Musik
Daniel Behle: Hamburger Jung und Ausnahme-Tenor

In der Elbphilharmonie singt er den Loge im „Rheingold“, in Bayreuth den David in „Die Meistersinger von Nürnberg“. Gerade hat er eine Schubert-CD vorgelegt, mit zauberhaften Arien aus dessen vergessenen Kurzopern. Und im vergangenen Oktober seine Heimatstadt tenoral angehimmelt. Kein Zweifel: Daniel Behle hat im Augenblick einen guten Lauf. Ein Gespräch mit Thai-Süppchen über Tuba-Quartette, Klinger und Fritz Wunderlich und vieles mehr.

Loge, der unstete Wotan-Flüsterer, sitzt im Thai-Restaurant am Kaiserkai nahe der Elbphilharmonie vor einem feuerscharfen Süppchen. Glücklich, mal wieder zwei Wochen in seiner Heimatstadt sein zu können. Die Proben für das konzertante „Rheingold“ mit Marek Janowski haben noch nicht begonnen, noch heißt der Herr des Feuers ganz bürgerlich Daniel Behle. Und nörgelt ein bisschen über den Wagners Loge, den er am 26. Mai zum ersten Mal singen wird: „Mittellagiges Gesinge, ich bemühe mich, dass es nicht steif und wie im Korsett klingt. Der Loge ist ja fast schon eine Sprechrolle – gut, eine mit lyrischen Phrasen. Aber der muss den Leuten ja auch viel vertellen. Da fehlt die ganze Leichtigkeit eines Richard Strauss etwa, und ich muss zur Abwechslung Lieder singen oder Rossini üben.“ Er lacht.

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Eigentlich wollen wir über Schubert reden. „Schubert Arias & Overtures“ steht auf seiner brandneuen CD, sie enthält Orchesterstücke und Arien aus lange vergessenen Kurz-Opern, deren Namen so gut wie vergessen sind und nach deren Noten in den Tiefen der Archive gegraben werden musste. Das ist Behle pur: Dinge tun, die andere abschrecken würden, aus reiner Lust und Leidenschaft, aus Abneigung gegen Schubladen und aus Freude an der Musik. Bei diesen Schubert-Arien geht er wie in einem Liederzyklus auf die Suche nach Wahrheit und Tiefe der Empfindung – so wie die frühe deutsche Oper sich zu Schuberts anfing abzugrenzen begann von italienischem und französischem Gesangsvirtuosentum und von leerer Koloratur-Akrobatik. Schubert schrieb diese Musik nicht für harte Helden, sondern für romantische Liebhaber – klare, von allem Zierrat befreite, sehr sangliche Melodien.

Wie geschaffen für den Hamburger Jung Daniel Behle, Jahrgang 1974, und seinen hohen, hell timbrierten, gerne weich angesetzten, pianofähigen, gleichwohl mit Kraft ausgestatteten und immer offen klingenden Ausnahme-Tenor und seine bemerkenswert deutliche Artikulation. „Wie Peter Schreier“, sagen die einen. „Wie Fritz Wunderlich“, diagnostizieren die anderen. Behle, ein Mann klarer Worte, würde vermutlich jetzt am liebsten sagen: „Nöö, wie Behle.“ Sagt er aber nicht, sondern erzählt von Wunderlich, dessen Tochter er kennt, und davon, wie hart der 1966 tödlich verunglückte Tenor an all dem gearbeitet hat, am Text, an der der Linie, bis es so leicht, locker, selbstverständlich und natürlich geklungen hat.

„Anfangs hab ich Sänger nachgemacht – die fand ich so albern“
Darauf kommen wir noch, erstmal aber die Frage, wann er spürte, dass sein Lebensweg auf das Singen hinauslief? „Spät“, sagt er, „anfangs habe ich Posaune studiert und Komposition“. Und hat er damals schon gesungen? „Nur in der Schulmusik“, aber er hat gern die Sänger karikiert – „ich fand die so albern, ich hab die also nachgemacht und gemerkt: Ich bin gar nicht so schlecht im Nachmachen. Da hörte ich schon manchmal: Mach das doch mal richtig!“

Dann hat seine Mutter, die Sängerin Renate Behle, großer dramatischer Sopran, ihm aus Spaß mal Unterricht gegeben, weil einer ihrer Schüler ausgefallen war. Und ich hatte grad keine Lust, Posaune zu üben, da hat sie gesagt: Sing doch mal was! So habe ich mit 24 meinen ersten Ton gesungen und mit 28 mein erstes Geld damit verdient beim ersten Engagement in Oldenburg. 2009 erscheint seine Aufnahme von Schuberts „Die schöne Müllerin“, 2010 singt er in René Jacobs’ „Zauberflöte“ einen anbetungswürdigen Tamino. Seit 2009 sind 18 CDs mit ihm erschienen. Keine Frage, Daniel Behle hat einen richtig guten Lauf.

Natürlich hilft es, umgeben von Musik aufzuwachsen, die Mutter Sängerin, der Vater 27 Jahre Oboist und Englischhornist im NDR-Sinfonieorchester – aber Arbeit ist es, vor allem. Seine hoch gelobte Artikulation zum Beispiel, die den Text klar verständlich rüberbringt. „Die kommt von meiner Mama – die hat mir das beigebracht. Es wird gelehrt, über die harten Konsonanten eine Verständlichkeit herzustellen. Die produzieren am Ende aber doch am wenigsten Klang, der kommt über die Halbklinger.“ Halbklinger? „Das ist zum Beispiel ein L, ein J, ein W, ein stimmhaftes S oder SCH. Beim N musst du das in den Klang hineinholen, damit du kein ‚Lad’ singst, sondern ein Land.“

„Es heißt ‚Land’, nicht ‚Lond’ oder ‚Lind’“
Und dann natürlich die saubere Färbung der Vokale: „Wenn du ein ‚Land’ hast, dann ist ein gutes A wichtig, damit du kein ‚Lond’ singst oder ein ‚Lind’. Es ist doch ein Unterschied, ob du ‚Mädchen’ singst oder ‚Medchen’, ‚Meeressäugetier’ oder ‚Märessäugetier’. Ob man sich die Zeit nimmt, ein Phrase zu Ende zu sprechen in der richtigen Diktion.“

Üben tut er das zum Beispiel beim Vorlesen für die Kinder. „Es ist mir wichtig, dass die Sprache nicht verroht. Wenn ich schon in einem Business bin, wo es so viele schöne Stimmen gibt, da kann ich mich doch absetzen durch den Text, auch von den internationalen Kollegen, Deutsch ist halt mal meine eigene Sprache.“ Die eine oder andere Passion als Evangelist hilft sicher auch, so wie kürzlich Bachs Johannes-Passion mit Thomas Hengelbrock? „Klar, da treff ich mich gern wieder mit den älteren Kollegen wie Peter Schreier, die halt auch über die Textverständlichkeit viel mehr vermittelt haben.“

Mit Daniel Behle sprechen heißt springen. Wie anders könnte das auch gehen, wenn einer so viele Projekte in den unterschiedlichsten Stadien der Realisierung im Kopf hat? Vor Schubert war es „Mein Hamburg“, eine CD mit Hamburg-Liedern, von ihm selbst arrangiert, zum Teil getextet, manches komponiert. Ein „Raus-aus-der-Opernsänger-Schublade“-Projekt, in das er dann doch wieder hinterhältig umgedichtete Tenor-Hits hineingeschmuggelt hat. So wie Schuberts Winterreise, die er für Tenor und Klaviertrio arrangiert hat. Beide Programme singt er gern auch live.

Gerade arbeitet er an einer Weihnachtslieder-CD, eine ganz besondere, eine Art Passion. Dann, direkt vor der Nase, liegt „Rheingold“, mit dem er sich die Elbphilharmonie erobert, und im Sommer ist er bei Wagners „Die Meistersinger“ erstmals in Bayreuth, er singt den David. Und im Hügel-„Rheingold“ den Gott Froh gleich mit. Und wer sagt, dass hinter der nächsten Ecke nicht der Lohengrin oder ein Siegmund lauert?

Außerdem komponiert er noch, Stücke mit lustigen Titeln wie „Albern Werk“ oder „Wiesn“, letzteres wurde auf der Hamburg-CD dann zum „Klabautermann“ umfunktioniert. Und dann sind da auch noch Tuba-Quartette. Wer spielt denn sowas? „Ich kannte eben ein Tuba-Quartett, die Gebrüder Ohrentaub, die haben sogar eines von mir eingespielt auf CD. Ich bin halt Posaunist und kenne wahnsinnig viele Blechbläser.“ In solchen Projekten verwirklicht er das, was die Opernkarriere nicht hergibt. „Ich kann ja schreiben, was ich selbst gerne hören will, da kämpfe ich schon mal gegen meinen inneren Ralph Siegel. Aber am Ende steckt immer ein innerer Dialyse-Prozess im Komponieren, man schreibt drauf los, und dann fang ich an zu radieren und destillieren.“

„Irgendwann mach ich auch meine Behl-Canto-CD“
Irgendwie landet, als die feurige Suppe langsam kühler wird, das Gespräch doch wieder bei Fritz Wunderlich. „Ich werde ja immer wieder konfrontiert mit Wunderlich“, sagt Behle, „jeder darf das gerne sagen, das ist ein Kompliment, aber es sind eben doch unterschiedliche Stimmen, mit einem unterschiedlichen Ansatz auch, Wunderlich ist in seiner Zeit verhaftet, in den 50er Jahren hat man anders Text gesprochen und auch anders gesungen.“ Trotzdem: Der Tenor mit der ultraklaren Stimme war nämlich lange Teil von Behles Ritual vor Auftritten, Musik für die Verwandlung vom Privatmann zum Sänger auf der Bühne. Er hat Wunderlich auf dem Weg zu Konzerten gehört. „Alte Aufnahmen, besonders, wenn ich das Gefühl hatte, ich habe mich verloren, die Stimme sitzt nicht, ist zu schwer, alles über A ist Krampf.“ Wunderlich als Wunderwaffe und mentaler Coach, der einen daran erinnert, was man selber will und kann.

Am Ende landen wir wieder in Bayreuth, das eine lange Strecke belegt im Sommer. „Ja, da bin ich aber mit der ganzen Familie.“ Behle wohnt in Basel, weil er eine Schweizerin geheiratet hat, die beiden haben drei Kinder. Zwei hat er mitgebracht nach Hamburg, zu seiner Mutter in Niendorf. „Ich möchte ja keiner von den völlig verlebten Operntenören werden, die zum dritten Mal geschieden sind und ihre Kinder kaum sehen. Da muss man in seinem Ego eben ein bisschen zurückstecken.“ Wie viele Auftritte im Jahr hat er? „Meine Frau sagt immer: zuviel, ich sage: genau richtig.“ Wobei er auf einen guten Anteil von Liederabenden achtet, damit er nicht so lange von der Familie getrennt ist. Sein Terminkalender verzeichnet bis Jahresende gut 30 Auftritte.

Auffällig selten vertreten sind bei ihm Werke der zeitgenössischen Musik. „Ach, da mach ich auch was, in der Warteschleife hängt derzeit etwa ein Hölderlin-Fragment, 45 Minuten, von Peter Michael Hamel. Generell aber bin nicht so ein großer Fan von Musik, die gegen die Stimme geht. Wenn die Komponisten Stimmen zu instrumental behandeln, find ich das einfach nicht gut. Jemand wie Manfred Trojahn schreibt wunderbar für die Stimme: Linien, die müssen nicht mal tonal sein. Aber ein Ausdruck des Sängers entsteht am besten über eine Linie, sonst könnten wir auch Schauspieler nehmen. Fürs Husten und Pusten brauche ich keinen Sänger, den brauche ich für eine Linie.“
Ein letzter Sprung, zu seiner Mozart-CD, an der er arbeitet. Und zum Abschluss ein echter Behle: „Und irgendwann mach ich bestimmt auch meine Behl-Canto-CD.“ Dann schnappt sich Behle seinen Rucksack und geht Richtung U-Bahn. Ein Hamburger Jung auf dem Weg nach Bayreuth.


Daniel Behle: Schubert – Arias & Overtures
Mit dem L’Orfeo Barockorchester auf Instrumenten der damaligen Zeit gespiel. Leitung: Michi Gaigg.
CD deutsche harmonia mundi
8898 5407 212

Daniel Behle: Mein Hamburg
Mit dem Schnyder Trio und Elbeblech.
CD Berlin Classics
0300826BC

Daniel Behle: Schubert – Die schöne Müllerin
Mit Sveinung Bjelland, Klavier.
CD Capriccio
5044

Die beiden konzertanten Vorstellungen von „Rheingold“ in der Elbphilharmonie am 26. und 27. Mai sind ausverkauft.

Abbildungsnachweis:
Header: Daniel Behle. Foto Marco Borggreve
CD-Cover

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