Kultur, Geschichte & Management
Lisa Reihana, detail in Pursuit of Venus, 2015-17, Ultra HD-Video, 64. Min. Courtesy of the artist, Artprojects NZ and New Zealand at Venice. With support of Creative New Zealand and NZ at Venice Patrons and Partners.

 

Es war das Highlight der Biennale von Venedig 2017 und ist wohl das schönste historische Tableau, das jemals in Hamburg zu sehen war: Unter dem Titel „Im Schatten von Venus“ breitet die neuseeländische Künstlerin Lisa Reihana im MARKK, Museum am Rothenbaum eine gigantische Videoinstallation. aus. Ein bewegtes Breitband-Panorama, das verführerisch mit romantischen Südseeklischees spielt und dabei kritisch die Kolonialisierung hinterfragt.
Man kann nur hoffen, dass die Corona-Zwangspause von kurzer Dauer ist, damit noch viele Besucher in den Genuss dieser hinreißenden Slow-Motion-Show kommen.


Der erste Eindruck, hier eine zum Leben erweckte Tapete vor sich zu haben, täuscht nicht. Vor Jahren entdeckte Lisa Reihana in einem Museumsshop einen Katalog mit Tapeten-Entwürfen von Jean Gabriel Charvet aus dem 19. Jahrhundert, auf denen die Südsee-Expeditionen des englischen Seefahrers und Kartografen James Cook (1728-1779) dargestellt sind. Cook brach 1768 erstmals in den Pazifischen Ozean auf, um von Tahiti aus dem Transit der Venus vor der Sonne zu beobachten und traf dort, wie Charvets Bilder suggerieren, auf hellhäutige Inselschönheiten in neoklassizistischen Kostümen und eine südamerikanische Pflanzenwelt. Doch an diesem Phantasie-Paradies störte sich damals niemand. Die idealisierten Motiv-Tapeten schmückten im 19. Jahrhundert Adelssalons in ganz Europa.

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Lange wusste die Künstlerin mit Maori-Vorfahren mit dem Katalog nichts anzufangen. Doch dann kam der Auftrag, eine superweite Videoprojektion anzufertigen und der Katalog fiel ihr wieder in die Hände. „Eureka! Ich muss das nur zum Leben erwecken“, dachte sie sich und begann, gemeinsam mit indigenen Schauspielern und ihrem Partner James Pinker, der für die Klanglandschaft verantwortlich zeichnet, ihre Sicht auf den Kolonialismus in einem grandiosen, 22,5 breiten Tableau in Szene zu setzen. Zehn Jahre hat Lisa Reihana insgesamt an dieser technischen und narrativen Meisterleistung gearbeitet, rund 500 digitale Schichten übereinandergelegt mit insgesamt 33 Millionen Pixeln pro Bild. Es dauert eine gute Stunde, bis man alle 70 Szenen, all die vielen kleinen, historischen wie imaginären Geschichten um Cook, seine Crew und deren Begegnung mit den Inselbewohnern gesehen hat und der Loop von vorn beginnt. Dabei wird „Im Schatten von Venus“ auch die Gender-Frage erörtert. Denn anders, als die eurozentristische Sicht nahelegt, hatten die einheimischen Frauen der Pazifikinseln durchaus Macht und Ansehen. Reihana verdeutlicht das, indem sie den Entdecker teilweise von einer Frau spielen lässt und eine Geburt von einem Mann. Keine Frage, diese Video-Installation ist nicht nur ein Kunstprojekt der Superlative, sie ermöglicht es in der von Jeanette Kokott und Emelihter Kihleng kuratierten Schau auch, die flankierenden Exponate aus der hauseigenen Ozeanien-Sammlung ganz neu zu sehen und zu interpretieren.

Fazit: „Im Schatten von Venus“ ist erfüllt von „Mana“, wie man im pazifischen Raum sagt: von spiritueller Kraft. Jetzt muss diese Kraft nur dafür sorgen, dass der Corona-Spuk am 30. April vorbei und die faszinierende Welt Ozeaniens wieder zugänglich ist.


„Im Schatten von Venus – Lisa Reihana & Kunst aus dem Pazifik“

zu sehen bis 28. Juni 2020, MARKK Museum am Rothenbaum, Rothenbaumchaussee 64, Hamburg
voraussichtlich wieder geöffnet ab 1. Mai 2020
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