Bildende Kunst
Moise Kisling: "Nu allongé, Kiki de Montparnasse", 1925, Öl auf Leinwand

Das Musée de Montmartre präsentiert eine neue Ausstellung, die der sogenannten „L‘École de Paris“ der Moderne gewidmet ist. Sie zeigt eine Auswahl emblematischer Werke aus einer bedeutenden Privatsammlung.

 

Die Sammlung von Marek Roefler, des polnischen Kernphysikers und Geschäftsmanns, ist eine der interessantesten Kunstsammlungen, die sich auf das Verhältnis der Kunst von Migranten aus Mittel- und Osteuropa – insbesondere jüdischer Herkunft und aus Polen – und dem kulturellen Erbe der Zeit zwischen 1900 und 1939 zu Frankreich konzentriert und dieses bewahren möchte.

 

Der umfangreiche Bestand wurde erstmals 2010 der Öffentlichkeit präsentiert, als Marek Roefler ein eigens für seine Exponate gegründetes privates Museum in Konstancin-Jeziorna, südlich von Warschau, eröffnete, namens „Villa La Fleur“. Die Institution arbeitet mittlerweile mit Museen und privaten Sammlungen auf der ganzen Welt zusammen.

 

Die Ausstellung „L’École de Paris“[1], die von Herbst 2025 bis Winter 2026 im Museum von Montmartre zu sehen ist, beleuchtet die Entwicklung, Vielfalt und Kraft einer kosmopolitischen Künstlergeneration, die zum Aufblühen einer pluralistischen Moderne verhelfen sollte, und zwar genau in dem Viertel, in dem diese künstlerische Blütezeit ihren Ursprung hatte: auf dem Montmartre, und bevor das Quartier du Montparnasse zu ihrem neuen Zentrum wird.

Hier entstanden jene Stilrichtungen, die die europäische Kunst grundlegend veränderten und eine Reihe von Codices der modernen Kunst neu definierten.

 

Die Auswahl der Werke ehrt insbesondere Künstlerinnen und Künstler[2], die künstlerisch und stilistisch sehr unterschiedlich arbeiteten wie die Bildhauer Léon Indenbaum (1890–1981), Chana Orloff (1888–1968), Ossip Zadkine (geb. Yossel Aronovich Tsadkin, 1888–1967), die Maler Michel Kikoïne (geb. Michail Kikóin, 1892–1968), Moïse Kisling (1891–1953), Tamara de Lempicka (1898–1980) und Chaim Soutine (geb. Chaim Sutin,1883–1943).

 

Der Bewegung gehörten auch eine ganze Reihe von Künstlern an, die heute oft verkannt werden, in Vergessenheit geraten sind, aber wesentlich für die Dynamiken innerhalb der Gruppe wichtig waren: Henri Epstein (1891–1944), Alice Halicka (geb. Alicja Halicka, 1895–1975), Henri Hayden (geb. Henryk Hayden, 1893–1970), Louis Marcoussis (geb. Ludwig Marcus 1878–1941), Maurice Mendjizky (geb. Maurycy Mędrzycki, 1890–1951), Simon Mondzain (geb. Szamaj Mondszajn, 1888–1979), Mela Muter (geb. Maria Melania Mutermilch, 1876–1967), Marie Vorobieff (geb. Marija Worobjowa-Stebelskaja 1892–1984), Eugène Zak (geb. Eugeniusz Zak, 1884–1926), oder die Bildhauer Jozef Csaky (geb. József Csáky, 1888–1971), Boleslas Biegas (geb. Bolesław Biegas, 1877–1954), Xawery Dunikowski (1875–1964), Jean Lambert-Rucki (1888–1967) und Auguste Zamoyski (1893–1970). Zudem ist die Ausstellung noch mit Werken des italienisch-stämmigen Amadéo Modigliani addiert worden, der ebenfalls zur École de Paris gezählt wird.

 

Salon dAutomne 1912 Paris works exhibited by Kupka Modigliani Csaky Picabia Metzinger Le Fauconnier

Salon d'Automne, Salle XI, Grand Palais des Champs-Élysées, Paris, vom 1. Oktober bis 8. November 1912. Ausgestellt: Joseph Csaky (Groupe de femmes, Skulptur vorne links), Amedeo Modigliani vier Skulpturen auf weißen Sockeln. Weitere Werke von Jean Metzinger (Tänzerin in einem Café), František Kupka (Amorpha, Fuge in zwei Farben), Francis Picabia (Der Frühling) und Henri Le Fauconnier (Bergsteiger von Bären angegriffen) sind zu sehen. Fotograf unbekannt. Gemeinfrei.

 

Die Ausstellung zeichnet die Geschichte dieser heterogenen Künstlergruppe nach, die oft im Exil lebte und im Paris des frühen 20. Jahrhunderts einen fruchtbaren Boden fand, um die moderne Kunst weiterzuentwickeln und auch auszustellen[3]. Anhand von knapp 130 Werken entdecken die Besucher eine vielseitige Moderne, die von den großen Strömungen – Spätimpressionismus, Kubismus, Expressionismus, Fauvismus, Art Deco, Dadaismus und Surrealismus – geprägt und von einer grenzenlosen Freiheitssuche beseelt ist.

 

Diese Künstler bilden keine Schule im akademischen Sinne, sondern eine lose und informelle Gemeinschaft, die in der französischen Hauptstadt ihr Zentrum hatte und durch eine gemeinsame Vision von Kunst als universelle Sprache und über Grenzen hinweg vereint ist.

 

Figurenbilder, Atelierszenen, Porträts, Innenlandschaften oder Zufluchtsorte: Jedes Werk ist das Ergebnis einer einzigartigen Sicht auf die Welt, geprägt von Entwurzelung, Erinnerung und der Suche nach Identität. Die Ausstellung endet mit einer Einladung, den Blick auf das „Anderswo” zu richten, von den bretonischen Küsten bis zu den imaginären Landschaften der Träume, die von den Botschaften dieser künstlerischen Diaspora zeugen.

 

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Die Ausstellung ist in vier Abschnitte gegliedert und umfasst bedeutsame Werke (Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Archivmaterial).
Der erste Teil erläutert das Phänomen der École de Paris mit dem Zustrom ausländischer Künstler nach Paris, den Kreativitätszentren und den Ateliers, in denen sie ihre Kunst entfalten und zum Leben erwecken.

Anhand einer Reihe von Werken, die die Innovationskraft der Künstler zeigen, verdeutlicht der zweite Teil, inwiefern die École de Paris ein „Laboratorium” der Moderne ist, in dem Kubismus, Fauvismus und Expressionismus nebeneinander existierten und so zur Neudefinition der Codes der modernen Kunst beitrugen.

Der dritte Teil der Ausstellung bietet den Besuchern eine Auswahl von „Werken aus dem Exil” oder wie Künstler aus dem schöpften, was sie ausmachte, was sie in sich trugen, in ihrer Kunst: ihre Identität, ihr Gefühl der familiären, kollektiven oder religiösen Zugehörigkeit, die Entwurzelung und das Leid, das manche erlebten.

Der letzte Teil beginnt mit den Werken, die außerhalb von Paris entstanden sind. Die Reisen der Künstler in ihrer „neuen Heimat“ Frankreich – ins okzitanische Céret, nach Saint-Paul-de-Vence, Cassis oder Katalonien –, aber auch ihre inneren Reisen, mit all dem, was diese Künstler mit sich führten: Hoffnungen, Erwartungen, Träume und die Suche nach dem Sinn des Lebens. 

 

Louis Marcoussis Paysage de Kérity 1927 huile sur toile Collection Marek Roefler

Louis Marcoussi: Paysage de Kérity, 1927, Öl auf Leinwand, Collection Marek-Roefler.

 

Die École de Paris

Der Begriff „L‘École de Paris”, der 1925 vom Kunstkritiker, Schriftsteller und Grafiker André Warnod (1885–1960)[4] geprägt wurde, bezeichnet ein einzigartiges Phänomen in der Kunstgeschichte: den massiven Zustrom ausländischer Künstler nach Paris zwischen 1890 und 1939, der die französische Hauptstadt zu einem pulsierenden Zentrum der künstlerischen Moderne machte. Warnod nutzte die École de Paris, um Künstler mit Migrationshintergrund in eine Erzählung über französische Kunst zu integrieren[5]. Damit rechtfertigte er auch die künstlerische Migration in die Stadt Paris und lehnte die bestehende Fremdenfeindlichkeit und den Antisemitismus der französischen Kunstszene und in Teilen der Gesellschaft ab.

 

Unter diesen Künstlern, die hauptsächlich aus Mittel- und Osteuropa stammten, sind auch Künstler aus anderen europäischen Ländern, Nord- und Südamerika sowie aus Asien[6].

 

Diese beispiellose Vermischung führte zu einer internationalen, kosmopolitischen Kunstszene. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft und flohen vor Verfolgung, Antisemitismus, Pogromen, Krieg oder autoritären Regimes, um in Frankreich einen Ort der zu finden, der freiheitlicher war.

 

Die Sammlung Marek Roefler und die Villa La Fleur

Marek Roefler, polnischer Sammler und Gründer des Museums Villa la Fleur in Konstancin (in der Nähe von Warschau), hat seit über dreißig Jahren eine bemerkenswerte Sammlung von Gemälden und Skulpturen von Künstlern der École de Paris zusammengetragen.

 

Marek Roefler wurde 1952 in Warschau geboren und ist einer der bedeutendsten Kunstsammler Polens. Seit den 1990er Jahren begeistert er sich für die École de Paris und hat nicht nur eine einzigartige Sammlung zusammengetragen, sondern auch als Institution, historische Forschung und museales Engagement vereint.

 

Die Villa la Fleur, die in einer zwischen 2007 und 2009 restaurierten hundertjährigen Villa untergebracht ist, ist ein privates Museum, das 2010 von Marek Roefler gegründet wurde. Seit 2022 ermöglicht ein zweites Gebäude (Willa Granke), das durch einen Skulpturengarten verbunden ist, die Organisation bedeutender Ausstellungen wie die Retrospektiven zu Tamara de Lempicka (2023) oder Moïse Kisling (2024). Die Villa La Fleur hat sich heute als Referenz in Mitteleuropa für die Wiederentdeckung der modernen Kunst in ihrer ganzen Vielfalt etabliert.


L’École de Paris. Die Sammlung Marek Roefler

Zu sehen vom 17. Oktober 2025 bis 15. Februar 2026 im Musée de Montmartre

12, rue Cortot, in F-75018 Paris/Frankreich.

Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr.

Weitere Informationen (Musée Montmatre; engl.)

- Weitere Informationen („Villa La Fleur", Muzeum École de Paris; pl.)

 

Zur Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog in Französisch und Englisch (192 Seiten, 130 Abbildungen) mit wissenschaftlichen Beiträgen erschienen.

 

Fußnoten:

[1] Gemeint ist die Moderne Erste École de Paris, die sich nach der mittelalterlichen und der Novelle École de Paris einreiht.

[2] In der Zeit zwischen 1905 bis 1939.

[3] Die Künstlerinnen und Künstler stellen u.a. regelmäßig im Salon d'Automne und dem Salon des Indépendants und in privaten Galerien aus.

[4] 1928 wurde Warnods Buch „Les peintres de Montmartre“ veröffentlicht, 180 Seiten mit vielen Illustrationen und Werkabbildungen.

[5] Vgl.: Annabel Ruckdeschel: “École de Paris” In and Out of Paris (1928–1930). A Transregional Perspective on the Exhibitions of the “School of Paris” in Venice, Cambridge, Recife, São Paulo, and Rio de Janeiro. (https://stedelijkstudies.com/journal/ecole-de-paris-in-and-out-of-paris-1928-1930-a-transregional-perspective/)

[6] U.a. Spanien (Pablo Picasso, Juan Gris), Italien (Amadéo Modigliani, Mario Tozzi), Niederlande (Kees van Dongen), Rumänien (Constantin Brâncuși, Victor Brauner) Mexiko (Diego Rivera), Chile (Ortiz de Zárate), Brasilien (Vicente do Rego Monteiro), Japan (Tsuguharu Foujita, Yasuo Kuniyoshi), China (Georgette Chen) und den Vereinigten Staaten (Alexander Archipenko)

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