Spiegeln – produziert durch den versteckten Einsatz von in Zeiten digitaler Elektronik altmodisch wirkenden Overhead-Projektoren – ein gemäßigter Retro-Charme anhaftet, findet in Eckhardts Klangwerk der nur wenige Meter entfernt liegende Ostseestrand ein Echo. In ihm hallen, wie der Kurator von „enlighten", Claus Friede, in seiner Eröffnungsrede poetisch anmerkt, „der Puls der sich brechenden Wellen stets wie ein fernes Atmen" wider. In das „untergründig rauschende, quasi flüssige" Tonelement mischen sich akustische Assoziationen zu einem „DDR-Patrouillenboot" oder subtil bedrohliche Reminiszenzen von „untertauchenden Flüchtenden (...) an diesem Ort, wo heute Touristen flanieren, (...) Gefühle von Weite" entstehen, aber auch Beklemmung mitschwingt, hier, am ehemaligen „Schauplatz von Grenzkontrolle". Unmissverständlich drängt sich dem Zuschauer durch das Aufrufen deutscher Spaltung und Einheit, alter und neuer Grenzen die Doppeldeutigkeit des Werktitels „enlighten" auf: Bethges und Eckhardts Kunst will sowohl „erhellen" als auch (über den Ort, dessen Geschichte, kulturelle und soziopolitische Bedeutung) „aufklären".

 

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Wie die Licht- und Klanginstallation des Künstlerduos Bethge/Eckhardt in der Kunsthalle von Kühlungsborn, so thematisieren auch die weiteren hier von Katrin Bethge im Außenraum geplanten Solo-Kunstwerke den jeweiligen Standort, die lokale Architektur und die global eingebettete, erinnerungswürdige Geschichte der Umgebung (Villa Baltic, Konzertgarten Ost sowie Museum Ostsee-Grenzturm). Am Wochenende zum 1. Advent – 27. bis 29. November – sollen im öffentlichen Raum des Ostseebades abends, wenn es dunkel wird, zusätzlich drei Lichterzählungen von Bethge erstrahlen, die sie auf jeweils unterschiedliche Weise den lokalen Gegebenheiten angepasst hat. Das Publikum kann die einzelnen Orte des Kunstgeschehens dann entlang der Strandpromenade auf einer Strecke von ca. 1,8 km abwandern, aufsuchen und dabei sinnlich erfahren, wie Bethges Installationen einzelne für die Stadt bedeutsame Stellen herausheben, akzentuieren und in einem neuen Licht erscheinen lassen.

In einem Kunst-Crescendo stellt „enlighten“ im Rahmen einer Kooperation der Tourismus, Freizeit & Kultur GmbH Kühlungsborn und der Kunsthalle Kühlungsborn den Auftakt zu einer künftig jährlich wiederkehrenden Lichtkunstveranstaltung dar, die der norddeutschen Küstenstadt Kühlungsborn, gerade in der dunklen Jahreszeit, ein weiteres kulturelles Highlight hinzufügt. Es ist den Veranstaltern hoch anzurechnen, dass sie trotz erschwerter Umstände ihr Vorhaben im Rahmen des derzeit Möglichen unbeirrt realisieren und somit der Startschuss zu „enlighten" wie geplant fallen konnte. Das Projekt entsendet sowohl physisch vor Ort, als auch symbolisch über die mecklenburgische Landesgrenze hinaus die Botschaft, dass Kultur überlebenswichtig ist, Licht in unser Leben bringt und sich im zweifachen Sinn rational erhellend und emotional aufhellend auswirkt, gerade auch in der dunkleren Jahreszeit und Corona-bedingt beschwerten Zeit.

 

Doch nicht nur für potentielle Besucherströme und Freunde zeitgenössischer Kunst, auch für die arg gebeutelte Kunst- und Kulturbranche im „Land der Dichter und Denker" ist „enlighten" ein unerwartet leuchtendes Zeichen der Ermutigung. Gefragt, wie Katrin Bethge ihre Lichtspuren in der Kunsthalle technisch erzeuge, enthüllt die Künstlerin einen Trick: Wie in einem Kaleidoskop ergeben sich durch Spiegel und teilweise bedruckte Acrylglasscheiben an den Wänden und auf dem Boden der Halle prismatische Brechungen, Verzerrungen im Raum, Schichtungen und Schatten, wobei winzig kleine Gegenstände in der Projektion zu riesigen Umrissen mutieren. Auch Textfragmente, mit denen Bethge arbeitet, kann der Zuschauer entziffern, bevor sie sich langsam hinwegbewegen, bis sie ganz verschwinden, um dann erneut als Spiegelung wiederaufzutauchen.

 

Bethges Installationen möchten Orte nicht nur beschaulich-meditativ lichtbefluten, sondern sie wollen sie regelrecht organisch durchdringen, neue Zusammenhänge herstellen, entdecken und sichtbar werden lassen. Ihre künstlerischen Narrative vom Entstehen und Vergehen nähren unsere Seelen. Davon lebt die Kunst, sicher, doch in Corona-Zeiten wird uns dieses Bedürfnis durch deren Wegfall nicht nur schmerzlich bewusst, sondern die Wiederauferstehung einzelner Manifestationen der Kunst tun schlicht und ergreifend unendlich – und in Bethges Fall auch noch sehr lichtstark – gut.


Katrin Bethge: enlighten

Klanginstallation: John Eckhardt
Zu sehen in der
Kunsthalle Kühlungsborn, Ostseeallee 48, 18225 Kühlungsborn
vom 25.10. bis 29.11.2020, Öffnungszeiten: zurzeit auf Grund der Corona-Pandemie geschlossen

 

Villa Baltic, Konzertgarten Ost, Ostsee-Grenzturm, 27.11. – 29.11., zu sehen Fr. und Sa. 17 bis 22 Uhr, So. 17 bis 21 Uhr

Ein Projekt der Tourismus, Freizeit & Kultur GmbH Kühlungsborn in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Kühlungsborn

 

Kuratiert von Claus Friede*Contemporary Arts Hamburg
Künstlerische Mitarbeit: Maj-Lene Tylkowski

 

- Homepage Kunsthalle Kühlungsborn
- Homepage der Künstlerin Katrin Bethge
- Homepage von John Eckhardt
- Informationen zum Ostsee-Grenzturm Kühlungsborn, Grenzturm e.V.

Vimeo-Vdeo:

ENLIGHTEN - katrin bethge (light) & john eckhardt (sound) (10:27)

Lesen Sie über Katrin Bethge auch:
- Die Zauberflöte: White-Wall-Oper am Nationaltheater Mannheim
- Katrin Bethge: Lichtdurchflutet

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