Musik
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Wenn das Leben fortschreitet, kann Wunderliches geschehen.
Dann formt sich der Mensch die Wirklichkeit nach seinen Wünschen, Erlebtes wie Unerfülltes und Erzähltes sortieren sich neu, in die eigene Geschichte fließen fantastische Elemente ein. Und am Ende steht doch immer die Tatsache, dass der Kreislauf der Natur sich nicht anhalten lässt, dass das Leben, wie schön, bunt, gefährlich und grausam es auch ist, am Ende immer tödlich endet.
Nur so kann es auch geschehen, dass sich ein Förster in eine kesse, wilde, freiheitsliebende Füchsin verliebt, sehr zum Unwillen der nörgeligen Försterin. Und dass er erkennen muss: Die Liebe ist nicht steuerbar, und der Freiheitsdrang lässt sich nicht an die Leine legen. Am Ende stirbt die Füchsin von der Hand eines Wilderers, und auch der Förster wird wieder eins mit der Natur, weil sein Leben vorbei ist.

Eine hübsche Parabel ist das, die Leoš Janáček 1924 erzählt hat in seiner Oper „Das schlaue Füchslein". Kein Märchen, keine Kindergeschichte, sondern Ausschnitt aus dem prallen Leben. Den Stoff dafür holte sich der mährische Komponist aus Brünn – ungewöhnlich genug – aus einer Zeitungsbildergeschichte und brachte ihn auf die große Opernbühne. Fein verwoben mit der eigenen, so lang dauernden wie unerfüllten Liebe zur verheirateten Kamila Stösslová. Das Stück gilt als ebenso reizvoll wie sperrig, schon wegen der tschechischen Sprache, die Janáček akribisch in ihrer Diktion und Sprachmelodie erforscht hat und die er ebenso akribisch und überzeugend musikalisch umsetzt.

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Die Premiere der erst zweiten Hamburger Inszenierung der Oper, die in der Hansestadt zuletzt 1981 zu erleben war, wurde am Sonntag geradezu stürmisch bejubelt, und es gab jede Menge gute Gründe dafür. Regisseur Johannes Erath hat in seiner zweiten Arbeit in Hamburg (nach „La Traviata") das Stück konsequent als Traum gedeutet – und ein Traum ist, Sigmund Freud folgend – die mehr oder weniger logische Oberfläche, die Verkleidung, in der sich die Sehnsüchte des Unbewussten im unbewachten Moment des Schlafes soweit aus der Verdrängung wagen, dass der Mensch wirre Geschichten mit Realitätsmomenten erinnern kann.

Die Handlung bei Erath folgt dieser faszinerend sprunghaften Traumlogik, er zerlegt sie ungeniert in einzelne Bilder und Emotionen, einzig die unerfüllte Liebe des Försters zur Füchsin gibt eine Art roten Faden und die Dorfkneipe einen Rahmen für das Geschehen. Beides löst sich immer wieder gern in opulente Bilder auf. Der lange Tresen ist äußerst mobil, es tauchen weitere Bühnen auf, Bühnen der Erinnerung, Bühnen der Möglichkeiten. Der Wald ist nicht mehr als eine schöne Vielzahl dünner Vorhänge, er kann sich zur Kirche wandeln bei der Hochzeit der Füchsin, er kann den Hühnerstall als gefährliche, glitzernd frivole Cabaret-Versuchung zeigen, er kann in die Kneipe hineinwachsen, so wie die Natur alles Menschenwollen bestimmt, ob der Mensch will oder nicht. Und er kann völlig zurückweichen, denn die Grundtatsachen des Lebens, die Liebe und der Tod, sind nicht einzig an den Wald gebunden. Mit großer Liebe zum Detail versuchen flimmernde schwarz-weiße Stummfilm-Zwischentitel, die von ohne herabschweben, die Orte der Handlung wenigstens zu behaupten. Ein liebevoller Gag.

Großartig sind die Kostüme, die Katharina Tasch geschaffen hat. Sie verwischen genial die Grenzen zwischen Mensch und Tier, zeigen oft nur rudimentär an, welches Tier da gerade spielt und singt. Sie sind in einer Überfülle der Farben und Formen so opulent, aber auch so fein gestaltet, dass man die Oper bestimmt dreimal sehen muss, um sie in allen Details zu würdigen. Wunderbare Grenzgänge mit sehr komischen Moment der klavierspielende Dackel (Ida Aldrian, die auch als Specht die Lacher auf ihrer Seite hat), der Hahn (Anat Edri), die Chor-Hühner, die optisch glaubhaft versichern, sie seien verführerisch freche Cabaret-Mädels der 20er-Jahre, die musikalisch eine ebenso hervorragende Performance bieten.

Die Protagonisten der eher grauen Menschenwelt des Tresen und der unerfüllten Liebe geben ihren Figuren zwischen Wahn und Wirklichkeit changierende Präsenz: der Förster (Lauri Vasar), die eifersüchtige Försterin und Eule (Renate Spingler) der Schulmeister, zuweilen auch Mücke (Peter Galliard), der Pfarrer (Florian Spieß, der auch als Dachs auftaucht und von der lebenslustigen Füchsin aus seinem Bau vertrieben wird) oder der Gastwirt (Manuel Günther). Johannes Erath lässt keinen Moment lang Stillstand beim Rampensingen zu, alles ist in Bewegung, alles entwickelt sich und sortiert sich jeden Moment neu. Seine Meisterstücke: die Vertreibung des Dachs-Pfarrers und die allerliebst wirbelige Fuchshochzeit (auch hier der Chor, einstudiert von Eberhard Friedrich, in Bestform), die vom Wilderer gestört wird, und in der sich schon andeutet, was bald bittere Realität sein wird. Die Füchsin singt und spielt Hayoung Lee, bei der Premiere etwas erkältungsgeschwächt), und den schlauen Fuchs, der schließlich das Herz dieser modernen Füchsin mit einem Kaninchenmahl erobert, Hellen Kwon. Ein Ensemble ohne Schwachstelle, auch die drei kleinen Alsterspätzinnen überzeugen als Grille, Heuschrecke und Frosch.

Unter der umsichtigen Leitung von Lawrence Foster lassen sie alle – in originaler, also tschechischer Sprache – das Verwirrspiel um kleine Zänkereien und große Gefühle so flirrend wie bewegend und immer wieder überraschend in der Musik entstehen.
Die trägt alles, sie erzählt, was ohne Übersetzung auf der Sprachebene ganz und gar unverständlich bliebe. Eine Glanzleistung der Hamburger Philharmoniker, die bei Janáčeks Musik vom ersten Moment an ganz präsent klingen, rasch weiter aufblühen und aus dem Vollen schöpfen. In einer Tonsprache, die einzelne Wurzeln tief hinein in die Volksmusik nicht versteckt, sie aber immer wieder kühn verfremdet, anspitzt. Und die funktioniert wie moderne Filmmusik, also so traumwandlerisch sicher die Emotionen und das Geschehen auf der Bühne unterstützt, so dass man manchmal ganz bewusst hinhören muss, damit sie nicht zu sehr in dem organischen Geschehen aus Traumbildern, Gedanken und Handlung aufgeht. Und manchmal - nicht erst zum Schluss, als auch der Förster auf der Bühne seiner Träume gestorben ist - entwickelt sie eine gewaltige emotionale Kraft, der sich niemand mehr entziehen kann und mag. Da versteht jeder ganz unmittelbar: Das Leben geht weiter, doch die Welt ist ohne Liebe ärmer. So muss Oper - überraschend, überzeugend, überwältigend. Glückwunsch!


Nächste Vorstellungen: 16., 19., 27., 29.3. und 5.4., jeweils 19.30 Uhr. Und 23.3. um 16.00.
Karten unter (040) 3535 68 oder online über und per eMail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dammtorstraße 28, 20354 Hamburg
www.staatsoper-hamburg.de


Abbildungsnachweis: Alle Fotos: Monika Rittershaus
Header: Hellen Kwon (Fuchs), Hayoung Lee (Füchsin Schlaukopf), Lauri Vasar (Förster), Chor, Komparserie
Galerie:
01. Hayoung Lee (Füchsin Schlaukopf)
02. Lauri Vasar (Förster), Hayoung Lee (Füchsin Schlaukopf), Solen Mainguenné (Gastwirtin/Schopfhenne), Chor, Komparserie
03. Levente Páll (Háraschta), Hayoung Lee (Füchsin Schlaukopf), Lauri Vasar (Förster)
04. Lauri Vasar (Förster), Hayoung Lee (Füchsin Schlaukopf)
05. Lauri Vasar (Förster), Hayoung Lee (Füchsin Schlaukopf), Komparserie.

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