Film
Detroit Kathryn Bigelows

Furioser Politthriller als Chronik staatlich autorisierter Gewalt.
Detroit, 25. Juli 1967. Hinter der Bühne des legendären Fox-Theatres fiebern Leadsinger Larry Reed (Algee Smith) und die anderen Bandmitglieder der ‚Dramatics’ ungeduldig ihrem Auftritt entgegen, dieser Abend soll für die afroamerikanische Soul-Gruppe den Durchbruch bringen. Draußen auf den Boulevards aber rollen Panzer, die gewalttätigen Proteste dauern an, noch immer gehen Häuser in Flammen auf, Schüsse fallen, die Nationalgarde kontrolliert die Stadt, Polizeitrupps überall. Selbstzerstörung als höchste Form der Hoffnungslosigkeit: Jahrzehnte schon leidet die schwarze Bevölkerung unter Diskriminierung, Arbeitslosigkeit und Willkür. Jene so lang unterdrückte Wut eskaliert nach der Razzia in einer After-Hour-Bar. Was mit zerschlagenen Schaufensterscheiben und Molotowcocktails beginnt, entwickelt sich zu einer der größten Rassenunruhen in den USA. Sie fordert 43 Tote, 1.189 Verletzte. Mehr als 7.000 Menschen werden verhaftet.

Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow inszeniert den blutigen Aufstand im Stil einer Kriegsreportage, Schauplatz und Perspektive wechseln ständig, eingeblendet TV News, Archivmaterial, politische Statements. Das packende Doku-Drama basiert auf wahren Begebenheiten, „Detroit” hat die hyper-subjektive Eindringlichkeit von „The Hurt-Locker”, ist aber noch intensiver, intimer, noch ästhetisch virtuoser. Die Veranstaltung des Fox-Theaters wird aus Sicherheitsgründen abgebrochen, doch der Motown-Sound bleibt Protagonist, „It Ain’t Fair” singt Bilal. Larry und sein Freund Fred (Jacob Latimore) suchen Quartier im ‚Algier’s’. Am Swimmingpool des schäbigen Motels herrscht eine ausgelassene Stimmung. Zwei weiße Mädchen flirten mit den Musikern, oben in den Zimmern geht die Party weiter. Aus Jux feuert ein Siebzehnjähriger mit einer Startpistole aus dem Fenster. Die Militärs vermuten Heckenschützen, nehmen sofort das Algier’s unter Beschuss, Polizisten stürmen das Gebäude, zerren brutal die Jungen und Mädchen nach unten zum Verhör.

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Officer Philip Krauss (Will Poulter) befiehlt den Jugendlichen, sich mit erhobenen Armen an die Wand des engen Flurs zu stellen. Hass, Bosheit verzerren das Gesicht des Cops zur clownesken Fratze. Mit sadistischem Vergnügen quält, foltert, prügelt er die vermeintlich Verdächtigen Stunde für Stunde. Immer wieder die gleichen Fragen nach der Waffe und dem Sniper. Seine rassistischen Tiraden sind ekelerregend, keiner der Teenager weiß, ob er im nächsten Augenblick nicht abgeknallt wird. Ihr Schmerz, ihre Erschöpfung, Demütigungen, Hilflosigkeit und ihr Zorn werden unsere. Die Kameras erlauben weder Distanz noch Reflektion, zwingen zum Mitleiden, in diesen Momenten begreift der Zuschauer, warum die Stadt in Flammen steht. Krauss verschwindet mit seinem Opfer im Nebenraum, ein Schuss fällt, dann Stille, mit Scheinhinrichtungen will er Geständnisse erzwingen. Doch am Ende liegen drei Unschuldige erschossen in ihrem Blut, auch der schwarze Wachmann Melvin Dismukes (grandios John Boyega), der so gerne vermittelt, wagte nicht einzugreifen. Krauss macht später vor Gericht Notwehr geltend. Larry Reed will nie mehr auf einer Bühne stehen und für Weiße singen.

Schon in „The Hurt Locker”(2009) und „Zero Dark City” (2012) bewies Drehbuchautor und Produzent Mark Boal sein Gespür für politisch kontroverse Themen. Ab 2014 interviewte er mit seinem Rechercheteam Dutzende von Beteiligten, die damals in Detroit vor Ort waren, schwarze Anwohner, Polizisten und Armeeangehörige. Akribisch durchforstete das sechsköpfige Team unzählige Aufzeichnungen aus jenem Sommer, Zeitungsberichte, Fernseh- und Radioreportagen, Gerichtsprotokolle, Ermittlungsberichte des FBI und des Justizministeriums sowie soziologische Studien. Etliche dieser Dokumente etwa vom dortigen Police Department oder der University of Michigan, waren nie zuvor veröffentlich worden. Boal machte Larry Reed ausfindig. Der hatte an jenem Abend spontan für sich und seinen Freund Fred Temple ein Zimmer im Algier’s Motel gemietet, um während der verhängten Ausgangssperre nicht auf der Straße sein zu müssen. „Ohne eigenes Zutun wurde Larry in diese unfassbare Kriminalgeschichte verwickelt”, sagt Boal. „Diese Nacht veränderte den Verlauf seines restlichen Lebens- und genau das sollte Rückrat unseres Films werden.” Reed hatte sich viele Jahrzehnte nicht öffentlich zu den Vorfällen geäußert, er zögerte zunächst, zu schmerzlich waren die Erinnerungen. Wie andere Gäste des Motels hatte der Horror sie verstummen lassen. Die Cops hatten ihnen eingeschärft: „Du wirst nicht darüber sprechen, niemals und mit niemandem, verstanden?”

Auf der Suche nach passenden Darstellern setzte Bigelow auf halb improvisierte Rollenspiele: „Ich kreierte Szenarien, die dem Drehbuch ähnelten, aber situativ waren.” Und so erfuhr Algee Smith erst, nachdem er bereits eine Woche am Set in Boston war, wen er überhaupt spielen sollte. „Am Anfang empfand ich das als sehr irritierend”, gesteht der 23jährige Schauspieler. „Doch ich habe schnell verstanden, warum Kathryn sich für diesen Improvisationsansatz sowohl beim Casting als auch beim Drehen entschieden hat. Im Grunde war es genial, denn so sorgte sie dafür, dass wir konstant mit allem rechnen mussten. Das schuf eine spontane, rohe Energie.” Smith bekam auch Gelegenheit, Zeit mit dem wirklichen Larry Reed zu verbringen und über jene schicksalhafte Nacht zu sprechen. Die seelischen wie körperlichen Narben sind noch immer deutlich sichtbar. Es gibt keine Helden in diesem Film, nur Täter, die jede Schuld abstreiten und Opfer wie Reed, die sich schuldig fühlen für den Tod eines Freundes und all derer, denen sie nicht beistehen konnten. Diese klaustrophobisch albtraumhaften Stunden der Ohnmacht, der Erniedrigung werden sie nie vergessen. Hier im Korridor des Algier’s seziert Kathryn Bigelow minutiös die Mechanismen des Rassismus. Noch wenige Stunden zuvor war der junge afroamerikanische Sänger voller Energie, er verkörpert den Motown Sound, wenn auf der leeren Bühne des Fox Theatre steht und singt. Die Stimme vibriert vor Wehmut und Schmerz, aber noch spürt der Zuschauer seine ungebrochene Widerstandskraft.

Tragisch die Figur des Melvin Dismukes, er gehört zu den zahlreichen Afroamerikanern, die damals den Rassismus des Südens hinter sich lassen, um in den Fabriken des Nordens Arbeit zu finden. Er wird Schweißer, jobbt nebenbei als Wachmann, unweit des Algier’s soll er einen Lebensmittelladen vor Plünderern schützen. Dimukes ist der Inbegriff des fleißigen, immer hilfsbereiten, hochanständigen Schwarzen. Er sieht es als seine Aufgabe, Situationen zu entschärfen, bevor sie außer Kontrolle geraten. Wie der demokratische Kongressabgeordnete John Conyers (Laz Alonso) glaubt er an gewaltlose Veränderung. Der Wachmann geht ins Algier’s in der festen Überzeugung vermitteln zu können, doch er unterschätzt die Situation und scheitert kläglich. Die ermittelnden Beamten versuchen ihm die Morde anzuhängen, erst am Ende eines aufreibenden Prozesses wird er freigesprochen, die Community verachtet ihn, weil er nicht eingegriffen hat. Das wäre sein sicheres Todesurteil gewesen. Zu spät wird ihm klar, er hätte es machen sollen wie die Männer der Nationalgarde, umkehren, sich einfach raushalten. Aber er ist keiner, der die Augen vor der Realität verschließt. Grade für Menschen wie ihn hat Katherine Bigelow „Detroit” gedreht, das Land schuldet ihnen die Wahrheit über jenes dunkle Kapitel der US-Vergangenheit, das sich anfühlt wie Gegenwart, während Martha und die Vandellas singen: „Nowhere to run”.

Die Rolle des Streifenpolizisten Philip Krauss basiert nicht auf einer einzelnen realen Person, sondern steht vielmehr stellvertretend für das in den Zeugenberichten geschilderte Verhalten der Beamten, die damals für die Vorfälle verantwortlich waren. Für den britischen Schauspieler Will Poulter („The Revenant”) war die größte Herausforderung, eine Figur zu verkörpern, mit er sich überhaupt nicht identifizieren konnte. Aber er musste trotzdem versuchen zu begreifen, was zu solcher Form des Rassismus führt. „Krauss ist es, der den Ton angibt, und auf eine Methode setzt, die damals immer wieder von der Polizei angewandt wurde: Durch feindseliges Auftreten eine aggressive oder gar gewalttätige Reaktion bei den Afroamerikanern zu provozieren, damit man dann einen Grund hat, sie festzunehmen,” sagt Poulter. Obwohl er sich schon beim Lesen des Drehbuchs der Intensität der Szenen bewusst war, belastete ihn die perverse Grausamkeit dieses amoralischen Schergen, der vorgibt im Namen von Recht und Ordnung zu handeln. Poulter musste die jungen Kollegen, mit denen er sich angefreundet hatte, Tag für Tag vor laufender Kamera misshandeln. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, brach am Set in Tränen aus. „Er blickte zu Kathryn und fragte, wie oft wir diese Szene noch drehen müssten, weil er es nicht länger ertragen würde.” erzählt Algee Smith. „Das ließ uns andere erst recht zusammenbrechen. Ich wollte ihn eigentlich umarmen, brach dabei aber selbst in Tränen aus.”

Kathryn Bigelow wollte dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, sich selbst im Algier’s zu befinden, so als würde er die Ereignisse fast in Echtzeit miterleben. Und genau das gelingt ihr, es entsteht eine beklemmende Authentizität. Kameramann Barry Ackroyd („The Hurt Locker”) ließ den Flur des Motels gleichmäßig ausleuchten, so dass stets mehrere Kameras simultan alle entscheidenden Momente einfangen konnten, ohne dass jedes Mal der Dreh unterbrochen und die Apparaturen und Scheinwerfer neu eingerichtet wurden. Die Kameras sind ständig in Bewegung, die Darsteller voll absorbiert von der jeweiligen Handlung ähnlich wie in einem Bühnenstück. „Detroit” ist eine Lektion über die Anatomie der Rebellion und ihre Entstehung. Wir wissen anfangs wenig über die Menschen im Algier’s ähnlichem einem Reisenden, der sich grade für eine Nacht einquartiert hat. Jener fatale Schuss mit der Startpistole ist eigentlich der Höhepunkt des Monologs eines Teenagers zur Rolle des Schwarzen in einer von Weißen dominierten Gesellschaft, wo die Vorurteile ihn jeglicher Freiheit berauben, Gleichheit absurde Illusion bleibt, Gewissheit bringt allein die auf eine Schläfe gerichtete Pistole. Minuten später wird diese Vision Wirklichkeit. Poulter, der kurz zuvor einen Plünderer auf der Flucht in den Rücken geschossen hat, tritt auf wie ein selbstfälliger Herrenmensch. Auch die Zurechtweisung des Vorgesetzten lässt ihn kalt, ein Prozess? Wer will ihn schon verurteilen. Seine Kollegen schwört er ein auf Loyalität und Kameradschaft. In seiner Welt ist jede Art von Kritik gleichbedeutend mit Verrat.

Sie ist nicht nur die erste Frau, die mit einen Oscar für die Beste Regie ausgezeichnet wird, Kathryn Bigelow steht auch immer wieder im Kreuzfeuer schärfster Kritik. Seltsam, Hollywood hat genügend ethisch Zwielichtiges hervorgebracht, ob Comic-Verfilmungen oder Action-Epen, der Gewalt wird selten abgeschworen, sondern oft genug mit Genuss als Selbstzweck zelebriert. „The Hurt Locker” bezeichnete Naomi Wolf noch als einen „schönen tapferen Film“, aber „Zero Dark City“ war in den Augen der Polit-Aktivistin reine Propaganda in Sachen amerikanischer Terrorismusbekämpfung und sie verglich die Regisseurin mit Leni Riefenstahl. Die enge Zusammenarbeit der Filmemacher mit dem CIA hatte schon früh zu Kontroversen geführt, dabei ist der Vorwurf, hier würden Folterpraktiken verherrlicht, eher absurd. Das Gegenteil war zumindest bezweckt. Der zornige Politthriller „Detroit” beeindruckt ausländische Journalisten, die Huffington Post aber veröffentlicht einen Artikel mit der Überschrift: „’Detroit’ ist der gefährlichste und unverantwortlichste Film des Jahres.” Der Vorwurf: man vermittle den Eindruck. es gäbe keinen schwarzen Aktivismus vor dem Aufstand. Das ist nicht das Thema des Doku-Dramas, niemand bestreitet, dass am 23. Juni 1963 200.000 Afroamerikaner durch die Stadt marschierten, um gegen Ungleichheit zu protestieren. Auch 143 Minuten haben ihre Grenzen, und als historische Unkorrektheit zu kritisieren, wenn unerwähnt bleibt, dass in jener After-Hour-Bar schon dreimal in zwei Jahren eine Razzia durchgeführt wurde, ist lächerlich. Am widerwärtigsten aber der Vorwurf, Bigelow und Boal würden den Zuschauern ein öffentliches Lynchen schwarzer Männer („public lynching of black men”) offerieren. Warum gerade einen solchen Film diskreditieren?

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Originaltitel: Detroit
Regie: Kathryn Bigelow
Drehbuch: Mark Boal
Darsteller: John Boyega, Will Poulter, Algee Smith
Produktionsland: USA, 2017
Länge: 143 Minuten
Kinostart: 23. November 2017
Verleih: Concorde Filmverleih

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Concorde Filmverleih

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