Musik
Strauss’ Daphne in der Staatsoper Hamburg: Eine Parabel vom Nicht-Mitmachen-Wollen

Richard Strauss’ später Einakter „Daphne“ in der Staatsoper Hamburg, inszeniert von Christoph Loy. Eine Parabel über das Nicht-Mitmachen-Können, über das Bedrängende trinkender Männermassen, den Fehltritt eines Sonnengottes und darüber, was passieren kann, wenn man den obersten Mächten allzu nahe kommt.

Der Hauptübeltäter aus der Mythologie tritt in Richard Strauss’ Einakter „Daphne“ überhaupt nicht in Erscheinung. Eigentlich nämlich ist Eros, der geflügelte Unruhestifter, an allem schuld. Er wollte sich an Apollo dafür rächen wollte, dass der ihn als schlechten Schützen verspottet hatte. Zur Strafe traf er Apollo mit seinem goldenen Liebespfeil, woraufhin sich der Gott des Lichts hoffnungslos in die Nymphe Daphne verliebte. Hoffnungslos, weil Daphne von Eros mit einem bleiernen Pfeil auf ewig immun gemacht gegen dessen Werben. So rutscht Apoll in die Rolle des lästigen Stalkers, dem sich Daphne entzieht, indem sie sich von ihrem Vater in einen Lorbeerbaum verwandeln lässt. Seine Leier wird er mit Lorbeer bekränzen.
Strauss eliminierte für seine Oper den pfeilschießenden Knaben. Bei ihm ist die Berührung mit zu vielen trinkenden Männern und drängenden Göttern, denen Daphne ausgesetzt ist und denen sie nur durch die Verwandlung in den Lorbeer entkommt. In Christoph Loys psychologisch überzeugender Inszenierung für die Opernhäuser in Basel und Hamburg werden letztlich ganz irdische Ursachen für die Hinwendung Daphnes zum Lorbeergezweig spürbar. Die Nymphe ist hier eine Wirtsleut-Tochter, angeekelt in ihren Jugendjahren von einer testosterondampfenden Hirten- und Fischergesellschaft, die nicht ihre Welt ist und es doch sein soll. Besonders an diesem Abend, beim Dionysosfest, dem Fest der Paarung.
Sie hat sich zurückgezogen vom geil grapschenden Treiben, ein paar kümmerliche Topfpflanzen sind ihre Freunde. Selbst die Buam in Lederhosen schauen fast mitleidig auf die junge Frau, mit der nichts anzufangen ist. Obwohl sie schon weiß, wie man eine Unterhose nach unten zieht.

Auch dem Lenker des Sonnenwagens ist nichts Männliches fremd
Reine Liebe, ohne die böse Körperlichkeit, findet sie bei ihrem Jugendgespielen Leukippos, bis auch dessen Männlichkeit in Begierde erwacht und sie ihn zurückstößt. Beim sieggewohnten Phoibos Apoll, dem Lenker des Sonnenwagens, ist das schon schwieriger, weil das Licht so schön körperlos daherstrahlt und Daphnes geliebte Natur am Leben erhält. Die beiden Männer geraten in Konkurrenz, bei dem Leukippos natürlich den Kürzeren zieht. Er läuft in das Messer von Daphne und stirbt. Aber auch Apoll bleibt allein. Daphnes Verwandlung besteht in ein paar Zweiglein, die sie sich in Haar steckt, bevor sie, längst dem Wahn verfallen, von SS-Männern und einem Geheimpolizisten abgeführt wird.
Loy verpflanzt das Geschehen mit Bedacht aus der mythischen Vergangenheit in die Entstehungszeit der Oper, die späten 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Schon Strauss hatte am Olymp ganz modern Alphörner blasen lassen, bei Loy kommen Lederhosen dazu, zwei Mädels im Eva-Braun-Look, eine raue Bretterwand mit einer Schwingtür und das Polizei-Trio. Als Apollo sich zu erkennen gibt, öffnet sich die Bühne in ein dunkles Halbrund, von dem aus viele Scheinwerfer mit Lichtblitzen das Publikum blenden. Ein Bett, ein paar Bänke, ein paar Blumentöpfe. Apoll mit seiner Armbrust wirkt dabei, als sei er aus einer Guillaume-Tell-Aufführung auf einen Sprung hereingescheit.
Der Zeitensprung ist berechtigt, denn man kann die knapp zweistündige Oper durchaus auch als Auseinandersetzung des Komponisten mit seiner mehr als zwiespältigen Rollen in Nazi-Deutschland verstehen wollen. Der schon lange kulturpolitisch aktive Strauss wurde 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer berufen, von den Nazis zwar als politisch unzuverlässig eingestuft und schon 1935 wieder abgelöst, aber gleichzeitig zu den drei wichtigsten Musiker des „Dritten Reichs“ gezählt. Er hatte in Bayreuth dirigiert, als Toscanini wegen ausländer- und judenfeindlichen Stimmung in Deutschland abgesagt hatte. Er trat, wie bei Leni Riefenstahl zu sehen, bei der Eröffnung der Olympiade 1936 mit einem eigenen Werk an. Die Fäden zu den Herrschenden waren vielfältig.

Die Unvereinbarkeit von Mitmachen und Distanz bewahren wollen
Gleichzeitig versuchte Strauss, 1938 bei der Uraufführung seiner „Daphne“ in Dresden schon 74 Jahre alt, wohl auch, sich zurückzuziehen, eine Art innere Emigration, raus aus dem Gleichtakt der NS-Gesellschaft. Einfach Künstler sein, sonst nichts wissen wollen. Ein bisschen Daphne – am liebsten einfach Lorbeer. Für den gefeierten Künstler. Es wird ihm nicht gelingen, er verstrickt sich noch tiefer. Und wird am Ende des Krieges ratlos und erschüttert sein.
Musikalisch bot die Hamburger Christoph Loy-„Daphne“ große Stimmen auf. Wobei Agneta Eichenholz die Rolle der in sich gekehrten, von der Welt bedrängten und überforderten Daphne in einer großartigen Einheit von stimmlichem Können und darstellerisch genauen und anrührenden Ausdruck gab. Silberklang in den höchsten Koloraturen, geradezu beängstigend perfekte Intonation bei der B-Premiere, furchtlose Durchsetzungskraft gegenüber Strauss’ opulenter Instrumentation, eine Daphne zum öfter Hören.
Von der Figur her ein Götterformat, die Stimme mit feiner, heller Strahlkraft gesegnet gab der amerikanische Tenor Eric Cutler den Apollo, und man verstand, warum sich Daphne doch eher ihm zuwenden möchte als Leukippos, den Peter Lodahi schön, aber mit deutlich schmälerem Stimmvolumen sang. Wilhelm Schwinghammer als Daphnes Vater Peneios war wie immer eine sichere Bank.
Und dann gab es ein überraschendes Wiedersehen mit der großen Hanna Schwarz. In der Rolle von Daphnes Mutter Gaea tritt sich agil als verlebte und schwankende Wirthauschefin auf, die es weniger mit dem Lorbeer hat als mit der Schnapsflasche. Ihre Stimme ließ nicht alle Töne gleich gut zur Geltung kommen, berückend waren vor allem ihre kellertiefen Lagen – und eine jugendglatte Stimme wäre bei dieser Erdgöttin kaum glaubhaft gewesen.
Im Orchester waren über längere Zeit nur großartige Einzelleistungen zu bewundern – eingangs die verführerisch schmeichelnde Oboe, eine fantastische Solotrompete gegen Ende. Was ausblieb, war der Strauss-Klang, in dem die Klangfarben der Instrumente nahtlos changierend vielfältig ineinander verschmelzen. Das Philharmonische Staatsorchester spielte unter Michael Boder die Noten, aber leider nicht viel mehr. Spät, wenn die großen Konflikte aufbranden, geben die Blechbläser eine Ahnung davon, wie das klingen müsste. Und erst im magischen, im sehnsuchtsvollen und herzzerreißenden, feinst gesponnenen Klanggewebe der Verwandlungsmusik verdienten sich die Musiker im Graben für ihren Tonzauber dann doch noch ein Blättchen Lorbeer. Es hätte mehr sein dürfen.

Richard Strauss: Daphne
Inszenierung: Christof Loy
Bühnenbild: Annette Kurz
Kostüme: Ursula Renzenbrink
Licht: Roland Edrich
Choreografie: Thomas Wilhelm
Dramaturgie: Thomas Jonigk, Simon Berger

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Eine Übernahme des Theater Basel. Unterstützt durch die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper.
Nächste Vorstellungen: 11., 16. und 23. Juni (19:30 Uhr) und 19. Juni (18:00 Uhr).
Großes Haus, Dammtorstraße 28, 20354 Hamburg
Preise: 6,- bis 107,- Eur
Karten im Internet und unter (040) 3568 68

YouTube-Video:
Daphne | Richard Strauss | Staatsoper Hamburg


Abbildungsnachweis:
Header: Agneta Eichenholz. Foto-Copyright: Brinkhoff/Mögenburg

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