Bildende Kunst
Yahon Chang –

Das sichtbare Hauptelement der klassischen chinesischen Malerei sowie der Kalligraphie, ist die Linie.
Aufgrund dieses gemeinsamen Merkmals stehen sich diese beiden Kunstformen, von früher Zeit an, in einer engen, wechselseitig bestimmenden Beziehung. Ab dem 13. Jahrhundert legen bis zum heutigen Tag viele Künstler bewusst einen besonderen Wert auf die Verbindung der chinesischen Malerei und Kalligraphie und fördern die Verschmelzung der beiden Genres.
In diesem prägnanten Verhältnis wuchsen auch die künstlerischen Ursprünge des taiwanischen Malers Yahon Chang zu einem eigenen Kosmos und seiner individuellen Ausdrucksform. Eine große Auswahl seiner Werke sind erstmals in Hamburg in einer Ausstellung im Kunstforum Markert Gruppe zu sehen.

Die Linie definiert in den Bildwerken Yahon Changs nicht nur die Form, sondern auch die Fläche, mit der der Maler unterschiedlich umgeht: Zum einen verbindet die dicke, schwarze, gestische Linie – wie erwähnt – die Malerei mit der Kalligraphie und ist sich selbst und formgebend genug. Serien wie „Arhat“ und „Untitled“ stehen dafür – zum anderen ist die Linie umrissgebende Gestalt, die von Farbe gefüllt wird und dennoch das dominant visuelle Zeichen bleibt. Die Serien „faces“, „idea and shape“ und „remote antiquity“ sind in diesem formalen Kontext zu sehen.

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Fast alle Werke wirken im malerischen Duktus wild und leidenschaftlich. Die Geste, die expressive individuelle Handlung, wird auf das Papier oder die Leinwand gebannt. Dieses gestische Malen kommt allerdings nicht aus einem Zustand der nervösen Unruhe, sondern im Gegenteil aus der absoluten Ruhe. Yahon Chang beschreibt es selbst so: „In einem extrem friedlichen Zustand explodiert für mich plötzlich alles.“ Das ist die Genese per se. So entstand die Welt, so entstehen auch seine Werke. Die scheinbaren Gegensatzpaare von kontemplativer Spiritualität und expressionistischer malerischer Manier sind Markenzeichen seiner Malerei. Yahon Changs Bilder entspringen häufig einer meditativen Versammlung, in welcher die Vorstellung des Bildes wächst und dann anschließend in oft wenigen Augenblicken in einem eruptiven schöpferischen Akt auf dem Bildträger verwirklicht wird. Die Erlebniszeit des Künstlers im geistigen Entstehungsprozess eines Werks steht der Realzeit der Ausführung diametral entgegen. Will sagen, die Verbindung der geistigen Vorbereitung mit der des eigentlichen und sichtbaren Akts des Malens selbst, ist für den europäischen Betrachter nur bedingt nachvollziehbar. Denn die geistige Vorbereitung, die asiatische Spiritualität, das damit verbundene Menschenbild sowie die Ziele auf dem jeweiligen Lebensweg, bleiben uns Europäer oftmals verborgen. Die expressionistische Geste aber, das direkte Bannen der Gefühle, die sich in teilweise wilden, schnellen und spontanen Äußerungen entlädt, ist auch bei uns seit über 120 Jahren bekannt.

Die Malweise setzt ein besonderes Vorgehen voraus, denn die Bilder werden nicht an der Wand hängend gemalt, sondern auf dem Boden liegend. Bei einigen Werken können es die Betrachter selbst sehen: Fußspuren und Abdrücke von Schuhsohlen verweisen auf das Durchschreiten des Bildes. Der Künstler steht quasi im Bild und nicht davor. Dies ist übrigens auch im übertragenem Sinn ein Indiz dafür, dass es keine Kluft gibt zwischen Bild und Künstler.

Das dem Papier als Trägermaterial eine besondere Rolle zukommt lässt sich denken: Das berühmteste chinesische Papier nennt sich Xuanzhi. (1) Seit Jahrhunderten wurde durch Forschung und Entwicklung die Papierherstellung immer feiner. Jenes Edelpapier wird aus einem Faserbrei der Rindes einer Ulmen-Art mit Zusätzen von Bambus-, Reis- oder Ananasblattfasern handgefertigt und ist weich, biegsam und dennoch robust und hat genau die richtige Saugfähigkeit für chinesische Kalligraphie und Tuschmalerei.

Die Informelle Malerei Europas der 1950er-Jahre greift die gestische Vorstellungswelt Asiens in ihrer Nähe zur kalligraphisch-malerischen Äußerung auf.
Im europäischen Begriff des „Informellen“ steckt allerdings neben der Interpretation des Enthemmten, Zügellosen und Bewegten, das missverständliche Informative und Bedenkenlose.
Erstmals greift Europa jedoch nach dem chinesischen Bildformat für Texte, denn Schriftzeichen und Texte wurden in China auf wesentlich großformatigen Trägern aufgebracht. Sie wurden auf Bildformate geschrieben und eben nicht auf Buchformate wie in Europa. Der evidente, wenn auch nicht einzige Grund dafür liegt darin, dass die chinesischen Schriftzeichen piktografischen Charakter haben.
Im Gegensatz zu unserer Schrift transportieren chinesische Schriftzeichen nämlich nicht nur einfach Information, sondern immer auch Kultur. „Unsere Schriftzeichen sind die ältesten Lebewesen der chinesischen Kultur. Einige werden noch heute so geschrieben, wie sie im zweiten Jahrtausend vor Zeitrechnung plötzlich auf Orakelknochen und Schildkrötenpanzern auftauchten. Eine einzigartige Brücke in die Vergangenheit. Es ist die einzige Bilderschrift der Weltgeschichte, die eine große Zivilisation bis ins 21. Jahrhundert begleitet“, sagt Meister Wu Hong einer der großen lebenden Kalligrafen Chinas. (2) Die geschriebenen Schriftzeichen sind Ausdruck des Inneren, sie sind untrennbar mit dem „Ich“ verbunden, sie enthüllen Gefühl, Charakter, Bildung, Erbe und Lebenserfahrung. Das gilt in übertragbarer und verbindender Weise für die Werke Yahon Changs. Seine Formgestalten, Wesen, die Gesichter und Haltungen sind wie kalligraphische Setzungen und transportieren wie Schriftzeichen ganze Kaleidoskope innerer Befindlichkeiten. Sie zeigen Antlitz.


Die Ausstellung "Wesen und Antlitz" mit Werken von Yahon Chang ist vom 19. September bis 24. November 2013 im Kunstforum Markert Gruppe, Droopweg 31, in 20537 Hamburg-Hamm zu sehen. Öffnungszeiten nach Vereinbarung, Tel.: (04321) 87010.
Es erscheint ein Katalog. Eintritt frei.
Eröffnung: 18. September 2013 von 19 - 21 Uhr.
Weitere Informationen unter: kunstforum-markert.de


Fußnoten:
(1) Das Papier wurde ursprünglich und lediglich aus dem Weißrindenbaum hergestellt und erstmals während der Tang-Dynastie (618-907) in der Provinz Anhui entwickelt. Es ist besonders haltbar.
(2) Vgl. SCHRITTMATTER, Kai: „Atmen einstellen, bitte! Pekinger Himmelsstürze“, Wien, 2001, S. 36-38.

Bildnachweis: Copyright alle Yahon Chang
Header: Detail aus "Black Dog", 2005, Tusche auf Reispapier, 200x145 cm
Galerie:
01. Ausstellungsplakat "Wesen & Antlitz"
02. o.T., 1999, Tusche auf Papier, 210x142 cm
03. "Ink Painting 75", 2013, Tusche auf Reispapier, 137x70 cm
04. "Ink Painting 67", 2013, Tusche auf Reispapier, 137x70 cm
05. "Ink Painting 65", 2013, Tusche auf Reispapier, 137x70 cm
06. "Arhat 29", 2012, Tusche auf Papier, 42x39 cm
07. "Arhats – Coming Out Of Chanting", 1995, Acryl auf Papier, 49x39 cm
08. "Meditation", 1997, Acryl auf Leinwand, 145x11 cm
09. "Faces 36", 2011, Acryl auf Leinwand, 53x45 cm
10. "Face to Face", 2011, Metall, 70x45x18 cm
11. o.T., 2011, Metall, 71x35x10 cm

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