Musik
Maria Callas

Wahnsinn. Neben mir singt Maria Callas.
Die Wahnsinnsarie aus Donizettis „Anna Bolena“, eine Aufnahme von 1958, entstanden kurz nach der Einführung von Stereo-LPs: feinst ziselierte Koloraturen, gewaltig in die Länge gestreckte Crescendi, ihr fast schon ersterbendes Pianissimo von keinem Knistern oder Knacken gestört, zupackendes Forte, glasklare Höhen. Der Chor fällt mit massiver Präsenz ein. So direkt habe ich der Callas noch nie beim Verfertigen der Töne zuhören können. Gänsehaut-Musik. Dasselbe bei „Lucia di Lammermoor“, noch eine Wahnsinnsarie. Ihre erste Opernaufnahme überhaupt, eingespielt noch mono im Jahr 1953 in Florenz. Man hört die Diva in spe in gnadenloser Brillanz, um winzige Spürchen verrutschte Töne inklusive, aber auch perlende Spitzentöne, zum Greifen plastisch ihre Stimme, und wie ein Messerstich das hohe Es am Ende. Und das „Ebben? Ne andró lontana“ aus Catalanis „La Wally“, aufgenommen 1954 in London, ebenfalls mono, fasst direkt ans Herz und rührt zu Tränen.

Einem Tonband ist es egal, was darauf gespeichert ist: Stromrechungen, Telefonbücher, Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich oder eine Originalaufnahme von Maria Callas. Es altert still vor sich hin. Der Kleber an Schnittstellen versprödet im Lauf der Jahrzehnte, der Klang wird durch den Kopiereffekt der nächsten Tonband-Lage beeinträchtigt, irgendwann wird auch die Haftung der Magnetschicht auf dem Trägerband bröseln. Wenn ein Band gut gelagert ist, dauert dieser Prozess länger, zu stoppen ist er nicht.

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Eine Rettungsaktion für sämtliche Studioaufnahmen von Maria Callas hat jetzt Warner unternommen, wo die Callas-Aufnahmen 2012 nach dem Kauf der EMI-Klassiksparte gelandet. Sicher nicht ganz uneigennützig, denn die Callas-Bänder sind ein gewaltiger Schatz, der noch immer gutes Geld einspielen kann. Das liegt an ihrer großartigen Stimme, sicher aber auch am Mythos der Diva, die sich von einer pummeligen Sopranistin in wenigen Jahren zum gefeierten Idol an die Weltspitze hochgesungen hat. Immer im Mittelpunkt, ihre Beziehung zum griechischen Reeder Onassis tat ein Übriges, so wie ihr früher Tod mit 53 Jahren.

39 Studioaufnahmen, gespeichert auf 69 CDs, hat Warner jetzt neu veröffentlicht, sorgfältig ediert, mit einem ansehnlichen Begleitbuch, alle CDs im verkleinerten Original-Cover. 26 komplette Opern und 13 Recitals. Von den allerersten drei Arien, die Maria Callas im November 1949 für das italienische Label La Cetra noch auf 78-rpm-Schellack-Platten eingesungen hat, bis zu ihrer letzten Aufnahme von Verdi-Arien im Jahr 1969.

Nun sind die Callas-Aufnahmen schon zweimal digital remastered worden. Mitte der 80er-Jahre für das neue Medium CD und 1997 anlässlich ihres 20. Todestags. Aber während die Originalbänder in ihren metallenen Archivbüchsen altern, wachsen die technischen Möglichkeiten, diese alten Aufnahmen qualitativ so aufzuarbeiten, dass sie sehr weit in die Nähe eines modernen Hörerlebnisses kommen.

Für Warner hat das ein Remastering-Experten-Team in den legendären Abbey-Road-Studios in London besorgt – dort, wo die Callas immerhin eines ihrer Alben aufgenommen hat. Und sie haben mit dem hochfragilen Allerheiligsten gearbeitet.
Vor der Restaurierung des Klangs jedoch stand lange Recherche: Matrizen-Karten und Aufnahmeprotokolle wurden studiert, wo jeder kleine Bearbeitungsschritt dokumentiert ist. Dann gab es die Kontrolle der Originalbänder mit der Restaurierung vieler Schnittstellen. Das nachträgliche Digitalisieren herausgeschnittener Stellen. Und dann wurden sie noch einmal sorgfältig digital kopiert – ein Prozess, der mit den alten Bändern künftig immer schwieriger werden wird. Kopiert im HD-Standard mit einer Abtastrate von 96 kHz und einer Auflösung von 24 Bit, nicht nur 44,1 kHz und von 16 Bit wie bei einer normalen CD. Kopiert erst einmal mit allen Schnitten, Nebengeräuschen, Fehlern in der Bearbeitung – unterschiedlichen Tonhöhen beim Arbeiten mit unterschiedlichen Takes, unsauberen Schnitten. Und dann wurde mit modernen Tonbearbeitungsprogrammen eliminiert, was nicht dazugehört.

Eines dieser Programme filtert automatisch Knistern und Knacken heraus – bis zu 25.000 Einzelimpulse pro Sekunde. Mit einem anderen zaubern die Klangmagier von Hand solidere Nebengeräusche fort – die U-Bahn, die unter der Londoner Kingsway Hall daherrumpelte, so wie man das in Hamburg aus der Laeiszhalle oder dem St. Pauli-Theater kennt. Eine startende Vespa vor der Mailänder Scala, eine Trambahn, die dort durch die Straßen rumpelt. Unerwünschte Auswirkungen des Kopiereffekts, oder Tonhöhendifferenzen, weil damals die Stromversorgung der Aufnahmegeräte noch nicht computergesteuert war und deshalb ihre Laufgeschwindigkeit noch nicht präzis auf einem Level gehalten werden konnte. All das wird auf einem Bildschirm visualisiert und aus der Aufnahme weggenommen. Ein Programm namens „Retouch“ macht das möglich. Und noch eine Schwäche der späten Callas-Aufnahmen wurde wenigstens zum Teil bereinigt: Wenn ihre mächtige Stimme die damaligen Mikrofone und Bandgeräte überforderte, reagierten die auf dem Tonband mit einem elektrischen „Blubbern“ zwischen den Oberschwingungen der Stimme. Das verstärkte im Höreindruck hier und dort ihr oft breitbandiges Vibrato. Auch das wird keiner vermissen.

altAm Ende wurden die Aufnahmen noch einmal hier und dort in einem Equalizer nachbearbeitet. Damit kann man den Gesamteindruck noch einmal auffrischen, die Stimme etwas hervortreten lassen, die Präsenz verbessern. Im Orchester klingen die Höhen stärker betont, was den dumpfen Gesamteindruck vieler älterer Aufnahmen fortnimmt.

Die volle Qualität der HD-Version bekommen die Käufer der aktuellen CD-Box allerdings nicht – die werden international als HD-Downloads vermarktet (s.u.). Für die 69-CD-Box wurden die Digitaldateien der gereinigten Aufnahmen wieder auf das normale CD-Format mit 44,1 kHz und 16 Bit reduziert.

Das Warner-Team in den Abbey-Road-Studios schwört, dass es nirgendwo künstlerische Eingriffe unternommen hat. „Im Zweifelsfall verzichten wir auf einen Eingriff. Aber wir beseitigen die Unzulänglichkeiten der Aufzeichnungsverfahren jener Zeit. Es geht uns nur darum, Staub zu wischen und das Glas abzuwischen.“

Was auf diese Weise geleistet wird, ist faszinierend. Das Knistern und Knacken fehlt vollständig, und schon das überlistet unsere Ohren: Die Callas singt, als seien plötzlich sieben Schleier vor den Lautsprechern weggezogen worden. Damit und durch den wärmeren und runderen Gesamteindruck – etwa im Vergleich zum EMI-Remastering von 1997, das doch häufiger etwas blechern klingt – nimmt das Ohr die Aufnahmen kaum noch als historisch wahr; man kann sie deutlich lauter abspielen – und sie klingen frappierend präsent, hell, durchsichtig und frisch, geben die grandiose Gesangskunst von Maria Callas wieder als das, was sie ist: höchst aktuelle, packende und tief berührende Musik.


Maria Callas remastered – The Complete Studio Recordings 1949-1969. Box mit 69 CDs, und Begleitbuch, Warner, ab 199 Euro.
Maria Callas remastered als HD-Download: erhältlich über iTunes im MfiT-Format oder im iTunes artist room oder im HD-Format.


Abbildungsnachweis: Alle Copyright: Warner Classics
Header: Maria Callas 1959 - Erico Piccagliani
CD-Cover
Galerie:
01. Maria Callas 1959 - mit Walter Legge und Antonino Votto - Erio Piccagliani
02. Aufzeichnungen zu den Schallplattenaufnahmen (Mastering)
03. Maria Callas, 1959, Kinsway Hall - Lucia di Lammermoor (c) Brian Seed
04. Maria Callas with Walter Legge and Tulio Serafin - Lucia di Lammermoor (c) Brian Seed
05. Maria Callas, Paris, 1964 (c) Roger Pic
06. Maria Callas 1959 - Erico Piccagliani
07. Remastered - im Studio

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