Meinung
Klaus Witzling Copyright Andreas Laible

„Ach, so tragisch ist das nun auch wieder nicht. Du übertreibst mal wieder“, würde er sagen. Lachend, mit einer kleinen, abfälligen Handbewegung und einem kaum sichtbaren Stirnrunzeln. „Doch, es ist tragisch. Es ist verdammt tragisch. Und das weißt Du auch“, würde ich ihm antworten.
„Es gibt niemanden, der sich in der Hamburger Theaterszene so gut auskennt wie Du. Es gibt niemanden, der hier als Theaterkritiker so geschätzt wird. Dein Tod reißt eine riesige Lücke. Es ist einfach unfair, dass Du schon gehen musstest.“

Ja, das hätte ich ihm wohl gesagt, wenn ich die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber ich wusste nichts. Niemand wusste etwas. Klaus Witzeling war es immer peinlich, Aufsehen zu erregen, im Mittelpunkt zu stehen. Und so ist er auch am vergangenen Sonntag gestorben, still und leise nach kurzer schwerer Krankheit. Wir trauern um einen großartigen Menschen und Kollegen. Um einen Theaterkritiker der Ausnahmeklasse, der in den vergangenen vierzig Jahren fast jeden Abend in einem Hamburger Theater saß und sich dennoch seine Neugierde und Begeisterungsfähigkeit erhielt.
Sehr freundlich, sehr humorvoll, sehr bescheiden und unendlich belesen – Klaus Witzeling war ein wandelndes Lexikon, ein Mann mit phänomenalem Gedächtnis. Ein personifiziertes „Google“, lange bevor es die Internet-Suchmaschine gab:  Egal, über was man ihn im Bereich Theater und Ballett auch befragte – er wusste immer alles und vermittelte sein Wissen ohne je überheblich zu wirken. Was Wunder, dass er in der Hamburger Theaterszene überaus hohes Ansehen genoss und  auch immer wieder als Juror gefragt war – für den Rolf-Mares-Preis ebenso wie für den Pegasus-Preis oder den Boy-Gobert-Preis.

Ich lernte Klaus 1986 bei der Hamburger Morgenpost kennen. Gruner & Jahr hatte gerade das Boulevardblatt gekauft und in der Kultur wurde ein komplett neues Team aufgestellt. Klaus kam als freischaffender Theaterkritiker und wurde mit seiner Kompetenz rasch eine tragende Säule des Kultur-Teams. Bis Mitte der 90er-Jahre arbeiteten wir in der Morgenpost zusammen. Seine Meinung, sein Rat und seine Sichtweisen haben die Redaktion bereichert und in dieser Zeit auch geprägt. Für mich war die Mopo ohne Klaus undenkbar und ich bin dankbar, dass ich sie ohne ihn auch nicht erleben musste.

Ende der 90er-Jahre wechselte er zum Hamburger Abendblatt und profilierte fortan dort die Kultur mit seinen profunden Theaterberichten. Jeder, der sie aufmerksam las, konnte feststellen, dass dieser Kritiker zu einer Spezies gehörte, die man leider kaum noch findet: Klaus Witzeling war nicht nur ein hochsensibler Beobachter und Kritiker, er war ein echter Freund und Anwalt des Theaters. Von Haus aus selbst Schauspieler (ausgebildet am Max-Reinhardt-Seminar) wusste er, was es bedeutet auf der Bühne zu stehen. Er wusste, was Schauspieler, Regisseure, die vielen Mitarbeiter vor und hinter den Kulissen leisteten – und er vermittelte dieses Wissen in seinen Kritiken. Dabei war es ganz egal, ob es nun hochsubventionierte Produktionen der Staatstheater waren oder kleine Inszenierungen in Privattheatern. Klaus Witzeling schätzte alle Theaterinstitutionen gleichermaßen und seine Rezensionen waren dementsprechend immer von Respekt und Wertschätzung durchdrungen. Klaus verriss selten ein Stück nach Strich und Faden – und wenn er es tat, konnte man sicher sein, das er selbst darunter litt.  

Nachdem sich unsere beruflichen Wege getrennt hatten, trafen wir uns meistens nur noch bei Premieren. Sobald ich den Zuschauerraum betrat, suchte ich die Reihen nach seinem markanten Glatzkopf ab, der nur im Winter manchmal von einem Käpi bedeckt war. Ich werde sicher auch weiterhin suchen. Aus Gewohnheit, weil es immer so war. Und weil es für mich einfach unfassbar ist, dass es Klaus nicht mehr gibt.
Die Hamburger Kulturszene ist so unsagbar viel ärmer geworden.

Ihre Isabelle Hofmann


Isabelle Hofmann ist stellvertrende Chedredakteurin bei KulturPort.De und arbeitet als Autorin für viele Tages- und Fachzeitungen.

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