Heinrich Breloer gilt als einer der größten Thomas-Mann-Kenner. Es ist also kein Wunder, wenn Breloers Buch „Ein tadelloses Glück“ zahlreiche Fakten enthält, die eher unbekannt sind.
So erfahren wir Leser beispielsweise, es gab in Lübeck einst ein Sommertheater namens Tivoli. Und wir erfahren, wie Thomas Mann zu seiner Taschenuhr kam. Geschickt eingeflochtene Informationen und hübsch erzählte Anekdoten wie diese bringen uns viele kleine und große Dinge rund um den großen Schriftsteller nahe, dessen 150. Geburtstag das ganze Jahr über gefeiert wird. Auf unterhaltsame Weise können wir mit diesem Buch unsere Kenntnisse rund um den Lübecker Literaturnobelpreisträger erweitern.
Heinrich Breloer zählt zu den bedeutendsten Film- und TV-Autoren Deutschlands und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet, darunter mit acht Grimmepreisen, dem Emmy und dem Deutschen Fernsehpreis. In der öffentlichen Wahrnehmung ist er mit den Manns so stark verbunden wie wenige andere. Den meisten von uns ist Heinrich Breloer mit seinem TV-Mehrteiler „Die Manns“ und seiner Verfilmung der „Buddenbrooks“ bekannt geworden. Der große Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki lobte damals diese Filme als „Glanzstück“ und „Höhepunkt der deutschen Filmkunst“.
Jetzt geht Breloer einen anderen Weg, der weit zurückgeht in die Erfolgsgeschichte des Literaturnobelpreisträgers und zurückführt zu den Anfängen, in die Zeit vor dem lang ersehnten Ruhm. In seinem erzählerischen Sachbuch „Ein tadelloses Glück“ konstruiert Breloer nun die Geschichte des jungen Thomas Mann auf dem Weg zum Erfolg. Faktengestützt schildert der Emmy-Preisträger mit erzählerischer Verve die miteinander verwobenen Schicksale von Thomas Mann und Katia Pringsheim.
Für alle Leser, die an der Aufstiegsgeschichte des Lübecker Nobelpreisträgers interessiert sind, ist dieses bewusst keinem Genre zugeordnete Buch ein eigenständiges, aufschlussreiches und daher lesenswertes Werk. Es schafft Nähe und hält zugleich respektvoll Distanz zum großen Schriftsteller Thomas Mann.
Das gelingt dem Autor auf feinsinnige kluge Art und Weise. Dabei enthält der rund 450 Seiten starke, faktengestützte Text auch romanhafte Züge. Wenn auch sämtliche Dialoge auf Recherchen, Dokumenten und Gesprächen beruhen, so sind sie doch in der Darstellung und Zusammenfügung gelegentlich frei erfunden, wie uns Heinrich Breloer im Vorwort, das er „Vorweg“ nennt, erklärt: „Ich habe mir damit die Freiheit des romanesken Erzählens genommen, habe Orte, Menschen und Begegnungen nicht immer haargenau nach Tag und Stunde eingehalten. Zwischen der naturalistischen Genauigkeit und dem verdichteten Erzählen gibt es Gewinne, auf die ich nicht verzichten wollte.“ Und das ist gut so!
In meist kurzen Kapiteln mit Überschriften wie „Puppentheater“, „Vatertod“, „Blick in den Abgrund“, „“Eifersucht“, „Der Nerv der Dinge“, „Ein strenges Glück“ oder „Tod in Venedig“ schafft Breloer es gleich zu Beginn, das Interesse bei uns Lesern zu wecken. Und es gelingt ihm über alle Kapitel hinweg, dieses Interesse aufrecht zu erhalten. Mitunter ist man als Leser versucht, ein Kapitel vorzuziehen. Bitte sehr – das macht überhaupt nichts, wir dürfen und vielleicht sollen wir sogar so vorgehen. Schließlich ist Heinrich Breloer kein Besserwissen, dafür ist er von viel zu bescheidener Art - als Mensch, als Filmemacher, als Autor. Ihm geht es in und mit diesem Buch einzig und allein darum, uns den jungen Thomas Mann auf seinem Weg zum Erfolg, auf seinem schwierigen Weg durchs Leben in den frühen Jahren nahezubringen, uns teilhaben zu lassen an seiner über Jahrzehnte erworbenen umfangreichen Kenntnis der Familie Mann.
Die ersten Schritte in das Leben der Familie Mann ging Breloer bereits 1983 als junger Dokumentarfilmemacher. Damals drehte er für den NDR und WDR „Treffpunkt im Unendlichen. Die Lebensreise des Klaus Mann“. Diese Arbeit brachte Heinrich Breloer persönlich mit Mitgliedern der Familie Mann, mit Monika, Golo und deren Freunden zusammen. Später lernte er auch die jüngste Tochter Thomas Manns kennen, die „Meerfrau“ Elisabeth Mann Borgese, mit der Breloer über „viel Unerzähltes“ sprechen konnte. Und er lernte Frido (Fridolin) Mann kennen, den Schriftsteller und Lieblingsenkel von Thomas Mann. Als Breloer 2001 gemeinsam mit seinem Redakteur Horst Königstein den großen Dreiteiler „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ drehte, trat Elisabeth Mann Borgese dort als letzte Zeitzeugin der komplizierten Familiengeschichte auf. Sämtliche stattgefundenen Gespräche mit Familienmitgliedern und Freunden Thomas Manns zeichnete der Autor und Filmemacher in Bild und Ton auf. Mehr als fünfzig Freunde und Bekannte aus dem Umfeld der Manns hat Breloer im Laufe der Jahre besucht. Er ist in den Nachlass eingetaucht und ergo mit der gesamten Familiengeschichte bestens vertraut.
Alle seine Filmerzählungen zur Familie Mann zeigen deren Leben nach dem Ersten Weltkrieg. Nun aber, mit diesem Buch, wendet sich Breloer den wichtigen Jahren davor zu, der Zeit, in der die Weichen gestellt wurden, „die Jahre, in denen Thomas Mann sich entschieden hatte, um Katia Pringsheim zu werben, sein Abschied aus der Boheme, die Übernahme der neuen Rolle als ordentlicher Mann und Familienvater mit sechs Kindern, die Enthüllung seiner erotischen Fantasien ins Homoerotische und die gleichzeitige Verhüllung im Text“, wie der Autor im „Vorweg“ erzählt. Hier, in und mit diesem Buch, folgt nun der von ihm bislang nicht-erzählte Teil. Selten waren wir Thomas Mann so nahe wie hier.
Breloer erzählt in „Ein tadelloses Glück“ die Geschichte von Thomas Mann als ehrgeizigem jungen Schriftsteller, der mit den „Buddenbrooks“ einen ersten Erfolg, aber noch nicht das gesellschaftliche Ansehen erreicht hat, von dem er träumt. Dem schmerzlich bewusst ist, dass es dafür die Ehe bräuchte und dass seine Sehnsucht nach dem Anblick männlicher Schönheit ein Geheimnis bleiben muss. Erst als Thomas auf Katia, die Tochter der jüdisch-großbürgerlichen Familie Pringsheim, trifft, ist ihm klar: Die oder keine! Allein mit ihr, das spürt er, kann ihm der Aufstieg gelingen. Doch um Katia für sich zu gewinnen, begibt Thomas sich auf ein glattes gesellschaftliches Parkett.
Nicht immer ist offensichtlich, welche Worte, Sätze aus der Feder Thomas Manns stammen und welche aus der von Heinrich Breloer. Wenn Letzterer beispielsweise Katia einführt und Thomas Mann die Worte in den Mund legt, „Die oder keine“, wissen wohl nur Eingeweihte, Experten, ob der Nobelpreisträger dies tatsächlich wörtlich so gesagt hat. Literarisch ist die Beschreibung dieser Szene im Lübecker Theater, in der Thomas Mann mit dem Opernglas die erste Reihe nach Katia absucht, durchaus gekonnt. Die Worte, die Breloer hier für Katia verwendet, könnten aus der Feder seines weltberühmten Kollegen stammen: […] erblickte er zunächst ein Kleid von seegrüner Seide, darüber ein schwer mit Silber durchwirktes Tuch. Als Katia sich niedergelassen hatte, sah er ganz nah ihr schwarzes Haar und darunter, um den Hals, eine Perlenkette auf ihrer Haut, die etwas dunkler war als die der anderen Frauen. Thomas Mann lässt grüßen und Katia ebenso. Heinrich Breloer macht`s möglich. Er fängt die frühen Jahre des großen Schriftstellers ein und schreibt sie für uns Leser dauerhaft fest.
Heinrich Breloer: „Ein tadelloses Glück“
Deutsche Verlags-Anstalt
464 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-421-07036-4
Weitere Informationen (Verlag)
Lesung
Am Dienstag, 13. Mai, liest Heinrich Breloer in Lübeck aus seinem Buch „Ein tadelloses Glück“ im Audienzsaal des Lübecker Rathauses. Dieser Ort wurde für die Veranstaltung nicht zufällig gewählt: er bezieht sich auf einen Drehort in Breloers „Buddenbrook“-Verfilmung von 2008, wo ebenfalls im Audienzsaal gefilmt wurde. Weitere Informationen und Termine zum 150. Geburtstag Thomas Mann in Lübeck (Buddenbrook Haus)
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