Theater - Tanz

Man lese und staune: Die deutsche Erstaufführung des Musicals „Cabaret“ fand am Theater Lübeck statt. Das war im Jahr 1971, fünf Jahre nach der Uraufführung am Broadway. 2005 war das Musical noch einmal in Lübeck zu erleben.

 

Jetzt bringt Schauspieldirektor Malte C. Lachmann das Stück hier erneut auf die Bühne des Großen Hauses - und findet erschreckende Parallelen im Heute. Besonders deutlich wird dies am Ende des Abends, wenn alles in Unordnung gerät: Die Szenerie kippt, die Elemente auf der Drehbühne kreisen um sich selbst und umeinander, die Menschen wirken desorientiert und desillusioniert, ihr Gesang klingt schräg, die Töne reiben sich aneinander. Betroffenheit, Chaos und Ratlosigkeit beherrschen die Szene, erreichen und ergreifen auch das Publikum. Regisseur Malte C. Lachmann dürfte sein Ziel erreicht haben. Wir gehen nachdenklich nach Hause.

 

Das Ziel ist erreicht

Malte C. Lachmann wollte die Zuschauer nachdenklich machen, sie dazu bringen, die eigene Position zu reflektieren. Sich Fragen zu stellen wie: „Was hätte ich damals getan? Was tue ich jetzt?“, sagte der Regisseur im Interview (Schleswig-Holstein-Magazin vom 15. Februar). Das ist ihm gelungen, zumal dieser Lübecker Theaterabend anders endet als erwartet: Nazi Ernst Ludwig übergibt dem Conférencier einen Zettel, den dieser laut vorliest: „Die offizielle Erinnerungskultur darf sich nicht nur auf die Tiefpunkte unserer Gesellschaft konzentrieren, sie muss auch die Höhepunkte im Blick haben. Ein Volk ohne Nationalbewusstsein kann auf die Dauer nicht bestehen.“ Nachzulesen ist dies im Bundeswahlprogramm der AfD. So geriet dieser Abend, der zunächst harmlos-unterhaltsam begann, mehr und mehr in undurchsichtig-tiefes Gewässer. Am Ende schien auch dem Publikum kurzzeitig die Luft zum Atmen zu fehlen, nahm die Nachdenklichkeit überhand. Einzig aus diesem Grund blieb der berechtigte heftige Applaus, blieben die Standing-Ovations aus. Dankend geklatscht wurde trotzdem.

 

Galerie - Bitte Bild klicken
Große Liebesgeschichte

Zunächst einmal aber wird uns in „Cabaret“ eine Liebesgeschichte erzählt: Die attraktive englische Nachtclubsängerin Sally Bowles (Sonja Cariaso) und der erfolglose amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw (Will Workman), der bisher nur ein Buch veröffentlicht hat mit miesen Verkaufszahlen, lernen sich am Silvesterabend 1929 im Berliner „Kit Kat Klub“ kennen. Hier arbeitet Sally als Nachtclubsängerin. Cliff ist gerade mit dem Zug aus Paris in Berlin angekommen und hat für wenig Geld zur Untermiete ein ärmliches Zimmer bei einer älteren Dame bekommen. Den Lebensunterhalt würde Cliff am liebsten mit Schriftstellerei verdienen, doch das sind Träumereien. Stattdessen muss er Sprachunterricht geben. Sein einziger Schüler ist der zwielichtige Ernst Ludwig (Johannes Merz), den Cliff im Zug nach Berlin kennengelernt hat. Trotz aller Gegensätzlichkeit verlieben sich Sally und Cliff und Sally zieht bei Cliff ein. Trotz der prekären Verhältnisse scheint das Glück der frisch Verliebten perfekt zu sein. Doch das ist nicht von Dauer. Cliff steckt in einer kreativen Krise und ist oft schlechter Laune. Sally ist schwanger, will aber weiter im Kit Kat Klub arbeiten. Das wiederum gefällt Cliff nicht. Er will allein für den Lebensunterhalt zuständig sein, auch wegen des gemeinsamen Kindes. Naive Träumereien, die sich nicht realisieren lassen und daher kippen.

 

Faschismus und Antisemitismus

Auch die Stimmung der „Goldenen Zwanziger“ kippt mehr und mehr. Faschismus und Antisemitismus vergiften die Gesellschaft. Selbst Zimmerwirtin Fräulein Schneider kann die Augen vor dem aufziehenden Nationalsozialismus nicht länger verschließen. Als sie einen Heiratsantrag vom jüdischen Gemüsehändler Herrn Schultz (Michael Fuchs) erhält und die beiden sich verloben, eskaliert die Lage: Während der Verlobungsfeier werden die Scheiben seines Ladens eingeworfen. Zutiefst erschrocken löst Fräulein Schneider die Verlobung wieder. Auch Cliff ist angesichts der politischen Lage in Deutschland alarmiert. Er entscheidet sich, nach Amerika zurückzukehren. Sally lässt das gemeinsame Kind abtreiben und bleibt in Berlin. Schon im Zug beginnt Cliff an seinem neuen Roman weiterzuschreiben. Die persönliche Krise als Schriftsteller ist vorbei. Die politische Krise in Deutschland aber hat gerade begonnen… Lübecks Schauspieldirektor Malte C. Lachmann setzt mit seiner Inszenierung von „Cabaret“ den Untergang der Weimarer Republik in Szene und findet erschreckende Parallelen im Heute.

TL 1 Cabaret F Katrin Ribbe

V.l.n.r.: Susanne Höhne (Fräulein Kost), Astrid Färber (Fräulein Schneider), Michael Fuchs (Herr Schultz). Foto: Katrin Ribbe

 

Trostlose, eindringliche Kulisse

Berliner Hinterhofatmosphäre, graue Mauern, bemalt mit dunklen Fratzen und Schriften, bilden in Lachmanns Inszenierung die trostlose, aber eindringliche Kulisse (Bühne: Ramona Rauchbach). Auf der Drehbühne wird diese Kulisse mit Hilfe von drei ebenfalls drehbaren halbkreisförmigen Räumen gestaltet. Manchmal sehen wir in einem der Halbräume die siebenköpfige Band, die mit ihrem Leader Willy Daum Großartiges leistet. Am Anfang und am Ende des Musicals sehen wir ein Eisenbahnabteil. Und immer wieder das armselige Zimmer, bewohnt von Cliff und Sally. Stets im Vordergrund ist der Hinterhof. Hier treffen sich die Menschen, ob sie wollen oder nicht. Das trifft insbesondere auf Fräulein Kost (Susanne Höhne) zu, die mit ihren wechselnden Liebhabern eher nicht gesehen werden möchte. Hier treten aber auch Nazis auf. Darunter der eine, der uns am Ende ziemlich erschrecken wird.

 

Versuch einer späten Liebe

Eine besonders anrührende Liebesgeschichte, die unerfüllt bleibt, ist die Geschichte von Fräulein Schneider (Astrid Färber) und Herrn Schultz (Michael Fuchs). Das ist Kabarett im Cabaret, voller Sprach- und Spielfreude! Was nicht gleichbedeutend mit Komik ist. Beileibe nicht. Die beiden spielen und singen, als spielten und sängen sie um ihr Leben. Rührend, wie der Gemüse- und Obsthändler seine Angebetete täglich mit einer Tüte Obst überrascht. Rührend ist auch, wie linkisch die beiden Nachbarn mit ihren Gefühlen zueinander umgehen. Erschreckend hingegen ist, wie Fräulein Schneider sich zu ihrem Verlobten, dem jüdischen Herrn Schultz verhält, als die Nazis an Gewicht gewinnen und die Juden zu Feinden, zu Unmenschen, zu Nichtmenschen erklärt werden. Fräulein Schneider verhält sich ängstlich und dennoch entschieden: Sie trennt sich – wenn auch mit Traurigkeit – beherzt von ihrem Verlobten, nach nur einem Tag Verlobungszeit.

 

Höhepunkt mit Cabaret-Song

Das Lübecker Schauspielensemble überzeugt auch diesmal sowohl in der Ensemble- als auch in der Einzelleistung. Andreas Hutzel als Conférencier spielt seine Rolle perfekt als leicht verkommener und dennoch würdevoller Entertainer mit stets blau umrandetem Auge (von einer Schlägerei?) und einem Rest von Glamour (aus der guten alten Cabaret-Zeit der 20er Jahre?). Die Kit-Kat-Girls und Boys, Matrosen, Zollbeamte, SS-Schergen und – man lese und staune abermals – sogar Gorilla-Mädchen bevölkern die Bühne. Sie alle singen, spielen, tanzen mal ekstatisch, mal lasziv zwischen dem geteilten roten Vorhang, auf der goldglänzender Treppe, unterm Glitzervorhang. Das Liebespaar Sally und Cliff wird glaubhaft dargestellt von Sonja Cariaso und Will Workman. Die nachdenklichen Sprechpausen zwischen den beiden könnten allerdings etwas kürzer ausfallen. Den absoluten Höhepunkt des Abends erreichte Sonja Cariaso kurz vor Schluss mit ihrer Interpretation des Cabaret-Songs. Hier braucht sie keine Vergleiche zu scheuen – auch den Vergleich mit Liza Minelli nicht. Und das will schon etwas heißen!


Cabaret – Musical

Buch von Joe Masteroff nach dem Stück „Ich bin eine Kamera“ von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood. Gesangstexte von Fred Ebb. Musik von John Kander. Deutsch von Robert Gilbert.

In der reduzierten Orchesterfassung von Chris Wolter

Zu sehen am Theater Lübeck, Großes Haus, Beckergrube 16, in 23552 Lübeck

Weitere Termine: 21/02 (Theatertag), 01/03, 07/03, 15/03, 20/03 jeweils 19.30 Uhr sowie weitere Termine, Großes Haus

Mit: Sonja Cariaso (Sally Bowles), Astrid Färber (Fräulein Schneider), Michael Fuchs (Herr Schulz), Susanne Höhne (Fräulein Kost), Andreas Hutzel (Conferéncier), Johannes Merz (Ernst Ludwig), Will Workman (Clifford Bradshaw), 

Kit Kat-Girls & -Boys, Matrosen, Zollbeamte, SS-Scherg:innen und Gorilla-Mädchen: Sabine Barthelmess, Konstantin Busack, Kristin HeilLaura MahrlaRené-Pascal HirschmannNils Martens,

Band: Urs Bentersbusch, Willy Daum, Jonathan Göring, Tobias Hain, Edgar Herzog, Peter Imig, Helge Tischler

Inszenierung: Malte C. Lachmann | Musikalische Leitung: Willy Daum | Bühne: Ramona Rauchbach | Kostüme: Tanja Liebermann | Choreografie: Tiago Manquinho | Licht: Jan Moritz-Bregenzer | Ton: Niclas Breslein | Dramaturgie: Veronika Firmenich

Weitere Informationen (Theater Lübeck)

 

Engagement gegen Rechts

Die Dagmar Heidenreich & Inga Lohse Stiftung unterstützt die Schauspielproduktion „Cabaret“ des Theater Lübeck mit einer Förderung in Höhe von 5.000 €. Die großzügige Spende bezieht sich auf das Engagement gegen Rechts, das mit dieser Inszenierung zum Ausdruck gebracht wird. Inga Lohse, von der Dagmar Heidenreich & Inga Lohse Stiftung, begründet die Förderung: „Es ist die Pflicht des Staates, dass alle Bürgerinnen und Bürger nachts gut schlafen können. Diese Aufgabe muss aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern selbst wahrgenommen werden. Das Stück ›Cabaret‹ verdeutlicht, was passieren kann, wenn niemand diese Pflichten erfüllt.“  Hierfür ist Schauspieldirektor Malte C. Lachmann dankbar: „Bei ›Cabaret‹ handelt es sich vordergründig um ein weltbekanntes Musical, das Unterhaltung auf höchstem Niveau verspricht, die wir mit unserem fantastischen Ensemble liefern werden. Dadurch erhoffen wir uns, möglichst viele Menschen zu erreichen, sie aber eben nicht nur zu unterhalten, sondern auch auf die Parallelen zwischen der Welt der frühen 1930er-Jahre und unserer politischen Lage heute hinzuweisen. Dass diese Verquickung von Unterhaltung und politischem Engagement von der Dagmar Heidenreich & Inga Lohse Stiftung unterstützt wird, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. In diesen Zeiten ist es wichtig, gemeinsam für Demokratie und gegen das Erstarken von ultrarechten Tendenzen einzustehen und genau dafür steht das Engagement der Stiftung, deren Zuspruch über die letzten Jahre hinweg uns mit großem Stolz erfüllt.“

 

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.