Musik

Anarchist, Utopist, Romantiker – das war und ist er, der Liedermacher Konstantin Wecker. Seinen Traum von einer herrschaftsfreien Zeit, von einem liebevollen Miteinander, den träumt er seit 50 Jahren. Und seine Fans träumen mit.

So auch beim „Utopia“-Konzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle. Gemeinsam mit dem Barden Konstantin Wecker aus dem Süden Deutschlands lebten und erlebten norddeutsche Fans hier einen Abend in schöner Utopie. „Nennt mich gerne einen Spinner, der nicht passt in unsre Zeit, doch ihr lebt in einem Albtraum, mein Traum ist die Wirklichkeit“, heißt es in dem Lied „Utopia“, das Konstantin Wecker im vergangenen Herbst schrieb und das nun Titel seiner Konzerttournee durch Deutschland ist. „Stell dir vor, wir leben sie, diese schöne Utopie“, singt er und das Lübecker Publikum jubelt und applaudiert enthusiastisch. Denn sie wissen, er meint es ernst.

 

Sein aktuelles Programm „Utopia“ ist eine musikalische Laudatio, ein leidenschaftliches künstlerisches Plädoyer dafür, das angeblich nicht Realisierbare möglich werden zu lassen, bevor Realisten unsere Welt endgültig zerstört haben. Ein Blick in deutsche Wörterbücher verrät viel über Macht und Herrschaft. Dort wird das Wort Utopie als eine „nicht realisierbare Idee“ bzw. als „Hirngespinst“ und das Adjektiv utopisch als „nach dem Unmöglichen strebend“ bezeichnet. Aber wer sagt denn eigentlich, dass eine Utopie „nicht realisierbar“ oder „unwirklich“ sein sollte? Und wer hat definiert, dass ein in vielen Momenten schon gelebtes Utopia unmöglich ist? Sagt und singt Konstantin Wecker, der beim Konzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle wie immer von Jo Barnikel (Klavier, Trompete, Keyboard) begleitet wurde, der seit dreißig Jahren mit Wecker gemeinsam musiziert. Wie gewohnt war auch Fany Kammerlander (Violoncello, Gesang) dabei, die seit sechs Jahren zum Team gehört. Laut Wecker erstmals und exklusiv in Lübeck dabei war Daniel Higler (Percussion), dessen Lehrer Thomas Simmerl den Münchener Liedermacher ansonsten an Schlagzeug und Percussion begleitet.

 

„Genug ist nicht genug, ich lass mich nicht belügen. Schon Schweigen ist Betrug, genug kann nie genügen.“ Nur wenige langjährige Wecker-Hits sind an diesem Abend zu hören, dafür aber jede Menge neuer Lieder. Wecker singt und spricht auch in seinen neuen Liedern von Rebellionen, Ideen und gelebten Momenten. All dies gilt es für jeden einzelnen Konzertbesucher (wieder) zu entdecken. Und es sieht so aus, als gelinge dieses (utopische) Unterfangen. Die Menschen gehen mit, sie verstehen Text und Musik und plötzlich ist „Utopia“ keine Utopie mehr. Nicht jetzt, nicht an diesem Abend. Hier ist es möglich, gemeinsam utopische Augenblicke zu erleben, in denen eine herrschaftsfreie Weltgesellschaft entstehen kann und lebendig wird. „Es gibt keinen besseren Moment für Utopien als den gegenwärtigen“, so Konstantin Wecker.

 

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Bei Weckers Auftritten – so auch in Lübeck – decken musikalisch-lyrische Gedanken eigene, fremde und kollektive Sehnsüchte auf. Konstantin Wecker singt, was er denkt und denkt, was er singt. Und er handelt entsprechend. Deshalb lieben ihn seine Fans. Sie lieben ihn aber auch, weil er Musiker und Poet zugleich ist - eine seltene und in diesem Fall gelungene Mischung. „Stellt euch einmal unsere Welt vor ohne Krieg, ohne Gewalt“, appelliert Konstantin in seinem Lied „Utopia“, das dem Programm seinen Namen gab. „Schäm dich Europa, du hast die guten Ideen geschändet“, singt er und spätestens jetzt wird allen Zuhörern klar: Konstantin Wecker wird nicht aufhören, von einer herrschaftsfreien, solidarischen Welt ohne Grenzen zu träumen, zu schreiben, zu singen und zu sagen. Dem entspricht auch, dass Konstantin Wecker ein Gedicht des Schriftstellers, Revolutionärs, Antifaschisten und Pazifisten Erich Mühsam, den die SS am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordeten, im Corona-Herbst 2020 vertont hat und an diesem wunderbar poetisch-musikalischen Abend im Dezember 2021 in Lübeck zu Gehör bringt. „Sich fügen heißt lügen“ heißt das Lied, das in Lübeck ganz klar ins Programm gehört, zumal Erich Mühsam in Lübeck aufgewachsen ist.

 

74 Jahre ist Konstantin Wecker in diesem Sommer geworden und kein bisschen leise. „Ich singe, weil ich ein Lied hab“ heißt eines seiner frühesten Stücke aus dem Jahr 1975 und ist seitdem sein Lebensmotto. Mit „Utopia“ hat der Liedermacher in 2021 sein 27. Album veröffentlicht. Und es wird hoffentlich nicht sein letztes sein. Seit fünfzig Jahre steht der Liedermacher auf der Bühne. Hundert Auftritte pro Jahr macht er (in Nicht-Corona-Jahren), erzählt er. Das ist zumindest dem Publikum nicht zu viel, gemessen am Applaus. Überhaupt: was heißt schon zu viel? Wecker-Fans wissen es: Genug ist nicht genug… Also ist auch nichts zu viel... Zumal die uralten Themen des nicht mehr ganz so jungen Liedermachers heute noch genauso aktuell sind wie zu Beginn seiner Karriere. Besser gesagt, die Themen könnten aktueller nicht sein.

 

Konstantin Wecker ist immer noch (vor)laut, immer noch ein Revoluzzer. So hat er angefangen. So hat er seine Fangemeinde angesprochen. So ist er geblieben. Und deshalb sind ihm seine Fans treu geblieben. In guten und schlechten Zeiten. Das bewiesen sie einmal mehr beim Konzert in der Musik und Kongresshalle (MuK). „Sich fügen, heißt lügen“, singt Wecker laut und ketzerisch und das Publikum applaudiert stehend. Auch leise Sätze wie diese sind zu hören und im Saal wird es jetzt ganz still: „Da ist etwas in mir, das möchte tanzen, dem Alter trotzen, vergessen, dass der Zahn der Zeit auch an mir nagt“. Ist er angekommen? Bei sich selbst? Bei seinen Zielen? Klares Nein, meine ich. Deshalb ist auch der Titel „Bin ich endlich angekommen?“ mit einem Fragezeichen versehen. Schlussendlich ist die Ankunft ja auch erst am Ende einer jeden (Lebens)Reise möglich: „Mag sein in der letzten Stunde wird Geahntes hell und klar und es schließt sich dann die Wunde, die des Lebens Urgrund war“.

 

Konstantin Wecker gehört als Liedermacher, Schriftsteller, Schauspieler und Komponist zweifellos zu den vielseitigsten Künstlerpersönlichkeiten im deutschsprachi­gen Raum. Für das künstlerische Fundament sorgten eine klassische Musikausbildung und die - von der Mutter geförderte - Begeiste­rung für Lyrik. Er selbst sagt heute von sich, dass ihm seine Gedichte passieren, dass er sie sich nicht ausdenken kann: „Manchmal habe ich das Gefühl, sie waren immer schon in mir geschrieben und den Zeitpunkt, wann sie das Licht der Welt erblicken wollen, kann ich nicht bestimmen.“ 16 neue Gedichte sind ihm auf diese Weise im letzten Jahr passiert und verlangten nach einer musikalischen Umsetzung. In Weckers neuem Buch „Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten“ heißt es hierzu: „Ich bin zwar ein alter Anarcho, aber eigentlich bin ich im tiefsten Herzen immer auch schon ein Romantiker gewesen.“ Dieser Romantiker habe sich gegen alles durchgesetzt, was er sich so schön ausgedacht und vorgenommen hatte für die neue CD „Utopia“. Er habe seinen Texten folgen müssen und ihnen in seinen Vertonungen gerecht werden müssen. Das ist ihm voll und ganz gelungen, so empfanden es ganz offensichtlich die Zuhörer in Lübeck. Sie standen nach (gefühlt) jedem Lied auf, um ihrem Idol zu applaudieren.

 

„Es gibt keinen besseren Moment für Utopien als den gegenwärtigen“, sagt Konstantin Wecker und erklärt sein Utopia-Projekt so: „Wir müssen heute das Utopische gemeinsam suchen, denken, fordern, es leben und dafür handeln! Was wäre die Alternative angesichts der möglichen Vernichtung des gesamten Planeten?“ Auf diesem Weg brauche es gemeinsame Entdeckungen und Erlebnisse, die Mut machen, die eigene Angst und Ohnmacht zu überwinden. „Die Vertreter des Machbaren, Notwendigen, des angeblich Realistischen und einzig Realisierbaren hatten lange genug Zeit. Sie können nur zerstören. Ihre Show – oder besser gesagt, ihr Business – darf nicht weiter gehen“, sagt Konstantin Wecker. „Es reicht!“

 

Für Wecker ist es hier und jetzt höchste Zeit für eine umfassende Laudatio, für eine Ode auf all jene Utopisten und Utopistinnen, die seit Jahrhunderten denunziert und verfolgt werden, und die mit ihrer Kritik und ihren Visionen meistens richtig liegen. Mit seiner Musik, mit seinen Texten bekräftigt er diesen Glauben, diese Überzeugung. Sein Konzert (und auch die gleichnamige CD) „Utopia“ ist daher eine sehr persönliche und politische Zeitreise des Liedermachers in Vergangenheit und Zukunft. Sie ist aber auch eine allgemeingültige Vision einer besseren Welt. Und genau das ist es, was Konstantin Weckers Fans verstehen, hören, sehen und lieben.

 

Wie wirkungsmächtig seine Texte, seine Lieder sind, beeindruckte auch die Jury des Hermann-Sinsheimer-Preises für Literatur und Publizistik 2021 der Stadt Freinsheim (am Rande der deutschen Weinstraße gelegen). Mit diesem Preis wurde Konstantin Wecker in diesem Jahr für sein Wirken und Schaffen ausgezeichnet. Auch der Jury imponierte, wie Wecker sich „gefühlt schon immer“ von seinen politischen Einstellungen und Sehnsüchten nach einer menschenwürdigen Welt leiten ließ und sich ihnen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verschrieb: als Schriftsteller und Komponist, als berührender Poet und als begnadeter Musiker. „Aufrecht und wahrhaftig verlangt er in seinem vielseitigen Schaffen, sich der Gier, dem Machtgehabe und der Gewalt, und kommen sie auf noch so leisen Sohlen daher, lautstark zu widersetzen“, urteilte die Jury.

 

In seinem unerschütterlichen Einsatz für Frieden und Demokratie sah die Jury auch eine Parallele zu Hermann Sinsheimers Lebensleistung: Wecker unterziehe aktuelles politisches Handeln seinem kritischen Blick, fordere die Einhaltung der Grundrechte und verurteile in seinem Kampf um eine gerechtere Welt Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender und Minderheiten aufs Schärfste. Der Preis wird alle zwei Jahre an herausragende Persönlichkeiten verliehen, die mit ihren Werken ein klares Bekenntnis gegen Faschismus und für die Einhaltung der Menschenwürde abgeben. Weckers Vorgängerin ist keine geringere als Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die 2019 mit dem Sinsheimer-Preis geehrt wurde. Was gibt es da noch anderes zu sagen als dieses: Herzlichen Glückwunsch, lieber Konstantin Wecker.


Konstantin Wecker: Utopia

 

Kommende Tourdaten in 2021:
09.12. Luzern (CH) - KKL
15.12. Mannheim - Rosengarten
16.12. Freiburg - Konzerthaus
17.12. Stuttgart - Liederhalle
18.12. Saarbrücken - Congresshalle
20.12. Wien (AT) - Konzerthaus
27.12. Nürnberg - Meistersinger Halle

 

Weitere Informationen (Homepage Wecker)

 

YouTube-Video:

Konstantin Wecker: Utopia (3.24min.)

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