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In seinem bildgewaltigen Polit-Thriller schildert Thomas Vinterberg jene Katastrophe, die zur Jahrhundertwende die Welt neun Tage lang in Atem hielt. Das U-Boot K-141 Kursk, Stolz der russischen Marine, sinkt nach der Explosion eines Torpedos schwer beschädigt. Aus Angst vor Imageverlust und Spionage verweigert die Regierung lange jede internationale Hilfe. Und so überlebt am Ende keiner der 118-Mann-Besatzung. 71 Kinder verlieren ihren Vater.
„Kursk” lässt uns nicht mehr los, der Zorn, die Trauer, das Gefühl von Ohnmacht bleibt. Der Film des dänischen Regisseurs ist mehr als ein spannungsgeladenes Survival-Epos, es ist ein subtiles universelles Drama über Solidarität, Mut, Freundschaft und Liebe über den Tod hinaus. Vielleicht begreifen wir hier zum ersten Mal die eigentliche Message des Heavy-Metal-Songs „Enter Sandman”.

Wie Michael Ciminos legendärer Antikriegsfilm „The Deer Hunter” (1978) beginnt auch „Kursk” mit den Vorbereitungen zu einer Hochzeit. Mikhail Averin (Matthias Schoenaerts), der kommandierende Offizier des U-Boots und seine Besatzung haben wieder einmal keinen Sold erhalten, aber Pavel (Matthias Schweighöfer) darf seine Braut nicht enttäuschen, Schampus und Wodka muss sein. Und so trennt sich Mikhail von seiner eigentlich unentbehrlichen Taucheruhr, damit es der schönste Tag im Leben seines besten Freundes wird, die anderen Männer folgen dem Beispiel, wie sie es meist tun. Die Marinesoldaten sind eine verschworene Gemeinschaft, doch ihr Feind ist die Zeit, „Niemand hat eine Ewigkeit” lautet der Untertitel des Films. Mit jener Taucheruhr in der Hand hat der achtjährige Misha (Artemiy Spiridonov) noch am Abend zuvor in der Badewanne unter Wasser seinen eigenen Rekord im Luft Anhalten gebrochen. Ins Bett gehen will er noch nicht, feilscht um jede Minute, Mikhail ist mehr Komplize als gestrenger Vater, seine schwangere Frau Tanya (grandios Léa Seydoux) duldet es lächelnd, ein Heim ohne jeden Luxus aber voller Wärme und Zärtlichkeit. In amerikanischen Blockbustern könnte dergleichen kitschig wirken, nicht bei Vinterberg. Sieht man den Film ein zweites Mal, lassen sich Tränen nur schwer zurückhalten, im Rückblick ist jeder dieser Momente unendlich kostbar.

Die K-141 Kursk liegt noch im Hafen, als wäre es ein friedlich schlummerndes gigantisches Ungeheuer. Der mit Marschflugkörpern bestückte Atom-U-Boot Typ 949 A hat den NATO-Code: Oscar-II-Klasse. Es ist das erste große Manöver der Nordflotte seit Ende der Sowjetunion. Der Abschied fällt den Männern schwer, doch spürt man, dies ist ihre Welt, eine besondere Herausforderung, nur die Besten werden ausgewählt. Es ist nicht der naiv jubelnde Patriotismus der drei jungen Stahlarbeiter in „The Deer Hunter”, die sich freiwillig zum Einsatz in Vietnam gemeldet haben, aber jene selbstverständliche altruistische Loyalität dem Staat gegenüber. Der Regisseur wechselt von nun an zwischen den Erzählebenen und vom quadratischen Ratio-Format zur Wide-Screen. Mischa und seine Freunde klettern einen Hügel hinauf, in der Ferne sehen sie den 150 Meter langen grauen Koloss verschwinden, plötzlich winzig wie ein Spielzeug. Die steile Küstenlandschaft erinnert an Vinterbergs Roman-Verfilmung „Am grünen Rand der Welt” (2015), in der Matthias Schoenhardt die Hauptrolle spielte. Von ihm kam auch die Bitte an den Filmemacher, Robert Rodats Drehbuch zu lesen, das Script basiert auf dem akribisch recherchierten Bestseller „A Time to Die” des US-Journalisten Roger Moore.

Mit Besorgnis verfolgen Mikhail und Pavel die steigenden Temperaturen des Testtorpedos. Er entwickelt zu viel Hitze. Die Männer wissen um die Gefahr, einzige Möglichkeit, ihn sofort abzufeuern. Der Befehl ist unmissverständlich, das Zeitfenster soll eingehalten werden. Jener ranghöhere Vorgesetze gab sich am Abend der Hochzeit noch jovial und launig, trank von allen am meisten, bis er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er ist keinem Argument zugänglich. So kommt es am zweiten Tag unter Wasser zur Katastrophe. Zwei Explosionen erschüttern das U-Boot, zerstören große Teile, es sinkt auf den Meeresboden des Barentssees. Wir erinnern es als riesigen Feuerball. Von 118 Mann überleben nur 23. Ihnen gelingt unter Führung von Mikhail, sich vor den hereinbrechenden Wassermassen im hinteren abgeschotteten Teil der Kursk zu verbarrikadieren. Ohne jegliche Möglichkeit der Kommunikation können sie nur auf Hilfe hoffen. Doch die unterfinanzierte russische Marine besitzt kein funktionsfähiges Boot zur Bergung. Das einzig in Frage kommende Rettungs-Tauchboot, wurde verscherbelt an die USA und befördert nun Touristen zur Titanic. Commodore David Russel (Colin Firth, ) bei der British Royal Navy verfügt über Taucher und notwendige Ausrüstung, er beschwört die Zuständigen, seine Unterstützung anzunehmen. Die Antwort: „Falls wir Hilfe brauchen, lassen wir es sie wissen”. Es fühlt sich an, als wäre man noch mitten im Kalten Krieg.

Wertvolle Zeit verstreicht, bis sich die russische Marine überhaupt das Unglück eingesteht, man bastelt an Verschwörungstheorien, die der Öffentlichkeit als Fakten vermittelt werden. An Bord der Kursk ist Mikhail, der Stratege, der Couragierte, der seinen Leuten immer Mut macht, die Verzweifelten beruhigt, plant, versucht technische Lösungen zu entwickeln, während der Sauerstoff ausgeht, denn die notwendigen Patronen lagern im überfluteten Teil des Schiffs. Draußen an Land ist seine Frau Tanya die Wortführerin, die Mutige, Leidenschaftliche, Unerschrockene, den kleinen Sohn immer an der Hand. Sie lässt sich nicht von den Bürokraten abwimmeln, begehrt auf, mobilisiert Bevölkerung und Journalisten. Sie und die anderen Frauen wollen wissen, was ihren Männern zugestoßen ist, leben sie noch, haben sie ausreichend Sauerstoff? Und warum geht die Regierung nicht auf die Hilfsangeboten der Nato-Ländern nicht ein? Die Rangältesten haben lediglich neue Lügenmärchen parat, auf der Presse-Konferenz will der Admiral nur über die ruhmreiche Historie der Marine referieren, Tanya fällt ihm wütend ins Wort, sie ist der kaltherzigen überheblichen Phrasen überdrüssig und der Zuschauer auch. Aber in Regierungskreisen fürchtet man die Einmischung von außen, hat Angst um angeblich hochsensible Forschungsergebnisse, sorgt sich in erster Linie wohl um die eigene Reputation. Ein Name fällt nicht: Wladimir Putin, der war seit Mai 2000 Präsident der Russischen Förderation, und spielte eine üble Rolle in jener Tragödie, seiner Karriere schadete es offenbar nicht. Doch Vinterberg konzentriert sich bewusst auf die Betroffenen, wie sie mit dem drohenden Tod umgehen, mit Verlust, Trauer, Zorn. Katastrophen dieser Art können überall eintreten, sie sind nicht vom politisches System abhängig, genauso wenig wie Machtstreben, Ignoranz und Eitelkeit, das beweist auch Peter Bergs Action-Thriller „Deepwater Horizon” (2016) über die brennende Ölplattform im Golf von Mexiko 2010.

Jeder reagiert anders auf das Unglück, im U-Boot wie an Land. Unter den Angehörigen glauben immer noch einige an die Unfehlbarkeit der staatlichen Organe, sie sind Diktatur und Gehorsam gewöhnt, das Misstrauen gegenüber dem Feind und entrüsten sich über jede Art von Widerstand. Doch während dieser Tage begreifen auch sie, wie menschenverachtend und grausam die Haltung der Admiralität ist. Die Marinesoldaten hätten einen Eid geschworen, heißt es bei einem Treffen. Ja, sie haben geschworen, ihr Land zu verteidigen, auch wenn es ihr Leben koste, aber nicht ihr Leben sinnlos zu vergeuden. „Fahr zur Hölle”, schleudert eine Frau dem Hochdekorierten entgegen. Sie wird abgeführt, mit einer Injektion ruhiggestellt. Der Regisseur („Das Fest”, „Die Jagd”) verzichtet darauf, die Katastrophe visuell auszuschlachten, die Spannung unnötig hochzuschrauben, jede Form von Voyeurismus. Natürlich weiß keiner wirklich, was damals an Bord geschah. Und so lässt der Ex-Dogma- Regisseur die Gänge des U-Boots in einem fast unwirklichen dunklen Grün schimmern, nicht klaustrophobisch eng eher labyrinthisch weitläufig und doch bleibt das Wrack ein unentrinnbares Gefängnis zwischen Realität und Fiktion, Spiegel der Gefühle zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Überlebenswillen, ästhetisch virtuos umgesetzt von dem britischen Kameramann Antony Dod Mantle („Slumdog Millionaire”). Das Wettrüsten fordert seine Opfer, „Kursk” ist eigentlich ein Antikriegsfilm genau wie „The Deer Hunter”.

Das Rettungsboot der Russen versucht anzudocken, vergeblich, die Technik versagt. Alle volle Stunde klopfen die eingeschlossenen Männer an die Rohre des Schiffes. „Dieses Klopfen an den Wänden der Kursk war ein Schrei nach Hilfe,” wie vielen anderen blieb es Vinterberg über all die Jahre hinweg im Gedächtnis. Der Sounddesign und die verträumten choralähnlichen Kompositionen Alexandre Desplats („Shape of Water”, „The Grand Budapest Hotel”) sind gegensätzlich wie Schmerz und Sehnsucht. Auf der Hochzeit schmettern die Männer selbstbewusst „A Sailors Band” zu der Melodie jener aus dem 16. Jahrhundert stammenden Volksweise, die als „Es lebe hoch der Zimmermannsgeselle” schon vor 1799 gesungen wurde, später als Lied der Internationalen Arbeiterbewegung „The Red Flag” und bei uns vor allem bekannt als Weihnachtslied. Nachdem jede Rettung unmöglich scheint, stimmt die Crew noch einmal „A Sailors Band” an, sie bleiben Kameraden, gleichgültig ob heldenhaft oder gelähmt vor Angst, sich bewähren oder versagen, sie alle tun ihr verdammt Bestes, ob es blöde Witze erzählen ist zur Ablenkung, oder wie Mikhail durch die überfluteten Gänge zu tauchen, um die Sauerstoffpatronen zu organisieren. Hier zählt allein die Gemeinschaft, die Solidarität, immer wieder kehrendes Thema bei Vinterberg. Jede Szene in diesem Film handelt von Leben und Tod, der Regisseur arbeitet hier ständig mit Gegensätzen: „Es geht darum, dass die Zeit abläuft und neues Leben entsteht. Es geht um Tanya, die schwer atmet, weil sie schwanger ist und es geht um die Seeleute, die schwer atmen, weil die Luft knapp wird.”

Es ist der Zeitabschnitt auf dem U-Boot vor dem Unglück. Im Fernsehen ein Live-Auftritt von Metallica, James Hetfield singt „Enter Sandman”, Mikhail ist hingerissen. Was sonst optimistisch klingen mag, rein instinktiv das Gefühl von Unbesiegbarkeit suggeriert, nun bekommt das Heavy-Metal-Lullaby für uns eine andere Bedeutung: Da ist die Angst vor Albträumen, vor dem Tod, dem Bösen, Krieg, Monstern- „sleep with one eye open, gripping your pillow tight”. Schlafe mit einem offenen Auge. Halte Dein Kissen ganz fest- Licht aus. Nacht an. Nimm meine Hand, Wir sind ab in die Traumwelt. Still kleines Baby, sage kein Wort. Und denke nicht an das Geräusch, dass du gehört hast Es ist nur das Biest unter deinem Bett In deinem Schrank, in deinem Kopf. Der Sandmann steht für die Einsicht, das Akzeptieren des Todes, unserer Ängste. Was dem folgt, ist die Furchtlosigkeit, der Frieden, das Vertrauen und die Erkenntnis, nur ein Sandkorn unter unzähligen zu sein. Mikhail wird nie seinen Sohn mehr zu Bett bringen können, ihm nie mehr eine Gute Nacht Geschichte vorlesen, ihn nie mehr warm zudecken. Nach der Explosion fragt er einen Freund, der seinen Vater mit drei Jahren verloren hat: „Was erinnerst Du von ihm?” „Nichts” lautet die ernüchternde Antwort. Der Kommandierende Offizier denkt an das ungeborene Kind. Doch der Freund macht ihm klar, sein Vater war für ihn gleichermaßen präsent, er spürte, dass er geliebt worden war und geliebt wird. Bei dem Gedenkgottesdienst für die verunglückten Seeleute der Kursk, erscheint auch jener Admiral (Max von Sydow), der die Hilfe des Auslands strikt ablehnte. Wie bei einer Militärparade will er die Reihe der Angehörigen abschreiten, er reicht einem Kind die Hand, wünscht ihm sein Beileid, streckt seine Hand erneut aus, Misha sieht durch ihn hindurch.

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Originaltitel: Kursk

Regie: Thomas Vinterberg
Drehbuch: Robert Rodat
Darsteller: Matthias Schoenaerts, Léa Seydoux, Colin Firth, Peter Simonischek, August Diehl, Mathias Schweighöfer, Max von Sydow
Produktionsland: Belgien, Frankreich, Norwegen, 2018
Länge: 117 Minuten
Kinostart: 11. Juli 2019
Verleih: Wild Bunch

Fotos, Pressematerial &Trailer: Wild Bunch Germany

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