Musik
La Traviata Hamburg

Die Hamburger Kammeroper ist immer für Überraschungen gut. Jetzt hat sie einen der Welthits des Opern-Repertoires auf ihre Mini-Bühne geholt: Giuseppe Verdis „La Traviata“ – und aus dem morbiden Liebesdrama ein kompaktes, böses Kammerspiel gemacht. Eine Aufführung, die sich sehen und vor allem hören lassen kann.

Das Schrumpfen aufs Kammeroper-Format bekommt der „Traviata“ außerordentlich gut, denn außerhalb der großen Chorszenen ist da nicht viel mehr als die Geschichte der Edel-Prostituierten Violetta, ihres mordsmäßig und etwas zu schnell verknallten Alfredo, bei dem sie angesichts der tödlichen Tuberkulose das einzige Mal sich auf etwas wie die wahre Liebe einlässt – oder das, was beide dafür halten. Und dann ist da Alfredos Vater, der auf Familienehre und gesellschaftliche Konvention pocht und das Paar gnadenlos bis in seine ländliche Idylle verfolgt und auseinander treibt.

Ein bitteres Spiel, das Regisseurin Birgit Scherzer auf dem Präsentierteller ablaufen lässt. Faszinierend das klug reduzierte Bühnenbild von Kathrin Kegler: Transparente, übermannshohe Scheiben grenzen einen Versuchsraum ein, einsehbar von überall. In unterschiedlicher Beleuchtung wirken sie mal wie ein eisbeschlagener Kühlraum für erstarrte Emotionen, mal wie ein unpersönlicher, unterkühlter Partybunker. Hinter ihnen tummeln sich Beobachter. Ein einziger blühender Ast symbolisiert das fragile Landleben. Und welkbuntes Laub – na ja, darauf sind in der Hamburgischen Staatsoper auch Johannes Erath und Annette Kurz gekommen – den finalen Spätherbst von Violettas Bühnenleben.

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Knallhart mit wenig Platz für romantisches Turteln
Die Grundidee von Scherzers Regie holt das Unerbittliche der „Traviata“-Geschichte nach vorn: Violetta entscheidet sich selbst für ein Leben in Liebe und Frieden, abseits der Großstadt-Feste. Und muss dann, getrieben von Alfredos Vater und zeitlich limitiert durch ihre Krankheit, diesen Traum wieder aufgeben. Das ist knallhart, mit wenig Platz für romantisches Turteln. Schade, dass Scherzer diese Grundidee in der Ausführung so wenig mit packendem Leben erfüllt und die Personen oft mit allerlei Klischees beschäftigt – von Violettas Spiel mit ihren Highheels bis hin zu Floras SM-Sklaven – was ungefähr so aufregend ist wie eine Touri-Rundgang über die Reeperbahn.

Scherzer holt auch den finalen Tod von Anfang an als stumme Figur auf die Bühne, weiß gekleidet, mal drohend, mal einladend – dieser „Unentrinnbare“ sorgt dafür, dass das Kammerspiel seine düstere Tonlage hält und dass selbst bei Floras Fest nicht allzuviel Champagnerlaune aufkommt.

Hart und packend ist auch die Schlussszene: Alfredo steht tatenlos, wie gelähmt am Bühnenrand, als Violetta im Todeskampf zusammensackt. Sein Vater hat gesiegt, dessen zu späte Reue nimmt man ihm nicht mehr wirklich ab. Kein Platz für die große Liebe – da fröstelt man auch im Zuschauerraum.

Was von manchen Sätzen der deutschen Übertragung von Barbara Hass nicht zu sagen ist. Zwar kommt gut heraus, wie vorschnell und tiefgangfrei sich Alfredo in Violetta verliebt. Es ist aber auch viel Banales zu hören, das man lieber im gnädigen Wohlklang des Italienischen belassen hätte. Für überbordenden deutschen Sprachwitz ist die „Traviata“ allerdings auch ein schlechtes Spielfeld.

Der große, der entscheidende Pluspunkt der Kammer-„Traviata“ ist die Musik: die präzise geschrumpfte Partitur von Ettore Prandi, das großartige siebenköpfige Orchester unter der Leitung von Florian Czismadia, das schon in den ersten Takten klar macht, dass es in Bestform agiert – die zart einleitenden Takte werden an erheblich größeren Häuser verzittert.

Aurelie Ligerot als Violetta muss man gehört haben
Der Graben liefert eine hervorragende Grundlage für das Ensemble auf der Bühne. Richard Neugebauer, der sich in anfänglicher Nervosität erst noch seiner stimmlichen Fähigkeit versichern muss und im Lauf der Oper immer mehr aufblüht, passt ins Konzept des wenig gefestigten Partyknaben, der schnell aufflammt, dem Vater aber wenig entgegenzusetzen hat.

Neugebauer hat eine feine lyrische Höhe, kann aber durchaus auch Druck machen und Durchschlagskraft entwickeln. Allzu einseitig strahlende Tenöre verfälschen das Naturell der Rolle und geben ihr oft zu großes Gewicht – Alfredo agiert ja nicht auf dramatischer Augenhöhe mit Violetta. Das wird hier in der Kammeroper gut sichtbar.

Marius Adam scheint die Rolle des Vaters auf den Leib geschrieben. Es ist perfekt seine Stimmlage, er agiert streng und bringt auch zum Vorschein, wie sehr Germont in seinen eigenen engen Vorstellungen gefangen ist, die erst am Ende aufgebrochen werden.

Weitere Pluspunkte der Premierenbesetzung: Andrey Valiguras ist ein profunder Doktor, Titus Witt ein diabolischer Baron sowie Katharina Müller mit ihrem warmen, dunkel funkelnden Mezzo.

Star des Abends war allerdings Aurelie Ligerot als Violetta, sie muss man gehört haben. Als erste der drei sich bis Mai abwechselnden Violettas war sie eindeutig die große Siegerin des Premierenabends. Ihre Stimme ist ein Erlebnis, und sie bringt mehr als genug davon mit für das 200-Personen-Publikum in der Kammeroper. Ein großer Sopran, koloratursicher, mit glasklaren, perfekt sitzenden Spitzentönen, von denen sie viele zu bewältigen hat. Sie strahlt die Power aus, die Violetta für ihre schwierigen Lebensentscheidungen braucht – und wird sicher jenseits der Premierenanspannung noch feiner dosieren, was Violettas emotionaler Achterbahnfahrt zugute kommen wird. Aurelie Ligerot hat das Zeug, auf weit größeren Bühnen Eindruck zu machen.

Großer Premieren-Applaus und keine Frage: Diese „Traviata“ wird ein Publikumsmagnet.

La Traviata Hamburg
Zu erleben in der Hamburger Kammeroper im Allee-Theater, Max-Brauer-Allee 76, in Hamburg-Altona.
Karten im Internet unter www.hamburger-kammeroper.de oder unter Tel. (040) 3829 59.
Tickets: 24,50 bis 37.- Euro, optional auch mit viergängigem Opernmenü (zusätzlich 29,50 Euro).
Mi-Sa 20:00 Uhr, So 19:00 Uhr.


Abbildungsnachweis: Alle Fotos: Joachim Flügel
Header: Aurélie Ligerot (Violetta), dahinter Ralf Hutter (Der Unentrinnbare)
Galerie:
01. Aurélie Ligerot (Violetta)
02. Richard Neugebauer (Alfred) und Marius Adam (Germont)
03. Aurélie Ligerot (Violetta), dahinter, v.l.n.r Marius Adam (Germont), Titus Witt (Baron), Ralf Hutter (Der Unentrinnbare)
04. ßvorn beim, linken Schwinger, Gheorghe Vlad (Alfred), ihm ausweichend Titus Witt (Baron), dahinter v.l.n.r. Andrey Valiguras (Doktor), Aurélie Ligerot (Violetta) und Rebekka Reister (Flora)
05. Aurélie Ligerot (Violetta) und Richard Neugebauer (Alfred) in der Premiere

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