Bildende Kunst

Gothmund, das auf ungefähr halbem Weg zwischen Lübeck und Travemünde an der Trave liegt, ist ein kleines, sogar sehr kleines Fischerdorf, das aber in vielen Reiseführern auftaucht und entsprechend besonderes von Radwanderern aufgesucht wird.

Die reetgedeckten Fischerkaten zwischen dem Hang und dem kleinen, von wogendem Schilf gesäumten Hafen mit nur noch zwei Kuttern sind ein Überbleibsel aus vergangener Zeit, und der dunkle, von den überkragenden Dächern beschattete Ziegelstein verleiht dem kleinen Ort eine ganz eigene Atmosphäre.

 

Also pittoresk ist Gothmund ganz gewiss, aber war es jemals Thema anspruchsvoller Malerei? In Lübeck war das selbst Fachleuten unbekannt, und der entsprechende Wikipedia-Eintrag ist auch erst ein knappes Jahr alt. Es ist dem Künstler Heiko Jäckstein und der Historikerin Marlis Zahn zu verdanken, dass diese Seite Gothmunds jetzt in einer schönen Kabinettsausstellung aufgedeckt wird. Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt befinden sie sich auf den Spuren dieses Künstlerortes (eine Kolonie war es wohl nie) und präsentieren ihr erstaunliches reiches und kultur- wie kunstgeschichtlich interessantes Material im Lübecker Behnhaus.

 

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Mitte der 1880er Jahre tauchten erstmals Künstler in Gothmund auf. Der erste war 1884 Gustav Wendling (1862-1932), ein Maler der Düsseldorfer Schule; ihm folgte schon bald der mit ihm befreundete Hamburger Ernst Eitner (1867-1955), ein gelernter Lithograph, der später dank eines Stipendiums Schüler des Karlsruhers Akademieprofessors Gustav Schönleber (1851-1917) werden und einem ungeliebten Brotberuf entkommen konnte. Als Student spielte er in der Combo „Fratelli Pittori“ (die „Malbrüder“), und als eine Tournee in Norwegen nicht von Erfolg gekrönt war, blieb er auf der Rückreise dank eines Hinweises von Wendling in Gothmund hängen.

 

Von Eitner stammen die meisten der ausgestellten Bilder. Natürlich – das hängt bereits mit der Lage des Örtchens an einem Steilufer des sonst meist flachen Urstromtales zusammen – wird auf den Bildern nicht das Licht gefeiert, wie das in den Künstlerorten an der Ostsee geschah, auf dem Darß, in den pommerschen (also heute polnischen) Badeorten Rowy und Łeba oder dem litauischen Nida, sondern es dominieren dunkle Töne. Atmosphärisch erinnert die Mehrzahl der Gemälde deshalb an Worpswede, auch wenn kein Moor abgebildet wird.

Heute lernen alle Hobbyfotografen, dass in Gothmund die Malerei, weil sie die ungünstigen Lichtverhältnisse ausgleichen kann, der Fotografie haushoch überlegen ist: Der Fischerweg zwischen den aufgereihten Fischerkaten und dem Hafen liegt fast immer im Schatten und sieht auf Fotos nach überhaupt nichts aus, obwohl die grünen Fensterläden und aufgestellte Figuren oder Schmuck in den Fenstern schon für einen interessanten Anblick sorgen. Den Künstlern aber gelangen auch ohne Farbflecke schöne Bilder, auf denen sehr oft die Arbeit der Fischer (das Flicken der Netze) im Mittelpunkt steht. Gleißendes Licht kommt erst auf einem Bild durch die zum Trocknen und Bleichen ausgelegte Wäsche ins Spiel.

 

Besonders interessant und ein wenig impressionistisch angehaucht ist ein „Schilffeld an der Trave“ überschriebenes Blatt, das den weiten, nur wenig flussaufwärts gelegenen Schellbruch zeigt – noch heute kann man aus einigen hundert Metern Entfernung beobachten, wie hinter dem wogenden Schilf große Schiffe Richtung Lübeck ziehen. Ein ziemlich merkwürdiger Anblick!

 

Thema der Ausstellung ist noch zusätzlich Israelsdorf, der Gothmund benachbarte, ja es eigentlich umfassende Lübecker Vorort, in dem manche der Künstler ihre Wohnung suchten. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde Israelsdorf in „Walddorf“ umgetauft, weil der Name es mit dem Judentum in Verbindung zu bringen schien. Tatsächlich geht der Ortsname auf ein altdeutsches Wort zurück, das „verirren, in die Irre gehen“ bedeutet. Ausgangs des 19. Jahrhunderts bis in die fünfziger Jahre war dieser Vorort bevorzugtes Ziel von Familienausflügen, vor allem dank einer Anfang der sechziger Jahre wieder abgeschafften Straßenbahn. (Von wegen „technologieoffen“) In die Kunstgeschichte ging Israelsdorf ein, weil es sehr oft von dem Mecklenburger Carl Malchin (1838 – 1923) besucht wurde, denn der Meister wollte die (angeblich…) tausendjährige Eiche am Dorfteich malen: Ein Vorhaben, das ihm ganz und gar gelang. Ein großartiges Bild, das es leider nicht in diese Ausstellung geschafft hat, zeigt eine Räucherkate am selben Ort – Malchins Bilder sind eine den Gothmunder Malern eng verwandte Kunst mit Sympathie für die dunklen und melancholischen Stimmungen.

 

Ende August werden einige Bilder ihrer Lichtempfindlichkeit wegen abgehängt, und statt ihrer werden Arbeiten gezeigt, in denen die Industrialisierung des Flusslaufes seit dem späten 19. Jahrhundert thematisiert wird. Auf dem anderen Flussufer wurden Jahrzehnte hindurch Keramikmöbel für Badezimmer und Küche produziert, und dazu stand lange Zeit Gothmund direkt gegenüber ein Kohlekraftwerk, dessen Turm trotz seiner übermäßigen Höhe oft genug half, die Wäsche der Israelsdorfer mit Kohlenstaub zu verschmutzen – von anderen Folgen für die Umwelt ganz zu schweigen. Jetzt wird über ein gewaltiges Containerterminal an derselben Stelle nachgedacht – der hiesigen Presse zufolge eine Investition von nicht weniger als 110 Millionen –, das den Gothmundern verständlicherweise nur wenig gefallen würde. Aber es wäre schon überraschend, sollte ihr Einspruch gehört werden: Die Sache scheint entschieden.

 

Die empfehlenswerte Ausstellung ist sozial- und kulturgeschichtlich interessant und zeigt ungefähr vierzig Bilder auf einem durchweg sehr guten Niveau.


Gothmund. Fischerdorf und Künstlerort

Zu sehen bis Samstag, 30. Dezember 2023 im

Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

Weitere Informationen (Homepage Drägerhaus)

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