Bildende Kunst

Mit Arbeiten des in Syrien geborenen Manaf Halbouni – aber eine seiner Muttersprachen ist Deutsch – präsentiert die Kunsthalle St. Annen in diesem Herbst eine durch und durch politische Ausstellung.

 

Manaf Halbouni (*1984) wurde bekannt dank dreier senkrecht stehender Busse in Dresden und Berlin, die an den Krieg in seiner Heimat erinnern sollten, aber er hat kein Interesse daran, auf diese Aktion reduziert zu werden, in seinen Worten „der Typ mit den Bussen zu sein“. Und wirklich demonstriert er in dieser Ausstellung zunächst mit seinen eigenen Arbeiten, aber auch mit Bildern, die er im Magazin der Kunsthalle fand und mit seinen Installationen und Bildern kombinierte, eine bemerkenswerte Vielseitigkeit.

 

Neben dieser Vielseitigkeit besteht das Gute der Ausstellung darin, dass der Künstler sich auf den Ort eingelassen hat. Sowohl Lübeck selbst als auch die Räumlichkeiten und der im Magazin versteckte Bestand der Kunsthalle spielen eine Rolle.

Bereits 1843 brannte die Klosterkirche ab, an deren Stelle die Räume der Kunsthalle heute neben dem spätgotischen St. Annen-Museum stehen, und ihr Grundriss soll an diese Kirche erinnern. Das ist ziemlich abstrakt und wenig überzeugend, aber Halbouni zeigt, wie man die Bezüge deutlicher machen kann. In seiner Installation „Fragmente“ hat er Fotos von bunten Kirchenfenstern mit Schutt kombiniert, und plötzlich tritt der sakrale Charakter des Raumes und damit auch die Geschichte des Vorgängerbaus deutlich hervor. Denn so ungefähr wie in dieser Installation kann man sich eine zerbombte Kirche vorstellen. Dazu kommt dann das Gemälde „Die Engel“ des Expressionisten Ernst Wilhelm Nay (1902 – 1968), entstanden in den letzten Kriegsjahren in Frankreich. Halbouni fand es im Bestand des Museums, und es passt wirklich sehr schön sowohl in diesen Raum als auch zu der Thematik der Ausstellung.

 

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Die meisten gezeigten Arbeiten beschäftigen sich mit dem Krieg und seinen Folgen, also mit den Flüchtlingen und dem Hass, den ihre Ankunft in Europa wachrief. Halbouni hatte den Mut, bei den Pegida-Demonstrationen in Dresden aufzutauchen und das Gespräch zu suchen, aber leider (und vielleicht wenig überraschend…) fand sich niemand, der mit ihm sprechen wollte. Als seine Reaktion goss er in Frakturschrift „Mein Land« (Fraktur wird von Halbouni als aggressiv empfunden, und zusätzlich wählte er noch Beton), und eine Installation zeigt Autodächer mit allerlei „zusammengeklaubten Sachen“, die man auf der Flucht mitnehmen könnte.

 

Zu der Verblüffung mancher Besucher finden sich neben Koffern und anderem Kleinkram auch die sogenannten Reiseerzählungen Karl Mays. Aber kann uns das wirklich überraschen bei einem in Dresden lebenden Künstler? Radebeul ist doch nicht fern… Allerdings wundert es mich wegen ihres irrealen Charakters dieser Geschichten und der chauvinistisch-ignoranten Sicht Mays auf die arabische Kultur, dass Halbouni einzig und allein die orientalischen Werke des sächsischen Homer schätzt, zum Beispiel die „Sklavenkarawane“. Die Winntetou-Geschichten dagegen lehnt er ab.

 

Grenzen sind ein Leitmotiv der Ausstellung. So recht vermag Halbouni ihren Sinn nicht einzusehen – sie sind für ihn etwas, „was keinen Sinn mehr macht“ –, und einige seiner Projekte beschäftigen sich ironisch mit ihrer Bedeutung, die in den letzten Monaten so viel größer geworden ist. In einer Installation mit einer Straßensperre kann man sich das berühmte „Wir sind das Volk“ mit der Forderung, doch bitteschön die Grenzen zu schließen, von einer Tonspur anhören; und dabei galt dieser Ruf doch ursprünglich dem Gegenteil, nämlich die Grenzen zu öffnen. Nur eben ein paar Jahre früher und für sie selbst…

 

Den Schwerpunkt der Ausstellung bildet „What if“, der spielerische Versuch, sich einen technologisch entwickelten, politisch geeinten arabischen Kulturraum als Kolonialmacht in Europa vorzustellen. Dafür hat Halbouni Landkarten aller Art auf Flohmärkten gekauft und mit arabischen Schriftzeichen und Markierungen versehen, die deutlich machen, wozu die einzelnen Provinzen (die deutschen Bundesländer unter einem orientalischen Protektorat) denn nun eigentlich gehören, mehr zu den Vereinigten Arabischen Staaten oder vielleicht doch zur Osmanischen Union? Das ist schon eine reizvolle Idee, die man sehr gut ausbauen könnte, denn einerseits hat sich der Künstler gewisser Inkonsequenzen schuldig gemacht – arabische Staaten hätten doch nicht auf die christliche Zeitrechnung zurückgegriffen! –, und andererseits wären es nicht allein andere politische Einheiten gewesen, sondern auch wirklich andere Kulturen zwischen Istanbul und Kairo. Ein anderer Islam, eine andere arabische oder türkische Kultur.

 

Schließlich hat sich Halbouni noch ganz ernsthaft auf Lübeck eingelassen und deshalb für seine alternative politische Geschichte Europas mit einem Kapitel über diese Stadt ergänzt, in dem es unter anderem heißt:

„Durch die Friedensinitiative der Vereinigten Staaten, die zur Gründung der Republik führte, wurde am 5. Mai 1947 der Holstentorplatz zum Friedensplatz unbenannt.
Die Vereinigten Staaten haben daraufhin links vom Holstentorplatz das Friedenshaus errichtet, und als Zeichen der Völkerfreundschaft erbaute die Republik rechts vom Tor die Friedensmoschee.“

Selbstverständlich finden sich Illustrationen dieser Gedankenspiele; zum Beispiel das Denkmal eines Arabers in Dresden, und auch für Lübeck hat sich Halbouni eine Collage einfallen lassen.

 

Der Lübecker Kunsthalle wurde 2005 eine mehr als tausend Bilder umfassende Sammlung von Künstler-Selbstportraits gestiftet; zusammengeführt hatte sie Leonie von Rüxleben (1920-2005). Die Stiftung war an die Bedingung geknüpft, dass der Öffentlichkeit jedes Jahr Teile der Sammlung präsentiert werden. Damit umzugehen fiel der Kunsthalle in den vergangenen Jahren nicht leicht, denn einfach nur eine alphabetisch organisierte Auswahl zu präsentieren, wie es lange geschah, konnte niemanden zufriedenstellen. Jetzt hat Halbouni zehn Portraits herausgesucht, um diese zusammen mit seinem ironischen Selbstportrait als „General Halbouni“ vorzustellen. Unter anderem begegnet man René Magritte nebst Gattin, die beide sehr ernsthaft in die Kamera schauen.


Manaf Halbouni: Ostwind

Die Ausstellung ist zu sehen bis 8. November 2020
in der Kunsthalle St. Annen, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck.
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 11-17 Uhr (im Sommer: 10-17 Uhr)

Öffentliche Führungen: 7., 13. und 27.09.2020, jeweils 15 Uhr
- Weitere Informationen

- Sammlung Leonie von Rüxleben

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