Film
„Diplomatie”. Schwer erkämpfter Ungehorsam

Ein packendes vielschichtiges Psychodrama. Grandios fotografiert. Volker Schlöndorffs stärkster Film seit “Die Blechtrommel”.
„Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen,” so lautet der Befehl Adolf Hitlers und General Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) ist fest entschlossen, ihn am Morgen auszuführen.

Es ist die Nacht vom 24. auf den 25. August 1944. Die Alliierten sind nach ihrer Landung in der Normandie auf dem Vormarsch. Die Zweite Französische Panzerdivision steht vor den Toren der Stadt. Das Oberkommando der Wehrmacht hat sein Quartier im luxuriösen Hotel Meurice an der Rue de Rivoli mit Blick auf den Jardin des Tuileries.
Der General raucht eine Zigarette auf dem Balkon, vor ihm im Dunkel die Silhouette der Seine-Metropole. Zuerst sollen die verminten Brücken gesprengt werden, dann Notre Dame, die Bahnhöfe. Die Seine wird drei, vier Meter über die Ufer treten, Paris von Marais bis zur Bastille überfluten. Hunderttausende sterben. Innerhalb von 20 Minuten sollen der Louvre, Sacré-Coeur, Arc de Triomphe, Place de la Concorde wie auch der Eiffelturm in Schutt und Asche versinken. Das ist der Plan. Wie aus dem Nichts taucht der schwedische Konsul Raoul Nordling (André Dussollier) im Arbeitszimmer des Kommandanten auf. Mehr verblüfft als erschrocken fragt ihn Choltitz, wie er hereingekommen sei. Durch den Geheimgang, welchen einst Napoléon III hatte bauen lassen, um unerkannt vom Louvre zu seiner Geliebten gelangen zu können. Nordlings Mission: den General von seinem wahnwitzigen Vorhaben abzubringen, ihn zur Kapitulation zu bewegen.

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Der Film beginnt mit Schwarz-Weiß Aufnahmen des zerstörten Warschaus: „Europa stand in Flammen. Wir alle würden sterben,“ trotzdem ist Nordling nicht bereit aufzugeben. Ein verbales Kräftemessen zweier völlig gegensätzlicher Charaktere: „Ich wurde nach Paris beordert, um die Ordnung wieder herzustellen,” erklärt der General, „Ich werde mehr als das tun, ich werde sie allesamt zermalmen bis auf den letzten Mann”. Der eloquente Diplomat lässt sich nie provozieren, appelliert an das Gewissen, obwohl er ahnt, wie die Reaktion ausfallen wird. „Hören Sie auf mit dem Theater,“ knurrt sein Kontrahent. Doch er lässt sich auf das Gespräch ein, und später wird der Zuschauer begreifen warum. Nordling wirkt nie gerissen, kaltblütig, er ist es aber. Genau darin besteht seine Stärke: er versucht sich nicht anzubiedern, dieses offene, integre Auftreten, beherzt, humanistisch, kultiviert, ganz alte Schule, auch wir unterschätzen ihn. Seine Strategie offenbart sich erst ganz am Ende, ein routinierter geschickter Spieler, der sich nie in die Karten schauen lässt. Unaufdringlich, gewandt gegenüber dem verbitterten Trotz des Generals, dessen Standpunkt unerschütterlich scheint: Warum sollte Paris das Schicksal erspart bleiben, das damals Hamburg schon erlitten hatte. Der Glaube an den Führer war längst verloren. Und an den Massenmorden im Osten beteiligt gewesen zu sein, lastet auf dem Mann, der aus einer traditionsreichen Familie hochrangiger Militärs stammt. Nur sein Berufsethos erlaubt ihm keine Gefühle, Gewissen ist etwas für Zivilisten. Sein Weltbild heißt Gehorsam.

Dieses Treffen hat so nie stattgefunden, der Film ist weitgehend fiktiv. Historisch verbürgt dagegen der Befehl Hitlers und dass die zwei Männer sich kannten, über das Schicksal der Stadt sprachen. Aus diesem Grund zogen die Alliierten Nordling ins Vertrauen, um dem Kommandanten einen Brief zukommen zu lassen, der zweifellos von dem französischen General und Widerstandskämpfer Jacques-Philippe Leclerc verfasst wurde. Angeblich verweigerte Choltitz zunächst das geforderte Ultimatum zur Kapitulation, aber wichtig ist allein, dass er sich am Ende Hitler widersetzte.
„Diplomatie” basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Cyril Gély, mit dem zusammen Volker Schlöndorff das Drehbuch entwickelte. Bereits im Théatre de la Madeleine (Inszenierung: Stéphan Meldegg) spielten André Dussollier und Niels Astrup die Hauptrollen mit großem Erfolg. Aber der deutsche Filmemacher gibt dem Drama seinen persönlichen unverwechselbaren Stil, macht das fast klassische Kammerspiel zu seiner eigenen Geschichte, einem leidenschaftlichen Hommage an Paris. Schlöndorff wurde wenige Monate vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs geboren, seine Biographie ist eng mit der französischen Metropole verbunden. Hier ging er in den Fünfziger Jahren zur Schule, machte am renommierten Lycée Henri IV im Quartier Latin sein Baccalauréat. Mitschüler und Sitznachbar war der später Regisseur Bertrand Tavernier. Während er Jura studierte, besuchte er bis zu drei Mal täglich die Cinémathèque francaise. Er wurde Regieassistent bei Louis Malle, Jean-Pierre Melville, Alain Resnais. „Seit meinem 17. Lebensjahr habe ich jeden Winkel der Stadt erkundet, kenne jede noch so kleine Brücke, jedes Bauwerk,” sagt Schlöndorff in einem Interview. Viele seiner Filme sind Koproduktionen mit französischer Beteiligung wie „Der junge Törless” (1966), „Die Blechtrommel” (1979) „Eine Liebe von Swann”(1984), „Der Unhold” (1996). Das Thema der NS-Zeit taucht immer wieder auf wie auch in dem TV-Drama „Das Meer am Morgen”(2011). Dort geht es um Geiselerschießungen der deutschen Besatzer, das Massaker von Chateaubriand, um Gehorsam, Verantwortung, Widerstand und Schuld.

„Diplomatie” besticht durch seinen elegant spielerischen Umgang mit der Historie im Gegensatz zu George Clooneys fideler Kriegsklamotte „Monuments Men”, die trotz großem Staraufgebot zwischen Dilettantismus und Pathos endet. Oscar-Preisträger Schlöndorff vergleicht in einem Interview das verbale Duell zwischen Nordling und Choltitz mit „einem Boxkampf in fünf oder sechs Runden. Jeder der beiden bereitet sich gewissenhaft auf den nächsten Schlag vor, aber es gibt keine Knock-Outs. Wie in der klassischen Musik teile ich das Drehbuch in mehrere Sätze auf. Zunächst das Andante, bei dem sich die beiden Figuren abschätzen um herauszufinden, wie der Gegner reagiert, danach geht es über ins Furioso, das Tempo entwickelt sich hier zu atemberaubender Geschwindigkeit, gefolgt von ruhigeren Momenten.” In keinem Moment ist Paris nur Hintergrundkulisse, sondern fungiert als dritte Hauptfigur. „In diesem Sinne musste die Stadt allgegenwärtig sein”, so der Regisseur, „gehüllt in tiefste Nacht bis hin zum Morgengrauen, die grelle Beleuchtung des Hotel Meurice abgelöst vom Dämmerzustand nach einem Stromausfall. Ob am Tag oder bei Nacht – Paris lebt von seinem Licht.” Die Stadt der Liebe, der Sehnsüchte, Erinnerungen, Träume, der Revolution: jeder von uns hat sein eigenes Paris. Die Seine-Metropole ist Mythos, Phantasie wie auch Realität, verkörpert Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen. Sie eröffnet dem Film seine Möglichkeiten, diese skurrilen Freiheiten wie Luxus-Suiten mit doppelter Wand, Tapetentüren, durchsichtige Spiegel und geheime Treppen. Wir akzeptieren sie nicht als Capricci des Boulevardtheaters, sondern als absolut glaubhaft, lassen uns überzeugen, verzaubern wie einst von Gaston Leroux’ „Das Phantom der Oper”, Victor Hugos „Les Misérables” oder Ernest Hemingways „Paris – ein Fest fürs Leben”. Die Spannung steigt, wird fast unerträglich, die Zerstörung der französischen Hauptstadt scheint unabwendbar, als wüssten wir es nicht besser. Nein, in diesem Moment tun wir es nicht.

Draußen auf den Straßen liefern sich Résistance und deutsche Soldaten letzte blutige Gefechte. Drinnen kämpfen die beiden Männer mit Worten ebenso erbittert um das Schicksal der Stadt. Immer wieder sorgt ein Zufall oder höhere Gewalt für unerwartete Wendungen, eine kurze Verzögerung, so dass der General nicht jenen entscheidenden Befehl zur Sprengung geben kann. Ein Telefonanruf, ein Bote mit überraschenden Nachrichten, der Strom fällt aus, Choltitz erleidet wieder einen Asthmaanfall, der schwedische Konsul eilt ihm zur Hilfe. Die Protagonisten respektieren sich trotz allem als Gegner. So eindringlich Nordlings Plädoyer gegen den Krieg und für die Vernunft sein mag, weder er noch der Film sind je zu emotional. Unterschwellig ein subtiler Humor, dann wieder tödlicher Ernst. „Was, wenn ein Befehl absurd ist?“ fragt der Diplomat. „Was würden Sie an meiner Stelle tun?” antwortet der General. Wenn er nicht den Weisungen des Führerhauptquartiers folgt, werden seine Frau und Kinder sterben. Sippenhaft. Eine Familie für das Leben Hunderttausender? Und genau hier setzt Nordling an. Lüge, Betrug, falsche Versprechungen, Erpressung und Bestechung, alle Mittel sind erlaubt, wenn es um die Rettung von Paris und unzähliger Menschen geht. Der Konsul insistiert, ob er, der General, seinen Kindern, das Jüngste ist noch ein Säugling, diese Schuld, diese Schmach aufladen wolle? Der Zuschauer wird unwillkürlich gezwungen, Position zu beziehen, begreift endlich einmal, welch diffiziles Metier Diplomatie eigentlich ist. Die gestrige Schlacht mag gewonnen sein, die heutigen noch lange nicht. Madeleine Peyroux singt „J’ai deux amours, mon pays e Paris”. In der Stadt wollen fanatische Soldaten heimlich die Sprengung durchführen. Davon ahnen die beiden Männer nichts.

Nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944 hatte Hitlers General Dietrich von Choltitz zum deutschen Stadtkommandanten von Groß-Paris ernannt. Was mag ihn am Ende dazu bewogen haben sich gegen den Führer zu stellen? Vielleicht kam dessen Vertrauensbeweis zu spät, nun, wo der Krieg schon als verloren galt. Historiker vertreten die verschiedensten Theorien. „Von Choltitz, weit davon entfernt ein Märtyrer zu sein, befindet sich in einer verzwickten Lage,” erklärt der Regisseur. „Er gilt als linientreuer Soldat und war sowohl in die Zerstörung Rotterdams als auch- laut den Abhörprotokollen aus englischer Kriegsgefangenschaft – in die Liquidation der Juden im Osten verwickelt, also in Kriegsverbrechen, die nicht vereinbar sind mit den Traditionen preußischen Soldatentums. (...) als schon kein deutscher General mehr an einen Sieg glaubt, erhält von Choltitz den Befehl, Paris zu zerstören und reagiert darauf mit einem Asthmaanfall: nicht imstande, den Befehl auszuführen, ist es ihm dennoch gleichsam unmöglich, sich seiner Pflicht zu entziehen. Es ist eine Frage des freien Willens, und doch hat er keine Wahl. Er weiß, was zu tun ist, aber kann nicht die nötige Kraft aufbringen. Die Entscheidung trägt letztendlich nicht sein Verstand, sondern der Körper. (...) Es ist die Stimme seines Unterbewusstseins.” Die Mittel der Diplomatie waren nach Ansicht von Schlöndorffs dabei in diesem Fall „nicht weniger unehrenhaft als die des Militärs, auch wenn sie weniger todbringend sind”. Trotzdem bleibt Nordling der wahre Held dieses Films, dem der Regisseur für seinen Mut, Scharfsinn, Einsatz hier Anerkennung zollt, vor allem aber für seine Menschlichkeit.

Das Meurice gilt als das älteste Luxushotel der Stadt mit jenem leicht verstaubten Charme, wie man ihn so nur in Paris findet. Die Suite des Generals, im Stil Napoleons III gehalten, wird zum Symbol, einem Mikrokosmos raffinierter französischer Kultur und Lebensart. Die bläulichen Farbtöne, das gedämpfte warme Licht, die Schatten sind von unglaublicher Schönheit und einer Atmosphäre, die im absoluten Kontrast zu dem Kampf um Leben und Tod steht. Volker Schlöndorff, Kameramann Michael Amathieu und den beiden Hauptdarstellern ist wahrlich ein Meisterwerk gelungen.

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Originaltitel: Diplomatie
Regisseur: Volker Schlöndorff
Darsteller: André Dussolier, Niels Arestrup, Burghardt Klaußner
Produktionsland: Frankreich, Deutschland, 2014
Länge: 84 Min. Verleih: Koch Media
Kinostart: 28. August 2014

Fotos & Video: © Koch Media - Film Oblige - Gaumont – Blueprint Film – Arte France Cinéma.

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