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Diese Entscheidung für den ersten Roman "Was für ein Wunder" des haitianischen Dichters James Noël begründet Jurymitglied Heike Geißler so: "Was für ein Wunder zeigt sich in jedem Wort als Insistieren auf Poesie, Liebe und Selbstbehauptung. Auf die Erschütterung des Erdbebens, das Haitis Hauptstadt Port-au-Prince 2010 zerstörte und bis zu 500.000 Todesopfer forderte, folgen andere: Katastrophenökonomie, Medienschlacht, Cholera. James Noël hat einen Battle von Mensch gegen Erde, Bevölkerung gegen Hilfsorganisationen geschrieben und legt es in jeder Zeile darauf an, den Katastrophen und der Berichterstattung darüber die eigene Stimme entgegenzusetzen. Rike Boltes umsichtiger, um Grenzen und Möglichkeiten wissender Übersetzung ist es zu verdanken, dass Noëls sprachgewaltiges und zugleich leichtfüßig anmutendes Ringen, seine präzise, unermüdliche Anklageschrift auch in deutscher Sprache empowernd und nachhaltig beeindruckend auftritt."

James Noël, geboren 1978 in Hinche, Haiti, wurde durch das kreolische Gedicht Bon nouvèl, ins Französische übertragen von Georges Castera und vertont von Wooly Saint-Louis Jean, praktisch über Nacht berühmt. Dank Gedichtbänden wie Poèmes à double tranchant (2005), Le sang visible du vitrier (2009) oder Le Pyromane adolescent (2013) gehört er heute zu den wichtigsten Gegenwartslyrikern Haitis. Im Januar 2018 schrieb er einen vielbeachteten offenen Brief an Donald Trump, nachdem dieser u. a. Haiti als "shithole country" bezeichnet hatte. Im selben Jahr erschien bei Litradukt unter dem Title Die größte der Raubkatzen eine Auswahl seiner Gedichte in einer zweisprachigen Ausgabe. Was für ein Wunder (Belle merveille) ist sein erster Roman. Zum Gedächtnis von George Floyd schreib Noël das Gedicht Prière Noire.


Die Übersetzerin Rike Bolte, promovierte Literaturwissenschaftlerin, lehrt lateinamerikanische, spanische und frankophone Literaturen und Kulturen. Sie ist Mitbegründerin des Poesiefestivals Latinale. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen neben James Noël Nora Gomringer, Lina Meruane, Francisco Umbral und Angélica Gorodischer. Sie leitet regelmäßig Übersetzungsworkshops.

Der litradukt-Verlag, gegründet 2006, seit 2012 in Trier ansässig, ist der einzige deutsche Belletristikverlag mit Schwerpunkt auf haitianischer Literatur. Litradukt hat Autoren wie Georges Anglade, Louis-Philippe Dalembert, Kettly Mars, Emmelie Prophète, Lyonel Trouillot und Gary Victor in Erstübersetzungen herausgebracht und erfolgreiche Lesereisen veranstaltet. Litradukt-Autoren waren mehrfach auf Bestenlisten (Krimibestenliste der ZEIT, Litprom-Bestenliste Weltempfänger) vertreten.

Der Preis wird heute im Haus der Kulturen der Welt in Berlin verliehen. Er ist mit 3 000 Euro dotiert, einem Sechstel der gesamten Preissumme, die in diesem Jahr an alle  Bücher der Shortlist geht. Die Jury begründet das so: "In einer Zeit, in der so deutlich wird, wie sehr es auf Solidarität ankommt, sei es auf zwischenmenschlicher, sei es auf globaler Ebene, war es der Jury wichtig, anstatt einen der Titel gesondert herauszuheben, die gesamte Shortlist als Konstellation von sechs ausgezeichneten Büchern aufzufassen und das Preisgeld unter allen aufzuteilen. Der Internationale Literaturpreis gilt also in diesem Jahr einer Art Kammerchor, der immerhin vier Kontinente einschließt: Afrika, Asien, Europa und Nordamerika. Mit Blick auf die Gegenwart und mit Blick in die Geschichte erzählen unsere sechs Bücher davon, wie Menschen mit Konflikten umgehen, wie sie an ihnen wachsen und scheitern, wie sie sie herbeiführen und von ihnen überrollt werden. Das tun sie mal leise, mal komisch, mal schräg und mal laut, aber vor allem tun sie dies so erschütternd wie erhellend. Was für ein Wunder, was für ein glücklicher Fall."


Quelle: SCHWINDKOMMUNIKATION

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