Festivals, Medien & TV
drehbares Tiny House Foto Marc Dietenmeyer

Es ist ein Trend, der aus den USA nach Europa kam und hier auf sehr fruchtbaren Boden fällt: die Bewegungen von Tiny Houses und Tiny Living. Reduktion ist der Kerngedanke und dies gilt nicht nur für reduzierte Finanzmittel.
Aus der Not geboren: schon in den 1920ern, als der Mittlere Westen der USA verheerende Dürrejahre erlebte und viele Farmer und Rancher ihr Land verlassen mussten, ohne Geldmittel und mit der Angst im Nacken schlicht weg nicht zu überleben, kam die Idee auf, Minihäuser anzubieten, erschwinglich und/oder bezahlbar.

Die Finanz- und Immobilienkrise von 2008, die erneut viele Menschen, Mittelstandsfamilien und verschuldete US-Eigenheimbesitzer in Richtung Elend katapultierte, brachten das Thema erneut auf die Agenda. Lieber ein kleines Heim oder einen Trailer als obdachlos, hieß die Devise.

Nun ist die Bewegung rund um Tiny- oder Small Houses seit einigen Jahren auch in Europa angekommen, aber lang nicht derartig mit negativer Konnotation besetzt wie die vorherigen Beispiele es zeigen. Nein, es ist eher eine Mischung aus alternativen Lebensentwürfen, Mietwahnsinn in Metropolen, Smart-Living-Akteuren, Life-Work-Balance, Großstadtermüdung und Trendsuchenden.
Mini-Häuser, Wohnen auf kleiner bis kleinster Fläche ist nicht nur etwas für Öko-Freaks, grüne Umweltaktivisten, in Notgeratenen, Camping-Fans, Nomaden oder Aussteiger, sondern etwas für Jedermann.

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Seit 2018 arbeitet die „Grüne Werkstatt Wendland“ an der Vorbereitung eines Festivals, dass sich Ende August, Anfang September verschiedenen Themenbereichen widmet: „Das Tiny Living Festival hat zum Ziel, überregionale Akteure der Nachhaltigkeitsszene zu vernetzen sowie das geballte Wissen aus dem Wendland zugänglich zu machen. In Workshops und Bar-Camps werden die Besucher des Festivals selbst zu Machern und gestalten das Programm mit. Aussteller präsentieren technische Innovationen und Tiny Houses zum Anfassen. Expertenvorträge, Satellitentouren und Musikveranstaltungen garantieren ein rundes Informations- und Erlebnisprogramm.
Das Festival zeigt aktuelle Entwicklungen und Lösungsansätze für einen nachhaltigen und reduzierten Lebensstil. Es geht nicht um den erhobenen Zeigefinger und Verzicht, sondern darum, schon heute gemeinsam die Welt von Morgen zu gestalten. Das Tiny Living Festival ist eine Antwort auf die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit und soll sich als regelmäßig stattfindendes Event etablieren“, heißt es im Vorbereitungstext. Und Michael Seelig, Vorstand der grünen Werkstatt und Festival-Co-Organisator definiert die Gesellschaftsgruppen, die ein starkes Interesse an den Inhalten des Festival haben: „Zum einen sind das junge Leute, die sich reduzieren wollen, die sich ernsthaft fragen, was brauche ich tatsächlich in meinem Leben und auf was kann ich verzichten? Die zweite Gruppe sind ältere und alte Menschen, die ihre Stadtwohnungen wegen eklatanter Mieterhöhngen nicht mehr leisten können und auf der Suche nach bezahlbaren Wohnungen und Häusern sind. Da bietet ein Tiny-House manchmal eine gute Alternative. Jedoch fehlt es im überwiegenden Teil nicht nur am Geld, sondern auch an der Problembewältigung. Denn ein Mini-Haus zu besitzen, heißt noch lange nicht es aufstellen zu können, wo man möchte. Da gibt es Bauvorschriften und Gesetze, die viele überfordern.“ Und ganz mitfühlend fügt Torsten Rösner, der seinen Hof in Prießeck bei Clenze, den er mit anderen im Jahr 2006 erwarb, hinzu: „Ich habe bei Rentnern schon die Tränen in den Augen gesehen, weil sie an einem Punkt gemerkt haben, dass sie das alles überfordert.“ „Die dritte Gruppe, und das sind die, die derlei Projekte anschieben können, vor allem finanziell, sind jene, die sich in ihren Garten oder auf ihren Besitz kleine Smart-Häuser setzen wollen“, fährt Seelig fort, „denn die haben das notwendige Kapital und die finden das mega-cool.“

Smart-Houses bieten viel digitale Ausstattung, von selbstverschließbarer Haustür beim Verlassen, über Luftgütemessungen und Temperatursteuerung, sowie Alarmsicherung bis zu Unterstützungs-Apps für alte Menschen, die in keinem Heim leben möchten, aber trotzdem im Notfall versorgt werden sollten.

Auf meine Frage, ab wann man denn überhaupt – von und bis – von einem Tiny-House sprechen könne, antwortet Nicole Dau, die in der Festival-Vorbereitungsgruppe die Kommunikation innehat: „Da gibt es eigentlich keine wirkliche Definition, es können winzige Häuser ab 9 Quadratmetern sein, bis zu solchen mit einer Fläche an die 100“. Sie lebt mit ihrem Mann auch in einem Tiny-House – semimobil: ein selbst ausgebauter Bauwagen, der zwar noch bewegt werden kann, aber nicht ohne Aufwand fahrtüchtig wäre.

Vor dem Festival war „Tiny Living” im Februar bereits zu Gast auf der „Home“-Messe in Hamburg und auch zur Kulturellen Landpartie (30.5.-10.6.19), dem Großereignis zur Pfingstzeit, gab es Aktivitäten und Ausstellungen. Im Werkhof im Dorf Kukate, haben 14 Studenten der Fakultät Gestaltung der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim in einer Ausstellung ihre Konzepte für „kleine Wohneinheiten im Wendland“ vorgestellt. „BIG House“ so der ironisch-kontradiktorische erscheinende Ausstellungstitel. BIG steht jedoch als Abkürzung für „bezahlbar – immobil – genehmigungsfähig“. Erstaunlich welche Ideen am Start waren und wohnlich und ästhetisch viele der Entwürfe und Modelle sind, wie Jana Glaubitz‘ Haus im Grünen oder das „Wendlands Kreuz“ von Xu Huang.

Auf dem Festival sind im August u.a. Mini-Häuser von „Tiny Houses Wendland“, einer kleinen Firma, die zwar ihren Verwaltungssitz im Wendland hat, aber die Produktion ins mecklenburgische Ludwigslust verlegen musste – Platzgründe.
Geschäftsführer Martin Kayser stellt eines seiner auf einem fahrbaren Trailer gesetztes Tiny Houses vor. Die Grundfläche beträgt ca. 720 x 230 cm und es ist erstaunlich erstens, wie umweltfreundlich die Firma produziert (Materialwahl, Ressourcenmanagement, Energieversorgung etc.) und wie effizient Raum genutzt wird. Die bis zu 26 Quadratmeter großen Wohnformen können mit und ohne Inneneinrichtiung bestellt werden. „gerne würden wir einmal alle Modelle, die wir auf dem Papier entwickelt haben, vorstellen, aber dazu müssen wir erst eine Reihe von Tiny Houses verkaufen“, meint Kayser. Ein zukunftsfähiges Start-up…
Auch SISU Containers ist mit von der Partie. Bootsbauer Finn Jessen und Tischler Moritz Barre arbeiten seit 2016 an ihrem Projekt Übersee-Container zu Wohnmodulen umzubauen. Zwar bleibt das metallene Grundgerüst erhalten, wer aber glaubt im Blech leben zu müssen, der kennt die Kreativität der beiden Handwerker nicht. Im Gegenteil – die Container werden zu wohnlichen, gemütlichen und empathischen Mini-Häusern, die durch deren Grundstruktur immer erweiterbar sind. Im eigenen Blog gibt es einen Blick hinter die Kulissen von SISU. Für Alle, die gerne noch etwas mehr über die Entwicklung wissen wollen.

Die selbstgewählte Reduktion und der Verzicht auf das Überflüssige führen im inhaltlichen Umfeld des Tiny Living Festivals offensichtlich nicht zu irgendeinem Verlust, sondern zum Gewinn an Lebensqualität.

Tiny Living Festival 2019

Synergien zu einem zeitgemäßen Lebensstil
Treffen der Gestalter und Akteure: 28. und 29. August 2019 | Anmeldung erforderlich!
Öffentliche Veranstaltung: 30. August bis 1. September 2019

Im wendländischen 29459 Prießeck, Prießeck Nr. 7
Weitere Informationen

YouTube-Video:
Nicole Dau über das Tiny Living Festival

Tiny Houses in Deutschland

Weitere Links zum Thema:
- This Ultra Modern Tiny House Will Blow Your Mind (Australian example)
- Living Big in a Tiny House (in English)
- Live Small – Be More. Ideas for a simpler and happier life (Blog, in English)
- Doku: Leben in kleinen Häusern: Weniger ist mehr | Zwischen Spessart und Karwendel | BR
- Tiny House: Alternative Wohnformen werden beliebter | Umschau | MDR
- A critical commend: Living in a Tiny House Stinks (Sometimes) (in English)
- Für jene in Not und wohnungslos Geratene gibt Bolb Wells Vor- und Ratschläge: CheapRVliving (in English) und Promoting nomadic tribalism in a car, van or RV.

Partner: Regionen aktiv | Wir bauen Zukunft e.G. | WERKHAUS destinature | SISU Containers | Tiny House Wendland | Prießeck 7 1⁄4 | RESPACE Habitat Wechselbrücken UG | HolzVolk | DesignWerkstatt | WendlandLabor | Wohnen im Karussell, Axel Ewen | Nicole & Carsten Dau | Nicolaus Ilgner | Klimaschutzleitstelle | Anja & Robin Marwege

Veranstalter: Grüne Werkstatt Wendland e.V. in Kooperation mit den Partnern. Mit freundlicher Unterstützung: Region aktiv

Programm: Tiny-House-Konzepte und -Prototypen zum Ausprobieren | Nachhaltigkeit in der Tiny-House- Welt | „Tiny House BIG“, Ideen von Studierenden der HAWK Hildesheim | Mobilität auf dem Lande | Wachstumswende Wendland und das reduzierte Leben | Nachhaltiger Konsum und Kreislaufwirtschaft | Haustechnik neu denken | Wasserkreisläufe verstehen und bauen (Shower Loop) | Bauphysik und -biologie: Materialien für gesundes und ressourcenschonendes Bauen | Antragstellung und Genehmigung: Aktuelle Probleme und Ideen | Kulturelle und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Minimalismus und Reduktion: Erfahrungsberichte von Tiny-House-Bewohnern und Philosophie | Autarkie als Lebenskonzept

Anreise: Bahnhof Schnega oder Bahnhof Dannenberg-Ost (HVV Hamburg) weiter mit dem Fahrrad | dem Elektrocar | dem Bustransfer
Camping und Versorgung vor Ort


Abbildungsnachweis:
Header: Drehbares Tiny House. Foto: Marc Dietenmeyer
Galerie:
01. Charles Miller’s early Motor Home complete with side lawns, 1929, Salt Lake City, Utah. Quelle und
weitere Informationen.
02. Team, Veranstalter und Teilnehmer des Tiny Living Festivals
im Juni 2019. Foto: Claus Friede
03. Jana Glaubitz: Haus
im Grünen, Entwurfsplan
04. Xu Huang: Wendlands Kreuz, Entwurfspläne und Modell
05. Ein mobiles Tiny House der Firma Tiny House Wendland. Foto: Claus Friede
06. SISU Container. Foto: Dario Coelho

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