Anlässlich seines 150sten Geburtstages wird in einer textlastigen Ausstellung das Verhältnis Thomas Manns zur Politik dargestellt.
Thomas Mann, im Sommer 1875 als zweiter Sohn eines wohlhabenden Lübecker Senators zur Welt gekommen, starb 80 Jahre später in Zürich als ein glühender Demokrat, nachdem er sich noch bis zum Ende des 1. Weltkrieges gegen die Demokratie gestellt hatte.
Nicht wenige wären selbst zur Zeit der Weimarer Republik überrascht gewesen, wie entschieden er sich nur wenige Jahre später als Gegner des Nationalsozialismus positionieren, ja als Aktivist betätigen sollte. Die Geschichte seiner Wandlung vom dünkelhaften Erfolgsautor zum Repräsentanten eines besseren Deutschlands erzählt die Ausstellung in den Räumen des Lübecker St. Annen-Museums. Titelgebend ist dabei eine Rede Thomas Manns, 1950 gehalten in Chicago.
In sechs Räumen werden ebenso viele Kapitel aufgeschlagen. Im ersten, „Gleichheit“ überschrieben, erleben wir Kindheit und Jugend eines Lübecker Patriziersohnes in einigen Fotos und in vielen, nicht zu kurzen Texten, die die Wände hinauf- und hinunterlaufen. Dargestellt wird die Welt der „Buddenbrooks“, die uns ein sehr junger Autor in unnachahmlich realistischer Weise vor Augen stellt. Aber so gelungen und lebendig diese Schilderungen auch sind – vielleicht noch eher wird in dem Kapitel des „Zauberberg“, das dem Verhältnis des Kindes Hans Castorp zu seinem Großvater gewidmet ist, die Atmosphäre dieser Epoche und das privilegierte Leben von Kaufmannssöhnen eingefangen. Besonders berührend ist es, wie in der Abgeschiedenheit und Stille eines Nebenraumes dem Kind Erinnerungsstücke vorgestellt werden, nach denen es den alten Mann fragt.
Sogar in dem bedeutend größeren Hamburg, aber noch viel mehr in Lübeck erscheint eine kleine und überschaubare Welt mit großen Standesunterschieden. Und die Gebrüder Mann – Heinrich Mann, der ältere, taucht leider kaum in dieser Ausstellung auf – standen mehr oder weniger an der Spitze einer kleinstädtischen Gesellschaft. Kein Wunder, dass sie sich schon deshalb als Teil einer Elite fühlten! Die Nietzsche-Lektüre tat dann ein Übriges und prägte ihre frühen Bücher. Noch der späte Thomas Mann sollte seine „Sechzehn Versuche zum Problem der Humanität“ unter dem Titel „Adel des Geistes“ zusammenfassen – eine Überschrift, für die sich heute kaum ein Autor erwärmen könnte.
Bis zum Ende seines Lebens sollte sich Thomas Mann zur Elite zählen, und das mit Recht. Aber dieses Recht gründete nicht in seiner exorbitanten Begabung, sondern in der Strenge, mit der es Thomas Mann zwang, sich seinen Ansprüchen zu beugen; oder in der Konsequenz, mit der er freiwillig diesen Verpflichtungen nachkam. Er durfte sich als Repräsentant Deutschlands fühlen, weil er sich niemals gehen ließ und bis ins hohe Alter niemals ruhte, als Autor großer Romane wie als Vortragsredner. Wer die „Entstehung des Doktor Faustus“ liest, ist erschüttert über die Vielfalt der Verpflichtungen, denen ein nicht mehr gesunder Endsechziger nachkam. Die Steifheit seines Auftretens – selbst in seiner Freizeit, in weißer Leinenhose und weißem Pullunder – spiegelt dieses Anspruchsdenken. Wohlgemerkt, es geht um einen Anspruch an sich selbst. Wenn wir von den Bildern seiner Kindheit absehen, zeigen die vielen Fotos wieder und wieder einen Menschen, der repräsentierte und niemals vergaß, dass sich viele Augen auf ihn richteten. Thomas Mann ließ sich niemals gehen.
Die beiden nächsten Räume sind mit „Freiheit“ und „Würde des Einzelnen“ überschrieben und thematisieren die Weimarer Republik und deren kulturellen, politischen und humanen Niedergang – unter anderem, indem auf die längere Erzählung „Mario und der Zauberer“ eingegangen wird. In ihr schildert Thomas Mann die von ihm als bedrückend empfundene Atmosphäre eines italienischen Seebades und die spektakuläre Ermordung eines bereits physisch, mehr aber noch moralisch als abstoßend gezeichneten Hypnotiseurs, des Cavaliere Cipolla, der zuvor einen Kellner der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.
Sehr gern – und wohl auch nicht ganz zu Unrecht – wird der Vorgang auf der Bühne als Vorahnung des aufziehenden italienischen Faschismus gelesen, als die Demonstration von Macht eines skrupellosen Demagogen. „Und er streckte Arm und flache Hand aus seiner schiefen Schulter zum römischen Gruß schräg nach oben.“ Diese Erinnerung an den Gruß der Gefolgsleute Mussolinis, vom Hypnotiseur erzwungen, erscheint aber erst uns Spätgeborenen als das Wesentliche. Viel schwerer wiegt der Verrat an der Humanität durch den Demagogen, der in aller Öffentlichkeit einen Menschen in ein willenloses Werkzeug verwandelt. Vielleicht sollte man im Zusammenhang mit dieser Erzählung doch eher an gewisse Sendungen im Fernsehen denken?
Ausstellungsansicht „Meine Zeit" Buddenbrookhaus Foto: © Leevke Draack
Die beiden nächsten Kapitel sind den Themen „Pressefreiheit“ und „Freie und geheime Wahlen“ gewidmet, bis es schließlich um die „Meinungsfreiheit“ geht. Besonders hier wäre es angebracht gewesen, auf Heinrich Mann einzugehen – auf ihn als politisch wachen, sich zur Demokratie bekennenden Essayisten, aber auch als den Präsidenten der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, aus der er sich dann aber 1933 hinausgeworfen sah. Heinrich Mann, in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ als „Zivilisationsliterat“ gescholten, war viel früher als sein jüngerer Bruder ein bekennender Republikaner. Seine Irrtümer kamen später – die Blindheit dieses sonst so klugen Mannes gegenüber den Verbrechen des Stalinismus erschrickt bis heute.
Die Ausstellung überzeugt mit dem Versuch, die Thematik auf verschiedenen Ebenen und mit einer Vielfalt von Mitteln darzustellen: mit einer Graphic Novel, die wichtige Stellen seiner Romane in bedauerlich versimpelter Form wiedergibt, mit Musik – natürlich von Wagner –, mit sehr vielen stark vergrößerten Fotos und endlich mit einer unüberschaubar großen Zahl von nicht immer kurzen Texten. Wer sich nicht die Fundorte notiert, um sie zu Hause oder in der Bibliothek zu lesen, wird sie also im Stehen studieren müssen. Auch wird es für manchen reizvoll sein, sich an der Handschrift Thomas Manns zu versuchen, denn verschiedene seiner Briefe finden sich unter Glas – mit maschinenschriftlichem Text daneben. Und schließlich: Wie man das heute gerne macht, werden Besucher zu Aktivitäten aufgefordert. In diesem Fall liegen Papier und Stift bereit, zum Beispiel damit wir notieren können, was wir unter Freiheit verstehen.
Thomas Mann ist ein Pfund, mit dem zu wuchern wir der Stadt Lübeck nicht vorwerfen wollen. Die Zahl der Aktivitäten zu diesem Thema ist eben jetzt unüberschaubar – sogar der Bundespräsident kommt vorbei (er befindet sich, da ich diese Zeilen schreibe, wohl gerade im Anmarsch), und es wird auch wieder viel von „Lübeck als geistiger Lebensform“ die Rede sein. Nun, darüber mag jeder denken, wie er will.
Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie
Zu sehen bis zum 18. Januar 2026. Eine Ausstellung des Buddenbrookhaus in der Kunsthalle St. Annen, St. Annen-Str. 15, in 23552 Lübeck
- Weitere Informationen (Aussstellung)
- Weitere Informationen (Buddenbrookhaus)
- Weitere Informationen im Deutschlandfunk: Lange Nacht über Thomas Mann
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