Bildende Kunst

2023 ist das Jahr der Frauen – zumindest in der Kunst. Auffällig, wie viele Ausstellungen ihnen derzeit in Hamburg gewidmet werden.

Das Bucerius Kunstforum spielt ganz vorn mit, sein Programm ist dieses Jahr ausschließlich weiblich. Zum Auftakt „Gabriele Münter. Menschenbilder“. Mit rund 80 Werken präsentiert das Haus am Alten Wall die erste umfassende Themenschau der bedeutenden deutschen Expressionistin.

Der ganze Ausstellungsraum, den eine luftige Präsentation mit offenen Blickachsen, ohne eindeutige Wegführung, kennzeichnet, ist in Ultramarin getaucht. Einem satten, dunklem Blau, das die fantastische Farbigkeit der expressiven Porträts, den gelbunterlegten „Knabenkopf“ (1908), das „Mädchen mit roter Schleife“ (1908) oder das berühmte „Bildnis Marianne Werefkin“ (1909) schon von Weitem leuchten lässt.

 

„Bildnismalen ist die kühnste und schwerste, die geistigste, die äußerste Aufgabe für den Künstler“, notierte Gabriele Münter (1877-1962) einmal. Sie selbst schulte sich schon früh in diesem Genre, mit dem sie sich 30 Jahre intensiv beschäftigte. Nach dem frühen Tod der Eltern - der Vater starb 1886, die Mutter 1897, da war sie bereits an der privaten Damenkunstschule in Düsseldorf eingeschrieben – bereiste die in Berlin geborene und in Herford und Koblenz aufgewachsene Malerin mit ihrer älteren Schwester Emmy 1898/1900 die USA, besuchte Verwandte in Missouri, Arkansas und Texas. Die bislang weitgehend unbekannten Fotos, die Gabriele dort, Anfang 20, mit einer Kodak Bull’s Eye No.2 aufnahm und die nun sechs, jeweils chronologisch geordneten Kapiteln voranstehen (Selbstbildnisse, Porträts, Kinderporträts, Figurenbildnisse, Menschen in Zeichnungen und Gruppenporträts), zeigen bereits ihre ausgeprägte Sensibilität für Linien- und Flächenkompositionen.

 

Zurück in Deutschland zieht Münter nach München, schreibt sich an der Damen-Akademie des Münchner Künstlerinnen-Vereins ein und lernt bei einem Sommer-Malkurs 1902 in Kochel den zehn Jahre älteren, (in Russland bereits verheirateten) Wassily Kandinsky kennen. Die nächsten Jahre sind turbulent, in der Liebe wie in der Kunst. Holland, Straßburg, Basel, Lyon, Marseille, einen ganzen Winter über in Tunis, dann Brüssel, Mailand, Genua, Rapallo – zwischen 1904 und 1908 scheint das Paar, das künstlerisch so unterschiedliche Temperamente vereint, nur unterwegs zu sein. Die Reisen inspirieren Münters Malerei enorm. Der Aufenthalt im oberbayerischen Murnau 1909, wo sie mit dem befreundeten Künstlerpaar Marianne Werefkin und Alexej von Jawlensky einen Sommer lang zu viert arbeiten, markiert eine Zäsur in ihrem Werk: „Ich habe…einen großen Sprung gemacht“, notiert Münter nach dem Porträt ihrer Künstlerfreundin in stark konturierten, kräftigen Farbflächen, „vom Naturabmalen…zum Fühlen eines Inhalts – zum Abstrahieren – zum Geben eines Extraktes“. Im selben Jahr folgt die Mitbegründung der Neuen Künstlervereinigung München, aus der (nach Krach und Abspaltung) 1911 die berühmte Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ hervorgeht.

 

BKF Ausstellungsansicht Gabriele Muenter Menschenbilder Foto Ulrich Perrey

Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey

 

Heute wird der Name Gabriele Münter meist in einem Atemzug mit Kandinsky und dem „Blauen Reiter“ genannt. Kathrin Baumstark, Direktorin und Kuratorin der Ausstellung, war es jedoch wichtig, Münter von ihrem „biographischen Ballast“, dem Schülerinnen-Lehrer-Verhältnis und aus dem Kontext der Münchner Künstlergruppe zu befreien. Baumstark will sie als eigenständige Künstlerin „voller Neugier und Entdeckerfreude“ zeigen und damit auch widerlegen, dass Münter nach der endgültigen Trennung von Kandinsky 1916 zu „keinen künstlerischen Höchstleistungen“ mehr fähig war.

 

Nun ja… Gabriele Münter war zweifellos eine eigenständige Künstlerin, eine großartige Malerin und herausragende Druck-Grafikerin, insbesondere eine unerhört begnadete Zeichnerin, die lange Zeit unterschätzt wurde (und immer noch wird!) Auch hat sie immer wieder neue Stilrichtungen ausprobiert, angefangen beim Jugendstil, über den Impressionismus und der Abstraktion, bis hin zum Realismus. Aber anders als Beispielsweise bei Picasso, sind ihre künstlerischen Perioden von sehr unterschiedlicher Qualität. Die Schaffenszeit der neuen Sachlichkeit („Röschen“, 1926, „Dame im Sessel, schreibend“ 1929), auch die flächig angelegten, stark konturierten Mutter-Kind-Bilder der 1930er Jahre sowie ein brav-konservatives Auftragsporträts von 1940 entfalten nicht annähernd die Kraft und das Feuer der farbgewaltigen frühen Porträts. Erzwungener Maßen muss man wohl dazu setzen, denn die Nazis schmähten sie als „entartet“ und belegten sie mit Berufsverbot. Dennoch knüpfte sie in späteren Landschaften aus Murnau, wo sie ab den 1930er Jahren mit dem Kunsthistoriker Johannes Eichner wohnte, an den expressiven Stil an und lässt die starke Farbigkeit wieder aufleben. Und nicht ohne Grund feierte Gabriele Münter ab 1949/1950 international ein grandioses Comeback - als hervorragende Expressionistin. Die „Menschenbilder“ belegen das einmal mehr.


„Gabriele Münter. Menschenbilder“

Zu sehen bis 21. Mai 2023, im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, Hamburg

Weitere Informationen (Homepage Bucerius Kunst Forum)

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