Bildende Kunst
Haegue Yang Quasi-Pagan Serial

Kunsthandwerk, Volkskunst, Freie Kunst – für Haegue Yang sind das nur bürgerliche Kategorien. Die südkoreanische Künstlerin, die seit 1999 in Deutschland lebt, präsentiert derzeit in der Galerie der Gegenwart ihre erste Einzelausstellung: Atemberaubend schöne Installationen zwischen Design, Voodoo und Do-It-Yourself-Charme.

Sechs golden-schimmernde, mit metallischen Schellenschnüren überzogene kugelförmige Objekte hängen in einem abgedunkelten Raum der Galerie der Gegenwart frei beweglich von der Decke. Ein Kopf mit klingenden Zöpfen? Ein Körper mit langen Tentakeln? Ein Kultgegenstand? In jedem Fall ein höchst seltsamer Anblick, der jede Menge Assoziationen freisetzt. Erinnerungen an die Bräuche im bairisch-österreichischen Alpenraum werden wach, an das Klausentreiben zur Winterzeit, wenn sich junge Männer zottelige Felle überwerfen, Schellen und Ketten um den Körper binden und mit einem Höllenlärm durch die Gassen ziehen, um böse Geister und den Winter zu vertreiben. Oder an den Barong, jenes Löwenmonster aus der balinesischen Mythologie, dessen Tanz bei keiner folkloristischen Aufführungen fehlen darf. Auch an afrikanische Haartrachten und Metall-Masken erinnern diese Gebilde. In jedem Fall an etwas Volkskundliches, Urtümliches – obwohl sie bei näherer Betrachtung völlig abstrakt und puristisch-kühl sind. Natürlich hat ihre eigentümliche Ausstrahlung viel mit der Inszenierung zu tun – abgedunkelte Räume haben immer etwas Geheimnisvolles an sich - doch setzen die Museumswärter die schimmernden, klingelnden Objekte in Bewegung, fangen sie an zu rotieren und zu tanzen, fühlt man sich versetzt in ein Zwischenreich – halb Jahrmarkt, halb ja dann entfalten sie eine schier hypnotisierende Wirkung.

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Haegue Yang, 1971 in Seoul, Südkorea, geboren, hat eine ganz eigentümliche Ausdruckssprache entwickelt. Ihre Skulpturen und Installationen reiben sich zum einen an großen Vorbildern, an Künstlern, auf die sie immer wieder verweist. Auf der anderen Seite bedient sie sich mit herzerfrischende Unbekümmertheit aus dem reichen kulturellen Fundus unserer Welt.

Haegue Yangs Installationen bilden den Auftakt der Ausstellungsserie „Neuland“: Jedes Jahr bespielt künftig ein Künstler, eine Künstlerin den neuen Projektraum (ehemals Eingangsbereich der Galerie der Gegenwart) mit Werken zu den Themen, die unsere globale Gemeinschaft derzeit bewegen: Identität, Migration und Verortung, Verlust und Zugehörigkeit. Am deutlichsten spiegelt sich der thematische Rahmen wohl in den vier Strohskulpturen „The Intermediates“, was man vielleicht mit „Zwischendinge“ übersetzen kann. Auf den ersten Blick sehen die aus wie Ganzkörpermasken von Schamanen aus Afrika oder Papua Neuguinea. Nur, dass Haegue Yang für diese Strohobjekte gar kein Stroh verwandt hat, sondern ein sehr gutes Imitat aus Kunststoff. Archaische Artefakte gemacht aus den Erzeugnissen einer High-Tech-Zivilisation – ein Clash der Kulturen ganz eigener Art.

Völlig anders hingegen ist ihre Jalousie-Installation „Sol Le Witt Upside Down“, die sich auf das Werk des amerikanischen Konzeptkünstlers bezieht. Kubisch, quadratisch, gut. Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass aus einfachen weißen, in jedem Baumarkt erhältlichen Jalousien eine so eindrucksvolle, hinreißend leichte und luftige Raumskulptur entstehen kann. Oskar Mathias Ungers, der Schöpfer des weißen Kubus namens Galerie der Gegenwart, hätte seine Freude daran gehabt.

Haegue Yang: Quasi-Pagan Serial
zu sehen bis 30. April 2017 in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall,
geöffnet Di-So 10-18 Uhr.
Kuratorinnen: Dr. Brigitte Kölle und Dr. Petra Roettig

Haegue Yang
(*1971 in Seoul, Südkorea) studierte am Fine Arts College der Seoul National University in Seoul und an der Städelschule in Frankfurt. 2012 nahm sie an der documenta 13 in Kassel teil, 2009 vertrat sie Südkorea auf der Biennale in Venedig, 2002 Teilnahme an der Manifesta 4 in Frankfurt.
Zahlreiche Einzelausstellungen u. a. zuletzt Ullens Center for Contemporary Art, Beijing, China, 2015; Leeum, Samsung Museum of Art, Seoul, Südkorea, 2015; Bonner Kunstverein, Bonn, 2014; Bergen Kunsthall, Norwegen 2013; Aubette 1928 und Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst, Strasbourg, Frankreich, 2013; Tate Modern, London, 2012; Haus der Kunst, München, 2012; Kunsthaus Bregenz, Österreich, 2011.

Vimeo-Video: Haegue Yang / Quasi-Pagan Minimal New York


Abbildungsnachweis:
Header: Haegue Yang: Sonic Sonic Dance–Half Sister, 2014, Steel stand, powder coating, brass plated bells, metal rings, casters 190x99x102 cm. Collection of Leo Shih Installation view of Ghosts, Spies, and Grandmothers, SeMA Biennale Mediacity Seoul 2014, Seoul, South Korea, 2014 Foto © Seoul Museum of Art
Galerie:
01. Intermediate Hairy Taoist Fairyball, 2015, Artificial straw, steel stand, powder coating, casters, plastic twine 122x120x120 cm Courtesy of Galerie Barbara Wien, Berlin, Foto: Studio Haegue Yang
02. Sonic Half Moon Type IV–Medium Light #19, 2014. Steel frame, metalgrid, powder coating, brass plated bells, nickel plated bells, metal rings, steel wire 173x54x54 cm. Courtesy of Galerie Chantal Crousel, Paris Installation view of Galerie Chantal Crousel booth, Art Basel Miami Beach, Miami, USA, 2014, Foto: Sebastiano Pellion di Persano.

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