Fotografie

August Sander zählt zu den bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. 
Er gilt als Pionier der Neuen Sachlichkeit, einer sachlich-dokumentarischen Fotografie. Seine neuartige fotografische Bildsprache beeinflusst nationale und internationale Fotokünstler, darunter in den 30er-Jahren den Amerikaner Walker Evans sowie das Ehepaar Bernd und Hilla Becher, Vertreter der zeitgenössischen Industriefotografie.
Zum 50. Todestag von August Sander ehrt die SK Stiftung Kultur in Köln den Fotografen mit einer umfangreichen Retrospektive. Die Ausstellung präsentiert rund 350 originale Exponate, unveröffentlichtes Bildmaterial und Dokumente. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien sind Zeitdokumente der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit.


Vier Orte prägen August Sanders fotografischen Weg: Herdorf im Westerwald, die Donaustadt Linz in Oberösterreich, Kuchhausen im Westerwald und Köln. 1876 in Herdorf geboren, sammelt er erste Erfahrungen bei dem Siegener Fotografen Heinrich Schmeck. Er beschließt Berufsfotograf zu werden. Mit 25 Jahren geht er nach Linz, betreibt hier ein eigenes Atelier. Neben Auftragsarbeiten – in der Regel Damen- und Herrenportraits des gehobenen Bürgertums – entstehen erste Landschaftsaufnahmen. Er heiratet und vier Kinder werden geboren. In die Linzer Zeit fallen seine ersten Erfolge; in Paris, Leipzig und Wels werden seine Bilder ausgezeichnet. Die Presse vergleicht ihn mit Nicola Perscheid – im Deutschen Kaiserreich einer der bekanntesten Portraitfotografen. 1910 zieht die Familie nach Köln-Lindenthal, wo er ein neues Fotoatelier aufbaut. Einen neuen Kundenstamm findet Sander bei den Bauernfamilien im Westerwald. Die Kölner Jahre bis zum Zweiten Weltkrieg sollen die produktivsten und erfolgreichsten seiner fotografischen Laufbahn werden. Die Portraitzyklen „Menschen des 20. Jahrhunderts" und „Antlitz der Zeit" entstehen. Neben Portraits fotografiert er Landschaften am Niederrhein, im Bergischen Land, im Westerwald und dem Siebengebirge oder in der Eifel. Mit dem Schriftsteller Ludwig Mathar reist er Anfang 1927 für drei Monate nach Sardinien, fotografiert Menschen, Orte und Landschaften für eine neue Publikation. Um seine Negative und Fotographien vor den Luftangriffen zu retten, siedelt die Familie nach Kuchhausen in den Westerwald um. Ein Bombenangriff zerstört 1944 Sanders Kölner Atelier und vernichtet viele Archive. Nach Kriegsende eröffnet er mit seinem Sohn in Köln ein neues Fotoatelier, beginnt mit einer umfangreichen Dokumentation über seine zerstörte Heimatstadt. Fast wäre August Sander nach dem Krieg in Vergessenheit geraten, hätte nicht Leo Fritz Gruber, Germanist und Publizist, seine Werke 1951 auf der ersten internationalen „photokina" in Köln ausgestellt. Als Fotograf hoch geachtet stirbt er 87-jährig im April 1964 in Köln.

 

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„Wir präsentieren Sanders dokumentarisches und visionäres Werk, das über den Gegenstand hinaus einen Zeitabschnitt verdeutlicht. Es zeigt uns eine sich wandelnde Welt, die verletzlich, doch beständig ist. August Sander lässt uns im besten Sinne des Wortes zwei Mal hinschauen – auf die Welt und auf das Bild von ihr“, erläutert Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, die Ausstellung. In Werkgruppen geordnet, präsentiert die Schau Fotografien aus Sanders Privat- und Arbeitsleben, Landschaftsbilder, Botanik- und Naturstudien, Fotos von Architektur, Industrie und Handwerk, Bilder der Sardinien-Reise und seiner Heimatstadt Köln. Hinzu kommen Portraits von Menschen der Weimarer Republik aus seiner Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts".


Ab 1924 entwirft Sander ein neues Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts", das er bis zu seinem Lebensende weiterführen wird, sozusagen als ‚work in progress'. Es ist ein auf insgesamt 500 bis 600 Fotografien angelegtes Kompendium von Menschentypen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen. Die 45 Einzelmappen sind aufgeteilt in sieben Gruppen: Der Bauer, Der Handwerker, Die Frau, Die Stände, Die Künstler, Die Großstadt und Die letzten Menschen.
Mit Hilfe der reinen Photographie wolle er eine Typologie der Menschen des 20. Jahrhunderts erschaffen, die Betreffenden wahrheitsgetreu in ihrer Physiognomie wiedergeben, die ganze Palette der bürgerlichen Gesellschaft erfassen, erklärt Sander sein Projekt.


Drei Jahre später, 1927, zeigt der Kölnische Kunstverein erstmals rund 100 Portraits. Anlässlich der Ausstellung formuliert Sander seine Motivation „Man fragt mich oft, wie ich auf den Gedanken gekommen sei, dieses Werk zu schaffen: Sehen, Beobachten und Denken und die Frage ist beantwortet. Nichts schien mir geeigneter zu sein, als durch die Photographie in absoluter Naturtreue ein Zeitbild unserer Zeit zu geben. [...] Die Ausstellung im Kölnischen Kunstverein ist das Resultat meines Suchens und ich hoffe, auf dem richtigen Weg zu sein. Nichts ist mir verhasster als überzuckerte Photographie mit Mätzchen, Posen und Effekten." Die Rheinische Tageszeitung rezensiert lobend seine Ausstellung.
1929 publiziert Sander 60 Portraits in „Antlitz der Zeit". Das sehr erfolgreiche Buch inspiriert sogar den amerikanischen Fotografen Walker Evans, der in den 1930er-Jahren die Wirtschaftskrise der USA dokumentiert. „Antlitz der Zeit" wird vier Jahre später von den Nazis beschlagnahmt, verboten und die Druckstöcke zerstört. Sanders Menschentypen entsprechen nicht der arischen Ideologie.


Bei all dem Erfolg, den der Fotograf mit seinen Portraitserien hat, muss darauf hingewiesen werden, dass Fotoserien keine „Erfindung" von Sander sind. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg entstehen Sammelbände mit Portraits und Fotoreihen in Zeitschriften mit anonymen oder berühmten Menschen.
Doch, was ist das Neue, das Einmalige an August Sanders Portraitkunst? Immerhin erlangt er mit seinen individuellen Portraits weltweiten Ruhm und gilt seitdem in der deutschen Fotografiegeschichte – neben Albert Renger-Patzsch und Karl Blossfeldt – als Begründer der Neuen Sachlichkeit.


Sanders Fotografien sind keine Schnappschüsse, sondern in der Natur, im persönlichen und beruflichen Umfeld oder im Atelier sorgfältig arrangierte Kompositionen. Er entwickelt ein Konzept, in dem der einzelne Mensch nicht als Individuum im Mittelpunkt steht, sondern als Repräsentant einer sozialen Typologie. Einzelpersonen oder Gruppen werden durch die Kleidung oder durch berufsbedingte Attribute und Posen charakterisiert. Auf überflüssige Requisiten verzichtet er. Seine Protagonisten blicken immer in die Kamera, als würden sie mit dem Betrachter kom¬mu¬ni¬zie¬ren. Sie sind als Ganzkörperportrait, als Dreiviertel- oder Halbportrait abgelichtet, meistens frontal, seltener im Halbprofil, ohne Untersicht oder Aufsicht, ohne Schatten und Unschärfen. Die Fotografien entstehen nur bei natürlichem Licht. Sie sind sachlich-nüchtern, ohne Schnörkel, ohne Pathos, keine Heroisierung, aber auch keine Bloßstellung.


Bis auf wenige Ausnahmen tragen seine Protagonisten keine Namen; sie sind anonyme Repräsentanten ihrer Gesellschaftsschicht. In „Bauern" dokumentiert Sander das bäuerliche Leben im Westerwald. „Jungbauern", 1914, drei Bauernsöhne, fein angezogen mit Anzug und Hut sind auf dem Weg zum sonntäglichen Tanzvergnügen. In der Serie „Der Handwerker" stellt er Handwerksberufe, wie Schlosser, Schmied, Zimmermann, Schumacher oder Konditor, in ihrem beruflichen Umfeld vor. Der „Konditormeister" von 1928 steht in seiner Backstube. Der korpulente, glatzköpfige Mann trägt einen weißen Arbeitskittel, eine schwarz gestreifte Hose, schwarze Stiefel und rührt in einer Schüssel. In dem Bild „Revolutionäre", 1929, sind Alois Lindner, Guido Kopp und Erich Mühsam, der fünf Jahre später im Konzentrationslager Oranienburg ermordet wird, abgelichtet. Interessant sind seine Familien- und Frauenportraits. Neben dem traditionellen Rollenbild der Frau als Hausfrau und Mutter, verkörpern einige den Typ der modernen, emanzipierten Frau der Weimarer Republik. So die Zigarette rauchende „Sekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln", 1931, mit ihrer lässigen Körperhaltung, der Bubikopffrisur und dem modischen, ornamentierten Kleid.


In Sanders Künstlerportraits werden dagegen die Portraitierten namentlich genannt. Der Betrachter erkennt berühmte Sänger, Komponisten, Maler, Literaten, Architekten und prominente Persönlichkeiten, unter anderem Paul Hindemith und Konrad Adenauer, Richard Strauss, den Architekten Hans Poelzig, die Maler Otto Dix, Otto Freundlich, Anton Räderscheidt. Sander ist seit den Zwanzigern eng mit der Künstlergruppe „Kölner Progressive" verbunden und mit vielen Künstlern befreundet. In Künstlerkreisen findet sein sachlicher, fotografischer Stil Anerkennung und Würdigung; er erkennt aber auch, dass Malerei und Fotografie verschiedene künstlerische Wege gehen müssen.


Mit seinem neuartigen Portraitstil distanziert sich Sander von der sonst üblichen Atelierfotografie, in der die Portraitierten mit Requisiten und Posen in Szene gesetzt werden. Ebenso ablehnend steht er sogenannten Kunstphotographie gegenüber, deren fotografischer Stil sich an der Malerei orientiert. John Berger, Maler und Kunstkritiker, kommentiert 2003 Sanders Arbeiten: „Kein anderer Photograph, der Portraitaufnahmen seiner eigenen Landsleute machte, hat je auf so klare Weise dokumentarisch gearbeitet."


Neben reinen Naturlandschaften präsentiert die Ausstellung auch Landschaftsbilder, die Spuren menschlicher Zivilisation zeigen: Fabriken, Häuser mit aufsteigenden Rauchfahnen, Autobahnen und Eisenbahnlinien, Wege und Straßen, Flüsse mit Schiffen. Diese ungeschönten Bilder erinnern an die zeitgenössische Landschaftsfotografie von Bernd und Hilla Becher.


Informativ ist die Bilderserie „Köln wie es war". Insgesamt erstellt Sander 16 Bildmappen mit 408 Bildern seiner Heimatstadt. Der Kölner Dom, Denkmäler und Sehenswürdigkeiten, Architektur sowie Straßen, Szenen aus dem Alltag und durch den Zweiten Weltkrieg zerstörte Häuser geben einen Einblick in das alte Köln der Jahre 1920 bis 1949. Die historische Bedeutung der Fotografien erkennt auch die Stadt Köln, im März 1953 erwirbt sie die Bildmappen.


Bleibt die Frage, welchen Einfluss Sanders Fotografien auf die Fotokunst von Bernd und Hilla Becher haben. Ende der 50er-Jahre kauft das Ehepaar Becher „Antlitz der Zeit" in einem Antiquariat. Zu diesem Zeitpunkt studieren beide bereits an der Düsseldorfer Kunstakademie Fotografie. Parallelen zu Sanders Portraitfotografie lassen sich erkennen, denn Bechers Schwarz-Weiß-Typologien von Fabrikhallen, Wassertürmen, Gasbehältern, Fördertürmen oder Hochöfen - die man durchaus als Architekturportraits ansehen kann - stehen formal und stilistisch in der Tradition der dokumentarischen Sachlichkeit eines August Sanders.


„August Sander Fotografie: Meisterwerke und Entdeckungen"

Zu sehen bis zum 3. August 2014 in der SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, in 50670 Köln.
Während der Laufzeit ist die Ausstellung täglich von 14 bis 19 Uhr geöffnet, mittwochs geschlossen.
Der Katalog erscheint im Sommer 2014.
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis Galerie: Alle: August Sander. © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2014
01. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
02. Bauer, 1912
03. Jungbauern, 1914
04. Fußballverein, um 1920
05. Photographin, um 1926
06. Blick in die Ausstellung (Portraits). Foto: Christel Busch
07. Zirkusartisten, 1926–1932
08. Blick von der Wolkenburg auf die Löwenburg, 1930
09. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
10. Reklamephoto für ZentRa, 1930er-Jahre
11. Am Bohrwerk bei Otto Junker, Lammersdorf/Eifel, 1938
12. Zugverkehr auf der Hohenzollernbrücke, 1938. © Rheinisches Bildarchiv, Köln
13. Steinpilz und Mauerpfeffer (Boletus edulis, Sedum Album), 1940
14. Am Ofen im Arbeitszimmer, 1943
15. Katharina Jaeger für das Atelier August Sander: August Sander im Labor,1939

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