Bildende Kunst

Die Frage, ob Kunst im öffentlichen Raum kulturelle Identität bilden kann, ist eine, die seit Jahrzehnten gestellt werden muss. Sie zu beantworten ist oft nicht ganz einfach.

Insbesondere dann nicht, wenn zwar beispielsweise urbane, gesellschaftliche, gedenkörtliche oder architektonische Zusammenhänge erkennbar sind oder wenn Partizipation vorgesehen ist, aber dennoch sich eine Identität von Einzelnen oder Gruppen einfach nicht bilden kann, im Sinne einer Wahrnehmung und eines Verständnisses aus sich selbst heraus und in einer ständigen Auseinandersetzung mit der jeweiligen sozialen Umwelt. Leichter ist es zu entscheiden, wenn es sich um Kunstwerke als Stadtmöblierung handelt, die oft nicht auf-, sondern abgestellt wurden.

 

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Der 1952 in Kiel geborene und in Berlin sowie im japanischen Amino lebende Künstler Hans Peter Kuhn hat ein erkennbares und präzises, manchmal auch ein humorvolles Verständnis zu seiner Heimatstadt. Eine gewisse Distanz tut sicherlich gut, um die Dinge in einer Stadt wahrzunehmen, die sich permanent verändert, deren Vorzüge und Besonderheiten wahrgenommen werden, aber ebenso deren Absurditäten.

 

Der international agierende Künstler, der mit Klang, Licht, Text und Sprache, gerne auch in Kombination arbeitet, hat bereits 2001 eine Licht- und Klanginstallation am Neuen Rathaus und vor zehn Jahren eine weitere bedeutende Installation am Ostufer der Landeshauptstadt vorgenommen: eine visualisierte Mahnung an die Seefahrer, sich nicht vom betörenden Gesang der Sirenen in die Irre führen zu lassen. Das aus 29 Zeichen des Winkeralphabets – aus der ehemaligen Schiff-zu-Schiff-Kommunikation – bestehende Werk teilt uns mit: „Seefahrer, denk an die Sirenen. Ahoi“. (Aus Energiespargründen zurzeit nicht zu sehen).

 

Der griechische Dichter Homer hätte gewusst – und auch Hans Peter Kuhn weiß sehr genau –, dass nicht nur bärtige mythologische Mischwesen Seefahrer anlocken können, um sie später zu töten, sondern auch die heutigen, menschlich aussehenden Sirenen jeden von uns betören können, auch Bürgermeister*innen, Dezernent*innen, Stadtplaner*innen, Grundstückseigentümer*innen, Architekt*innen und Künstler*innen etc.
Noch heute müssen nämlich jene Einwohner und Besucher Kiels, die die Gaardener Brücke aufsuchen und überqueren, feststellen, dass diese nie ihr Ziel erreicht hat – sie endet oder je nach Blickrichtung beginnt – abrupt an einem Parkplatz zwischen Gleisen und Straße. Eine provisorische Fußgängertreppe, ein Aufzug zur Barrierefreiheit bezeugen die stadtplanerische Ernüchterung und die Frage nach dem Ankommen relativiert sich.

 

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Ein monolithischer, skulpturaler Brückenbau, der seit 2003 näher an den in der Romantik gebauten Ruinen existiert, (um Vergänglichkeit zu dokumentieren und/oder Alter zu simulieren) als an zeitgenössische urbane Entwicklung erinnert. Eine städtebaulich durchdachte Durchquerung von der Innenstadt über Hörnbrücke und entlang des Germaniahafens nach Gaarden blieb und bleibt unabsehbar ein gedankliches Konstrukt.

 

„Die Situation an der Brücke ist hinlänglich bekannt“, heißt es in einer 2018 erschienen Drucksache der Landeshauptstadt namens „Entwicklungsperspektiven für Kiel-Gaarden“. „Graffiti-Verunstaltungen, wildes Plakatieren und Vandalismus haben bisher jeglichen Versuch zunichtegemacht, die Brücke zumindest sauber zu halten. Die Fahrstuhlsituation, gekennzeichnet ebenfalls durch Schmierereien, Vandalismus und vor allem eine Benutzung als Toilette, konnte bislang nicht nachhaltig positiv gewandelt werden.“

„Damals als die Brücke geplant wurde und sie dann 2001 ihren Namen erhielt, war das Projekt „obenauf“, sagt Hans Peter Kuhn, „und während des zweijährigen Baus „mittenmang“, nun aber steht sie seit Jahrzehnten unvollendet da (und ist danach im drastisch beschriebenen Zustand) „untendurch“!

 

Diese drei Worte sind schreibschriftlich und leuchtend nun an drei Ebenen der Aufzugstele, und in Silben getrennt über Eck, angebracht. Seit Anfang November 2022 ist das Lichtkunstwerk zu erleben – solange nicht auch hier die momentanen Energiesparmaßnahmen greifen.

 

Kuhns Formulierung zeigt uns in seiner zuweilen ironischen und gleichzeitig tragischen Bedeutung: das Bauwerk und wir alle mit ihm …sind im Leben angekommen. Realität und Aktualität treffen auf Wirklichkeit – und es wirkt nach. Ob das Werk identitätsstiftend ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht sagen, aber es ist in jedem Fall eine künstlerische Bereicherung des Ortes und Kiels.

 

Wenn im Frühjahr der Neubau des Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ebenfalls im Leben angekommen sein wird und eingeweiht wurde, können Mitarbeiter, Einwohner und Besucher dann ein weiteres Kunstwerk von Hans Peter Kuhn entdecken.


Hans Peter Kuhn: „…im Leben angekommen“

Am Aufzug der Gaardener Brücke, Parkplatz Takler, Ostufer in Kiel

Weitere Informationen (Homepage Kunst@SH)

 

 



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