Literatur
Else Lasker-Schüler: „Jussuf und sein treuer Bruder Bulus im Tempel" und „Der Bund der wilden Juden“, 1923, Lithografie, handkoloriert mit Farbstift, je 32x23,4cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München. Lizenz: CC0 1.0. Rechts: Else Lasker-Schüler als Jussuf Prinz von Theben um 1910 © Else Lasker-Schüler-Gesellschaft

Für die einen ist sie eine der bedeutendsten Stimmen der deutschen Lyrik im 20. Jahrhundert, für die anderen kaum mehr als die verrückte Kurzzeit-Freundin Gottfried Benns. Der sehr unklassischen Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945) widmet das Günter-Grass-Haus in Lübeck eine Sonderausstellung.

Das Günter-Grass-Haus, das in den letzten Monaten gründlich überholt wurde und entsprechend lange geschlossen blieb, sieht sich in seinen Sonderausstellungen den künstlerischen Mehrfachbegabungen verpflichtet. Wie Grass, der nicht nur als Autor, sondern noch zusätzlich als Steinmetz arbeitete und Aquarelle und Lithografien schuf, sollen die Protagonisten sich auf verschiedenen Gebieten bewähren.

 

In diesem Sommer wird eine Frau dargestellt, die auch gemalt hat, aber heute vor allem mit ihren Gedichten präsent ist – unter anderem, weil einige ihrer Verse zu den Höhepunkten der von Karl Pinthus herausgegebenen Anthologie der expressionistischen Lyrik zählen. „Ein alter Tibetteppich“ zählt zu den berühmtesten Gedichten der „Menschheitsdämmerung“ von 1919.

 

Deine Seele, die die meine liebet,

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet,

 

Strahl in Strahl, verliebte Farben,

Sterne, die sich himmellang umwarben,

 

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,

Maschentausendabertausendweit.

 

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,

Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?

 

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Else Lasker-Schüler hatte kein einfaches Leben – schon mit ihren beiden Scheidungen verstieß sie gegen alle Konventionen, und dazu provozierte sie mit ihrer avantgardistischen Lyrik und ihren Auftritten. In dieser Ausstellung wird sie als „zeitlos“ apostrophiert, aber tatsächlich ist kein Künstler zeitlos. Vielmehr war sie eine Avantgardistin – in manchem ganz ihrer Zeit verpflichtet, in anderen ihr weit voraus. Erst Jahre später wurden Performances wie die ihren üblich, Auftritte, in denen sie als „Jussuf, Prinz von Theben“ in Herrenkleidung auftrat. Denn das Androgyne wurde erst in den Zwanzigern so richtig en vogue.

 

Noch dazu war sie eine Malerin und eng mit Franz Marc (1880–1916) befreundet. Marc, Gründungsmitglied des „Blauen Reiters“, schickte ihr eine Fülle von ihm selbst gestalteter Postkarten, und sie antwortete mit einer Mixtur aus Texten und Zeichnungen, von denen etliche in der Ausstellung bewundert werden können. In schöner steiler, leicht zu entziffernder Handschrift formulierte sie ihre oft sehr liebevollen Grüße, und dazu kamen dann noch kleine bunte Zeichnungen am Rand oder darunter.

 

Franz Marc Versoehnung 1912 nach dem Gedicht von Lasker Schueler

Franz Marc: „Versöhnung, (nach dem gleichnamigen Gedicht von Else Lasker-Schüler), 1912, Holzschnitt auf Japanbütten, 20x26cm. Gemeinfrei

 

So bekannt Lasker-Schüler in Künstlerkreisen war, so viele berühmte Freunde sie besaß, sie selbst hatte kein Glück und blieb Zeit ihres Lebens bitterarm – und es besserte sich nicht im Laufe der Jahre, sondern wurde nur noch immer schlimmer, nicht zuletzt der politischen Umstände wegen. Angesichts von Antisemitismus und Krieg verschlug es die Jüdin schließlich nach Israel, wo sie 1945 in Jerusalem starb. Eine Außenseiterin war sie in jeder Hinsicht, ein perfektes Feindbild – wohl nicht allein für die Nazis.

 

Ich musste beim Gang durch die Ausstellung wiederholt an Rilke denken, der auch nicht im Geld schwamm, aber sehr gern erster Klasse durch Europa reiste und in einsamen Schlössern nächtigte, wo er seine Gedichte und noch dazu viele, viele Briefe schrieb. Die Schlossherren ließen ihn oft allein, waren aber so freundlich, eine aufs Genaueste instruierte Dienerschaft zurückzulassen, die sich gern auf die Ernährungsgewohnheiten des Dichters – eines anspruchsvollen Vegetariers – einließ. So ging es Rilke trotz seiner Probleme ziemlich gut – so gut, wie ihr schlecht.

Gleich wiederum waren sie in einer anderen Hinsicht: Ihr unbedingtes, absolut kompromissloses Bekenntnis zur Kunst, das bis zur Selbstvernichtung ging, trieb sie beide zu einer Höhe, zu der nur wenige gelangen. Sie haben dafür gebüßt.

Rilke eignet sich sehr gut als Gegenbild zu den expressionistischen Dichtern insgesamt, ganz besonders aber zu Lasker-Schüler. Sie, obwohl heterosexuell, verkleidete sich als Mann, wogegen er so etwas wie ein inneres Mädchen besaß („l`interne Eve“ nannte er dieses Wesen in einem französischen Gedicht), und Rilke mit seinem kostbaren Vokabular, den vielen Anspielungen auf Italien oder auf antike Mythen und endlich seinen kunstvoll geschmiedeten Sonetten nahm in jeder Hinsicht die Kontraposition zu den Expressionisten ein.

 

Günter Grass hat sich in „Mein Jahrhundert“ die nette Geschichte ausgedacht, er sei auf einem Berliner Flohmarkt per Zufall auf drei Postkarten gestoßen, die Lasker-Schüler zuvor an Gottfried Benn geschickt hatte, mit dem sie einst durch das Nachtleben des Vorkriegs-Berlin gezogen war. Die Postkarten aber waren mitnichten nur beschriftet – sie waren immer mit farbigen Zeichnungen geschmückt. Wirklich nehmen solche Bilder einen wichtigen Teil ihrer Biografie ein und finden sich auch in der Ausstellung angemessen vertreten. Schwarze Umrisslinien und bunte Kreide: ästhetisch sind viele dieser Zeichnungen sehr reizvoll. Die Ausstellung zeigt über 45 Originalzeichnungen, mehr als zwanzig illustrierte Briefe und Postkarten, in Vitrinen viele ihre Bücher und dazu noch einige studentische Videos, die das 1913 niedergeschriebene, aber mehr als hundert Jahre nicht realisierte Drehbuch „Plumm-Pascha“ nun endlich doch umsetzten – auf eine je sehr individuelle Weise. Schließlich finden sich auch drei Kostüme, zu denen sich junge Kleiderschaffende von Fotos inspirieren ließen, die die Auftritte der Künstlerin dokumentieren.


„Else Lasker-Schüler – Künstlerin, Dichterin, Weltenbauerin“

Die Sonderausstellung ist bis Sonntag, 9. November 2025 im Günter-Grass-Haus, Glockengießerstraße 21, in 23552 Lübeck zu sehen.

Kuratiert von Dr. Paula Vosse 

Weitere Informationen (GGH) https://grass-haus.de/

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