Film
Alles Geld der Welt

Elegantes Kidnapping-Drama als Psychogramm menschlicher Gier.
Rom, Juli 1973. „Bambino” nennen ihn die Prostituierten vom Piazza Farnese ironisch-mitleidig, locken zu nächtlicher Stunde mit einer Portion Pasta am heimischen Herde. Der magere 16jährige mit dem selbstbewussten Lächeln ist John Paul Getty III (Charlie Plummer), Enkel des berühmten Ölmagnaten und reichsten Mannes des Planeten. Gerade noch hat das arrogante Kerlchen für eventuelle Dienste Rabatt gefordert, da bremst ein Wagen, Maskierte springen heraus, zerren ihn ins Innere des Fahrzeugs und rasen davon. Die Entführer verlangen 17 Millionen Dollar Lösegeld. Gail Harris, Pauls Mutter (Michelle Williams), hält den Anruf zunächst für einen Scherz, sie hat grade noch genug für die Miete. Ihr kauziger Ex-Schwiegervater (Cristopher Plummer) weigert sich standhaft, auch nur einen Cent herauszurücken, er fürchtet Nachahmer, hat er doch 14 Enkelkinder.

In den ersten Sequenzen beschwört Ridley Scott wie zum Abschied ästhetisch virtuos den Zauber von Federico Fellinis „Dolce Vita”, es ist einer der Lieblingsfilme des 80jährigen britischen Regisseurs und Produzenten. Von nun an dreht sich alles nur noch um die gefährliche Faszination von Reichtum und Macht. David Scarpas Drehbuch spielt mit dem Vokabular der Hochfinanz, es basiert auf Jean Pearsons Beststeller „Painfully Rich”, komprimiert, verdichtet die Ereignisse, wechselt in Rückblenden zwischen Städten, Kontinenten und Jahrzehnten. „Wer sein Geld zählen kann, der ist kein Milliardär”, lehrte J. Paul Getty einst den kleinen Paul. Begriffe wie „unbezahlbar” missbilligt er, ein Getty ist Niemandes Freund, lautet die Maxime. Es schneit, als die beiden Hand in Hand die Ruinen der Villa Adriana durchqueren, der Großvater verrät seinem Lieblingsenkel, dass er im vorigen Leben der römische Kaiser Hadrian war.

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Erschreckend, wenn das Kind am Frühstückstisch in atemberaubend opulenter Umgebung zum Sekretär des allmächtigen Ölmagnaten mutiert, stolz und brav flehende Bettelbriefe beantwortet, Grandpa diktiert den Text. Jede Anfrage wird bedacht mit dem zynischen Hinweis, dass er, Getty, sich in derselben finanziell misslichen Lage befände, würde er solchen Bitten nachgekommen. Den Senior interessierten seine Söhne immer erst, wenn man ihnen eine Funktion in dem Wirtschaftsimperium zuweisen konnte. Das Herz des kleinen Jungen hat er erobert mit einem wundervoll kostbaren Geschenk: Die kleine antike Statue hatte der Alte vor langer Zeit auf dem Flohmarkt entdeckt und eine Stunde damit verbracht, den Preis um einige Dollar runterzuhandeln, heute würde sie mehr als eine Million auf Auktionen erzielen, erklärt er der Familie. Paul ist beeindruckt, seine Mutter Gail entsetzt. Und als sie und Paul Getty II sich Jahre später scheiden lassen, beharrt die junge Frau auf dem alleinigen Sorgerecht für die Kinder. Es ist eine der wenigen Male, dass der Milliardär in seine Grenzen verwiesen wird, Gail schlägt ihm einen finanziellen Deal vor, den er nicht ablehnen kann, aber vergessen wird der Schwiegervater diese Demütigung nie. Er war sich so sicher, das Sorgerecht für den Lieblingsenkel erkaufen zu können, es wieder nur eine Frage des Preises sei.

„Alles Geld der Welt” ist mehr Tragödie als Thriller, ein schillerndes, eigenwillig komponiertes ironisches Gesellschaftsporträt der Siebzigerjahre: ’Ndrangheta, reiche Drogensüchtige, Rote Brigaden, Ölscheichs, Produktfälscher, Gangster und Paparazzi. Das ideale Sujet für einen routinierten Ästheten wie Ridley Scott, er verbindet die Disziplin des Chronisten mit der Kreativität des Träumers. Meisterhaft, wie es seinem Kameramann Darius Wolski gelingt, Atmosphäre und Zeitgeist einzufangen zwischen Luxus, sozialem Abseits und ständig wechselnden Gefühlslagen: Rom eine Stadt voller Widersprüche, dunkler Geheimnisse, überwältigend und enttäuschend zugleich, trostlos und erhaben, noch wehrt sie sich erfolgreich gegen Massentourismus oder Immobilienhaie. Exquisites Ausstattungskino, das akribisch die Ära vor Smartphone und Internet abbildet, in der sich alles noch mit erstaunlicher Langsamkeit entwickeln konnte, die Entführung dauert drei Monate. Es war einer der aufsehenerregendsten Fälle der Kriminalgeschichte und obwohl der Ausgang bekannt ist, besitzt der Film in jeder Phase eine ungeheure Spannung ähnlich „Blade Runner“ (1982) oder „Black Hawk Down“ (2001), nur ist hier das eigentliche Schlachtfeld die Familie.

Niemand fürchtet Betrug mehr als ein Betrüger, und so misstraut der mürrische Industrie-Tycoon der Entführung, hält sie lediglich für ein abgekartetes Spiel des Enkels. In diesem Verdacht bestätigt ihn auch sein langjähriger Security-Chef Fletcher Chace (Mark Wahlberg), Experte in zwielichtigen Mega-Deals. Der ehemalige etwas unscheinbare CIA Agent soll Gail zur Seite stehen bei den Verhandlungen mit den Kidnappern und sie wohl auch kontrollieren, doch Fletcher schlägt sich irgendwann auf ihre Seite. Getty III mag ein unerträgliches Enfant terrible sein, flog von sieben Schulen, nimmt Dope, greift auch mal bei der Demo zum Molotowcocktail. Er sorgte früh für umsatzsteigernde Schlagzeilen in der Boulevardpresse und machte seiner Mutter das Leben schwer, vielleicht als Rache für das erzwungene bürgerliche Dasein in der römischen Metropole. Ihm hatte es besser gefallen bei seinem Vater in Marrakesch, Partys, illustre Gäste wie Mick Jagger, reichlich Drogen und genügend Geld, doch in diesem Fall trifft ihn keine Schuld. „Ich kämpfe gegen ein Imperium,“ versucht Gail am Telefon Cinquanta (Roman Duris), einem der Entführer zu erklären. Sie hat zwar in den Getty-Clan eingeheiratet, aber blieb immer eine Außenseiterin. Dem Mafiosi scheint es unvorstellbar, nicht alles zu tun, um ein Familienmitglied zu retten. Er fühlt sich als eine Art heimlicher Beschützer des Jungen, der wie eine Ware weiterverkauft wird, der Preis sinkt, die Methoden werden brutaler.

Die Kidnapper schneiden dem Teenager das rechte Ohr ab, zusammen mit einer Locke schicken sie es der überregionalen Tageszeitung Il Messagero. Und doch ist dies nicht der schmerzhafteste Moment des Thrillers, sondern wenn sich die spärlichen Zeichen der Zuneigung wie jenes kostbare Geschenk an den kleinen Paul als bloße Lüge entlarven. Die Sympathien des Zuschauers gehören Gail Harris, die wie eine Löwin verzweifelt um ihren Sohn kämpft. Langsam lernt sie, wie die Gettys zu denken, weiß, wie sie ihren Widersacher unter Druck setzen kann. Es umgibt Michelle Williams ein Hauch von Grace Kelly, der Chic ihrer Kostüme erinnert an Jackie Onassis. Die kleine schwarze gesteppte Chanel-Tasche, sie wird in den Fabrikhallen der Produktfälscher hergestellt, der Mann, der über Preis und Leben von Paul entscheidet, kontrolliert gewissenhaft die Arbeit seiner Näherinnen. Es muss echt ausschauen, warum sollte sonst jemand eine Fälschung kaufen. In genau so einer Fabrikhalle wird das Lösegeld abgezählt werden. Der Öl-Magnat gibt am Ende nach, oder besser er entdeckt, dass sich die Kosten von der Steuer absetzen lassen. Fast macht er einen Rückzieher, als seine Finanzberater feststellen, dass nicht der Gesamtbetrag von 2,89 Millionen Dollar geltend gemacht werden kann. Seine Obsession mit Geld hat etwas Grausames wie Surreales, in dem schlossartigen Anwesen in der Nähe von London hat J. Paul Getty eine rote Telefonzelle einbauen lassen, nur dort dürfen die Gäste ihre Telefonate erledigen. Der Diener steht bereit mit einem Säckchen passender Münzen. Für ein Madonnenbild ominöser Herkunft zahlt der Kunstmäzen dagegen leichten Herzens Millionen.

Ridley Scott präsentiert seinen Protagonisten in der Wüste einem Lawrence von Arabien gleich, der später Supertanker entwirft, um die riesigen Ölmengen transportieren zu können. Aber selbst im prächtigsten Nobelhotel wäscht Getty sen. die Unterwäsche lieber selber mit der Hand, als ein paar Dollar zu zahlen für die hauseigene Wäscherei. Seine Devise lautet: “Reich zu werden, ist einfach. Reich zu bleiben, ist die Herausforderung”. Jede Umsatzsteigerung beinhaltet für ihn zwangsläufig, die Gefahr eines eventuellen Verlusts. Kurzfristig sprang Christopher Plummer für den auf aufgrund von Missbrauchsvorwürfen geschassten Kevin Spacey ein, der ursprünglich den Ölmagnaten spielte, die Szenen wurden nachgedreht. Ein Glücksfall. Grandios wie der 88jährige Plummer den absurd geizigen Milliardär verkörpert, wenn er einsam durch die an „Citizen Kane” erinnernden riesigen dunklen Hallen seines Landhauses irrt, er bleibt Gefangener der eigenen grotesken Paranoia. Ridley Scotts Film ist keine Demontage sondern die behutsame Annäherung an ein Genie, das nie Menschen vertraute sondern allein Kunstwerken.

Jean Pearsons exzellent recherchierter Beststeller strotzt vor Informationen und Anekdoten. In der Einleitung schreibt der Autor: „Habsucht allein hätte niemals auch nur zu dem Bruchteil eines Vermögens wie dem seinen geführt... Die Wahrheit war, das Jean Paul Getty ein leidenschaftlicher Mensch war, der es geschafft hatte, diese Leidenschaft  vollständig der Anhäufung eines riesigen Vermögens zu widmen, genauso wie ein großer Komponist seine Seele in eine Symphonie steckt. Seine wahre Liebe galt nicht den Frauen, die waren zufällige Begegnungen, sondern dem Geld, das nichts Zufälliges hatte.“

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Originaltitel: All The Money In The World
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Christopher Plummer, Michelle Williams, Mark Wahlberg, Charlie Plummer, Roman Duris
Produktionsland, USA 2017
Länge: 132 Minuten
Kinostart: 15. Februar 2018
Verleih: Tobis Film

Das Buch zum Film:
Titel: Alles Geld der Welt
Originaltitel: Painfully Rich, erschienen bei Macmillan 1995, später All The Money In The World
Autor: John Pearson Übersetzung: Claudia Heuer
Kartoniert 432 Seiten
Deutsche Erstausgabe erschienen bei Harper Collins Germany GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-95967-219-1

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
Tobis Film

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