Film

Irgendwann störte den südkoreanischen Regisseur Park Chan-wook, dass seine Filme wie „Die Taschendiebin" meist nicht wahrgenommen werden als das, was sie eigentlich sind: Liebesgeschichten. Wo sonst Rachethriller, Heist-Movie und Historiendrama bei ihm zu zynisch-lasziven Puzzles voller Gewalt und Intrigen verschmelzen, kreierte er deshalb ganz bewusst mit „Die Frau im Nebel“, einen fast zärtlichen Neo Noir, selbst Obsessionen strahlen hier noch etwas respektvoll Sanftes aus.

 

Unverändert die erzählerische Virtuosität, im Gegenteil, das rätselhafte Konstrukt entwickelt sich durch seine, die Perspektiven verändernden Spieglungen zu einer hochemotionalen Spurensuche von atemberaubender subtiler Schönheit und Spannung. Eine Hommage an Alfred Hitchcocks „Vertigo“. 

 

Kommissar Hae-joon (Park Hae-il) zeichnet sich durch Höflichkeit, Zurückhaltung, Eleganz und eine fast poetische Wortwahl aus, er ist verheiratet, ob glücklich, weiß er wahrscheinlich selbst nicht. Seine Ehefrau Jung-an (Lee Jung-hyun) arbeitet als Ingenieurin im Kernkraftwerk eines kleineren Küstenstädtchens, wenige Autostunden entfernt, man sieht sich nur am Wochenende, der Kommissar vermisst vor allem die von ihr strengstens untersagten Zigaretten. Ha-joon leidet unter ständiger Schlaflosigkeit, liegt es an den ungelösten alten Fällen oder dass in Busan offensichtlich keine neuen Morde geschehen? Der Polizei-Ermittler und sein schlaksiger junger Assistent (Go Kyung-pyo) spekulieren, ob die Flaute wetterbedingt sein könnte. Dann aber wird am Fuße eines zerklüfteten steilen Felsmassivs ein Leichnam gefunden. Hae-joon übernimmt den Fall. Suizid, Unfall oder wurde der passionierte 60jährige Bergsteiger gestoßen? Es gibt eine Lebensversicherung und eine attraktive sehr viel jüngere Witwe. Song Sei-rae (Tang Wei) ist aus China nach Südkorea geflüchtet, angeblich weil ihr Großvater hier einst als Soldat gedient hatte im Kampf gegen die Japaner, sie arbeitet voller Hingabe als Altenpflegerin (ungewöhnliche Tätigkeit für eine Femme Fatale). Humor und Tragik überlagern sich wie die Doppelbelichtungen der Kamera. Hae-joon erklimmt am Seil das Felsplateau, den ängstlichen Kollegen wie ein Backpack auf den Rücken geschnallt. 

 

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Die seltsame Teilnahmslosigkeit von Sei-rae erweckt die Neugier des Ermittlers. Auf die Frage, vermutlich stehe sie unter Schock, schüttelt die Angesprochene verneinend den Kopf. Ihrer Überzeugung nach brauchen die Alten sie mehr als jener Tote. Aus Neugier wird bald Obsession. Ist das Alibi wirklich Beweis ihrer Unschuld? Von nun an verbringt Hae-joo seine Nächte mit der Observation der mysteriösen Schönen, die immer Eis zum Abendbrot isst. Und hier im Wagen mit Blick auf die Fenster ihrer Wohnung schläft er zum ersten Mal wieder eine Nacht durch. Die Grenzen zögerlicher Vertrautheit scheinen überschritten, aus Verhören werden Gespräche, aus Verdacht wird Hoffnung. Doch die Wahrheit hat oft ihre eigenen Spielregeln. Ist die Annäherung real oder nur manipulativer Kunstgriff einer Femme fatale? Die Blicke treffen sich, doch was bedeuten sie? „Decision to Leave“, so der internationale Titel, ist bald schon mehr Melodrama als Kriminalfall, erinnert an David Leans „Brief Encounter“ von 1945, den Film hatte Park Chan-wook seinem langjährigen Co-autor Jenong Seo-kyeong empfohlen, um in die Gefühlswelt ihrer Protagonisten einzusteigen. Die Kamera von Kim Ji-yong ist es, die für uns die Sehnsucht visuell erfahrbar macht, sie seziert verstohlene Blicke, oder empfindet sie nach, stellt Nähe her, wo keine ist und verortet die Liebenden in Relation zu einander, obwohl was empfindet Sei-rae wirklich? Unter den Fingernägeln des Opfers befindet sich DNA Spuren. Hae-joon ist innerlich zerrissen zwischen Pflichtgefühl und Sehnsucht. 

 

Immer wieder unterschlägt der Regisseur den Zuschauern entscheidende Informationen, vermischt und zerlegt Szenen in einzelne Bildfragmente. Mosaikhafte Verwirrspiele, die erst am Ende, nach dem Einsetzen der letzten Puzzleteile, vielleicht ihr Geheimnis offenbaren. Park Chang-wook gibt jeder Geste wie dem abrupten Schließen eines Regenschirms eine neue, kodierte Bedeutung. Auch wenn der Kommissar sich auf die Abgründe der Seele versteht, in dem Moment, wo er nicht mehr objektiver Betrachter ist, verliert er sich im Labyrinth seiner widersprüchlichen Emotionen. Erste Inspiration für „Die Frau im Nebel“ war das koreanische Lied „The Mist“ komponiert von Lee Bong-jo, der 59jährige Regisseur liebte es in seiner Jugend, kannte es aber nur in der Version von Chung Horn-hee. Später entdeckte er, dass die Band Twin Folio diesen Song auch aufgenommen hatte. Park Chan-wook fragte sich, wie es wäre, einen Film mit beiden Song-Versionen zu machen. Es sollte ein Liebesfilm sein, der in einer nebligen Stadt spielt. Vorbild für Hae-joon wurde Kommissar Beck aus der zehnteiligen Krimireihe „Roman über ein Verbrechen“ („Roman om nett Brot“) des Autorenpaares Per Walhöö und Mac Sjöwall, die zwischen 1965 und 1975 erschien. In keinem anderen asiatischen Land werden so viele Bücher aus Skandinavien und Deutschland übersetzt, wie in Südkorea. „Ich wollte einen Detektiv, der sanft, ruhig, sauber, höflich und freundlich ist, erklärt Park. 

 

Seinen internationalen Durchbruch markierte „Oldboy“ (2003). Racheerzählungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Filmographie des südkoreanischen Regisseurs. Sein Werk aber auf die punktgenaue Inszenierung von Gewaltexzessen zu reduzieren, wäre falsch. Spätestens in seinem Sci-Fi-Märchen „I’m a Cyborg, But That’s Okay“ (2006), das die Annäherung zwischen zwei Patienten einer psychiatrischen Anstalt in gewohnt ungewohnter Form erzählt, bewies Park auch sein Gespür die Zärtlichkeit einer Liebesgeschichte. Der Film entlarvte ihn endgültig als emphatischen wie einfühlsamen Verfechter all jener Außenseiter und Verlierer, die schon seine „Rache-Trilogie“ bevölkerten. Der Vampirfilm „Durst" (2009), das Familiendrama „Stoker" (2013) und der erotische Psychothriller „Die Taschendiebin“ (2016) sind allesamt Liebesgeschichten, in denen sich die Wellen aufkeimender Mordlust an den verzweifelt aufrechterhaltenen Klippen unserer Moralvorstellungen brechen oder sie zum Einstürzen bringen. „Die Taschendiebin“ (2016) war ein Thriller unter anderem über das Schreiben und Erzählen von Geschichten, über die Mechanismen der Wahrheit, wie das Bild eines Menschen entsteht oder auch zerstört wird, daran knüpft Park an.

 

„Die Frau im Nebel“ sollte das Publikum „subtil und unmerklich in seinen Bann ziehen", so der Regisseur. Die wenigen körperlichen Berührungen zwischen dem Polizeiermittler und der Femme fatale sind in ihrer Behutsamkeit frappierend, im Nachhinein schmerzlich berührend. Die gegenseitige Anziehungskraft zeigt sich in vielen Gesten, in anderen wird sie wieder aufgelöst, die Spieglungen der glänzenden Oberflächen täuschen, werden oft kontrapunktiert, die Duplizität von Ereignissen und Personen sind charakteristisch für das emotionale labyrinthischen Geflecht des Kult-Regisseurs. Überblendungen, Doppelbelichtungen, schwer identifizierbar als Traum oder Rückblende, die Montagen steigern die surreale Dimension dieses modernen Neo Noir, der auf ästhetisch berückende Weise die moderne Technologie als Akteur mit einbezieht, zeigt, wie sie Erinnerungen und Gefühle verändert. „Für Seo-rae, die sich immer für unglücklich gehalten hat, ist Hae-joon wie ein kostbares Geschenk“, erklärt Park: „Sie muss überrascht gewesen sein, als sie merkte: „Jemand wie er kümmert sich wirklich um mich.“ Für Hae-joon ist Seo-rae wie die Wellen auf dem Meer. Manchmal ist sie ruhig, manchmal heftig, manchmal überwältigend. Manchmal schließt sie dich in ihre Umarmung ein. Aber es ist immer wechselhaft.“ Vom ersten Moment an besteht zwischen beiden eine körperliche Vertrautheit, als würden sie sich immer schon kennen. Die Choreografie der Bewegungen zieht uns mit hinab in Abgründe der Sehnsucht. Sehnsucht wonach, es wird nie ausgesprochen, die trügerische Harmonie bleibt auch bei einem späteren Aufeinandertreffen. Der Kommissar ist zu seiner Frau an die Küste gezogen, Seo-rae, wieder verheiratet, folgt ihm. Und wieder gibt es einen Toten.

 

In dem wahrhaft meisterhaft inszenierten Film geht es weniger um Täterschaft als um Verlust. Das Geheimnis der Sehnsucht verschlingt das Meer. Das herzzerreißende Finale findet in der Kinogeschichte kaum seines Gleichen, Park Chan-wook wurde in Cannes 2022 mit der der silbernen Palme für die beste Regie ausgezeichnet.

 

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Die Frau im Nebel“

Originaltitel: Heojil kyolshim

Regie: Park Chan-wook

Drehbuch: Park Chan-wook & Jenong Seo-kyeong

Darsteller: Park Hae-il, Tang Wei, Lee Jung-hyun

Produktionsland: Südkorea 2022

Länge: 139 Minuten 

Kinostart: 2. Februar 2023

Verleih: Plaion Pictures GmbH

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © Studiocanal/Pandora/Plaion Pictures

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