Kultur, Geschichte & Management
Guenter Grass Mein Fußballjahrhundert

Günter Grass war ein Doppeltalent, ein bekannter Autor, der nicht nur schreiben, sondern auch ziemlich gut zeichnen und malen konnte und beides nur zu gerne tat.
Die Sonderausstellungen im Günter Grass-Haus in Lübeck sind folgerichtig Doppelbegabungen gleich ihm gewidmet – normalerweise. In diesem Jahr allerdings nicht, denn es geht hauptsächlich um Fußball und nur beiläufig um Dichtung und Kunst.

Aber natürlich geht es um Fußball nur mit Blick auf Grass, der dem Besucher als hartgesottener Fan mit Schal und Mütze vorgestellt wird, dem die „Sportschau“ am Sonnabend heilig war. Immerhin war er ein Fan der richtigen Vereine, also nicht etwa von Bayern München, sondern vom SC Freiburg, FC St. Pauli oder dem VfB Lübeck, zu dessen Pokalspiel gegen die Freiburger der berühmte Dichter persönlich erschien, um sich mit den Trainern fotografieren zu lassen. Und mit VfB-Schal.

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Die Frage, warum man überhaupt Fußball-Fan ist, wird in dieser Ausstellung an keiner Stelle angesprochen. Offenbar wird die Identifikation mit einem Verein als normal angesehen, ja, es scheint, dass man sich sogar eine gute Erklärung für sein Desinteresse einfallen lassen muss. Dass jemand selbst gerne Fußball spielt, kann ich gut verstehen, aber warum soll ich mich freuen, wenn andere gewinnen, oder traurig, wenn sie absteigen? Warum verbringt man Stunden vor dem Fernseher? Oder fährt gar seiner Mannschaft durch die Republik hinterher?

Die Leidenschaft eines Menschen von öffentlichem Interesse für den Fußball ist die eine Seite der Ausstellung; die andere sind die Ausblicke auf die Kultur- und Sittengeschichte. Zweifellos soll dazu auch das Fußballtor gehören, durch dessen zerschnittenes Netz man hindurchgehen muss, wenn man den Hof durchquert, und mit dem diese Ausstellung schon seit einiger Zeit beworben wird. Dieses Tor hat eine weite Reise hinter sich, denn zuvor stand es in dem legendären Stadion Maracanã in Rio de Janeiro und war Zeuge des 7 : 1 der Deutschen gegen die Brasilianer. Nach dem Sommer wird es in das Dortmunder Fußballmuseum überführt, mit dem das Grass-Haus bei dieser Ausstellung kooperiert.

Schenkt auch nur ein einziger Besucher der Ausstellung dem Tor eine besondere Beachtung? Und warum sollte er überhaupt? Schließlich unterscheidet es sich in nichts von den Toren, auf die Bezirksligakicker schießen. So hätte man wohl auch ganz gut auf seine Herbeischaffung verzichten können, um ein wenig Geld für die eigentliche Ausstellung zu sparen. Und vielleicht waren die Kuratoren ja wirklich so schlau, irgendeinem Vorstadtverein ein neues Tor zu spendieren und sein altes im Hof aufzustellen, um es für das Wundertor von Maracanã auszugeben?

Das Manko der Ausstellung besteht darin, dass der Raum auch nicht im Entferntesten groß genug ist für die Vielfalt der Objekte, Texte und Bildschirme, mit denen dem Besucher die bunte Welt des Fußballs nahegebracht werden soll. Zwischen den einzelnen Ausstellungsstücken ist kaum noch Platz! Ein zweiter Mangel besteht in dem konsequenten Verzicht auf jeden kritischen Blick – dass Sport überhaupt, dass ganz besonders aber der Fußball eine viel zu große Rolle hier wie andernorts spielen könnte, dieser Gedanke wird nicht einmal erwogen.

In Grass‘ „Mein Jahrhundert“ finden sich drei Kapitel, in denen der Fußball eine wichtige Rolle spielt, und diese Kapitel geben den roten Faden für die Ausstellung ab. Das erste Datum ist das Jahr 1903, in dem der Deutsche Fußballbund gegründet wurde, das zweite – natürlich! – 1954 mit der ersten Fußballweltmeisterschaft, die Deutschland gewinnen konnte (das „Wunder von Bern“); das dritte endlich ist 1974, allerdings nicht mit dem Endspiel gegen die Niederlande, sondern mit dem Spiel „Deutschland gegen die DDR“, wie es damals politisch korrekt hieß. Deutschland verlor… 1974 geschah aber noch etwas anderes, das für einen Unterstützer und Freund Willy Brandts viel wichtiger sein musste: Günter Guillaume wurde enttarnt, und daraufhin mussten eigentümlicherweise nicht die Schuldigen in Innenministerium und Spionageabwehr zurücktreten, sondern der Ausspionierte, den sie alleingelassen hatten. Ein Aquarell zeigt, wie Guillaume im Knast das Spiel der beiden deutschen Mannschaften anschaut.

Es ist ein einziger Raum, in dem sich alles drängt. Seine vier Wände sind vier Themen gewidmet. Gleich rechts kommt der Frauenfußball in den Blick. Einmal, lernt der Besucher, war dieser vom DFB sogar verboten, wurde aber rechtzeitig wieder erlaubt, so rechtzeitig, dass die Damenmannschaft sogleich etliche Titel abgreifen konnte. Zweifellos spricht es für Grass, dass er so oder so schon früh zu den Anhängern des Frauenfußballs gehörte. Die Ausstellung präsentiert unter anderem ein Kaffeeservice, mit denen die Damen für den Gewinn eines internationalen Titels überreich belohnt wurden – die Herren zogen unverständlicherweise Geldscheine vor, die aneinandergereiht eine recht erfreuliche Summe mit etlichen Nullen ergaben.

An der nächsten Wand – wir gehen gegen den Uhrzeigersinn – finden sich ziemlich gelungene Gedichte von Grass zum Thema Fußball. Gegenüber dem Eingang darf man sich die Liste der in den Westen gewechselten Ostspieler anschauen, an ihrer Spitze Thomas Doll und Matthias Sammer, deren Fortgang der von Grass bedauerte Niedergang der Ostvereine folgte. Die letzte Wand schließlich thematisiert die Beziehung des Autors zum SC Freiburg; sogar ein leuchtend rotes Trikot mit seinem Namen und der Nummer „99“ (Stammspieler scheint er also nicht geworden zu sein) baumelt von der Decke. Dokumentiert wird noch dazu ein besonders wichtiges Fußballspiel in Wewelsfleeth, zu dem sich Grass sen. von dem damals elfjährigen Grass jun. überreden ließ.

Vielleicht am interessantesten ist die Vorstellung der beiden großen Stars der Fußballweltmeisterschaft 1954, Ferenc Puskàs und Fritz Walter. Wer weiß schon, dass der ungarische Weltenbummler mit der linken Klebe nicht nur Fußball spielen, sondern auch ungarisch kochen konnte? In Madrid gründete er eine Fabrik für Salchichas (spanische Würstchen, aber wohl nach einem Rezept seiner Heimat), und vielleicht war er deshalb das Vorbild für einen ebenfalls fußballerisch aktiven Würstchenfabrikanten, dessen 74er Trikot unter Glas ausgestellt ist und der vor einigen Jahren mit seinen Abenteuern an der Börse für Aufsehen sorgte. Zusammen mit einigem interessanten „Titteltattel“ wie alten Fußballschuhen, Wimpeln oder korrigierten Manuskriptblättern des Meisters wirft es einen unterhaltsamen Blick auf die bunte Welt des Fußballs. Nur kritisch ist dieser Blick leider nie.

Günter Grass: Mein Fußballjahrhundert

Zu sehen bis 30. August 2020 im Günter Grass-Haus, Glockengießerstraße 21, 23553 Lübeck
Geöffnet: Dienstag – Sonntag, 10 - 17 Uhr (bis 30.4.2020 sind vorläufig alle Kultureinrichtungen in Lübeck geschlossen).
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis: © Lübecker Museen
Header: Fußballfan Günter Grass. Franka Frey
Galerie:
01. WM-Ball, 1954
02. Zeitungsartikel Grass als Fußballer
03. Aquarell zum Kapitel 1903 aus "Mein Jahrhundert" (Günter Grass)
04. Fußballschuhe von Fritz Szepan und Fußballmeisterschaftsticket aus dem Jahr 1903
05. Trillerpfeife aus dem Jahr 1974
06. Trikots der DDR (Kreische) und der BRD (Hoeneß) aus dem Jahr 1974
07. Blick in die Ausstellung. Foto: Margret Witzke

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