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Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg

Es sind Bilder, die man nicht sehen möchte; Texte, die man nicht lesen möchte. Und dennoch ist diese Ausstellung unerhört wichtig und empfehlenswert: Noch nie wurde Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg so ausführlich aufgearbeitet, wie in der internationalen Wanderausstellung die nun – nach Berlin, Moskau, Warschau und Prag – im Hamburger Museum der Arbeit läuft.

Mehr als 20 Millionen Menschen, Männer, Frauen und Kinder, mussten zwischen 1939 und 1945 als „Fremdarbeiter”, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge für die „arischen Herrenmenschen“ schuften. Sie kamen aus fast allen besetzten Ländern Europas. Aus Frankreich, wo sie anfangs noch angeworben wurden. Aus Polen und anderen „Ostgebieten“, in denen man sie einfach zusammentrieb und deportierte.

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Juden, Roma und Sinti traf es am schlimmsten. Bei diesen, nach Nazi-Ideologie „minderwertigen Rassen“ ging es den Machthabern nicht um bloße Ausbeutung, hier ging es um Schikane, um Erniedrigung, letztlich um Vernichtung durch Arbeit.

„Sadismus, in der Verbindung mit der Suche nach Spaß, meistens plump und witzlos – das war es, was oft über die Art der Arbeit der Zusammengetriebenen entschied. Daher solche Ideen wie das Säubern von Teppichen mit Zahnbürsten, und zwar ohne die Knie zu beugen; das Anspitzen von Bleistiften auf der Glatze eines Juden; das Putzen von Toiletten mit bloßen Händen...“

Aufzeichnungen eines unbekannten Verfassers aus dem Warschauer Ghetto, gefunden nach Kriegsende in einer vergrabenen Metallschachtel.
Bereits 1933 begannen die öffentlichen Demütigungen der Juden und damit die demagogische Vorbereitung auf die späteren Pogrome. Gleich nach dem Überfall auf Polen im September 1939 titelte die antisemitische Zeitschrift „Der Stürmer“ zynisch „Juden lernen arbeiten“. Darunter Fotos von orthodoxen Juden, die unter den Augen lachender Soldaten einen Baum zersägen. Dass die Zwangsarbeit so erstaunlich gut dokumentiert wurde, liegt nicht zuletzt an diesem Hetzblatt, dass seine Leser immer wieder aufforderte Fotos einzusenden, die belegen, wo und wie Soldaten Juden zur Arbeit zwangen. Für Rikola-Gunnar Lüttgenau, einem der insgesamt vier Kuratoren der Schau und stellvertretendem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, war das „Rassismus zum Mitmachen“. Den Deutschen sei mit solchen Aktionen beigebracht worden, „wer zur Volksgemeinschaft gehörte und wer nicht“.

Nicht alle Wehrmachtssoldaten waren Sadisten, nicht alle wurden so entsetzlich gequält, wie in dem Bericht aus dem Warschauer Ghetto zu lesen.

Der nationalsozialistische Rassismus prägte zwar das Verhältnis zu den Zwangsarbeitern, gleichwohl gab es Handlungsspielräume an jedem Arbeitsplatz. Letztendlich hing es von jedem Einzelnen ab, wie er dem ausgelieferten „Fremdarbeiter“ gegenübertrat. In jedem Fall konnte sich keiner nach dem Krieg mit dem Spruch „Davon haben wir nichts gewusst“ rausreden, denn Zwangsarbeiter waren überall. In jedem Rüstungsbetrieb, auf jeder Baustelle, in jeder Werkstatt, in jeder öffentlichen Einrichtung, auf jedem Hof. Kontakte zu deutschen Familien waren deshalb unvermeidlich, insbesondere auf dem Land, wo Ausländer ab 1943 fast die Hälfte der Arbeitskräfte stellten. Natürlich gab es auch intime Beziehungen, doch wehe der „verbotene Umgang“ flog auf: Westlichen Kriegsgefangenen drohte Gefängnis, Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion die Hinrichtung, die beteiligten deutschen Frauen wurden an den Pranger gestellt oder kamen ins KZ.

Deutschen Männern drohten wegen „verbotenen Umgangs“ jedoch nur geringe Strafen. Umso schlimmer traf es ausländische Frauen: Schwangere Zwangsarbeiterinnen mussten abtreiben, bzw. ihre Kinder unmittelbar bei der Geburt in „fremdvölkische Kinderheime“ abgeben, wo sie meist an Mangelernährung und katastrophalen hygienischen Verhältnissen starben.

Erst im Jahr 2000, 55 Jahre nach Kriegsende, bekannte sich der Deutsche Bundestag zur politischen und moralischen Verantwortung für die NS-Opfer aus dem Ausland. Gemeinsam mit der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft rief er die kapitalstarke Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ins Leben, die bis 2007 Überlebende mit einem Geldbetrag zumindest symbolisch entschädigte und die nun diese einzigartige Wanderausstellung finanzierte. Zwei Jahre lang recherchierten sieben Historiker der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in 18 Ländern. Sie trugen rund 450 Fotos und über 500 Dokumente zusammen. Bilder und Schriften, die nun im dritten Stock des Museums der Arbeit von einem Verbrechen zeugen, das wie kein zweites die Gesellschaft im „Dritten Reich“ durchdrang.

Auch in Hamburg gastiert die Ausstellung an historischem Ort, denn auch hier, in dem schmucken, roten Fabrikgebäude der ehemaligen „New-York-Hamburger Gummi-Waaren Compagnie“ waren 302 Zwangsarbeiterinnen beschäftigt.

Insgesamt, so schätzen Experten, leisteten allein in der Hansestadt bis zu 800 000 Zwangsarbeiter in rund 4000 Betrieben Fronarbeit.
Ohne die Arbeitssklaven aus ganz Europa, das wird in dieser Dokumentation überdeutlich, wäre die deutsche Wirtschaft während des Zweiten Weltkrieges schon bald zusammengebrochen. Hätten das NS-Regime den Krieg gar nicht fünf Jahre lang führen können.

Aber noch etwas macht diese Ausstellung schmerzlich bewusst - und schlägt damit mühelos den Bogen zur Gegenwart: Immer noch werden Menschen allein aufgrund ihrer Ethnie ausgegrenzt.

„Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“
Eine internationale Wanderausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, initiiert und gefördert von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ). Die Ausstellung in Hamburg wird gefördert mit Mitteln aus dem Sonderausstellungsfonds der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.
Zu sehen bis zum 3. April 2016, im Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, in Hamburg-Barmbek
Geöffnet: Mo 13-21 Uhr, Di-Sa 10-17 Uhr, So und feiertags 10-18 Uhr,
Eintritt 7,50 Euro, bis 18 Jahre frei.
Weitere Informationen
Homepage der Ausstellung „Zwangsarbeit“
Video:
DGS-Führung: „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg"


Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus Ein deutscher Uniformierter schikaniert einen Juden im besetzten Polen, Herbst 1939. Ein Ausschnitt des Fotos wurde 1939 im „Stürmer“ veröffentlicht. Darauf fehlen die Kinder, die am Rand stehen und zuschauen. Quelle: Stadtarchiv Nürnberg/Signatur E 39 Nr. 1703/21
Galerie:
01. „Sklaven des 20. Jahrhunderts“. Arbeitskräften aus Westeuropa und aus dem Protektorat Böhmen und Mähren war der Besitz einer Kamera erlaubt. Die bei der Firma Ambi Budd in Berlin beschäftigten und im Lager Johannisthal untergebrachten Tschechen zeigen, dass das Foto nicht auf einer normalen Feier entstand: Auf ihre Tasche schreiben sie: „Sklaven des 20. Jahrhunderts“. Quelle: Berliner Geschichtswerkstatt e.V.
02. Abtransport nach Deutschland. Frauen und Mädchen, die zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich gebracht werden, steigen unter Bewachung in den Waggon. Ukraine, Frühjahr 1943. Foto: Thiemann; Quelle: Bundesarchiv, Koblenz
03. Album der Textilabteilung des Ghettos Litzmannstadt (Reproduktion). Es werden die Produkte aufgeführt, die von 1940 bis 1942 für die Wehrmacht angefertigt wurden, darunter Exerzieranzüge, Feldblusen, Übermäntel und Fliegermützen. Foto: Daniel Porsdorf; Quelle: Zbiór ikonograficzny Archiwum Państwowego w Łodzi
04. Daimler-Werk in Minsk. Zwangsarbeiter auf dem Gelände des Daimler-Werkes in Minsk, beaufsichtigt durch einen Mitarbeiter der deutschen Organisation Todt, September 1942. Quelle: Mercedes-Benz Classic, Archive, Stuttgart
05. Deutsches Arbeitsamt in Łódź. Die Arbeitsämter gehörten zu den ersten deutschen Dienststellen, die in den besetzten Gebieten eingerichtet wurden. Ihre wichtigste Aufgabe war die sofortige Erfassung der Arbeitskräfte. Łódź (1940-1945 Litzmannstadt), 1939. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München
06. Zwangsarbeiter beim Bau des Atlantikwalls. Um die Termine zur Fertigstellung solcher und anderer Großbauten einzuhalten, trieben die deutschen Vorarbeiter der Organisation Todt die ausländischen Arbeitskräfte ohne Rücksicht auf deren Gesundheit an, 1943. Foto: Schmähmann; Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo
07. Hinrichtung des polnischen Zwangsarbeiters Julian Majka. Den Männern und Frauen aus Polen, die in der Gegend arbeiteten, wurde befohlen, sich am Exekutionsort einzufinden. Ein Gestapo-Beamter belehrte sie dabei, die Vorschriften der Deutschen nicht zu übertreten. Michelsneukirchen (Bayern), 18. April 1941. Quelle: Sammlung Vernon Schmidt, Veteran der 90. Inf. Div., U.S. Army, Fresno
08. Rekrutierung für den Bergbau. Im Sommer 1942 werden im Kriegsgefangenenlager Zeithain unter Aufsicht sowjetische Kriegsgefangene für die Zwangsarbeit in belgischen Bergwerken selektiert. Quelle: Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain
09. „Europa arbeitet in Deutschland“. Titelbild einer NS-Propagandabroschüre zum Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter in Deutschland, 1943. Foto: Peter Hansen; Quelle: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
10. Arbeitsbücher (Exponat). Von den Arbeitsämtern im Deutschen Reich ausgestellte Arbeitsbücher für ausländische Zwangsarbeiter. Foto: Peter Hansen; Quelle: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
11. Befreite jüdische Frauengruppe. Jüdische Frauen nach ihrer Befreiung aus einem Zwangsarbeitslager in Kauritz (Sachsen) durch die US-Armee. Sie wurden aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien und anderen besetzten Gebieten Europas zur Zwangsarbeit nach Deutschland rekrutiert. April 1945, Kauritz (Sachsen). Quelle: National Archives, Washington
12. Befreite polnische Zwangsarbeiter begrüßen US-Soldaten. Die süddeutsche Stadt Ulm wurde am 24. April 1945 befreit. Zu diesem Zeitpunkt waren mehrere tausend Zwangsarbeiter in der Stadt. Ulm, 1945. Quelle: National Archives, Washington
13. Plünderung in München. Hunderte Deutsche und ehemalige Zwangsarbeiter ziehen mit Waren durch München. Sie hatten zuvor gemeinsam ein Kaufhaus aufgebrochen und geplündert. München, April 1945. Quelle: National Archives, Washington
14. Registrierung im DP-Büro. Befreite Zwangsarbeiter lassen sich für ihre Heimreise registrieren, Verviers (Belgien) 1945. Die Alliierten versuchten, eine schnelle Heimkehr zu ermöglichen. Zwischen Mai und September 1945 konnten im Schnitt täglich 33 000 Deportierte die Rückkehr in ihre Heimatorte antreten. Quelle: National Archives, Washington.

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